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Der verdrängte Tod

von DonDahlmann
6 Kommentare

Ein paar Gedanken zum Tode von Henry Surtees, über den Motorsport, die Sicherheit und unser Verhalten als Zuschauer

Das sind so Texte, die man nicht schreiben will. Es ist zwei Uhr morgens, ich kann nicht schlafen, weil ich mit einer Mittelohrentzündung rum kämpfe und weil mir die Bilder des heutigen, viel mehr jetzt gestrigen, Formel 2 Laufes noch durch den Kopf gehen. Es ist ja nicht der erste Tote, den ich im Motorsport erlebe. Ich habe seit meiner Jugend einige mitbekommen. Markus Höttinger, Rolf Stommelen, Manfred Winkelhock, Stefan Bellof, Ayrton Senna, Greg Moore, Dale Earnhard. Nur um mal die bekanntesten zu nennen. Doch seit ein paar Jahren ist es ja nicht mehr so schlimm mit den Toten. Früher konnte man pro Saison ein paar Seiten in jeder Zeitung für die Todesmeldungen freiräumen, heute liest man allerhöchstens, dass ein Fahrer aus den 50er oder 60er Jahren im hohen Alter eines natürlichen Todes gestorben ist.

Nach dem Tod von Senna und dem von Earnhard, nach vielen schweren Unfällen, in denen viele Sportler ihr Leben ließen oder schwer verletzt wurden, hat man die Sicherheit verbessert. Mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt, dass sich die Fahrer nach einem Unfall aus ihren zerfetzten Karbon-Panzer schälen, sich kurz schütteln und nach dem Ersatzwagen verlangen. Wir lachen über „kleine Abflüge“, wie freuen uns, wenn es, wie auch gestern, in der WTCC rund geht, oder in der NASCAR jemand die Mauer entlang rutscht, weil uns das unterhält. Und weil diese Unterhaltung zum Motorsport gehört. Der Unfall, der scheinbar immer in der Luft liegt, weil die Fahrer an der Grenzen der Physik entlang rudern, gehört zum Motorsport, wie der K.O. zum Boxen. Und wir wissen, dass ein Boxer nach dem Niederschlag wieder aufsteht und wir gehen ebenso davon aus, dass man wenige Sekunden nach einem Unfall sieht, wie jemand ärgerlich sein Lenkrad aus dem Wagen wirft.

Motorsport ist gefährlich, das ist eine Binsenweisheit, weil das Leben gefährlich ist. Jeder Sport hat seine Gefahren. Egal ob ich auf einen Berg klettere, mit dem Segelboot aufs Meer fahre oder mit einem Fallschirm aus dem Flugzeug springe. Aber das sind Dinge, die ich alleine zu meinem Vergnügen mache. Da sind keine Kameras, keine Zuschauer und keine Journalisten, die darüber schreiben oder ihre Fotos machen.

Im Motorsport ist das anders. Sicher, die Fahrer machen es vor allem, weil sie Ruhm, Ehre und Geld haben wollen. Aber sie machen es auch, weil wir zuschauen, weil wir Geld dafür bezahlen. Das ist auch völlig in Ordnung. Aber vielleicht ist eine Sache aus dem Gleichgewicht geraten: wir erwarten zu viel. Und das auch, weil Unfälle, wie der von Kubica 2007 in Kanada oder von McDowell 2008 in Texas immer glimpflich ausgegangen sind. Wir haben uns erschrocken, wir haben danach, als wir hörten das der Fahrer ok sei, gedacht: „Wow, das war ja mal ein Abflug“. Man muss ehrlich sein: wir mögen diesen Reiz. Am Fernseher.

