Das Rennen in New Hampshire am Sonntag war ungefähr so durchsichtig wie eine Scheibe aus Milchglas, denn viele unterschiedliche Strategien brachten viele verschiedene Fahrer in die Reichweite eines Sieges. Letztendlich holte sich aber Pole-Mann Ryan Newman den Erfolg, während Tony Stewart dahinter das Team-Ergebnis für Stewart-Haas Racing perfekt machte.
Ich muss gestehen, dass ich am Sonntag im Laufe des Rennens zunehmend Probleme dabei bekam, den Durchblick bei den ganzen unterschiedlichen Reifen- und Benzinstrategien zu behalten. Es gab eine Menge Durcheinander und optischen bis logischen Nebel, aus welchem zum Schluss wieder derselbe Ryan Newman auftauchte, der das Rennen schon in Führung begonnen hatte. Im Grunde genommen hätte aber auch mal eben ein ganz anderer Pilot den Sieg holen können, bedenkt man, dass sich insgesamt 14 Fahrer erfolgreich um die Führung gekloppt haben. Zwar führte Newman 119 von 301 Runden und damit fast die Hälfte der Renndistanz, doch auch Kurt Busch (66), Tony Stewart (48) sowie Jimmie Johnson und Jeff Gordon (19) waren lange Zeit mit vorne bei der Musik dabei.
Alle anderen genannten Piloten, mit Ausnahme von Stewart, hatten jedoch auf ihre Weise das ein oder andere Pech, was am Ende Ryan Newman den Sieg zuspielte. Wenn ich versuchen würde, das ganze Geschehen hier jetzt zusammenzufassen, dann säße ich vermutlich rechtzeitig zum Start vom nächsten Rennen in Indianapolis in zwei Wochen noch hier. So viele Fahrer auf verschiedenen Strategien hat man in letzter Zeit selten gesehen. Letztlich erwies sich aber die alternierende Reihe 2-4-2-4-… in puncto Reifenwechsel als die erfolgreichste Methode, um viel Track-Position zu gewinnen. Das merkten schnell auch andere Piloten, weshalb es im Verlauf des Rennens immer schwieriger wurde, die Plätze an der Spitze des Feldes zu halten. Einige wetteten ganz ungeniert und nahmen zeitweilig auch mal gar keine neuen Reifen mit zurück auf die Strecke.
Zusätzlich kam bei der verworrenen Boxenstoppabfolge zwangsläufig auch das Thema Benzinverbrauch auf den Tisch, wobei zum Schluss aber diejenigen Teams zu den Opfern eines leeren Tanks gehörten, die sich eigentlich eines Durchkommens ganz sicher waren. Zehn Gelbphasen boten den Mannschaften genügend Unterbrechungen, um alle taktischen Spiele voll auszukosten. Ausgelöst wurden die Cautions zu je einem Drittel aus folgenden Gründen: Debris, Reifenschäden (vorzugsweise rechts vorne) und ordentlich Fender-Banging nicht nur im Mittelfeld.
Insgesamt fiel auf, dass teilweise gut gerempelt wurde, was gleich einigen Fahrern wieder neue Freunde eingebracht haben dürfte. So hatten sich unter anderem AJ Allmendinger und Denny Hamlin sowie Juan Pablo Montoya und Jimmie Johnson ganz besonders lieb. Etwas unangenehmer war allerdings ein Red-Bull-interner Lackaustausch zwischen Kasey Kahne und Brian Vickers, welcher letzteren das Rennen gekostet hat, während sein Teamkollege immerhin einen tollen sechsten Platz einfahren konnte.
Oft kam es wie erwähnt auch zu Reifenplatzern, deren Ursache vermutlich zu heiß gewordene Bremsscheiben gewesen sein dürften. In New Hampshire werden die Bremsen analog zu Martinsville verhältnismäßig stark belastet und bedürfen einer zusätzlichen Kühlung. Wer es nun mehrere Runden lang auf der Bremse etwas übertrieben hatte, um Platzierungen aufzuholen, den erwartete ein plötzlicher Knall mit Abstecher in die Mauer als logische Folge. Die (im Vergleich zur Lauffläche) dünnen Seitenwände der Pneus hielten den hohen Temperaturen der glühenden Bremsscheiben anscheinend nicht lange genug stand. An diesem Punkt gehe ich einfach mal mit den Ausführungen der TNT-Kommentatoren d’accord, welche zumindest nicht auf ein Versagen des Reifenherstellers verwiesen, dafür aber deutlich dichter an der Strecke saßen als ich!
