Wer Talladega am letzten Wochenende schon unübersichtlich fand, der dürfte in Martinsville am Sonntag nicht schlecht über insgesamt 18 Cautions gestaunt haben. Die letzte Gelbphase wurde Jimmie Johnson zum Verhängnis, denn dort verlor er seinen bereits sichergeglaubten Sieg auf den letzten Metern noch an Tony Stewart.
18 Cautions hatte Martinsville zu bieten und schrammte damit nur um drei Exemplare an der Rekordmarke von 21 vorbei. Das war allerdings nurmehr Glück, denn wenn NASCAR es ganz genau genommen hätte, wäre die maximale Anzahl von drei Verlängerungen am Ende auch noch erreicht worden. In der Schlussphase drehten sich in den letzten drei Runden noch mehrere Fahrer von der Strecke, doch die Offiziellen ließen sich nach fast vier Stunden nicht mehr beirren und zogen die Nummer durch. Jimmie Johnson hätte sich wohl gewünscht, dass NASCAR schon vor der letzten Caution zu diesem Entschluss gekommen wäre, denn ausgerechnet die verhagelte ihm das Rennen:
25 Runden vor der Zielflagge drehte Kurt Busch den Chevy von Ryan Newman um und setzte damit die Serie der zahlreichen neu-geknüpften Freundschaften an diesem Tag fort. Erst kurz zuvor hatte Tony Stewart sich an Jeff Burton vorbeigekämpft und trat nun die direkte Verfolgung von Spitzenreiter Jimmie Johnson an. Letzterer lag zu diesem Zeitpunkt bereits 37 Umläufe in Führung und war auf einem guten Wege, sich mit einem Sieg wieder in die Meisterschaftsentscheidung einzubringen. Johnson hatte die Spitzenposition übrigens Kevin Harvick erst in Runde 438 von 500 abgejagt und war nicht der einzige Fahrer, der sich über das Rennen hinweg längere Zeit vorne festbeißen konnte.
Beim vorletzten Restart nach besagter Caution war Smoke zwar zunächst dicht am Hendrick-Chevy von Jimmie Johnson dran, doch der Dauermeister konnte sich direkt absetzen und seine Führung weiter ausbauen. Zu diesem Zeitpunkt sah alles nach einem Johnson-Sieg aus, doch dann folgte ein weiterer Auftritt von Brian Vickers, welcher gefühlt an mindestens der Hälfte aller Gelbphasen beteiligt war. Die Schätzung erwies sich als nicht so schlecht, denn tatsächlich zerlegte Vickers seinen Red-Bull-Toyota in einem Drittel der Cautions fachgerecht. Dass er dennoch bis zum Ende dabei war, frustrierte in letzter Konsequenz auch Jimmie Johnson, denn Vickers war zum Schluss nur noch auf Rache aus und hätte sich laut Johnson doch lieber aus der Entscheidung raushalten sollen.
Passiert war das Folgende: Nach einem Scharmützel mit Matt Kenseth einige Runden zuvor im Rennen war Payback-Time angesagt. Vickers hatte sich im Rennverlauf mit vielen Kollegen anlegt, auch Kenseth hatte wohl irgendwann die Schnauze voll und räumte Vickers im Positionskampf kurzerhand aus dem Weg. Acht Runden vor Schluss war dann Vickers zum Rückschlag bereit und verpasste Kenseth einen Schubser, wobei er sich dummerweise selbst drehte und die letzte Caution des Tages auslöste. Für Matt Kenseth war das ein Rückschlag, nachdem er zuvor selbst längere Zeit in den Top5 unterwegs war und sogar die Meisterschaftsführung von Carl Edwards temporär übernahm.
