Auf dem Chicagoland Speedway wurde nach Daytona das zweite Märchen in dieser Saison geschrieben. Jimmie Johnson dominierte zunächst und fiel nach einem Dreher zurück. Dafür ergriff David Reutimann die Chance und holte sich seinen ersten selbst herausgefahrenen Cup-Sieg.
Das Rennen in der Nacht von Samstag auf Sonntag war sicher nicht das spektakulärste, kann aber dennoch als eines der schönsten in letzter Zeit bezeichnet werden. Da wurde endlich mal wieder eine Geschichte geschrieben, wie sie traumhafter nicht sein kann: David Reutimann gewann im letzten Jahr das prestigeträchtige Coca-Cola 600 in Charlotte. Jedoch kam dieser Sieg nicht aus eigener Kraft zu Stande, sondern der Wettergott sorgte gemeinsam mit einem riskanten Strategiespiel für Reutimanns ersten Sprint-Cup-Sieg. Lange musste er sich, wie er selbst zugab, fragen lassen, ob er denn auch aus eigener Kraft gewinnen könne. In Chicago war es dann endlich soweit:
Zunächst verabschiedete sich Jimmie Johnson gegen Rennmitte nach einigen der bei ihm so seltenen Fehler aus der Spitzengruppe. Damit war der Weg für Mr. „I love Love“ frei, denn weder Jeff Gordon noch Carl Edwards konnten das Märchen verhindern – sogar NASCAR hielt die Füße still und verzichtete in den letzten Runden nach einer langen Grünphase auf mysteriöse Debris-Cautions. Mike Helton gratulierte dem Sieger sogar anschließend in der „victory lane“. Hätten Jeff Gordon oder Carl Edwards wenige Runden vor Schluss geführt, dann bin ich mir sicher, dass irgendwo ein Staubkörnchen von den Offiziellen gefunden worden wäre, um das Feld für ein spannendes Finale zusammenzuführen. Die Reutimannsche Cinderella-Story war nun aber freilich genug Spannung am Ende des Rennens.
Dann folgten mit der Siegeszeremonie samt vorangegangenem „burnout“ Szenen, in denen alle Beteiligten ihren Emotionen freien Lauf ließen. Die „donut“-Versuche des nun zweifachen Cup-Siegers wirkten durch die überschwängliche Freude lange nicht so professionell wie die der alten „victory lane“-Hasen, während Crew Chief Rodney Childers einfach nur sprachlos war und beinahe in Tränen ausbrach. Auch David Reutimann selbst musste beim Siegerinterview zunächst inne halten und realisieren, was ihm da gerade gelang. Es war wirklich wunderschön anzuschauen, wie sonst so medial-abgeklärte Menschen aus der eigentlich routinemäßigen Sponsor-Huldigung ausbrechen und wirklich echte Freude zeigen. Zuletzt gesehen habe ich das beim Daytona 500, als Jamie McMurray zuerst ehrfürchtig den Rasen des Infields küsste, um danach gegen die Tränen zu kämpfen. Es war zwar schon sein vierter Cup-Sieg, aber er hatte gerade das Daytona 500 gewonnen.
Das ist es, warum wir alle den Motorsport lieben und schauen. Das sind die Geschichten, welche heutzutage leider viel zu selten geschrieben werden. Mich freut es für David Reutimann und Rodney Childers, der laut seinem siegreichen Piloten mit einer Top-Strategie die Wende gebracht habe. Ebenso gönne ich es Michael Waltrip Racing, das nach dem schweren Start 2007 nun endlich in Reichweite der Top-Teams vom Schlage eines Hendrick, Gibbs oder Roush angekommen ist. Viel schöner hätte es nur noch werden können, wenn der Teamchef auch im Bild zu sehen gewesen wäre und sein Bruder Darrell Waltrip das Rennen an Kyle Pettys Stelle kommentiert hätte. Dann wären sicher noch ein paar mehr Tränen geflossen. Zwar habe ich MWR in der Vorschau vor dem Wochenende als Geheimtipp ausgewiesen, ein Sieg wäre mir aber nicht in den Sinn gekommen. Ich dachte eigentlich mehr an die Top5/Top10. Herzlichen Glückwunsch an alle Beteiligten! … auch dafür dass wir TNT nun wieder los sind.
Klarer Favorit war für mich eigentlich Jimmie Johnson, der auch sofort in Führung ging
Wer stand wirklich auf meiner Siegerliste? Beim Tippspiel war Jimmie Johnson mein klarer Favorit und am Ende führte er ja auch die meisten Runden. Ohne zwei Fehler wäre das Rennen vielleicht ganz anders ausgegangen. Schon in der ersten Runde war der Pole-Mann Jamie McMurray nämlich seine Führung an Johnson losgeworden. Eine kurze Gelbphase nach dem Mauerkontakt von David Stremme änderte nicht viel an der Reihenfolge in der Spitzengruppe. Jimmie Johnson führte vor dem ebenfalls stark agierenden MWR-Fahrer Martin Truex Jr, Jamie McMurray, Greg Biffle und… David Reutimann. Kurz vor Runde 100 war es dann Zeit für die ersten Boxenstopps unter grüner Flagge, bei denen Johnson das erste von zwei Missgeschicken passierte: Beim Anbremsen der „pit lane“ sorgte eine ungünstige Einstellung der Bremsbalance in Kombination mit einem spendablen Bremsfuß für einen wilden Slide an der Einfahrt vorbei.
