Ron Dennis hat heute einen Brief veröffentlicht (pdf), der mich die ganze Spionageaffäre in einem völlig neuen Licht erscheinen läßt. So sauber, wie McLaren und insbesondere Ron Dennis die Sache von ihrer Seite aus darstellen, ist sie beiweitem nicht. Besonderns eine Passage hat mich umgehauen. Dennis schreibt:
In March 2007, Mr Stepney of Ferrari contacted Mr Coughlan and informed him about two aspects of the Ferrari car which he regarded being in breach of FIA regulations. Specifically, he told Coughlan about a floor attachment mechanism and a rear wing seperator, both of which could be and were seen on the Ferrari car prior to the Australian Grand Prix.
Kurz übersetzt: Nigel Stepney hat Ende März Coughlan über einen möglicherweise illegalen Unterboden des Ferrari informiert.
Mr Coughlan immediatly told McLaren’s senior management about Mr Stepney’s allegations.
Die gesamte Führungsspitze war also über den Verrat wie auch über den Kontakt zwischen Coughlan und Stepney informiert.
In the interests of the sport, McLaren chose not to protest… […]
Allerdings gibt er zu, dass man diese Informationen an die FIA weitergeben hat, die wiederum den Unterboden für illegal erklärten. McLaren tat das, ohne die Quelle zu benennen. Später schreibt er bzgl. des Vorwurfs, er habe den Verrat und den Name des Verräters an Ferrari oder die FIA weiterleiten müssen:
[…] I did not think it correct to disclose the name of the whistle blower to Ferrari as it is not in the interests of Formula 1 for members of teams to feel that they cannot disclose instances of illegal activity without risking their name being disclosed to their employer. It is in the interests of Formula 1 that whistle-blowing is encouraged and not discouraged. If team members think that their identity will be revealed they will not whistle-blow
Der Absatz ist schon ein starkes Stück. Dennis meint, dass man den Namen von Stepney nicht nennen konnte, weil man sonst andere Menschen in der Branche, die den Mut haben gegen illegale Aktivitäten bei ihrem Arbeitgeber vorzugehen, entmutigen würde.
Er hat also
a) schon seit Ende März gewußt, dass Nigel Stepney an Mike Coughlan extrem wichtige und geheime Informationen weiter geleitet hat.
b) es zu dem Zeitpunkt gewußt, als er im Juni mit Jean Todt darüber sprach, dass man sich nicht mehr gegenseitig bei der FIA anschwärzen wollte.
c) auch gewußt, dass Stepney mehr Infos zu liefern bereit war.
Die Vermutung liegt nahe, dass reichlich Informationen an McLaren gegangen sind. Zumindest bis Ende April. Dennis gibt auch zu, dass Coughlan Teile der Informationen im April seinen Vorgesetzen gezeigt habe. Doch:
…that neither Mr Taylor nor Mr Neal [Taylor ist ein Mitarbeiter Coughlans gewesen, Neal der Vorgesetzte von Coughlan] were aware that the single pages they were shown were Ferrari confidential information…
Also anders ausgedrückt: zwei seiner fähigsten Mitarbeiter bekamen technische Angaben unter die Nase gehalten, die offensichtlich nicht von McLaren stammten, doch sie konnten nichts damit anfangen? Und haben wieder alles vergessen?
Das wirft insgesamt kein gutes Licht auf McLaren. Eher im Gegenteil – McLaren steht plötzlich ganz schön nackt da.
Ich bin wirklich kein großer Freund der Politik des Ferrari Rennstalls. So sehr ich ihre Erfolge honoriere, so sehr finde ich deren Abschottung und manchmal auch deren Arroganz, sagen wir mal, nicht sehr attraktiv. Aber was McLaren hier macht, ist Haarspalterei und es ist vermutlich so, dass sie von Anfang an mehr wussten, als sie zugeben.
Coughlan war nicht irgendein Mitglied der McLaren Truppe. Er gehörte zum Führungsstab von McLaren, auch wenn er mit der direkten Entwicklung des Wagens nicht direkt zu tun hatte. Immerhin war er im Design Team aber so wichtig, dass man ihn als Nummer Zwei des Teams auf der eigenen Webseite bis vor wenigen Wochen vorstellte.