Wer einmal einen Unfall an einer Rennstrecke erlebt hat, der weiß wie anders so ein Unfall dort ist. Wie es sich anhört, wenn Reifen quitschen, man den Fahrer verzweifelt am Lenkrad rudern sieht, wenn das dumpfe Geräusch von eines Aufschlags erfolgt, wenn Glas zerbricht oder Kohlefaser zerstört wird. Man sieht die Geschwindigkeit, man kann sie fast fühlen und der Magen krampft sich zusammen. „Der hat aber Glück gehabt“ sagt man selbst dann, wenn der Fahrer aus seinem nur leicht verbeulten Wagen taumelt. Im Fernsehen sieht und hört man das alles nicht. Man sieht nur, man spürt nicht. Und vielleicht ist das auch ein Grund, warum man Unfälle mit einem leichten Schulterzucken abtut. Warum man abgestumpft ist und einen Unfälle meist kalt lassen.

Der gestrige Unfall war eine Verkettung von unfassbar unglücklichen Umständen. Wer sich die Aufzeichnung anschaut, der kann sehen, wie Surtees noch versucht einen Haken zu schlagen um den Trümmerteilen auszuweichen. Und wie der Haken die Fahrtrichtung seines Wagens genau so ändert, dass der Reifen genau auf seinem Helm landet. Der Unfall ist auch deswegen so tragisch, weil er aus einer scheinbaren nicht aufzulösenden Kette von Zufällen bestand, dass man fast hilflos zum Wort „Schicksal“ greifen möchte.

Markus Höttinger starb am 13. April 1980 in Hockenheim. Derek Warwick war abgeflogen, ein Rad hatte sich gelöst und dies traf den Österreicher am Kopf. Knapp 30 Jahre später erleben wir erneut einen solchen Unfall. All die Verbesserungen der Sicherheit haben in diesem Fall nur wenig gebracht, weil der Kopf eines Fahrers in einem Monoposto weiter ungeschützt ist. Natürlich kann und muss man darüber diskutieren, ob und was nun verändert werden muss. Ist die Strecke von Brands Hatch noch zeitgemäß? Sollte man vor der bekannt schwierigen Stelle von Westfield Bend eine Schikane einbauen? Sollte man unerfahrene Nachwuchsfahrer überhaupt auf diese Strecke lassen? Soll man nur noch auf Strecken fahren wie in Istanbul, wo 3 Quadratkilometer Auslaufzone hinter jeder Kurve warten? Vielleicht muss man auch darüber nachdenken, ob man nicht, wie zum Beispiel bei den US-Dirttrack Rennwagen üblich, einen Schutz über dem Fahrer installiert, von dem Teile oder eben auch ein Reifen abprallen können. Das mag im ersten Moment lächerlich erscheinen, aber in den 50er Jahren verspotteten einige Fahrer die Kollegen, die plötzlich einen Sicherheitsgurt anlegten.

Ich weiß auch keine Antwort auf die Fragen. Es wird eine Untersuchung geben, man wird vermutlich die Stahlseile, die die Reifen eigentlich am Wagen halten sollen, versuchen zu verstärken. Vielleicht denkt man ja wirklich über eine Art Käfig über dem Fahrer nach oder hat sonstige Ideen. Ich weiß nur, dass ich die Rennen in der nächsten Zeit wieder mit etwas anderen Augen sehe. Stirling Moss wird heute bei MS-total.com mit folgenden Satz zitiert:

„Das wichtigste Rennen ist immer das, das ich heute bestreite. Heute kann ich getötet werden, heute kann ich gewinnen oder verlieren. Aber heutzutage ist die WM wichtiger, als Rennen zu gewinnen. Das gefällt mir nicht, das ist kein Rennsport mehr.“

Vielleicht sollte man sich diesen Satz im Gedächtnis verankern und sich wieder einmal vergegenwärtigen, dass jedes Rennen gefährlich ist und mit einem Unfall wie dem gestrigen enden kann. Und das man als Zuschauer und Fan die Gefahren des Sports wieder deutlicher sehen sollte. Es gibt eben keine totale Sicherheit im modernen Motorsport, auch wenn wir das angesichts der vielen glimpflich verlaufenden Unfälle in den letzten Jahren immer wieder gerne so geglaubt haben.

P.S: Keine Analyse der Rennen vom Wochenende in dieser Woche. Es erscheint mir nicht angebracht über „spannende“ Rennen zu berichten. Einen DTM-Rennbericht von mir gibt es morgen beim p1mag.de.