Circa sechs Sekunden dürfte diese Aktion den viermaligen Meister gekostet haben, der erneut beschleunigen musste, um seine Boxencrew in der nächsten Runde zu beehren. All das hielt die #48 aber keineswegs auf, in Runde 129 war Johnson bereits an der Spitze zurück und griff Jamie McMurray auf der Innenseite an – währenddessen fanden findige NASCAR-Offizielle Trümmer in Turn 2. Bei den folgenden Boxenstopps etwa zur Rennhalbzeit holten sich etliche Fahrer zusätzlich zu vier neuen Reifen und Benzin auch umfangreiche Chassis-Verstellungen und Luftdruck-Veränderungen ab. Jimmie Johnson schienen die „adjustments“ nicht geholfen zu haben, denn schon beim Restart geriet er mit Martin Truex Jr aneinander und drehte sich ins Infield. Truex hatte die #48 allerdings nicht berührt und auch sein Spotter konnte im Anschluss keine Kratzer an der #56 erkennen.
Johnson nutzte die Gelbphase, welche er ausgelöst hatte, um seinen Kühlergrill säubern und den Zustand des Splitters überprüfen zu lassen. Im Zuge dessen fiel er auf Platz 24 zurück und konnte sich davon nicht mehr erholen. In Runde 140 führte Jamie McMurray das Feld beim Restart an, hatte aber offensichtlich nicht das Auto für „long runs“. 26 Umläufe später zogen erst Jeff Gordon und später auch David Reutimann am Polesitter vorbei. Vor der folgenden Gelbphase in Runde 180 trat Jimmie Johnson noch einmal in Erscheinung, als er mit seinem Wagen die Mauer streifte und ein nötig gewordener Reifenwechsel den Kalifornier auf Rang 33 mit Rundenrückstand zurückwarf. Hinterher stellte sich heraus, dass die #48 diesen Umstand einem schleichenden Plattfuß zu verdanken hatte: Jimmie Johnson im Pech – äußerst ungewöhnlich!
Die erwähnte Caution löste Bill Elliott aus, der sich ohne Fremdeinwirkung auf der Strecke drehte und etliche Sekunden später von Robby Gordon „ge-T-boned“ wurde. Was die Aktion des Driver-Owners sollte, ist mir nach wie vor rätselhaft: Alle umliegenden Fahrer hatten bereits ihr Tempo verringert und wählten den Apron für eine sichere Passage des immer noch seitwärts rutschenden Wracks von Elliott. Als die #21 fast zum Stillstand gekommen war, rauschte plötzlich Gordon unmerkbar verlangsamt auf der oberen Linie heran und versenkte seinen Camry mit ordentlichem Getöse in Elliotts Beifahrertür.
Zwar war Robby Gordon hinterher schlauer und wusste zu berichten, dass beide Teams eigentlich finanziell nicht gerade in der Lage dazu seien, ihre Autos ohne größere Konsequenzen in Schrott verwandeln zu können. Jedoch bleibt damit unerklärt, warum er noch auf dem Gas stand, während alle anderen Fahrer für die Caution verlangsamt hatten. Die späte Notbremsung inklusive stehender Reifen machte den Einschlag vermutlich auch nicht mehr weicher für beide Piloten. Gordon muss sich nun fragen lassen, ob er noch das nötige Sicherheitsdenken hat, um weiterhin im Cup zu fahren. Es kann nicht sein, dass er da so spät bremst und seine Gesundheit und die von Bill Elliott fahrlässig aufs Spiel setzt. Hat vielleicht sein Spotter gepennt?
Die entscheidende Phase dominierte Reutimann nach einem kurzen Jeff-Gordon-Gastspiel
In Runde 189 begann dann die entscheidende Phase des Rennens, nachdem alle Fahrer zum vorletzten Mal die Boxengasse ansteuerten. Jeff Gordon führte das Feld beim Restart an, gefolgt von Clint Bowyer, Jamie McMurray, David Reutimann und Carl Edwards. Klar war zu diesem Zeitpunkt: Bis zum Ende in Runde 267 würde man nicht durchfahren können, ein weiterer Boxenstopp würde noch zu absolvieren sein. In Umlauf 213 zeigte sich die zuvor gelobte Abstimmungsarbeit von Rodney Childers, denn David Reutimann war von Platz 4 an Jeff Gordon vorbei in Führung gestürmt. Den Platz an der Sonne musste er nur noch einmal bei den letzten Stopps unter grüner Flagge abgeben, bevor er endlich seinen ersten selbst herausgefahrenen Sieg einstreichen konnte. Carl Edwards zog zwar noch an Gordon vorbei und sicherte sich einen zweiten Rang, Reutimann war zu diesem Zeitpunkt allerdings zu weit enteilt und konnte trotz Vibrationen den Abstand noch vergrößern.
