Am Wochenende steht mit dem Coca-Cola 600 das längste NASCAR-Rennen der Saison bevor und das ausgerechnet in der Nacht von Sonntag auf Montag. Da ist es nur gut, dass in diesem Jahr das Pfingstwochenende günstig liegt und man daher einen Urlaubstag sparen kann.
Im Gegensatz zu den anderen Rennserien und ihren Saison-Highlights geht die NASCAR an diesem Wochenende schon fast ein wenig unter, wobei das legendäre Coca-Cola 600 natürlich trotzdem nicht unbedeutend ist. Mit dem Grand Prix von Monaco bzw. vor allem dem Indianapolis 500 kann dann aber selbst die eigentlich beliebteste Rennserie Amerikas nicht mithalten, zumal Indy am Sonntagnachmittag mal eben so das größte Ein-Tages-Sportevent der Welt nach Besucherzahlen aufbietet. Damit dürfen wir uns also gleich auf einige Klassiker freuen, welche traditionell innerhalb dieser beiden Super-Wochen im Mai angesetzt sind. Was erwartet uns also aus Sicht der NASCAR, die in ihrer „Heimatstadt“ Charlotte, North Carolina das längste Rennen der Saison austrägt?
Nun zunächst einmal vermutlich wieder wenig Schlaf, da das Coca-Cola 600 ein Nachtrennen ist: Der Mai kann in den Südstaaten (und wie man hört auch am Sonntag beim Indy 500) durchaus mit anstrengender Hitze aufwarten, weshalb seit der Installation der Flutlichtanlage auf dem Charlotte Motor Speedway 1992 die Fans eine Austragung am kühleren Abend forderten. Nach einigem hin und her begann das (für gewöhnlich) fünf Stunden lange Epos seit 2001 dann immer erst gegen Mitternacht europäischer Zeit. Dabei gibt es jedoch eine Besonderheit zu beachten, denn das Coca-Cola 600 findet ausnahmsweise in der Nacht von Sonntag auf Montag statt.
Der Grund ist folgender: In den USA wird immer am letzten Montag im Mai der Memorial Day begangen, eine Art Heldengedenktag für alle im Krieg gefallenen Soldaten des Landes. Das bedeutet zum einen, dass Jeff Hammond wieder auf Panzer klettern darf und zum anderen, dass die Amerikaner am Montag natürlich einen arbeitsfreien Tag genießen dürfen. Im Normalfall müsste man sich in Deutschland also einen Urlaubstag für den Wochenstart freihalten, so wie beim Labor-Day-Rennen in Atlanta im September, wenn man denn NASCAR-verrückt genug ist. Glücklicherweise liegt das Pfingstfest in diesem Jahr extrem Motorsport-freundlich (Sorry Kirche), weshalb der Montag ohnehin für alle frei ist!
Super, Hintergründe und zeitliche Rahmenbedingungen sind geklärt, dann kann es also langsam mit den Aufwärmrunden auf dem Charlotte Motor Speedway losgehen. Die NASCAR trägt ihr längstes Rennen in der „Heimatstadt“ der meisten Teams mit ordentlich patriotischem Tamtam auf dem örtlichen 1,5-Meilen-Intermediate-Oval aus. Die Strecke mit 24 Grad Banking ist eine Zwillingsschwester des Atlanta Motor Speedway, während das dritte Familienmitglied aus Texas 1996 erst 36 Jahre später geklont wurde. Damit ist Charlotte zudem quasi der Inbegriff des Cookie-Cutters, liefert aber für gewöhnlich gute und spannende Rennen ab.
Die verhältnismäßig große Kurvenüberhöhung bietet eine Menge an zusätzlicher Downforce und ermöglicht auch ohne Progressive-Banking mehrere Linien von ganz unten bis hoch zur Mauer. Diese Art von Strecken hat man eigentlich extra für die NASCAR gebaut, weshalb sie im Open-Wheel-Sport aus Sicherheitsgründen auch mal mindestens umstritten sind.
