Erschreckend, wie die Zeit vergeht. Nur noch fünf Rennen stehen auf dem IndyCar-Kalender 2011. Und wenn man sich den Punktestand ansieht, dann ist jedes dieser Rennen ein kleines Finale.
Jedenfalls aus der Perspektive der Verfolger von Tabellenführer Dario Franchitti. Denn auch, wenn der Rückstand zuletzt etwas geschmolzen ist – weiter darf der Schotte in der Meisterschaft keinesfalls entwischen, wenn man eine vorzeitige Entscheidung verhindern will. Der Kurs in Sonoma liefert gerne auch mal etwas verrücktere Rennen, das Überholen ist auf der wunderbar in die Hügel gebauten Strecke alles andere als einfach. Das kann den Verfolgern helfen, sofern Franchitti in Probleme gerät. Es kann aber auch in die Hose gehen, wenn man selbst einen Rückstand aufzuholen hat. Chaos gab es zuletzt ja in der Serie ohnehin nicht zu wenig – erst Mitte dieser Woche hat eine Berufungsbehörde das umstrittene Rennergebnis aus Loudon bestätigt. Mit dem Urteil sind naturgemäß nicht alle so wirklich zufrieden.
Denn wenig überraschend wurde das via TV verkündete Rennergebnis, wonach Ryan Hunter-Reay das Rennen gewonnen hat, auch auf dem grünen Tisch aufrecht erhalten. Vor allem Oriol Servia, zum Zeitpunkt des Abbruchs in Führung, wähnte sich durch die Entscheidung um den Sieg gebracht. Via Twitter äußerte er sich im Anschluss ganz offen kritisch gegenüber der Rennleitung:
„We lost the protest. The panel states that Barnhart does actually have the power to go back in time :0“
In der folgenden Pressemitteilung von Newman/Haas hatte sich allerdings auch der Katalane wieder gefangen, und gab einen deutlich gemäßigteren, wenn auch enttäuschten Kommentar ab.
Etwas eigenartig ist das Urteil, das die dreiköpfige Expertenjury da gefällt hat ja in der Tat. Man bestreitet nicht, dass Servia zum Zeitpunkt des Rennendes in Führung gelegen sei. Rennleiter Brian Barnhart habe aber dennoch das Recht im Rahmen seiner professionellen Einschätzung die Entscheidung zu treffen, wegen der irregulären Verhältnisse beim Restart den Rennstand zu einem früheren Zeitpunkt des Rennens als Endergebnis festzulegen.
Diese Entscheidung wird zwar geltenden IndyCar Regeln entsprechen – sie ist aber dennoch kritisch zu betrachten. Denn sie gesteht der Rennleitung zu, Ergebnisse nach Kriterien guter PR zu entscheiden. Und sie öffnet damit Verschwörungstheoretikern Tür und Tor, die sportliche Integrität der INDYCAR in Frage zu stellen.
Immerhin: Die Meisterschaft wird durch die Entscheidung wieder etwas knapper. Denn in der nun bestätigten Ergebnisliste ist Will Power ja – anders als auf der Rennstrecke – nicht kurz vor Ziel in der Mauer eingeschlagen, sondern auf Rang fünf ins Ziel gefahren. Der Australier liegt damit „nur“ noch 47 Punkte (oder etwas weniger als einen Sieg) hinter Dario Franchitti. Auch Scott Dixon liegt nun 73 Zähler hinter Franchitti – auch das ist bei etwas Pech des Schotten noch aufholbar.
Und wie schon oben geschildert: Der Infineon Raceway in Sonoma könnte durchaus zu einer Durchmischung des Fahrerfeldes beitragen. Das liegt weniger daran, dass man auf der Strecke Massen guter Zweikämpfe zu etwarten hätte. Vielmehr erlaubt der Kurs nur äußert wenige Duelle. Was dazu führt, dass Piloten, die zum Beispiel durch einen Fehler einmal ein paar Positionen verlieren nur sehr schwer wieder an die Spitze des Feldes aufrücken können – oder Gefahr laufen, bei einer Kollision erst Recht wichtige Punkte zu verlieren.
Gleich nach dem Start mündet die Bahn in eine schnelle, aber ziemlich enge Links-Rechts-Bergauf-Kombination, die zu unüberlegten Überholversuchen einlädt, diese aber nur in Ausnahmefällen belohnt. Nach unten geht es dann wieder durch zwei schnelle, aber uneinsichtige Kehren, die zwar sehr idyllisch in den Berg geschnitten sind, aber nicht gerade durch üppigen Auslauf überzeugen. Darauf folgt eine veritable IndyCar Dauerbaustelle. Nämlich eine 180-Grad-Haarnadel, die eigentlich zu Überholmanövern einladen sollte. Leider funktioniert das aber nicht so wirklich, und so hat man dort in den vergangenen Jahren immer wieder ein wenig mit den Layout experimentiert – bisher aber vergeblich.