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6 Kommentare

Jehuty 20 Juli, 2009 - 13:56

Zunächst: RIP. Es ist eine menschliche Tragödie, nicht nur weil ein solch junger Mensch in solch einem tragichen Unfall gestorben ist. Ich wünsche der Familie und allen Angehörigen die Kraft, diesen Schicksalschlag zu überstehen. Mein Beileid. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, der Unfall würde mich nun in eine mehrtägige Trauerstimmung versetzen. Nein, dazu hätte ich Surtees näher stehen müssen. Aber es beschäftigt mich natürlich doch stark, weil er mir 1.) leid tut und 2.) es eine Motorsporttragödie ist, die mich als Fan, als jemand der den Motorsport liebt, natürlich nicht kalt lassen kann.

Dann: Schön geschrieben und ein Text, den ich kommentarlos unterschreiben würde. Es ist wirklich so, dass der Unfall ein Resultat aus einer sehr, sehr unglücklichen Kettenreaktion ist. Er zeigt aber auch, wie viele Fahrer in den letzten Jahren, egal ob F1, GP2 etc. Glück hatten. Ich erinnere mich nur an den GP2-Magny-Cours Unfall, in der der eine Fahrer über die Betonmauer schoss. Das hätte ganz anders ausgehen können. Genauso wie das Abheben von Kubica. Oder der LMS-Unfall in Monza. Hätte der Pescarolo den Audi getroffen — ich will gar nicht daran denken, was passiert wäre. Erinnerst du dich an das Champ Car-Rennen in Cleveland, als Paul Tracy mit Bourdais kollidierte, Tracy abhob und mit dem Unterboden Bourdais am Helm traf? Bourdais ist sofort in den Reifenstapel abgebogen und wurde anschließend, ebenfalls bewusstlos, ins Krankenhaus gebracht. Mit dem Unterschied, dass Bourdais und Tracy zu diesem Zeitpunkt die gleiche Geschwindigkeit hatten. Der Unfall von Junquiera mit dem Reh in Road America war ähnlich dem zu Surtees und es grenzt wohl an ein Wunder, dass Bruno das „nur“ schwer verletzt überlebt hat. Ich hatte gehofft, dass Surtees den Unfall überlebt, war aber skeptisch, weil nur sehr wenig über seinen Zustand berichtet wurde. Surtees hatte leider nicht dieses Glück, nicht diesen Schutzengel, wie andere Fahrer.

Ich meine es war David Coulthrad, der mal meinte, dass Rennwagen mit offenen Cockpits am besten wie Kampfjets abgeschottet werden sollten. Das würde das Risiko von umherfliegenden Trümmerteilen oder eben Reifen deutlich mindern. Panzerglas zum Beispiel. Klar, es wäre teuer und es würde vermutlich bescheuert aussehen, aber es wäre ein weiterer Sicherheitsfaktor. Man hat ja die Ränder des Cockpits erhöht, aber vor einem Reifen ist man eben nicht geschützt. Wenn es ganz schlimm läuft, können auch andere Teile ins Cockpit gelangen und den Fahrer verletzen. Ich glaube es war Tanja Bauer, die einmal bei einem F1-GP die zusätzlichen Wings am Ferrari demonstrierte und meinte, dass diese so scharf wie ein Messer seien, weshalb man sie mit Schaumstoff überzogen hatte. Ganz ehrlich: Fliegt solch ein Teil ab, schlägt eine ungünstige Route ab, kann es den Fahrer aufschlitzen. Ähnlich dem Surtees-Unfall wäre dies ein unglücklicher Zufall.

Sicherlich zählt das Argument, dass wenn es weitreichende Auslaufzonen gegeben hätte, der Reifen wäre wohlmöglich nicht wieder zurück auf die Strecke geflogen. Und trotzdem ist das etwas, was überall passieren kann. Ja, selbst auf solchen Strecken wie in der Türkei.