Coughlan hat das gesamte Management von McLaren vom ersten Augenblick an über den Kontakt zu Stepney informiert. Und niemand hatte etwas dagegen. Das Stepney nur Ende März ein paar technische Details rausgelassen hat und dann erst wieder Ende April, glaubt ja wohl keiner. Viel könnte es so gewesen sein, dass Stepney seinem alten Freund Coughlan massiv Material an dessen McLaren Mailadresse gesendet hat. Etwas, was man bei einer staatsanwaltlichen Ermittlung sofort rausgefunden hätte. Und deswegen hat man Stepney untersagt, weiterhin über eine McLaren Adresse mit Stepney zu kommunizieren. Das man dieses Verbot ausgesprochen hat, zeigt, wie gut man bei McLaren über alles informiert war. Offiziell heißt es allerdings, das Coughlan selber um diese Sperre gebeten haben will.
Ron Dennis behauptet nun, dass Coughlan alles im Alleingang gemacht habe. Dann hätte man Coughlan Ende April aber wohl kaum darum gebeten, dass er den Kontakt mit Stepney endgültig abbricht. Offensichtlich waren die Informationen von Stepney so umfangreich, dass man bei McLaren die Notbremse gezogen hat. Mehr wollte man nicht wissen, weil man sonst wirklich Ärger befürchtete. Vor allem, weil beide so dämlich waren, offizielle Mailaccounts zu nutzen. Deswegen gingen die beiden zusammen dann auch zu Honda. Coughlan und Stepney sind da wohl mit dem gesamten Dossier aufgelaufen. Auch Honda hat Ferrari nicht informiert. Ferrari ist interessanterweise erst hinter die ganze Sache gekommen, weil Coughlans Frau im Juni das Dossier in einem Copyshop auf zwei CDs hat brennen lassen. Der Copyshop Inhaber soll Ferrari angeblich den Tipp gegeben haben.
Die Sache hat aber noch eine weitere Drehung, wie die Seite grandprix.com eindrucksvoll nahe legt. Ferrari hatte im Herbst bei Coughlan angeklopft, ob dieser nicht Lust habe, zu den Italienern zu wechseln. Das ging nicht, weil er einen Vertrag bis 2009 bei McLaren hatte. Gleichzeitig degradierte man Nigel Stepney. Da waren also zwei Leute, die beide nicht mehr bei ihrem Arbeitgeber bleiben wollten. Vielleicht war der Gedanke von Stepney, dass er einen Vertrag bei McLaren bekommen würde, wenn er diesen Informationen liefern würde. Coughlan sah seinen Vorteil darin, dass er vielleicht befördert wird. Nachdem Coughlan klar war, dass er bei McLaren mit dem Material nicht weiter kommen würde, bat er um seine Entlassung. Er wollte mit Stepney und weiteren McLaren Mitarbeitern gemeinsam zu Honda oder Toyota wechseln.
Ich glaube Ron Dennis, wenn er sagt, dass er seit Mai nichts mehr von der Sache gehört hat. Aber das spielt aber auch keine Rolle, denn sämtliche Informationen waren ja bis zu diesem Zeitpunkt schon ausgetauscht. Ab Ende April gab es keine Informationen mehr, weil Stepney schon alles geliefert hatte, was sich in seinem Besitz fand. Die beiden sind dann alleine durch die Teams getingelt und haben ihre Infos und Arbeitskraft angeboten.
Aber was war davor? Wieviel wusste Ron Dennis bis Ende April? Sicher hat man nicht das gesamte Dossier gesehen, aber wie blauäugig muss man sein, wenn man glaubt, dass Stepney nur den einen Verrat begangen hat?
Ron Dennis beharrt weiterhin darauf, dass der „Verrat“ im März etwas völlig anderes gewesen sein, als die Übergabe des Dossiers von Stepney an Coughlan. Den Verrat habe man aus „sportlichen Gründen“ gedeckt, mit anderen Dinge habe man aber nichts zu tun.
Das klingt ebenso glaubwürdig, wie Ausrede eines gedopten Fahrradfahrers, der behauptet, seine Hämotokritwerte seinen deswegen so hoch, weil seiner Oma eine Asthmasprayflasche im Auto exlopdiert sei, als er sie zum Markt gefahren habe.