Was wir am Wochenende erwarten können, hängt ganz von den verschiedenen Parametern wie z. B. Temperatur und Reifen ab. Ich persönlich rechne wieder mit einer Goodyear-Holzreifen-Mischung, die zwar unkaputtbar ist, dafür aber die Wagen an der Perlenschnur aufreiht und verhältnismäßig leicht fahrbar macht. Selbst im eigentlich sehr anspruchsvollen Darlington konnte man vor zwei Wochen deutlich weniger Stripes wahrnehmen als in den Jahren zuvor. Erst als es dunkel wurde, kam bei einigen Teams das Handling abhanden und es gab ein paar Ausrutscher. Wird es auch in Charlotte am Abend warm bleiben, dann könnte die Strecke später weniger Grip bieten und die Fahrer wieder stärker fordern, was eigentlich nur der logische Anspruch der Serie sein kann.
Das All-Star Rennen halte ich dagegen als Vergleich in puncto Rennaction für ungeeignet: Zwar hat das neue Format eines der besten Einladungsevents seit langer Zeit geschaffen, doch hing das tatsächlich nur an der unterschiedlichen Regelauslegung. Jimmie Johnson konnte am Ende, als quasi die gewohnte Mentalität der Schlussphase wiederhergestellt war, doch sehr schnell davonziehen. Noch kurz eine Kreuzung der Themen „All-Star-Rennen als Vergleich“ und „Heiße Temperaturen“: Die Motorschäden bei Ford waren wohl lediglich dem besonderen Alles-oder-nichts-Modus geschuldet, jedoch kann man nie wissen was passiert, wenn die Aggregate an einem heißen Sonntagabend 600 Meilen lang stark beansprucht werden.
Wenn es jedoch wieder ein zähes Rennen geben sollte, dann hilft nur die Vorfreude auf 2013. Im nächsten Jahr mengen die neuen Cup-Silhouetten hoffentlich alles ordentlich durch und die IndyCar Series zeigt ja gerade, was in so einem Fall mit der Kräfteverteilung des Feldes passiert. Passend dazu hat übrigens Toyota als letzter Hersteller (wenn man denn dieses eine Teaserbild vom neuen Chevrolet gelten lässt) sein neues Aero-Modell für das nächste Jahr vorgestellt. Ich bin schon gespannt, wie und ob NASCAR die unterschiedlichen Silhouetten im Gleichgewicht halten kann. Zumindest in der Nationwide Series hat dieser Schritt ja prächtig geklappt.
Apropos Kräfteverteilung: Wenn das All-Star Rennen wenigstens in dieser Hinsicht ein guter Indikator war, dann können wir am Wochenende wohl einen Fahrer von Hendrick Motorsports in der Victory-Lane erwarten, denn Jimmie Johnson und Dale Earnhardt Jr konnten die Karten meiner Meinung nach am besten ausspielen. Der letzte Hendrick-Sieg in Charlotte war zwar 2009, doch bei Platz 3 und 5 in der Meisterschaft darf man die beiden Piloten nie in der Rechnung vergessen. Junior konnte zudem im letzten Jahr fast das Coca-Cola 600 gewinnen, doch dann ging ihm in der letzten Runde der Sprit aus. Sein erster Erfolg seit 2008 ist momentan ohnehin nur eine Frage der Zeit.
Fraglich ist dagegen, wie sich Stewart-Haas Racing schlagen wird: Das Chase-Rennen in Charlotte aus der vergangenen Saison war eines der wenigen, welches Tony Stewart nicht für sich entscheiden konnte und auch im All-Star Rennen hat er mich nicht sonderlich überzeugt. Dazu kommen bei beiden Fahrern viele On/Off-Ergebnisse, denn entweder man landet in den Top3 oder die holprige Fahrt endet außerhalb der Top15. Das Team konnte sein unglaubliches Momentum leider nicht mit ins neue Jahr retten, auch wenn Smoke natürlich schon zwei Saisonsiege eingefahren hat und solide auf Chase-Kurs unterwegs ist. Ryan Newman muss sich dagegen deutlich mehr strecken.