Insgesamt fiel auf, dass sich die Sprint-Cup-Piloten an diesem Nachmittag in etwa so benahmen, als hätte ihnen der jeweilige Konkurrent im Kindergarten mal in der Sandkiste die Schaufel geklaut. Das „Boys, have at it“-Prinzip funktionierte in Martinsville gar nicht und teilweise hatte man das Gefühl, in den vergangenen Jahren schon mal mehr Respekt untereinander erlebt zu haben. Ich frage mich gerade, ob sich die Good-Old-Boys wie z.B. Dale Earnhardt Sr., Dale Jarrett oder von mir aus auch ein Rusty Wallace dieses Benehmen einiger Fahrer lange gefallen lassen hätten. Tony Stewart sagte dazu im hier verlinkten Artikel von Mark Aumann bei NASCAR.com, dass sich ein paar ganz Ungeduldige wohl schnell einen Satz heißer Ohren in der Garage eingefangen hätten.
Nun war aber auch Stewart nicht gerade zimperlich, als er sich vehement gegen seine Überrundung durch Denny Hamlin wehrte und dabei ebenfalls kurz davor stand, zum Abschuss freigegeben zu werden. Allerdings fand Smoke jedoch ein recht gesundes Maß, was auch der kleinere Zwischenfall mit AJ Allmendinger bewies. Stewart sah, dass er den Petty-Fahrer abgedrängt hatte und gab diesem seine Position auf der Strecke zurück. Mit Karma zum Sieg lautete also vermutlich das Motto und dieses war gar nicht so schlecht, denn wenn du alle anderen Wagen beiseite schiebst, wächst zwangsläufig die Anzahl der Fahrer, welche dich in die Mauer befördern wollen.
Somit finden wir uns in der finalen Situation des Rennens wieder: Letzter Restart – drei Umläufe vor Schluss – auf der Innenbahn Jimmie Johnson – außen Tony Stewart. Es dauerte nur eine Runde, bis Smoke, der Fahrer des Hendrick-Kundenteams, den Werks-Piloten Johnson auf der äußeren Linie (!) überholt hatte. Woher Stewart diesen Speed plötzlich nehmen konnte, wusste er wohl nicht mal selbst, der schiere Wille ist meine Vermutung. Das Überholmanöver war allererste Sahne, zumal er darauf verzichtete, Johnson einfach aus dem Weg zu räumen. Den letztlich unterlegenen Konkurrenten beeindruckte das anscheinend so sehr, dass er sich ebenfalls nur fair an den Konter wagte und Stewarts Chevy bestenfalls einen leichten Schubser verpasste.
Das war allerdings zu wenig und so holte Tony Stewart sich im Chaos der kreiselnden Wagen den dritten Sieg in insgesamt sieben Chase-Rennen 2011 und brachte sich damit nach den Playoff-Premierenerfolgen von Chicagoland und New Hampshire und einem kurzen Leistungsabfall zurück in die Meisterschaftsentscheidung. Der Schlüssel zum Rennen war nach der turbulenten Startphase zunächst Track-Position und später die notwendige Zurückhaltung im Positionskampf, um nicht selbst Opfer eines übereifrigen Kollegen zu werden. Wie immer gehörte auf dem Shorttrack in Martinsville auch das Glück dazu, nicht unschuldig in einen Auffahrunfall verwickelt zu werden.
Die Strategie war am Sonntag mit Ausnahme des ersten Rennviertels so gut wie zu vernachlässigen, denn nur dort erarbeiteten sich einige Fahrer die Führung durch unterschiedliche Reifen- und Benzinsequenzen, bevor das Rennen in einen geregelteren Betrieb überging.
Die meisten Runden führte Kyle Busch, der dabei seinen vermutlich letzten Versuch unternahm, wieder auf die Spitzengruppe in der Meisterschaft aufzuschließen. Knapp 40 Runden vor Ende wurde aber auch Busch in den Top10 zuerst Opfer einer der so zahlreichen Karambolagen und danach seiner eigenen Crew. Beim Reparaturstopp vergas der Front-Tire-Changer in der Hektik des nahenden Pace-Cars, das linke Vorderrad richtig zu fixieren, welches Kyle kurz danach unter Gelb auf der Strecke verlor. Sieben Runden Rückstand und Platz 27 lautete das Ergebnis dieses Desasters, welches Busch nun vermutlich um die letzte kleine Chance im Chase gebracht haben dürfte.