Von dort aus geht es durch ein Kurvengeschlängel Marke „vorbeikommen unmöglich“ zur vielleicht besten, möglicherweise einzigen Überholstelle des Kurses – der zweiten 180-Grad-Kehre. Die NASCAR fährt an der Stelle eine weite, aber ziemlich breite Variante, die aber leider nur wenig Auslauf bietet. Zu wenig für die IndyCar, die deswegen den Kurs an dieser Stelle etwas verkürzt, und dafür eine etwas engere Kurve fährt. Unangenehmer Nebeneffekt: die Gerade am Weg dorthin ist etwas kürzer, Ansaugen im Windschatten daher schwerer. Und das Layout der IndyCar-Kurve ist, weil es am Eingang nur eine gute Linie gibt, auch weniger überholfreundlich als die NASCAR-Variante.
Also eigentlich erstaunlich, dass der Kurs trotzdem meist packende Rennen liefert.
Danica Patrick ist derzeit zwar nur zwölfte der Gesamtwertung, ihr Name tauchte zuletzt aber trotzdem wieder häufiger in den Nachrichten auf. Denn dieser Tage soll endlich bekannt werden, was inoffiziell fast jeder schon lange zu wissen glaubte: Patrick wird in den kommenden Saison den IndyCars den Rücken kehren, und exklusiv in Richtung NASCAR abwandern. Wobei: Vielleicht ist die Wanderung doch nicht so exklusiv – IndyCar Experte Curt Cavin scheint jedenfalls davon überzeugt zu sein, dass sie beim Indy 500 auch im kommenden Jahr dabei sein möchte. Oberflächlich betrachtet wird der Abschied der Serie wohl schaden – Fans, die mehr an Patrick als an der Serie interessiert waren, werden den Open Wheel Racern wohl nun endgültig den Rücken kehren. Auch die Sponsorgelder werden der Serie abgehen. Zu trösten versuchen sich manche mit dem Argument, Patrick sei für die IndyCars zuletzt eher eine Ablenkung als ein PR-Plus gewesen. Wie auch immer man die Sache sehen mag – zumindest ABC muss sich für die kommenden Saison wohl ein neues Dauerthema einfallen lassen.
Zuseher aus Europa werden beim Rennen in Sonoma zwei bekannte Gesichter erkennen (so sie denn einmal im Bild sind). Giorgio Pantano, der 2005 schon zwei Rennen für Ganassi in Sonoma und Watkins Glen absolviert, und sich dabei mit Rang vier beim zweiten Rennen sehr gut aus der Affäre gezogen hat, bekommt von Dreyer & Reinbold eine neue Chance als Ersatz für den verletzten Justin Wilson. Ho-Pin Tung, in der Quali für das Indy 500 nach heftigem Crash noch gescheitert, wird in einem Auto von Schmidt Dragon Racing sein Debut in der Rennserie geben.
Zunehmende Fragezeichen stehen hinter der „IndyCar World Championship“ in Las Vegas. Das Rennen selbst ist zwar nicht gefährdet. Von Randy Bernards Idee, fünf möglichst prominenten Profis aus anderen Serien einen Jackpot von 5 Millionen Dollar zu bieten, sofern sie das Rennen gewinnen können, hat man dagegen schon lange keine glaubhaften Lebenszeichen gesehen. Bis vor kurzem stand zumindest Travis Pastrana als einigermaßen sicherer Starter fest – nach dessen Verletzung ist kein einziger seriöser Kandidat mehr bekannt. Zwar spricht Kasey Kahne gerne gerne mal davon, dass er am Rennen teilnehmen will. Realistisch scheint es aber nicht, dass er wirklich dort antritt – geschweige denn, dass er von Red Bull Racing die dafür nötige Freigabe erhalten könnte. Mangels passender Kandidaten wäre es also durchaus möglich, dass das Rennen ein „ganz normaler“ (wenn auch dank massenhaft verschenkter Karten vielleicht besonders gut besuchter) Saisonabschluss wird. Vielleicht gar nicht die schlechteste Variante.
Im TV
Wie gewoht muss man sich als deutschsprachiger IndyCar Fan im Netz um mögliche alternative Empfangsmöglichkeiten bemühen. In den USA ist diesmal wieder Versus für die Übertragung zuständig. Normalerweise würde ich nun davon sprechen, dass das im Vergleich zur ABC-Übertragung aus Loudon eine Verbesserung sein sollte. Diesmal bin ich mir aber nicht so ganz sicher. Denn zum einen hat ABC in New Hampshire bei allem Chaos eine gute und faire Übertragung geliefert – und andererseits schien die Versus-Crew in den Rennen davor bei allem Herzblut gelegentlich etwas konfus und uninformiert. Welche Art von Übertragung es denn wird, kann der geneigte Fan im Rahmen der Qualifikation (Mitternacht zwischen Samstag und Sonntag) und des Rennens (So., 22:00 Uhr) überprüfen. Die Indy Lights machen in Sonoma Pause, und gehen erst in Baltimore wieder an den Start – dann unter anderem mit dem legendären Willy T. Ribbs als Gaststarter.
Foto: INDYCAR