Professionell war das nicht gerade, was die IRL da am Wochenende in São Paulo abgeliefert hat. Nach unzähligen Problemen gab es dann aber doch noch einen spannenden Saisonauftakt.
Selten hat man in einer gehobenen Motorsportklasse ein schlechter geplantes Rennen gesehen: Eine Strecke, deren Layout nicht viel mehr als ein Monat vor dem Rennen feststand, und die mehr Buckel hatte, als so mancher Motocross-Kurs. Eine Start-Zielgerade, die so rutschig war, dass die Fahrer dort nicht mit Vollgas gradeaus fahren konnten. Ein Furcht erregender Startcrash, den Marco Andretii nur mit viel Glück unversehrt überstand. Und dann wurde auch noch das Abwassersystem der Strecke von einem Gewitter augeknockt. Dass auch die Zeitnehmung und der offizielle Stream nur alle paar Minuten mal funktionierten, war dann schon fast nicht mehr überraschend. Am Ende war das alles aber fast wieder vergessen: Denn das Rennen belohnte schließlich jene, die vor dem Bildschirm ausgehalten hatten mit einem furiosen Finale.
Es gibt im Motorsport immer wieder mal Unwegbarkeiten, die man mit etwas Vorausblick verhindern könnte: Reifen, die mit einer Steilkurve nicht zurecht kommen zum Beispiel. Oder aufbrechender Asphalt. Oder verrückte Ex-Priester, die sich auf die Rennstrecke schleichen. Was die Indycar am Wochenende in Brasilien geboten hat, war aber eine ganz andere Liga. Man muss sich das mal vorstellen: Es gibt da im Sambadrom eine Gerade, die bewusst möglichst glatt gehalten ist, damit man im Karneval die bunt geschmückten Wagen drüberziehen kann. Vor dem Rennen gibt es Warnungen, die auf dieses Problem hinweisen. Und zwar nicht von irgendwem, sondern von Leuten, die es wissen müssten. Zum Beispiel von Antonia Pizzonia, der vor einigen Jahren auf dieser Gerade eine Demonstrationsfahrt für Williams machen wollte. Oder von der brasilianischen Stockcar-Serie, die ebenfalls mal über ein Rennen im Sambadrom nachgedacht hat. Die IRL ignoriert die Warnungen. Man ist sogar so sicher, dass das alles funktionieren wird, dass man auf die Freitagstrainings verzichtet, und das ganze Programm an Samstag und Sonntag abspulen will. Und dann wundert man sich, als die Fahrer dort ihre Autos dort nicht unter Kontrolle halten können. Für die, die am Freitag nicht live dabei waren hier ein kleiner Ausschnitt vom Training:
Und das war noch nichtmal alles. Auch die restliche Strecke war in einem fragwürdigen, um nicht zu sagen teils gefährlichen Zustand. Auf die Bodenwellen habe ich ja schon hingewiesen – wer wissen will, das was das für einen Fahrer bedeutet, muss sich nur mal ansehen, wie die Hände von Will Power nach dem Rennen ausgesehen haben. Ein Glück, dass zumindest die Autos so stabil gebaut sind, dass man damit unter solchen Bedingungen fahren kann – ein F1-Wagen würde sich wahrscheinlich in der ersten Runde in seine Einzeilteile auflösen. Der würde dort aber sowieso nicht fahren (dürfen). Grund: Die völlig inadäquaten Auslaufzonen, vor allem nach der ultraschnellen Gegengeraden – immerhin die längste im ganzen Indycar-Kalender. Dass es dann auch noch zur Mitte des Rennens zu wie aus Eimern zu schütten begann, war schon fast wieder passend.
Aber der Reihe nach: Wegen der Probleme mit dem Bodenbelag im Sambadrom entschieden sich die IRL-Offiziellen, das Qualifying auf den Sonntagmorgen zu verschieben. In der Zwischenzeit versuchte man, den Boden dort mit einer Schleifmaschine aufzurauen. Mit Erfolg: Sonntagvormittag war die Gerade zwar ziemlich staubig – aber immerhin problemlos passierbar. Im Rückblick stellt sich allerdings die Frage, wieso man das nicht gleich gemacht hat. Immerhin war schon Samstag Vormittag klar, dass es so nicht gehen kann.
Das Qualifying zeigte eine ganz spannende Mischung aus alt und neu. Alt: Auf der Pole landete Meister Dario Franchitti. Neu: Dahinter konnte völlig überraschend Alex Tagliani den Wagen des erst im Winter gegründeten Fazzt-Teams qualifizieren. Dritter wurde Justin Wilson im Dreyer & Reinbold Wagen, der vor dem besten Andretti-Piloten Ryan Hunter-Reay landete. Erst auf Platz fünf reihte sich mit Will Power der erste der drei Penske-Autos ein. Takuma Sato schaffte beim Debut Platz 10. Nur eine Position hinter dem ehemaligen F1-Piloten landete die starke Simona de Silvestro.