Schauen wir uns nun mal an, warum Ryan Newman gewonnen hat und nicht die Konkurrenz, die zum Teil böse vom Pech verfolgt war:
Kurt Busch, der Mann mit den zweitmeisten Führungsrunden fiel dem Spritverbrauch zum Opfer. Er ging in Gelbphase 8 von 10 bei noch 85 verbleibenden Runden und einem Spritfenster von 70-74 Umläufen zum letzten Mal an die Tankstelle. Eigentlich hätte man sich selbst ausrechnen können, dass dieses Zahlenspiel nicht aufgehen konnte, doch die Dodges verfügen laut TNT-Expertenkommentar angeblich über die beste Fuel-Mileage im Feld. Hin oder her, zwei weitere Cautions brachten Busch dann letztlich knapp an den Rand seines Spritfensters, welches aber ausgerechnet in der letzten Runde hinter ihm zufiel. Immerhin rettete er ausrollend noch knapp ein Top10-Resultat.
Genauso erwischte es auch Juan Pablo Montoya, der zwar sein Spritfenster in Caution #9 75 Runden vor Schluss recht gut füllen konnte, aber trotzdem am Ende ohne Sprit ausrollte. Die letzte Gelbphase hätte sein Benzinfenster eigentlich schließen sollen und bei Earnhardt-Ganassi Racing ist man sich immer noch nicht so sicher, ob vielleicht weniger Sprit in den Tank geflossen sein könnte als zunächst vermutet. Montoya hatte leider weniger Glück im Unglück als Kurt Busch und wurde letztendlich bis auf Rang 30 durchgereicht.
Das war ein absolutes Alptraumergebnis für die Mannschaft der #42 und entfernte die mehr als knappen Chase-Hoffnungen noch ein bisschen mehr aus greifbarer Reichweite. In den nächsten drei Rennen auf den flachen Ovalen von Indianapolis, Pocono und dem Rundkurs in Watkins Glen werden vermutlich die Playoff-Qualifikationswürfel für Montoya fallen. Die Nummer am Sonntag war zumindest nichts, vor allem nicht nach den vollmundigen Aussagen von Fahrer und Crew Chief, man hätte ein super Shortrun-Auto, mit welchem man um den Sieg würde mitkämpfen können und sogar bei ausgedehnten Longruns wäre sicher noch ein Top10-Ergebnis drin. Teamkollege Jamie McMurray ging übrigens ebenfalls das Benzin aus…
Ein noch viel viel schlimmeres Schicksal mussten Kyle Busch und Brad Keselowski erdulden. Beide Piloten wurden das Opfer eines Reifenschadens, der einen unsanften Einschlag in die Mauer zur Folge hatte. Die notwendigen Reparaturarbeiten ließen beide Fahrer massiv an Runden und Positionen verlieren. Busch flog schon früh in Runde 60 aus dem Rennen und konnte später schadensbegrenzend gerade einmal Platz 36 holen, während Keselowski kurz vor Halbzeit in Umlauf 144 in die Mauer abbog und am Ende Rang 35 holte. Kyle Busch ist durch dieses de-facto-DNF jedenfalls seine Meisterschaftsführung los und rutschte gleich um vier Plätze auf Position 5 ab. Keselowskis Wildcard-Chancen hat sein Unfall natürlich auch nicht gerade beflügelt.
Für alle Piloten, welche das Rennen in der Führungsrunde beenden konnten, war Platz 25 das am schlechtesten mögliche Ergebnis. Hier eine Auswahl der dort platzierten Piloten:
– Greg Biffle gab in der letzten Gelbphase einen zweiten Platz auf, weil der Sprit wohl nicht gereicht hätte und wurde letztendlich nur 18. Insgesamt kamen alle Roush-Fords wie erwartet vergleichsweise schlecht weg und ausgerechnet Marcos Ambrose (9.) musste die Ehre des Herstellers retten. Der zweitbeste Ford war sein Teamkollege AJ Allmendinger (12.) noch vor dem ersten Roush-Fenway-Fahrer Carl Edwards auf Platz 13.
– Mark Martin hatte den ganzen Nachmittag alle Hände voll damit zu tun, nicht den Anschluss an die Führungsrunde zu verlieren. Er lief in einem farblosen Rennen nur auf Platz 22 ein, nachdem ihm ein Reifen platzte und er vermutlich die Probleme vom Teamkollegen geerbt hatte.