Bei Roush-Fenway Racing bin ich gespannt, wie die Charlotte-Performance sich mit einer konservativeren Motoreneinstellung verändert. Matt Kenseth konnte im All-Star Rennen ein Segment gewinnen und auch das besagte letzte Chase-Rennen für sich entscheiden, was zeigt, dass der Speed wohl grundsätzlich da sein dürfte. Außerdem belegt man derzeit Platz 1 und 2 in der Meisterschaft, was ja auch für sich spricht. Der letzte Ford-Sieg vor Kenseth entstammt allerdings dem Jahr 2002 und wurde noch von Mark Martin eingefahren! Da ist es schon ein wenig verwunderlich, dass die momentan konstanteste Truppe eher für die Top5 als für die Victory-Lane gut ist. Vermutlich stehen sie daher aber auch genau an dieser Stelle der Punktewertung.
Statistisch auffällig ist in Charlotte vor allem Dodge, denn der Hersteller konnte nicht weniger als drei der letzten sechs Coca-Cola 600 für sich entscheiden, zuletzt mit Kurt Busch im Jahr 2010. Von Brad Keselowski mag man halten, was man will, doch er ist unbestritten ein sehr guter Rennfahrer. Der Wechsel aus dem Nachwuchsprogramm von Hendrick Motorsports zu Penske Racing war exakt die richtige Entscheidung und nach seinen drei Saisonsiegen 2011 ist er in diesem Jahr gemeinsam mit Denny Hamlin und Tony Stewart einer der drei Fahrer, welche schon zwei Mal in die Victory-Lane fahren konnten. Im All-Star Rennen gewann er zudem eines der ersten vier Segmente.
Das große Fragezeichen ist für mich Toyota, deren Teams erst einen Sieger in Charlotte stellen konnten und das war ausgerechnet der Rain-Out-„Erfolg“ von David Reutimann im Coca-Cola 600 von 2009. Traditionell ist nur Kyle Busch auf dieser Strecke recht stark, was viele Top5-Resultate in den letzten Jahren gezeigt haben, aber auch Joey Logano könnte in Charlotte überraschen, nachdem von ihm in dieser Saison noch nicht viel zu sehen war. Zu Michael Waltrip Racing kann man wie immer nicht viel sagen, außer dass man sie nie aus den Augen lassen darf.
Zum Abschluss folgen an dieser Stelle wie gewohnt noch die Links (PDF) zu den aktuellen Ständen in der Fahrer- und Owner-Wertung sowie die Entry-List und ein TV-Zeitplan für das Wochenende.
Sprint Cup und Nationwide Series waren am gestrigen Donnerstag schon auf dem Charlotte Motor Speedway unterwegs, während der heutige Freitag aus mir unbekannten Gründen vom Fahrbetrieb befreit bleibt. Ich meine, mich daran erinnern zu können, dass dies auch in den vergangenen Jahren der Fall war. Das Qualifying der höchsten Liga ist ebenfalls schon über die Bühne gegangen, eine Ergebnisliste werde ich später am Freitag nachreichen, denn zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels hatte das Einzelzeitfahren noch nicht stattgefunden. Bleiben also nur noch Samstag und Sonntag übrig:
Ausstrahlungsdaten
Samstag, 26.05.
16:00 Uhr, Sprint Cup Series Practice, SPEED
17:00 Uhr, Nationwide Series Qualifying, ESPN2
19:00 Uhr, Sprint Cup Series Final Practice, SPEED
20:30 Uhr, Nationwide Series Rennen (History 300), ABC
Sonntag, 27.05.
00:00 Uhr, Sprint Cup Series Rennen (Coca-Cola 600), FOX