Das Rennen selbst begann dann gleich mit einem ordentlichen Schrecken: Sato hatte wohl noch die Leistung der F1-Bremsen im Hinterkopf, und kollidierte mit Helio Castroneves und Scott Dixon. Weitere Folge: Mario Moraes konnte vor der Unfallstelle nicht mehr rechtzeitig bremsen, stieg über das Heck von Marco Andrettis Dallara auf, und landete schließlich auf dessen Wagen. Und zwar so, dass zuerst der Reifen und dann die Kante des Unterbodens genau auf dessen Cockpit aufschlugen. Erst nach einigen Minuten gab es Entwarnung: Andretti war unverletzt geblieben. Nach der gelben Flagge folgte dann ein ganz munteres Rennen – bis gegen Rennhälfte ein Wolkenbruch die Strecke überflutete. Eine rote Flagge war die Folge. Glück im Unglück: Die Strecke trocknete schnell ab, das Rennen konnte bald weitergehen. Und was dann folgte, war ein 40 Minuten-Sprint um den Sieg, den man an Spannung erstmal überbieten muss. In Führung war zum Restart der glänzend auffahrende Ryan Hunter-Reay, gefolgt Ryan Briscoe und Will Power. Und Briscoe lieferte sich ein tolles Duell mit dem Andretti Autosport Piloten. Nach mehreren Führungswechseln rutschte er dann aber in einer Kurve geradeaus – und stecke prompt im Reifenstapel. Trotzdem wurde nichts aus Hunter Reays Siegambitionen: Will Power konnte ihm in den letzten Runden noch P1 entreißen – natürlich wieder nach einem äußerst sehenswerten Zweikampf.
Nicht viel schlauer ist man nach dem etwas chaotischen Rennen über das Kräfteverhältnis 2010. Die folgende Einschätzung ist also ohne Gewähr: Penske war wieder vorne dabei; Franchitti hat im ersten Teil des Rennens und in der Quali gezeigt, dass auch mit Ganassi zu rechnen ist. Aber ob Andretti Autosport wieder den Anschluss gefunden hat? Hunter Reay hatte ein tolles Rennen – in den letzten Runden konnte aber auch er nicht mehr mit Powers Penske mithalten. Tony Kanaan war auch ganz gut dabei, ganz vorne konnte aber auch er nicht mitfahren. Danica Patrick war überhaupt eher im Mittelfeld unterwegs, Marco Andretti in der Quali ebenfalls. Klarer wird man da wohl erst in ein, zwei Rennen sehen. Der wirkliche Härtetest folgt dann auf dem ersten Oval – beim fünften Rennen der Saison in Kansas. Alle anderen sind wohl trotz ein paar schöner Leistungen (Tagliani, Meira, Wheldon, Wilson) wieder nur Mittelfeld. Glanzlichter bei einzelnen Rennen sind aber natürlich nicht ausgeschlossen.
Das Fazit zum Premierenrennen in São Paulo fällt zwiespältig aus: Natürlich war das, was auf der Strecke geboten wurde klasse. Ein Rennen, das man Außenstehenden zeigen sollte, um sie für den Motorsport zu begeistern. Man würde sowas gern öfter sehen – auch in anderen Rennserien. Die Strecke von São Paulo hat bewiesen, was sie kann. Und ob man in diesem Jahr noch ein besser besuchtes IRL-Rennen oder begeisterungsfähigere Fans finden wird, ist zu bezweifen. Trotzdem, und so leid es mir tut: Ohne gravierende Umbauten darf man auf dieser Strecke nicht mehr fahren. Es war ja nicht nur die Sambadrom-Gerade, die Probleme machte – auch bei den Bodenwellen müsste man sich was einfallen lassen. Ganz zu schweigen von manchen Auslaufzonen. Wenn am Ende der langen Gegengeraden jemand in Probleme gerät, knallt er mit 300 in den Reifenstapel. Dieses Mal hatten alle Glück – den Auslauf dort muss man für kommende Jahre aber dringend vergrößern. Und auf die Probleme mit der Sambadrom-Geraden hätte man auch schneller reagieren können. Denn das nötige Equipment war ja offensichtlich vorhanden. Das Rennen war toll – aber am Rest sollte man dringend arbeiten.
Dazu gehört zum Beispiel auch die TV-Übertragung. Keine Frage: Das, was Versus TV liefert ist ein richtig gutes Produkt. Gut, dass man den Sender nach monatelangen Querelen jetzt auch wieder auf DirecTV sehen kann. Die 18 Millionen Kunden des US-Pay-TV hatten in dieser Zeit nämlich keine Möglichkeit, die IRL im TV zu verfolgen. Für die Fans war das unerfreulich – und für so manchen Sponsoren ein Dealbreaker. Nicht so gut ist, dass sich im deutschsprachigen Raum kein Sender mehr gefunden hat, der die IRL überträgt. Dafür kann die IRL selbst natürlich wenig. Aber dass es im Vergleich zum letzten Jahr auch keinen Pay-Stream auf der Serienhomepage mehr gibt – dafür können sie schon was. Es ist ja fein, dass man den Fans einen Gratis-Stream im Form der „Race Control“ bietet. Aber dann soll der bitte auch funktionieren, und nicht das halbe Rennen lang streiken. So macht man sich nämlich bestimmt keine Freunde. Und wenn man schon dabei ist, könnte man vielleicht beim nächsten Mal auch Kamerapositionen wählen, bei denen die Zuseher eine faire Chance haben, den Rennverlauf zu verstehen. Denn so bleibt leider wieder nur der Weg ins halblegale Stream-Milieu – auch, wenn man eigentlich bereit wäre, der IRL für einen guten Stream auch einen fairen Preis zu überweisen.