Wenn er persönlich im März gewußt hat, dass bei Ferrari ein Mann sitzt, der Geheimnisse verrät und das der mit einem hohen Mitarbeiter seiner Mannschaft Kontakt hat, dann ist wohl kaum davon auszugehen, dass er im April nicht mehr gewußt haben will, dass da noch ein Kontakt besteht. Vor allem wenn man den Mailaccount eines hohen Mitarbeiters beschränkt. Die Formel Eins ist ein Dorf, die Mitarbeiter kennen sich alle untereinander seit Jahren und was für ein Chef wäre Ron Dennis, wenn er sich nicht laufend über den Stand der Dinge informiert hat?
Sicher – die technischen Informationen über denen aktuellen Wagen von Ferrari sind nicht in den aktuellen McLaren geflossen. Aber es ist lächerlich zu behaupten, dass man sich nicht die Informationen angeschaut hat. Man hat es getan, als Stepney vom illegalen Unterboden berichtet hat, warum sollte man danach damit aufgehört haben? Und wenn man einmal Papiere gesehen hat, kann man die Informationen sicher nicht aus seinem Hirn löschen.
Überhaupt nicht geklärt ist die Frage, was Mercedes, die ja Hauptanteileigner von McLaren sind, von der Sache gewußt hat. Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass man nicht informiert war. Immerhin hat man bei McLaren finanziell das Sagen. Und die Sache mit dem „Verrat“ im März hat man sicher vorher gewußt. Es fällt mir schwer zu glauben, dass man sich nicht nach der Quelle der Information bei Ron Dennis erkundigt hat. Da aber alles bei McLaren passierte fällt es Mercedes leicht, sich rauszuhalten.
Wie groß der Vorteil von McLaren durch die Informationen in dieser Saison ist, läßt sich nicht ermessen. Klar ist aber, dass diese Saison und diese Weltmeisterschaft nach diesen Informationen nicht mehr das ist, was sie hätte sein können. Sollte McLaren Weltmeister werden, wird an diesem Titel immer ein Makel kleben.
6 Kommentare
Hallo Herr Dahlmann, ich lese ihr Blog schon eine ganze Zeit regelmäßig. Ich benutze dabei einen Feedreader (Bloglines). Leider sind die einzelnen Berichte seit dem Umzug auf den neuen Server nur noch angeteasert (nur die ersten fünf Zeilen). Um denn ganzen Bericht zu lesen muss ich immer direkt zum Blog wechseln. Ist dies Absicht oder könnte man Wordpress sagen es soll doch bitte den ganzen Bericht ausliefern (bei den Einstellungen unter Lesen -> Feedeinstellungen -> ganzer Text).
Ansonsten weiterso, ihr Blog ist für mich die Motorsport-Lektüre Nummer eins.
Hallo,
ja, das ist gewollt. Grund: zum einen habe ich keinen Überblick, wie viele Menschen eigentlich den Feed, also auch das Blog lesen. Zum anderen greifen einige Motorsportforen den Feed im Volltext ab. Es gibt da so ein Plugin für verschiedene Forensoftwares wie VB, die als Feedreader wie ein Nutzer fungieren: sobald was aktualisiert wurde, posten diese Plugins dann eine Nachricht in Form des Textes, den man im RSS Feed findet. Ich hab mit etlichen Foren kommunziert, um diese dazu zu bewegen, wenigstens an den Feed zu schreiben, wer der Urheber ist. Das hat bei einigen geklappt, bei anderen nicht. Ich lass das jetzt erstmal ein paar Tage so, um einen Überblick zu bekommen, habe aber schon vor, den wieder auf Volltext zu stellen.
Eigentlich muss man sich nur vorstellen, welchen Stunk Mr Dennis fabrizieren würde, wenn die Sachlage umgekehrt wäre.
So ein Kasperletheater.
(nur um sicher zu gehen: die F1, nicht die Feeds)
Doch, die Feeds auch. ;)
:-)
[…] August klang das bei Ron Dennis noch so: I did not think it correct to disclose the name of the whistle […]
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