An diesem Wochenende geht es zum zweiten Mal in diesem Jahr auf einen Rundkurs, wenn die NASCAR Station in Watkins Glen macht. Den Fahrern verbleiben noch fünf Möglichkeiten, um sich einen Platz in der 2012er-Ausgabe des Chase zu sichern. Für Piloten außerhalb der Top10 sieht es zudem danach aus, dass eine Qualifikation nur noch über die Wildcards erfolgen kann.
Endlich ist wieder Road-Course-Zeit! Auf die beiden jährlichen Abstecher außerhalb der Ovale freue ich mich bekanntermaßen immer ganz besonders, wobei der Watkins Glen International mein Favorit unter den beiden Rundkursen ist – wenn auch nur knapp. Die Strecke ist wesentlich schneller als Sonoma und obwohl die Komplexität geringer sein mag, überzeugt mich Watkins Glen genau aus diesem Grund. Wenn man die Schlüsselstellen meistert, ergeben sich nämlich zwei ziemlich gute Möglichkeiten zum Überholen. Dazu ein Auszug aus der oben verlinkten Streckenbeschreibung:
„Eine der Schlüsselstellen ist die Kurvenkombination „The Esses“ (Turns 2-4), die man in steiler Bergauffahrt vor allem im Ausgang optimal erwischen sollte, um viel Speed mit auf die Gegengerade zu nehmen. […] Watkins Glen bietet zwei gute Überholstellen: Turn 1 („The 90“) direkt nach Start-und-Ziel, wo man bergab auf der Bremse überholen kann und natürlich die Busstopp-Schikane nach der Gegengerade vor dem „Inner Loop“. Wer hier genügend Geschwindigkeit mitgenommen hat, bringt sich in eine gute Postition, doch oft werden die Möglichkeiten optimistisch überbewertet und es kracht.“
Auch der folgende „Outer Loop“ ist nicht zu unterschätzen, weil sein leichtes Banking in Kombination mit der Abkürzung der IndyCar-Variante („The Boot“) eine gewisse Würze ins Spiel bringt. Die Kurvenüberhöhung lässt am Kurvenausgang recht schnell nach und wer schon im Center mit Unter- oder Übersteuern zu kämpfen hatte, für den wird es meist ganz eng. Die Leitplanke nach Turn 9 (oder Turn 5, je nachdem wie man zählt) hat daher in den vergangenen Jahren schon einige heftige Unfälle gesehen.
Die IndyCars haben es hier etwas leichter, weil das Banking sie auf einem weiteren Radius über den „Chute“ quasi direkt in die erwähnte Streckenerweiterung hinauskatapultiert. Ob auch die NASCAR diese längere Variante fahren sollte, könnte man diskutieren. Watkins Glen würde vermutlich fahrerisch anspruchsvoller werden, doch weitere Schlüsselstellen fügt man dem Kurs dadurch nicht hinzu. Viel eher sehe ich in der Kurve direkt nach dem „Chute“ noch mehr Potenzial für Tumulte, das hat man ja schon regelmäßig bei den Open-Wheel-Rennen gesehen. Die Rundenzeit der kurzen Variante liegt zudem in einem NASCAR bei knapp 1:20 Minuten, was echt in Ordnung ist.
Ein Blick auf die Siegkandidaten offenbart zunächst Jeff Gordon (4) und Tony Stewart (5), die zwischen 1997 und 2009 eine beeindruckende Serie hinlegen konnten, immerhin gelang es ihnen 9 von 13 Ausgaben in dieser Zeitspanne zu gewinnen. Dazwischen mogelten sich – in Form von aktiven Fahrern – Kevin Harvick (2006) und Kyle Busch (2008). Die letzten beiden Rennen in Watkins Glen entschieden in Person von Juan Pablo Montoya (2009) sowie Marcos Ambrose (2010) zwei echte Spezialisten für sich, mit denen man jedes Mal aufs Neue rechnen muss.
