Am Wochenende ist Short-Track-Action in Bristol angesagt, wo die Strecke ihr hundertstes Cup-Rennen feiern darf. Bei noch drei Rennen bis zum Chase ist der Kampf um die Top12 in diesem Jahr zwar bereits größtenteils gelaufen, doch Bristol ist auch mal für einen „big one“ gut.
99 Cup-Rennen wurden auf dem Bristol Motor Speedway seit 1961 ausgetragen, was bedeutet, dass beim diesjährigen August-Rennen auf der Traditionsstrecke ein Jubiläum ansteht. Der extrem beliebte Short-Track hat auch 2011 zwei Termine im Kalender bekommen – kein Wunder, wenn man bedenkt, dass von Beginn an bis ca. 2008 bei jedem Rennen alle Tickets ausverkauft waren. Die Rennen sind für gewöhnlich immer ziemlich actionreich, oft kommt es sogar wie auf den großen Superspeedways zu „big ones“, die mitunter eine Rennunterbrechung zwecks Aufräumarbeiten nach sich ziehen. Sehr wenig Platz bietet die Strecke für die 43 Autos, da wird sich schon mal ordentlich angelehnt und rumgeschubst. Bristol ist damit eigentlich der letzte „game changer“ vor dem Chase, denn mit Atlanta (Intermediate-Oval) und Richmond (Dreiviertelmeile) folgen nur noch halbwegs vorhersehbare Strecken in „normaler Größe“.
Seit der Neubetonierung 2007 gab es eine Menge Kritik, dass die Strecke ohne die vielen Wellen und Schläge langweilig geworden sei. Im letzten Jahr schlug man deswegen zwei Fliegen mit einer Klappe und verlängerte die SAFER-Walls mehrere Meter aus den Kurven auf die Geraden heraus. Außer der zusätzlich gewonnenen Sicherheit wurde damit auch die Strecke enger, was wieder turbulenteres Racing möglich macht. Das Frühlingsrennen ist dafür Beweis genug, denn es ist mit 3 Stunden und 20 Minuten das längste Bristol-Rennen seit Einführung des CoT im Jahre 2007 gewesen – inklusive einem „big one“ mit 13 Autos und roter Flagge in der zweiten Rennhälfte. Dazu muss man fairerweise aber auch sagen, dass es später eine Unterbrechung wegen Regens gab. Derzeit beträgt die Regen- und Gewitterwahrscheinlichkeit für den Samstagabend zur Rennzeit 30%.
Bristol-typisch ist es, dass sich über die 500 Runden meistens 3-4 Siegkandidaten in mehreren Phasen herauskristallisieren und dann eventuell auch wieder verabschieden. Dabei kommt es größtenteils darauf an, wie die Kombination aus Fahrer und Crew Chief den Wagen an die langsam wechselnden Grip-Verhältnisse zwischen Tag und Abend/Nacht anpassen kann. Und genau hier sehe ich auch schon den ersten Diskussionspunkt: Jimmie Johnson. In den letzten Rennen zeigte sich deutlich, dass Johnson und Chad Knaus zunehmend Probleme damit haben, die #48 konstant an eben diese wechselnden Gegebenheiten anzupassen. Zwar gewann Johnson das Frühlingsrennen in Bristol, was zudem auch seinen ersten Sieg überhaupt auf der Betonstrecke darstellte, jedoch war das zu seiner starken Zeit zu Saisonbeginn noch vor dem Wechsel von Heckflügel zu Spoiler.
Hendrick Motorsports steckt ja zuletzt in einer kleinen Formkrise, die Mark Martin eventuell die Chase-Qualifikation kosten könnte. Wie schlecht es um den Routinier steht, kann man an den Resultaten seit Saisonrennen Nummer 10 in Richmond sehen. Fuhr Martin in den ersten zehn Meisterschaftsläufen noch vier Top5-Ergebnisse ein, so kam er seit Richmond nur noch auf magere zwei Top10s. Ich würde den zwölften und letzten Chase-Platz eher Clint Bowyer zurechnen, dessen Ergebnisse im Schnitt wesentlich besser aussehen. Auch Dale Earnhardt Jr wird sich vermutlich nicht für die Meisterschaftsentscheidung qualifizieren, denn seine Ergebnisstatistik sieht ähnlich desolat aus wie bei seinen Teamkollegen: Die letzten fünf Rennen waren für Junior allesamt zu vergessen, denn jedes Mal kam er jenseits von Platz 19 ins Ziel. Auch für Jimmie Johnson steht seit seinen Siegen in Sonoma und New Hampshire nur ein Top10-Resultat aus sechs Rennen auf dem Papier.
