Nach den zwei echten Shorttracks in Bristol und Martinsville gastiert die NASCAR in dieser Woche auf dem sehr ungewöhnlichen Oval in Phoenix, Arizona. Jimmie Johnson konnte vor zwei Wochen nicht brillieren, steht nun aber an der Spitze der Punktetabelle und ist in Phoenix stark.
Warum schreibe ich „nach zwei ECHTEN Shorttracks“? Ganz einfach: Der Phoenix International Raceway ist exakt eine Meile lang und steht damit größentechnisch zwischen den echten Shorttracks Bristol, Martinsville (Halbmeiler) und Richmond (Dreiviertelmeile) auf der einen Seite und den schnellen Intermediate Ovalen mit typischerweise 1,5 Meilen Länge auf der anderen. Da die Grenze allerdings genau bei der Marke von einer Meile gezogen wird, ist Phoenix so ein Zwischending. Dann kommt natürlich noch das sehr spezielle Layout der Strecke dazu, die eine Einteilung noch einmal schwieriger gestaltet. Bleiben wir einfach dabei, dass das „(R)oval“ in Arizona eine ganz besondere Stellung innehat. Zur Geschichte des PIR hier ein Auszug aus einer früheren Vorschau, der auch die ungewöhnliche Form des Speedways erklärt:
Die Strecke ist mal wieder eine echte Rarität und hat seine außergewöhnliche Form den geologischen Gegebenheiten auf dem Grundstück zu verdanken. Weil man außer dem Oval noch eine Rundstrecke und einen Dragstrip mit auf das felsige und hügelige Gelände quetschen wollte, musste die Strecke ein wenig zurechtgebogen werden: So hat die Gegengerade außer ihrem Banking von 9° einen Knick, der als „dogleg“ bekannt ist. Die Turns haben ähnlich Pocono einen unterschiedlichen Charakter, Turn 1 und 2 sind mit 11° überhöht und enger als Turn 3 und 4, die dafür auch 2° weniger Banking aufweisen. Das Oval ist exakt eine Meile lang und fasst 76.800 Zuschauer, die zum Teil auf Naturtribünen ihren Platz findet. Rustikales Ambiente also und man erzählt sich außerdem die Geschichte, dass das Rennen ohne die freiwilligen Helfer nicht möglich wäre, die jeden Morgen auf den Tribünen die Klapperschlangen einsammeln; authentisches Wüstenfeeling.
1964 wurde der Raceway in Avondale, Arizona im Südwesten von Phoenix erbaut und in einer Sports-Illustrated-Umfrage wählten ihn 2007 12% aller NASCAR-Fahrer zu ihrer Lieblingsstrecke, was immerhin zu einem zweiten Platz gemeinsam mit dem Atlanta Motor Speedway hinter Bristol (18%) reichte. Eigentlich galt das Oval bis zum Jahr 2005 eher als Rennschauplatz der Open-Wheeler, allen voran den IndyCars und der Indy Racing League, doch die NASCAR-eigene International Speedway Corporation (ISC) entschied sich in besagtem Jahr für eine Neuausrichtung. Interessanterweise verfügte die Strecke bis zu diesem Zeitpunkt über die drittlängste IndyCar-Historie nach Indianapolis und Milwaukee. Die ISC kaufte den Phoenix International Raceway 1997 dann schließlich, doch Cup-Rennen fanden schon seit 1988 dort statt. Seit dem 2005er Kalender-Realignment verfügt das Oval gemeinsam mit Texas auch über ein zweites Saisonrennen, damals zu Ungunsten von Rockingham und Darlington.
Der externe Rundkurs war in den Parkplatz des Raceways integriert und führte von außen über die Fahrbahn des Ovals in das Innere der Anlage. Dieser Kurs wurde dann später durch eine integrierte Strecke im Infield ersetzt. Seit den letzten großen Umbauarbeiten 2002-03 gibt es einen Access-Tunnel unter Turn 4, womit auch die erwähnten bisherigen und einzigen Zufahrten ins Infield geschlossen werden konnten. Dadurch existiert auch der Dragstrip in seiner früheren Form nicht mehr.