– Jeff Gordon erwischt es nämlich auch ganz übel, als sich plötzlich alle Druck- und Temperaturanzeigen im Cockpit ins Bodenlose verabschiedeten. Eine neue Batterie musste her, doch weil die Lichtmaschine auch diese nicht ordnungsgemäß auflud, musste er die Bremskühlung vorsichtshalber deaktivieren. Das löste vermutlich seinen Reifenschaden in den Schlussrunden aus, der ihm nur Rang 11 einbrachte, obwohl das Auto deutlich mehr hergab.
– Probleme gab es bei allen Mitgliedern von Hendrick Motorsports, so hatte zum Beispiel Jimmie Johnson erst etwas Feindkontakt mit Juan Pablo Montoya sowie Bobby Labonte und leistete sich sogar noch einen Dreher, während Dale Earnhardt Jr bei seinem letzten Boxenstopp in Gelbphase #10 eine Tire-Violation samt Rückversetzung ans Ende des Feldes über sich ergehen lassen musste. Junior konnte Platz 33 zwar noch in ein Top15-Resultat ummünzen, doch Johnson hatte wieder einmal mehr Glück und Erfolg. Sogar für die Top5 reichte es am Ende für den Dauermeister!
In der Meisterschaft hat sich in den Top5 alles gedreht was nur ging: Dort führt nach dem etwas chaotischen Rennen in New Hampshire nun wieder Carl Edwards vor Jimmie Johnson (-7), Kurt Busch (-11), Kevin Harvick (-15), Kyle Busch (-20) und Matt Kenseth (-26). Dahinter hat Jeff Gordon schon einen größeren Abstand von 65 Punkten. Der Erfolg von Ryan Newman brachte nun alle Fahrer, welche sich derzeit in den provisorischen Playoffs befinden in den Genuss eines Saisonsieges mit Ausnahme von Dale Earnhardt Jr (9.).
Auf Tony Stewart (11.) sollte man in den nächsten drei Rennen ganz besonders achten, denn ähnlich wie Montoya kommt er in Indianapolis, Pocono und Watkins Glen extrem gut zurecht. Ein Sieg brächte ihn vermutlich auch ohne Wildcard in den Chase, da ihn zurzeit nicht ein einziger Punkt von den Playoff-Positionen trennt. Er liegt eigentlich punktgleich mit Denny Hamlin auf Platz 10. Zwischen Kenseth und Earnhardt liegen noch Jeff Gordon und Ryan Newman auf den Rängen 7 und 8. Eine Wildcard beansprucht derzeit übrigens nach wie vor David Ragan (13.), der sich direkt hinter dem bisher sieglosen Clint Bowyer (12.) befindet.
Ganz allgemein fällt in diesem Jahr weiterhin die enge Leistungsdichte stark auf. Bisher konnte noch kein Pilot mit einer überzeugenden Performance punktetechnisch dem Rest des Feldes enteilen. Nach der ersten Hälfte der Saison gibt es sozusagen noch keinen wirklich heißen Anwärter auf den Sprint-Cup-Titel 2011 – auch wenn die derzeitigen Top5 wohl die wahrscheinlichsten Kandidaten auf einen Chase-Sieg sein dürften.
Die gesamten offiziellen Ergebnisse können hier inklusive weiterer Statistiken noch einmal bei Jayski.com nachgeschaut werden. Zum Abschluss folgt wie gewohnt die Übersicht zu den Punkteständen bei den Fahrern und in der Owner-Wertung.
Wie bereits in der New Hampshire-Vorschau erwähnt, steht am nächsten Wochenende die letzte Pause in dieser Cup-Saison an. Danach bringt die Top-Liga das Jahr mit 17 Rennen in Folge zu Ende, was fast einer kompletten Saisonhälfte entspricht. Dieser Marathon wird nach dem Abschluss der sechswöchigen TNT-Serie ausnahmslos bei ESPN und ABC (die drei verbleibenden Nachtrennen am Samstagabend) zu sehen sein, beginnend mit dem Kracher in Indianapolis. Wer das freie Wochenende nicht anderweitig nützen möchte oder kann, dem bieten Nationwide Series und die Trucks in Nashville trotzdem NASCAR-Action, allerdings zu nachtschlafender Zeit.