Ich habe derzeit so eine Ahnung, dass die #48 aber pünktlich zum Chase wieder voll auf dem Posten stehen wird. Allerdings weiß man natürlich nie zu 100 Prozent, ob diese Wahnsinnsleistung ein fünftes Mal in Folge wiederholt werden kann. Gut möglich, dass in diesem Jahr Denny Hamlin, Kevin Harvick, Jeff Gordon oder sogar ein Roush-Fahrer den Sack zumachen kann. Jeff Gordon steht bei Rick Hendrick im Moment noch am besten da, aus den letzten vier Rennen holte er immerhin zwei Top10s raus und davor fuhr er fünf Mal in Folge in die Top5. Dem fleißigen Punktesammler fehlt zwar das letzte Quäntchen zum Beenden der langen sieglosen Serie (Texas April 2009), doch seine Konstanz hat ihn auf Platz 2 in der Meisterschaft direkt hinter Kevin Harvick gebracht.
Bristol ist für Hendrick in den letzten Jahren auch nicht unbedingt das beste Pflaster gewesen: Vor Jimmie Johnson im Frühling gewann Kyle Busch 2007 das erste CoT-Rennen in der #5. Davor muss man schon länger graben, um Jeff Gordons Sieg von 2002 zu finden. Allgemein ist Chevrolet nicht so der große Reißer auf dieser halben Meile, die Fahrzeuge von Richard Childress Racing sehe ich aber definitiv in den Top10. Alleine der Sieger der letzten Woche, Kevin Harvick, konnte 2010 bisher 11 Top5- und 16 Top10-Resultate ansammeln. In den letzten acht Rennen stehen für den Kalifornier sage und schreibe sechs Top5s zu Buche. Bei Jeff Burton sind es immerhin fünf Top10s aus den letzten sechs Starts, nur in Michigan hatte er zuletzt Pech, als er mit Jeff Gordon aneinandergeriet. Clint Bowyer muss sich noch ein wenig steigern, um den zwölften Chase-Platz zu festigen.
Juan Pablo Montoya und Teamkollege Jamie McMurray können bestenfalls auf Top10-Ergebnisse hoffen, das spiegeln ihre Leistungen aus den letzten Jahren wieder. Montoyas bestes Bristol-Resultat ist nur ein neunter Platz aus dem Frühling 2009, in diesem Jahr wurde er Opfer des „big ones“. Tony Stewart konnte seine Sommerserie in Michigan weiter ausbauen und landete mit einem sechsten Platz das zehnte Top10-Ergebnis aus den letzten zwölf Rennen. Im Frühling kam er in Bristol auf einen starken zweiten Rang. Ryan Newman fährt seinen Fähigkeiten 2010 leider weiterhin nur hinterher, außer dem Sieg in Phoenix ging so gut wie gar nichts.
An diesem Wochenende würde ich mein Geld daher eher auf die Fords und die Toyotas setzen. Denny Hamlin kann aus den Jahren 2008 und 2009 nur Top6-Ergebnisse in Bristol vorweisen und beendete von den letzten drei Rennen zwei ebenfalls in den Top5. Hamlin liegen die Short-Tracks und ich denke, dass er am Samstag ein letztes Ausrufezeichen vor dem Chase setzen könnte, sofern er denn nicht wieder wie in der Michigan-Schlussphase mit Elektronik-Problemen zu kämpfen hat. Sein Teamkollege Kyle Busch kann zwar aus den letzten neun Rennen nur magere zwei Top10s vorweisen, ist in Bristol aber ein wahres Monster. 2007 gewann er wie erwähnt das erste CoT-Rennen und 2009 gleich beide Saisonläufe, zudem gewann er am Mittwoch schon das Truck-Rennen. Seine Statistik seit 2006 ist beeindruckend: 8/2/1/9/2/17/1/1/9! Da könnte bei Joe Gibbs Racing also durchaus was gehen bei diesem Rennen.
Bei Ford sind meine Favoriten am Samstag eher Greg Biffle und Carl Edwards als Matt Kenseth und Kasey Kahne. Biffle bringt drei Top5s aus den letzten vier Starts mit und kam in den vergangenen beiden Bristol-Rennen jeweils auf Rang vier ins Ziel. Edwards hat seit sechs Rennen eine Top7-Serie auf dem Papier und mag bekanntlich die Beton-Ovale, während es bei Kenseth in Michigan erst das erste Top10-Resultat nach neun Rennen zu vermelden gab. Auch Kahne schwächelt weiterhin, hat aber mit Red Bull und Hendrick eh eine zu rosige Zukunft vor sich, um sich jetzt noch über Richard Petty Motorsports aufzuregen.
Auf Kurt Busch als einzigen konkurrenzfähigen Dodge-Piloten sollte man aber auch achten, denn in Bristol fuhr er in den letzten Jahren immer mal wieder um den Sieg mit. Der dritte Platz aus dem Frühling spricht für seine Stärke. Generell kann man erkennen, dass die blaue #2 in der einen Woche um den Sieg mitfährt und auch vereinzelt Rennen gewinnt, nur um dann sieben Tage später wieder im Mittelmaß zu versinken. Dem Team fehlt zurzeit die nötige Konstanz, um einen weiteren Cup-Titel zu gewinnen, eine Chase-Teilnahme ist dagegen wie in fast jedem Jahr aber ziemlich sicher. Als Geheimtipp habe ich noch Marcos Ambrose auf Lager, dem die Strecke extrem zu liegen scheint. In seinen ersten beiden Bristol-Auftritten fuhr er auf Anhieb einen zehnten und einen dritten Platz heraus. Das Frühlingsrennen endete für ihn nach dem „big one“ leider schlagartig, nachdem er sich zuvor auf Rang neun qualifizieren konnte. Mal schauen, was der Australier an diesem Wochenende zeigen kann.