Ein kleiner Rückblick auf Martinsville zeigt die aktuelle Stärkeverteilung im Cup
In Martinsville bestätigte sich wieder das ungeschriebene Gesetz, dass nur Denny Hamlin und Jimmie Johnson gewinnen dürfen. Wie ungewöhnlich stark sich dieser „Fluch“ durchsetzen konnte, war gegen Ende des Rennens zu sehen. Während Johnson blass blieb, aber trotzdem mit einem Top10-Ergebnis die Tabellenführung übernehmen konnte, führte Hamlin im Angesicht der zwei Tage später folgenden Knie-OP die meisten Runden. Dann folgte der taktische Fehlgriff des Jahrhunderts, der uns sicherlich alle mit offenem Mund vor dem Bildschirm zurückließ: Hamlin und Teamkollege Kyle Busch gingen tatsächlich in der letzten Gelbphase etwa 10 Runden vor Schluss an die Box und ließen neue Reifen aufziehen. Mit Hilfe des „Fluchs“, mehrerer Overdrive-Versuche und der kurzen Rivalität zwischen Matt Kenseth und Jeff Gordon konnte Hamlin den Sieg und die Serie allerdings doch noch retten. Ein unfassbar spannendes Finish, eines was wir seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gesehen hatten.
Was war noch zu sehen? Ach ja, RCR ist wieder zurück. Wenn Jeff Burton, wie übrigens so vielen anderen auch, nicht der Reifen geplatzt wäre, stünde vermutlich ein Top5-Resultat für ihn zu Buche. Clint Bowyer landete immerhin auf Platz 7 und Kevin Harvick verlor die Führung in der Meisterschaft auch nur aufgrund von Bremsproblemen, die ihn 100 Runden zurückwarfen. Heimlich, still und leise ist Johnson in Martinsville also an die Spitze vorgerückt und hat dort die beiden Fords von Greg Biffle (-14) und Matt Kenseth (-16) im unmittelbaren Schlepptau. Die waren aber in Martinsville jenseits der Top10 unterwegs. Normalerweise fahren sie 2010 konstant vorne mit, aber für einen Ford-Sieg hat es bisher noch nicht gereicht. Das unterstreicht nun vor allem Richard Petty Motorsports, wo außer beim zurzeit sensationellen Paul Menard wirklich nichts vorwärts geht. Kasey Kahne hat beispielsweise schon ca. 100 Punkte Rückstand auf den Chase, in dem Menard momentan stehen würde.
Juan Pablo Montoya liegt nach vielen unverschuldeten Rückschlägen auf Platz 25 nun schon 171 Punkte hinter dem Chase. Aber wer weiß, wenn das Pech jetzt zuschlägt, dann hat er vielleicht gegen Ende der Saison mehr Glück. Doch das nützt ihm natürlich nichts, wenn die Chase-Qualifikation misslingt. Viele solche Totalausfälle darf er sich jedoch nicht mehr leisten. Wer ist derzeit noch vorne mit dabei? Nach Johnson, Biffle und Kenseth alle drei RCR-Fahrer, zu denen sich noch zwei Hendrick-Piloten gesellen: Jeff Gordon und überraschenderweise Dale Earnhardt Jr, für den es in diesem Jahr wieder besser läuft. Dann sind da noch Tony Stewart, der momentan eher mitfährt, sowie Kurt Busch, Paul Menard und Brian Vickers. Hinter Platz 12 lauern Carl Edwards, Mark Martin und die drei Fahrer von Joe Gibbs Racing. Denny Hamlin wird nach seiner Knie-OP versuchen, jedes Rennen zu bestreiten, hat aber Casey Mears als Ersatzmann zur Seite gestellt bekommen. Um die vollen Punkte zu bekommen, muss Hamlin jedes Rennen starten, kann aber falls das Knie zu stark anschwillt, jederzeit an Mears übergeben, der dann leer ausgeht.