Dabei sehe ich derzeit im Vergleich mit Montoya eher Marcos Ambrose im Vorteil, welcher bei seinen bisher vier Rennen in Watkins Glen nie schlechter als auf Platz 3 ins Ziel kam. In Sonoma holte er dieses Jahr zudem die Pole-Position, konnte dort dann aber nur einen achten Rang einfahren. Für mich ist er am Wochenende der größte Favorit. Von Juan Pablo Montoya war dagegen in Sonoma schon absolut nichts zu sehen und die Pole-Position aus Pocono sehe ich persönlich nicht als Wendepunkt der verkorksten Saison an.
Tony Stewart ist derzeit zwar recht gut unterwegs, doch irgendwie fehlt bei ihm oft immer das letzte Quäntchen nach ganz vorne. Drei Saisonsiegen stehen viele Ausreißer außerhalb der Top20 gegenüber und nach einigen guten Top3-Resultaten im für ihn eher ungewöhnlichen Frühling konnte Smoke zuletzt nur Platz 12, 10 und 5 einfahren. Vielleicht ist sein zweiter Platz aus Sonoma ja ein guter Indikator und er findet in Watkins Glen rechtzeitig vor dem Chase wieder zu alter Form zurück.
Jeff Gordon hat ganz klar das Momentum auf seiner Seite, auch wenn der Sieg in Pocono vom letzten Wochenende eher ein Geschenk des Wettergottes war. Die Rundkurse – und ganz speziell dieser – liegen ihm, von daher könnte Watkins Glen jetzt sein Sprungbrett in den Chase sein. Ein zweiter Saisonsieg erhöht die Wahrscheinlichkeit, gegen die derzeitige große Konkurrenz ab Platz 11 zu bestehen. Trotzdem muss Gordon vorsichtig sein, ein Totalausfall könnte hier auch alles zunichte machen, wenn er keinen weiteren Erfolg in den folgenden vier Rennen einfahren sollte.
Für eine Überraschung könnte erneut Clint Bowyer gut sein, nachdem er im Frühsommer zur Verwunderung vieler Beobachter in Sonoma gewinnen konnte und das auch noch in einer ziemlich dominanten Vorstellung. Allgemein sollten die Toyotas von Michael Waltrip Racing in Watkins Glen wieder klar besser gehen als die Konkurrenz bei Joe Gibbs Racing. Zudem sitzt auch Brian Vickers erneut in der #55 (Platz 4 in Sonoma), nachdem er in diesem Jahr anscheinend bei den Sportwagen in Europa das Fahren auf Rundkursen richtig gut gelernt hat.
Gespannt bin ich auch bei Kurt Busch sowie Jimmie Johnson. Busch zeigte in Sonoma, wie weit er den unterfinanzierten Hendrick-Kunden-Chevrolet von Phoenix Racing nach vorne prügeln konnte und machte Bowyer ordentlich Druck. Im Finale wehrte er sich in einer Wahnsinnsleistung noch mehrere Runden lang mit einer beschädigten Aufhängung gegen die Verfolger. Johnson konnte nach seinem Sieg auf dem Brickyard wiederum in Pocono nicht profitieren. Momentan ist das Team der #48 aber sensationell drauf und zählt jede Woche zu den Siegkandidaten, zudem bestärkt sein Top5-Ergebnis aus Sonoma die Wahrscheinlichkeit eines guten Ergebnisses am Sonntag nur noch mehr.
Als letztes Thema möchte ich wie in der Pocono-Analyse angekündigt noch die Wildcard-Situation aufgreifen: Meiner Meinung nach sind die Top10 jetzt wirklich ziemlich in Stein gemeißelt. Am letzten Wochenende konnte Clint Bowyer den Abstand zu Platz 11 noch einmal um zwei Punkte vergrößern; er beträgt jetzt 57 Zähler. Bei noch fünf ausstehenden Rennen muss da aber jemand wirklich vom Pech verfolgt werden, damit das nicht reicht. Immerhin müsste z. B. Kasey Kahne jede Woche mindestens elf Positionen vor Bowyer ins Ziel kommen, was recht unwahrscheinlich ist.
