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IndyCar: Straflos in Toronto

von Vorsicht
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Über mangelnde Action konnte man sich beim Rennen in Toronto beim besten Willen nicht beschweren. Aber ob der Lauf gute Werbung für die IndyCars war?

Selten hat man nach einem Rennen derart viele aufgebrachte Fahrer erlebt. Will Power etwa konnte sich gar nicht mehr einkriegen, bedachte gleich mehrere Kollegen mit deftigen Flüchen, und schimpfte auch danach auf Twitter noch kräftig weiter. Er war nicht der einzige: Auch diverse Fahrerkollegen machten aus ihren Herzen keine Mördergrube – und sonst stets loyale Fans verkündeten, sie hätten das Rennen nach der Hälfte abgeschalten. Der Großteil der Kritik galt zwar diversen Piloten. Ein wenig muss sich aber auch die Serie selbst an der Nase fassen. Denn gerade die teils schwer verständliche Kommunikationspolitik der Rennleitung war es, die bei einem ohnehin schon aufgeheizten Rennen noch zusätzlich Öl ins Feuer goss. Es kann aber durchaus auch sein, dass man dort insgeheim Freude an den Kontroversen hat.

Es ist schon erstaunlich, wie sehr sich in diesem Jahr die Kollisionen in Toronto gehäuft haben. Der Grund dafür ist nicht so ganz klar. Vor der Saison warnten Fahrer und Teams massiv vor den neuen Double File Restarts. Doch ganz abgesehen davon, dass die Fahrer mit dieser Regelung in Toronto ziemlich hemdsärmelig umgingen – keine einzige der Kollisionen hätte nicht auch in Singe File Formation entstehen können.

Vielmehr scheint ein anderer Verdächtiger von Bedeutung zu sein: Die zunehmend bizarr eingesetzte Blocking-Regel. Ursprünglich eingeführt, um das Spektakel zu erhöhen, und später unter dem Deckmantel Sicherheit verteidigt, verbietet diese Regelung den Fahrern zwar nicht, auf der Gerade direkt vor einen Konkurrenten zu fahren. Sich vor der Kurve auf der Innenbahn zu positionieren ist dagegen tabu. Die Folge: Hinterherfahrenden Piloten stechen recht optimistisch in die Lücke – und können nicht mehr rechtzeitig zurückstecken, wenn sich der Abstand doch als zu groß erweist. Der Vordermann rechnet nicht mit einem Angriff, und zieht nach innen – und es knallt.

So ähnlich würde ich auch die vielbesprochene Kollsion zwischen Power und Franchitti bewerten – eine Absicht würde ich dem Schotten, anders als viele Fans und nicht zuletzt auch Will Power, nicht unterstellen. Wenn man, wie etwa in der Formel 1, strenge Regeln anlegt und für erhöhte Disziplin auf der Rennstrecke sorgen will, dann kann eine solche Situation durchaus bestrafen. Wenn man dies, wie gestern die Rennleitung in Toronto, konsequent nicht macht, dann muss man auch Franchitti ungestraft weiterfahren lassen.

Viel schlimmer als die mangelnde Strafe an sich war aber ohnehin der Eindruck, der durch die Sequenz der Ereignisse entstand, wie sie auf Versus zu sehen war: Kollision – (Fehl?)meldung über eine Strafe für Franchitti – Interview mit ärgerlichem Chip Ganassi – Mitteilung, dass die Strafe zurückgenommen worden sei. Klar, dass man sich dann des Eindrucks nicht erwehren kann, dass die INDYCAR das Ganassi-Team nicht verärgern will, weil es für die Serie zu wichtig ist.

Auch wenn es nicht stimmen sollte. Denn noch ist etwas unklar, was bei der Rennleitung wirklich vorging. Indianapolis Star-Reporter Curt Cavin, der den Funk der Rennleitung verfolgt haben will, behauptete noch während dem Rennen, es habe zwar eine Meldung über eine Untersuchung des Vorfalls, aber niemals eine ausgesprochene Strafe gegen Franchitti gegeben. Roger Penske sagte dagegen der TV-Sendung Wind Tunnel, er habe sehrwohl am Funk eine derartige Meldung gehört.

Ungünstig (und nicht gerade couragiert) war jedenfalls das Verhalten der Rennleitung nach der Zieldurchfahrt. Einzig Driver-Steward Al Unser Jr. war für das TV zu sprechen. Und der versuchte etwas konfus die Entscheidung zu erklären – während umgekehrt Power seine Vorwürfe deutlich formulierte:

„IndyCar won’t penalize them because Chip Ganassi goes up there and gives it to them. It’s just wrong.“

Die IndyCar muss daher in den kommenden Rennen dringend vermeiden, weiter den Eindruck einer Bevorzugung der großen Teams entstehen zu lassen – zumal entsprechende Gerüchte ja auch schon nach dem Lauf in Milwaukee aufgekommen waren, als zwar Takuma Sato für ein Vergehen in der Box bestraft wurde, Dario Franchitti für einen ähnlichen (und dem Regelbuch nach eindeutig verbotenen) Lapsus aber nicht.

Team Ganassi selbst hat seinem Image in Toronto jedenfalls wenig geholfen, als Franchitti und Semi-Teamkollege Rahal beim Restart mehrere Runden lang nicht in der korrekten Double-File Position zur Start- und Ziellinie fuhren, und somit weitere Gelbrunden provozierten. Etwas verdächtig, zumal sie genau das brauchten, um ohne zusätzlichen Splash & Dash-Stop bis zum Ende durchfahren zu können. Dass in der Pressekonferenz nach dem Rennen auch noch Scott Dixon Rahals Fahrstil im Duell völlig ungeschminkt als gefährlich kritisierte, trug gleichfalls nicht zu einer positiven Wahrnehmung bei.