In Phoenix geht der Sieg vermutlich nur über Hendrick Motorsports; RCR mit Chancen
Mit wem muss man nun in Phoenix rechnen? In allererster Linie natürlich wieder mit Dauermeister Johnson sowie allen weiteren Hendrick-Piloten, denn seit 2007 stand kein anderes Team in der Wüsten-Victory-Lane. Dann kann man noch weiter eingrenzen und getrost auf einen Chevrolet-Sieg tippen, denn seit 2003 hat nur ein Ford in Phoenix gewonnen und das war 2005! Toyota und Dodge suchen weiterhin nach der Einfahrt in die Victory Lane. Wenn man die momentane Kräfteverteilung 2010 anschaut, dann wird diese Phoenix-Statistik fast mit Sicherheit länger werden.
Anbei noch die Liste der bisherigen, noch aktiven Sieger:
1. Jimmie Johnson (4)
2. Mark Martin, Dale Earnhardt Jr, Jeff Burton und Kevin Harvick (je 2)
3. Tony Stewart, Matt Kenseth, Kurt Busch, Kyle Busch und Jeff Gordon (je 1)
Zu beachten ist, dass Mark Martins erster Sieg, beide Erfolge von Jeff Burton und Kurt Buschs Sieg in einem Ford zustande kamen. Tony Stewart gewann in einem Pontiac und Kyle Busch in einem Hendrick-Chevy.
Das zeigt also, dass der Sieg vermutlich nur über Hendrick und RCR geht. Die Top5-Kandidaten dahinter sollten sein: Kurt Busch, einer der Roush-Fords (vermutlich Greg Biffle oder Matt Kenseth) sowie eventuell Denny Hamlin, wenn er denn die OP gut wegstecken kann. Juan Pablo Montoya muss die Top10 erreichen, sonst wird es verdammt eng. Im letzten Phoenix-Rennen gelang ihm das zum ersten Mal dort. Dann habe ich noch drei Geheimtipps für die Top10: Martin Truex Jr schaffte das bereits in den letzten vier von fünf Phoenix-Ausgaben zwar in einem EGR-Chevy, doch sein MWR-Toyota war in Martinsville für die Top5 gut. Ebenso sehe ich David Reutimann da vorne, der im letzten Jahr beide Rennen in den Top10 beendete. Der Dritte im Bunde ist Marcos Ambrose mit den Plätzen 18, 14 und 11 in seinen bisherigen Anläufen in Phoenix. Alles in allem sollte man also am Wochenende auch auf Michael Waltrip Racing achten.
Wer das Rennen schauen will, der wird eine Nachtschicht einlegen müssen, denn Saisonrennen Nummer 7 startet in der Nacht von Samstag auf Sonntag um ca. 1:45 Uhr. FOX überträgt ab 1 Uhr. Alle anderen Termine laufen komplett am Freitag ab: Das Cup-Qualifying gibt es in der Nacht vor dem Rennen um 1 Uhr auf SPEED zu sehen und im Anschluss daran fährt die Nationwide Series ihr Rennen ab 3 Uhr auf ESPN2. Ungewöhnlich: Wegen des Nachttermins gibt es nach dem Cup-Qualifying keine Practice-Sessions mehr. Die einzigen beiden Trainingssitzungen finden davor statt, allerdings gelten keine „impound rules“. An den Wagen darf also trotzdem gearbeitet werden.
1 Kommentare
Wieder einmal eine gewohnt fundierte Vorschau, danke dafür.
Zu Hamlin: wie er nach 10 Tagen Kreuzband-OP autofahren will, darauf bin ich gespannt. Hatte zwar selbst noch keine KB-Geschichte, kenne aber einige. Und die waren froh nach 10 Tagen halbwegs an Krücken laufen zu können. Aber die sind halt auch keine Leistungssportler. Man darf gespannt sein, wie das funktioniert.
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