Die Top10 komplettierten Clint Bowyer, Jamie McMurray, Kasey Kahne, Jeff Burton, Denny Hamlin, Tony Stewart und Paul Menard – Martin Truex Jr landete am Ende auf Platz 11. Juan Pablo Montoya war zunächst lange Zeit auf Top10-Kurs, bekam aber Probleme mit dem Wagen. Glücklicherweise konnte er die Reparaturpausen in die Gelbphasen legen, sodass er keine Runde verlor und das Rennen auf Rang 16 beendete. Jimmie Johnson arbeitete sich mit einer Runde Rückstand noch bis auf Platz 25 vor. Farblos blieben Mark Martin (15.), der momentan mit einer kleinen Formkrise zu kämpfen hat, Kyle Busch (17.), Dale Earnhardt (23.) und Kurt Busch (26.). Busch kam mit dem Handling seiner blauen #2 zeitweise gar nicht zurecht, was die Crew zu ungewöhnlichen Maßnahmen verleitete: ein kompletter Tausch der vorderen Stoßdämpfer.
Ganz schlecht lief es für Kevin Harvick (34.) und Greg Biffle (35.): Der Meisterschaftsführende Harvick musste mit einer defekten Benzinpumpe vorzeitig die Garage ansteuern, konnte nach einer Reparaturpause aber wenigstens Schadenbegrenzung betreiben. Biffle gelang das leider nicht, denn sein explodierter Ford-Motor (übrigens der neue FR9, den seit Daytona alle Ford-Teams fahren) besaß nur noch Schrottwert. Die meisten Runden führten die vier größten Siegkandidaten Jimmie Johnson (92), Jamie McMurray (72), David Reutimann (52) und Jeff Gordon (47). Carl Edwards konnte zwei Umläufe an der Spitze des Feldes bleiben, Clint Bowyer und Juan Pablo Montoya jeweils eine Runde.
Harvick führt noch in der Punktetabelle, Earnhardt Jr muss erneut Anlauf für den Chase nehmen
In der Meisterschaftswertung, die auf der NASCAR-Media-Seite noch nicht grafisch aufbereitet zur Verfügung stand, führt nach wie vor Kevin Harvick, allerdings nur noch mit 103 Punkten vor Jeff Gordon und Jimmie Johnson (-188). Denny Hamlin (-203) zog an Kurt Busch (-221) vorbei, hinter dem sein Bruder Kyle lauert (-257). Jeff Burton (-280) konnte einen Rang von Matt Kenseth (-299) gewinnen, bevor Tony Stewart (-356) unverändert auf Platz 9 rangiert. Die beiden Fords von Carl Edwards (-400) und Greg Biffle (-453) liegen schon mehr als 400 Punkte hinter Harvick. Neu in den Top12 ist nach seinem Top5-Ergebnis Clint Bowyer (-459), der Dale Earnhardt Jr (-474/-15) wieder rausgekegelt hat. Innerhalb von 100 Punkten verfolgen außer Junior noch Mark Martin (-22), David Reutimann (-96) und Ryan Newman (-99) den Chase.
Bei den „owner points“ hat sich die Situation etwas beruhigt, denn wer nun nicht raus aus den oder gerne rein in die Top35 möchte, der muss schon mehr als 100 Punkte verwalten:
32. #7 Robby Gordon (Robby Gordon) +173 Punkte
33. #34 Bob Jenkins (Kevin Conway) +132 Punkte
34. #71 Kevin Buckler (Landon Cassill) +128 Punkte
35. #37 Doug Yates (David Gilliland) +108 Punkte
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36. #26 Bill Jenkins (David Stremme) -108 Punkte
37. #38 Doug Yates (Travis Kvapil) -156 Punkte
Am nächsten Wochenende findet ausnahmsweise mal kein Cup-Rennen statt, ich melde mich deshalb in alter Frische für die Indianapolis-Vorschau eine Woche drauf zurück. Trotzdem kann NASCAR geschaut werden, denn Nationwide Series und die Trucks sind gemeinsam auf dem Gateway International Raceway in Madison, Illinois unterwegs. Das 1,25-Meilen-Oval mit zwei unterschiedlich großen Turns liegt auf der gegenüberliegenden Seite des Bundesstaates Illinois von Chicago aus gesehen. Turn 1 & 2 haben 11° Banking und erinnern an den New Hampshire Motor Speedway, während Turn 3 & 4 mit 9° überhöht dem Phoenix International Raceway nachempfunden sind. Außerdem unterscheiden sich die Kurvenradien, was der Strecke eine Ei-Form ähnlich Darlington verleiht; der Besitzer ist Dover Motorsports. Die Trucks fahren in der Nacht von Freitag auf Samstag ab 2:30 Uhr auf SPEED. Die Nationwide Series ist eine Nacht später ab 1 Uhr auf ESPN2 zu sehen.