Die Liste der bisherigen, noch aktiven Sieger sieht wie folgt aus:
1. Jeff Gordon, Kurt Busch (je 5)
2. Kyle Busch (3)
3. Mark Martin, Matt Kenseth, Carl Edwards (je 2)
4. Jimmie Johnson, Tony Stewart, Dale Earnhardt Jr., Kevin Harvick, Jeff Burton, Elliott Sadler (je 1)
Zusammengefasst also noch einmal die vermutete Stärkeverteilung für das Wochenende: Gibbs und Roush vor Hendrick, dazwischen irgendwo sehe ich Kurt Busch, dahinter RCR und EGR auf Top10-Kurs. Leider kann man bei der NASCAR ja nie genau wissen, wer nun die entscheidende Lösung für ein quälendes Problem gefunden hat und plötzlich wieder die Hackordnung umdreht – vermutlich wäre ich sonst bedeutend reicher…
Zum Kampf um die Chase-Plätze und die Top35 habe ich in der Michigan-Analyse schon einiges geschrieben, deshalb hier nur kurz: Mark Martin, der als 13. derzeit 35 Punkte Rückstand auf die Top12 hat, wird sich vermutlich alleine mit Clint Bowyer um den letzten Chase-Rang streiten. Kommt es zu einem „big one“, in den Martin und Bowyer verwickelt sind, dann gelangen Ryan Newman und Jamie McMurray noch einmal in Reichweite. Für Kasey Kahne (-126) und Dale Earnhardt Jr (-129) ist es dahinter wohl schon zu spät.
Die Owner-Wertung sah keine entscheidenden Veränderungen, nur ein paar Rotationen innerhalb und eine Verkürzung des Abstandes der Verfolger auf immer noch große 161 Punkte. Das #38-Team von Front Row Motorsports mit zurzeit Tony Raines am Steuer ist nach dem Abgang von Kevin Conway vermutlich zum „start & park“-Einsatz freigegeben, so meine Vermutung. Das zeigt sich am Samstag. Bill Jenkins als direkter Verfolger der Top35 kann schon nicht mal mehr die Gehälter seiner Fahrer bezahlen, weshalb bereits David Stremme und Boris Said abgesprungen sind. Die Plätze scheinen also bezogen und das ernsthafte Starterfeld wird immer kleiner. Ich bin sehr auf die weiteren Entwicklungen der Silly Season (u.a. RPM von vier auf zwei Teams) und ihre Auswirkungen auf das Starterfeld 2011 gespannt. Mal sehen, wann die Zahl von 43 Autos auch mit „start & park“-Teams nicht mehr gehalten werden kann. Nach den Tabellen kommen noch die Sendezeiten.
Die Trucks sind aufgrund der Enge im Infield der Strecke ja schon am Mittwoch gefahren, wo Kyle Busch in einem Crash-Festival vor Aric Almirola und Ron Hornaday Jr gewinnen konnte. Bleiben also noch Cup und Nationwide Series für das Wochenende.
Im Prinzip findet der gesamte Quali- und Trainingsbetrieb komplett am Freitag statt, nur das Cup-Rennen wird in der Nacht von Samstag auf Sonntag ausgetragen. Obwohl für die Cup-Teilnehmer nach dem Qualifying kein Training mehr ansteht, gelten keine „impound rules“. Die Nachtrennen der ABC/ESPN-Cup-Strecke werden auf ABC übertragen (außer Atlanta, weil sonntags):
Freitag:
16:30 Uhr, Nationwide Final Practice (SPEED)
18:00 Uhr, Sprint Cup Practice (SPEED)
20:30 Uhr, Sprint Cup Final Practice (SPEED)
22:00 Uhr, Nationwide Qualifying (ESPN)
23:30 Uhr, Sprint Cup Qualifying (ESPN)
01:00 Uhr, Nationwide Food City 250 (ESPN)
Samstag:
01:00 Uhr, Sprint Cup Irwin Tools Night Race (ABC, Start ca. 01:15 Uhr)
Interessant, wie wenig Interesse das Network ABC noch an der NASCAR zeigt: Gerade mal eine Viertelstunde vor dem Rennen geht man auf Sendung und zeigt auch nur noch die lukrativeren Nachtrennen in der Prime Time (außer Atlanta, weil sonntags). Wer früher informiert werden möchte, muss NASCAR RaceDay ab 23 Uhr auf SPEED schauen.