7 Kommentare
Diese Hemdsärmeligkeit ist einer der Gründe, warum in den amerikanischen Rennserien besserer Motorsport geboten wird. Und auch wenn es klischeehaft klingt: Die amerikanischen Fahrer sind noch echte Männer (und Frauen), während die F1-Fahrer bei fünf Regentropfen nach dem SC oder gar Rennabbruch jammern. Natürlich will kein echter Motorsportfan Verletzungen oder gar schlimmeres sehen, aber wenn man der Sicherheit alles andere unterordnet, hat man irgendwann… eben das, was man in der F1 hat. Wenn man eine so langweilige „Show“ bietet, stellt sich irgendwann die Frage, was das alles überhaupt noch soll.
@ Ich:
Die F1 ist in erster Linie eine Technologie-Rennserie. Für jedes Team gilt sein eigenes Chassis zu bauen. Die Indycars hingegen ist eine Einheitsformel mit Einheitschassis und -motoren und ist für mich vergleichbar mit der GP2 oder A1GP. Man kann sich relativ schnell ein gutes Team zusammenstellen und in den Top 10 mitfahren. Die Show steht im Vordergrund und nicht die Technik. Also müsste man sich fragen, ob das jährliche Verblassen von 100. Millionen für neue Entwicklungen in der F1 gerechtfertigt ist.
Zu indycars.com:
Wie „Vorsicht“ richtig erwähnt hatte, war die Live-Berichterstattung im Internet unter aller Sau!
Der Ablauf des Rennwochenendes sowie der Internetauftritt zeigen halt, dass das Ganze eine semi-professionelle Veranstaltung ist.
Das Problem bzw. der Grund, warum es im Netz offiziell nichts besseres geben wird, ist doch, dass dann auch in den USA niemand mehr Versus über PayTV kaufen müsste. Die RaceControl ist doch im Prinzip eher als Zusatzfeature für den US-Zuschauer gedacht, so wie der TNT RaceBuddy bei der NASCAR.
Wenns mal lief, fand ich es aber durchaus ansehnlich. Grad der Compete-Modus, wo ich mir eine Onboard und die Leadercam zusammen angeschaut hab, war sehr praktisch. Und der Kommentar des IMS Radio Network ist auch gut.
Ich hab das Rennen trotzdem schon vor der Regenpause abgeschaltet. IndyCar-Straßenkursrennen kann ich mittlerweile nichts mehr abgewinnen. Bei der F1 hatte ich deutlich mehr Spaß :-)
Das Problem ist doch, dass man in der F1 schon so viel vorgeschrieben, eingefroren und limitiert hat, dass es auch schon Züge einer Einheitsserie hat. Um so wichtiger werden dann andere Elemente, wo man eben dann das Geld reinsteckt. Unter anderem die Aerodynamik, die dadurch so wichtig wird, dass die Show noch mehr leidet. Für die wahren Fans war wenigstens der Technologiewettlauf immer noch ein interessantes Element, und das Risiko von Ausfällen war auch höher. Aber das ist nun alles auch fast weg.
Die Probleme der IRL mit dem Raceview langen weniger bei der IRL, denn mehr in Brasilien. Wegen des Unwetters war wohl die Breitbandanbindung zusammen gebrochen. Offenbar wurde der Stream also nicht aus den USA produziert, sondern vor Ort. Jedenfalls twitterte dies die IRL.
Dass das Raceview kein vollwertiger Ersatz für die Pay-TV-Übertragung sein kann, das verstehe ich schon. Und die technischen Probleme – geschenkt, das kann grade bei Unwetter schon mal passieren. Aber wieso die IRL, die im vergangenen Jahr noch einen Pay-Stream für jene Länder angeboten hatte, in denen es keine TV-Verträge gab dies nun nicht mehr tut – das verstehe ich eben nicht ganz.
@Prometheus
also das Versus Angst um seine Zuschauer haben muß, wenn es einen Internet-Stream gibt glaube ich nicht. Es ist technisch doch kein Problem, die Leute aus bestimmten Ländern zu blocken. Sicher, manche Computer-Freaks wüßten, wie man so einen Block umgehen kann, aber der Großteil der Zuschauer wohl eher nicht.
Zur IRL selbst: Ich hab das Rennen leider nicht gesehen, aber wenn ich Aussagen höre wie: das Layout stand erst 1 Monat vor Rennbeginn fest … Also ich mag Hemdsärmeligkeit, aber das ist übertrieben. Da darf sich die IRL nicht wundern, daß sie weit hinter der NASCAR zurückbleiben, wenn es um Popularität geht …
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