Ich erinnere mich an ein Bathurst-Rennen der Neuzeit, in dem ebenfalls ein Rad von einem Wagen abflog und genau die Windschutzscheibe eines anderen Wagens traf — direkt auf die Seite des Fahrer. Damals meinten die Kommentatoren auch, dass wenn dies keine Tourenwagen gewesen wären, wir wohl eine Tragödie erlebt hätten.

Es ist schrecklich, was passiert ist. Der Unfall zeigt, wie gefährlich Motorsport ist. Er zeigt auch, wie sicher die Autos geworden sind, wie schrecklich das aber enden kann, wenn es eben zu diesen unglücklichen Zufällen kommt.

RIP Henry Surtees

Jehuty 20 Juli, 2009 - 14:38

Mir fällt gerade spontan ein Nachtrag ein:

Die Idee mit diesem Schutzglas-Dingsbums von — ich meine er war es — David Coulthard ist nicht schlecht, doch es müsste natürlich die Möglichkeit geben, bei Feuer sofort dem Fahrzeug zu entkommen. Sicherlich wäre das irgendwie zu bewerkstelligen, auf den ersten Blick klingt es aber nach einer komplizierten Angelegenheit. Hm.

Chaos 20 Juli, 2009 - 15:17

Sehr schön geschriebener Text!
Ich denke man muss bei dem Spektakel schon zwischen Tourenwagensport und Formelsport unterscheiden. Wenn in der Nascar ein Auto in die Wand fliegt, hab ich grundsätlich weniger Bauchschmerzen, wenn es schlimm aussieht als bei der IRL. Im Tourenwagensport ist das berühren der Autos normal (WTCC) im Formelsport endet es öfters mal in einem Abflug beider Fahrzeuge.

Beide „Klassen“ von Rennautos sind heutzutage sehr sicher , viel sicher als früher…. Aber trotzdem und das sagt glaube ich jeder Fahrer, ein Restrisiko gibt es immer. Der Unfalll war extrem unglücklich und man kann sicherlich über die Strecke und die Halterung der Reifen am Auto diskutieren, aber Tote im Motorsport wird es vermutlich leider immer geben.

RIP Henry Surtees

Burner99 20 Juli, 2009 - 15:20

Auch wenn ich das Rennen nicht gesehen hatte und den Fahrer nicht kannte, hatte mich der Unfall bzw. die Nachricht vom Tod des Fahrers gestern geschockt und nachdenklich gemacht. Wie du sagtest, macht es einem wieder bewusst, wie gefährlich der Motorsport immer noch ist.

RIP Henry Surtees

PS.: Könntest du bei Earnhardt noch ein „t“ dazufügen?

Lucas 20 Juli, 2009 - 16:08

Mein Beileid der ganzen Familie.Hab das Rennen gestern Mittag gesehen aber erst heute erfahren
dass die Ärzte dem jungen Henry Surtees nicht mehr helfen konnten.Dieses Unglück konnte niemand verhindern..er war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.Sehr traurig.

Flo aus Niederbayern 20 Juli, 2009 - 22:56

Es ist leider extrem traurig, dass wir nun zusammengefunden haben um den Tod eines jungen Menschen zu beklagen. Er war erst 18 Jahre alt, als er aus dem Leben geschieden ist. Er war damit sogar ein paar Tage/Monate älter als ich es war und das gibt mir ehrlich gesagt schon zu denken. Klar ist Rennsport sehr gefährlich, jedoch sind sich alle Fahrer dieser Gefahr bewusst und doch nehmen sie alle die Gefahr auf sich. Die einen machen es des Geldes wegen, aber viele machen es, weil es eine Leidenschaft ist. Eine ungeheure Leidenschaft, die so groß ist wie man es sich nur schwer vorstellen kann. Leider ist diese Leidenschaft, die er von seinem Vater geerbt hat einem jugen talentieren Mann zum Verhängnis geworden, als er aufgrund extrem unglücklicher Umstände ums leben gekommen ist. Ich möchte mich nun der trauernden Gemeinde anschliessen und allen Angehörigen, Freunden und Bekannten mein tiefstes Beileid aussprechen.

R.I.P Henry Surtees

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