So oder so: Der große Sieger des Rennens heißt Dario Franchitti. Der Schotte hat seine Führung in der Meisterschaft um 35 Zähler, auf nun 55 Punkte ausgebaut. Und das auf einem Rundkurs – also in jenen Gebiet, in den sein großer Meisterschaftskonkurrent Will Power eigentlich im Vorteil sein sollte. Und auch Teamkollege Scott Dixon hat nur noch 28 Punkte Rückstand auf den Australier.

Erstaunlich mittelmäßig einmal mehr die Performance von Penske: Will Power war zwar bis zu seinem Abflug vorne dabei, Helio Castroneves und Ryan Briscoe (ebenfalls beide in Crashes verwickelt) konnten aber einmal mehr das Tempo an der Spitze nicht mitgehen.

Positive Überraschung des Rennens war Sebastian Bourdais. Der Franzose schaffte schon in der Qualifikation mit Rang sieben im Auto von Dale Coyne eine achtbare Leitung. Im Rennen konnte er sie mit dem guten sechsten Platz (trotz Problemen mit Paul Tracy) bestätigen.

Schlecht für die Wahrnehmung der IndyCar Serie dürften wohl auf Dauer die ungehemmten Twitter-Kommentare der Fahrer werden. Denn so schön die Offenheit gegenüber den Fans auch manchmal sein mag. Einen besonders professionellen Eindruck macht es nicht gerade, wenn die Fahrer sich gegenseitig als „princess“ und „wanker“ bezeichnen, und auch davor nicht zurückschrecken, andere Twitter-user mit diesem Bezeichnungen zu bedenken.

Und damit kommen wir zu einem weiteren Problem: Es kann nämlich durchaus sein, dass die IndyCar Serie gar nicht so unglücklich ist, über den neu gefundenen Hang zu Streitigkeiten. Und zumindest kurzfristig hat sie damit vielleicht auch Recht: Kontroversen erzeugen eben Aufmerksamkeit – die IndyCar Serie wurde gestern Abend in deutlich mehr Medien erwähnt als nach dem wesentlich hochwertigeren Rennen in Iowa. Und auch die TV-Quoten waren so gut wie schon lagen nicht mehr: Versus verzeichnete ein Rating von 0.41. Das ist zwar immer noch auf niedrigem Niveau – aber auch das beste Ergebnis seitdem man die Serie überträgt. Der Sender TSN, der die IndyCars in Kanada zeigt, vermeldet heute gar die besten Quoten für ein Toronto-Rennen seit 14 Jahren. Unglaublich: Mit etwa 550.000 Zusehern hatte man im wesentlich kleineren Kanada fast genauso viele Zuseher wie in den USA.

Auf kurze Sicht (oder als gelegentliches Ereignis) kann das durchaus funktionieren. Auf lange Sicht darf aber bezweifelt werden, ob diese Strategie zum Erfolg führt. Spätestens dann, wenn man nach Sponsoren sucht, wird man nämlich feststellen, dass sich manche Firmen nicht ganz so gern mit einem „Wanker“-Disput identifizieren lassen – ganz unabhängig davon, auf welcher Seite man nun steht.

Vorschau Edmonton

Ein wenig Zeit bleibt nun, um die Köpfe zu kühlen. Aber schon in eineinhalb Wochen macht die Serie am Schauplatz eines anderen unwürdigen Schauspiels Station: Am Flughafenkurs in Edmonton, wo Helio Castroneves im vergangenen Jahr ausrastete, nachdem ihm ein Sieg wegen angeblichen Blockierens von Will Power aberkannt wurde.

In den vergangen Jahren stand der Kurs für eher unaufregendes Racing, heuer könnte sich das aber ändern. Denn nach Finanzierungsproblemen im Winter hat ein neuer Promotor das Rennen übernommen – und musste auf einen anderen Teil des Flughafens ausweichen, weil die Stilllegung der gesamten Landebahn für das Rennen zu teuer war.

Positiver Nebenefekt: Das neue Layout (.pdf) sieht so aus, als hätte man diesmal mehr Wert auf gute Überholmöglichkeiten gelegt. Der neue Kurs hat neben einem etwas winkeligen „Infield“ auch mehrere lange Geraden, die in enge Kurven münden, zwei davon sogar Spitzkehren. Dort kann man natürlich aller Voraussicht nach nicht nur gut überholen – sondern auch ganz hervorragend kollidieren. Welche dieser beiden Möglichkeiten die Fahrer wählen, bleibt abzuwarten.

 

Gabriele Mini (Bild: Alpine)
Brando Badoer (Bild: McLaren F1)
Victor Martins (FRA) ART Grand Prix. 27.07.2024. Formula 2 Championship, Rd 10, Sprint Race, Spa-Francorchamps, Belgium, Saturday.

Fotos: INDYCAR

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Vorschau: IndyCar in Edmonton /  RacingBlog 22 Juli, 2011 - 07:16

[…] Kollision in Toronto entsponnen hat. Man scheint also, wie schon in der Toronto-Analyse spekuliert, ganz froh darüber zu sein, dass man die Piloten endlich auch als Charaktäre vermarkten kann. Auf […]

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