Richtig spannend wird es dagegen auf der anderen Seite des Cuts, wo wir uns den Stand kurz anschauen wollen:
11. Kasey Kahne (-57), 2 Siege
12. Carl Edwards (-60), 0
13. Jeff Gordon (-68), 1
14. Ryan Newman (-68), 1
15. Kyle Busch (-80), 1
16. Paul Menard (-82), 0
17. Joey Logano (-104), 1
18. Marcos Ambrose (-126), 0
Kasey Kahne scheint mir da vorne recht sicher zu sein, solange er immer vor den meisten seiner direkten Kontrahenten ins Ziel kommt. Carl Edwards ist derzeit am gefährdetsten, die Chase-Qualifikation zu verpassen, was als letztjähriger Vizemeister natürlich zwar zum einen tragisch wäre, zum anderen aber den Fluch des Zweitplatzierten wieder einmal bestätigen würde. Edwards muss jetzt volles Risiko gehen und das weiß er auch, zumindest hat er es in Pocono bei einem Interview angekündigt. Ob Watkins Glen der richtige Ort dafür ist, wage ich zu bezweifeln, aber ein so schlechter Rundkursfahrer ist Edwards nun auch wieder nicht.
Jeff Gordon und Ryan Newman sind nur durch einen fehlenden fünften Platz über alle Saisonergebnisse getrennt, was Gordon bei Punktgleichheit derzeit den Vorteil der zweiten Wildcard verschafft. Die beiden Fahrer sind in einer ganz großen Zwickmühle: Geht man zu viel Risiko ein, könnte der Konkurrent die Wildcard stehlen, geht man zu wenig Risiko ein, verpasst man eventuell einen rettenden zweiten Saisonsieg. Direkt dahinter lauert mit relativ wenig Abstand zudem Kyle Busch, der jederzeit für eine Fahrt in die Victory-Lane gut ist. Er muss in Watkins Glen ebenfalls volles Risiko gehen und hat schon bewiesen, dass er dort gewinnen kann.
Alle weiteren Piloten haben wohl eher noch Außenseiterchancen, denn dass Joey Logano und Paul Menard vor dem Chase noch ein Rennen gewinnen, kann man fast ausschließen – aber eben doch nur fast. Marcos Ambrose könnte sich mit einem Sieg am Wochenende in Stellung bringen, ein zweiter Erfolg in den verbleibenden vier Rennen ist aber ebenso realistisch wie bei den beiden Fahrern direkt vor ihm.
An diesem Wochenende lautet die Losung also: Vorteil Kahne und Busch! Gordon und Newman müssen dagegen schauen, was die Konkurrenz macht, während Edwards sich schon mal den Spitznamen „Kamikaze Carl“ zulegen sollte.
Zum Abschluss folgen an dieser Stelle wie gewohnt noch die Links (PDF) zu den aktuellen Ständen in der Fahrer- und Owner-Wertung sowie die Entry-List und ein Zeitplan für das TV-Programm vom Wochenende.
Ausstrahlungsdaten
Freitag, 10.08.
18:00 Uhr, Sprint Cup Series Practice, SPEED
20:00 Uhr, Nationwide Series Final Practice, SPEED
22:00 Uhr, Sprint Cup Series Final Practice, SPEED
Samstag, 11.08.
15:30 Uhr, Nationwide Series Qualifying, ESPN2
17:30 Uhr, Sprint Cup Series Qualifying, ESPN2
20:00 Uhr, Nationwide Series Rennen (Zippo 200), ABC
Sonntag, 12.08.
18:00 Uhr, Sprint Cup Series Rennen (Finger Lakes 355), Motorvision TV / ESPN / RaceBuddy