Schlimmer erwischte es nur Matt Kenseth, welcher wie erwähnt kurz hintereinander in zwei Kollisionen verwickelt war und danach bis auf Rang 31 zurückgereicht wurde. Vor dem Rennen lag er auf Platz 2 in der Meisterschaft hinter seinem Teamkollegen Carl Edwards, welchem er während der 500-Runden-Schlacht ja sogar in der Live-Punktetabelle die Führung abjagen konnte. Der riesige Positionsverlust bedeutet nun nur noch Platz 5 in den Playoffs bei 36 Punkten Rückstand.
Auch Brad Keselowski verlor in den letzten Runden noch eine Menge Ränge und Zähler, als er sich beim finalen Restart drehte. Platz 17 im Rennen bedeutet nur noch Rang 4 im Chase mit 27 Punkten Rückstand auf Carl Edwards, der sich trotz eines miesen Handlings gut durchsetzen konnte.
Obwohl es bei Carl Edwards nämlich überhaupt nicht lief, erreichte der Tabellenführer mit Platz 9 noch ein knappes Top10-Ergebnis, welches er nach eigener Aussage überhaupt nicht verdient hätte. Aufgrund des Schwächelns der unmittelbaren Konkurrenz mit Ausnahme von Tony Stewart, konnte Edwards die Spitzenposition knapp mit acht Zählern vor besagtem Rennsieger verteidigen.
Ebenfalls Punkte gewonnen hat Jimmie Johnson, der nun drei Rennen vor dem Ende der Saison seinen Rückstand um sieben Zähler auf 43 Punkte verkürzen konnte. Wenn Johnson noch die Meisterschaft gewinnen möchte, dann liegt eine ganze Menge Arbeit vor ihm. Womöglich müsste er sogar in Texas, Phoenix und Homestead gewinnen. Unmöglich ist das nicht, doch es wäre eine Wahnsinnsüberraschung. Auf Platz 3 im Chase rückte unterdessen Kevin Harvick vor, welcher nach fünf Zählern Gewinn nun 21 Punkte Abstand zu Edwards aufweist.
Mehr als die Top5 bestehend aus Carl Edwards, Tony Stewart, Kevin Harvick, Brad Keselowski und Matt Kenseth bzw. mit Abstrichen Johnson (Top6) würde ich auch nicht mehr für den Titel in Betracht ziehen. Kyle Busch hat mit 57 Punkten Rückstand schon eine Menge Holz angesammelt und müsste pro Rennen ca. 20 Punkte aufholen, was nahezu unmöglich ist. Selbst wenn der Leader einen schlechten Tag erwischt, schafft man doch meist nicht mehr Zugewinn als 10-15 Zähler.
Beim nächsten Rennen in Texas werden dann vermutlich auch die ersten rechnerischen Vorentscheidungen fallen und die ersten Piloten auch mathematisch aus der Entscheidung draußen sein. Bleibt die Punktetabelle auf einem ähnlichen Niveau, sind Edwards und Stewart die Favoriten, doch wir haben in Martinsville gesehen, wie schnell sich die Situation drehen kann. Matt Kenseth kann ein Lied davon singen!
Die gesamten offiziellen Ergebnisse können hier inklusive weiterer Statistiken noch einmal bei Jayski.com nachgeschaut werden. Zum Abschluss folgt wie gewohnt die Übersicht zu den Punkteständen bei den Fahrern und in der Owner-Wertung.
1 Kommentare
Ergänzend zu dem ausführlichen Bericht hätte ich noch was zur ESPN Übertragung gesagt. Die war nämlich wieder mal katastrophal und hat dazu geführt, dass ich mich Mitte des Rennens anderweitig beschäftigt habe. Es kann einfach nicht angehen, dass es wichtiger ist, die Autos in close-ups zu zeigen, damit auch noch der kleinste Sponsorsticker auf dem Auto erkennbar ist, um dabei die Action auf der Strecke komplett zu vernachlässigen. Martinsville ist so kurz, das man hier mit 5 Kameras das gesamte Rennen verfolgen kann, ohne was zu verpassen. Aber ESPN schafft es, mit gefühlten 50 Cams nix zu zeigen. Alle Achtung.
Comments are closed.