Montreal gehört nicht nur zu den interessantes Städten der Welt, auch die Rennstrecke kann sich sehen lassen. Obwohl das Layout eher einfach ist, produziert sie Jahr für Jahr gute Rennen.
Das wird vermutlich in diesem Jahr nicht anders sein, wenn man sich den Verlauf der diesjährigen Saison anschaut. Sechs Rennen, sechs unterschiedliche Sieger und in der WM geht es so eng zu, wie schon lange nicht mehr. So langsam wird die WM auch zur Nervensache, denn jeder kleine Fehler in der Qualifikation und im Rennen kann schon das Aus in der Meisterschaft bedeuten. Jenson Button kann davon ein Lied singen. Der Sieger aus Australien hat drei mehr oder weniger miserable Wochenenden hinter sich. 43 Punkte sammelte er in den ersten drei Rennen, ganze 2 in den letzten drei. Damit kann er die WM fast schon abschreiben, es sei denn, er setzt zu einer Siegserie an. Aber McLaren macht im Moment nicht den Eindruck, als sei das Team dazu in der Lage. Aber auch bei anderen Teams gibt es Probleme.
Red Bull führt zwar die Teamwertung an, aber letzte Woche musste man einen kleinen Rückschlag hinnehmen. Die ominösen Löcher im Unterboden kurz vor den Reifen wurden von der FIA zwar nicht direkt verboten, aber die technische Kommission machte klar, dass die Dinger auch nicht dem Geist des Reglements entsprechen. Das Team spielte die Bedeutung der Löcher, die Luft zum Diffusor leiteten, herunter, aber ganz unwichtig war die Luftumleitung auch nicht. Craig Scarborough nennt in seinem erläuternden Artikel zwar keine Zahlen, spricht aber davon, dass Teile des Luftflusses um bis zu 50% verbessert wurden. Das betrifft nicht den gesamten Abtrieb, aber in einer Formel Eins, in der Tausendstel über eine Pole entscheiden können, wird es doch etwas ausmachen.
Überhaupt werden die Red Bull in Kanada vermutlich nicht ganz weit vorne sein. Es fehlt der wichtige Topspeed, auch wenn der RB8 das mit gutem Grip aus den Kurven teilweise wieder wettmacht. Aber im Grunde ist Montreal eine Strecke für Team mit gutem Topspeed und der fehlt halt. Vettel und Webber werden schauen, dass sie wichtige Punkte einsammeln.
Weit vorne auf den Wett-Listen ist Mercedes zu finden, die schon seit Wochen ankündigen, dass mit Montreal, Valencia und Silverstone gleich drei Strecken kommen, die ihnen passen sollten. Das immer noch einzigartige F/W-Duct System dürfte auf den langen Geraden einiges bringen. Zumindest in der Quali, wo man das DRS nach Belieben einsetzen kann. Im Rennen schwindet der Vorteil deutlich. Die FIA hat in diese Jahr nur eine DRS-Zone eingerichtet (Gerade vor der letzten Schikane) und die auch noch etwas verkürzt. Die letztjährige Überholorgie wird also nicht stattfinden, Mercedes wird im Rennen auch nicht besser dran sein, als andere Teams. Tatsächlich könnten die Deutschen allerdings weit vorne stehen. Das Problem mit dem Reifenverschleiss hat man wohl im Griff, der Topspeed stimmt und schnelle Kurven gibt es auch nicht. Einen Nachteil scheint der Mercedes noch beim Rausbeschleunigen zu haben, was in Montreal eventuell ein Nachteil sein könnte.
McLaren ist mir im Moment ein Rätsel. Wo ist die gute Performance hin? Warum hat man so viele Schwankungen? Ein Grund können die vielen, vielen Updates sein, die man permanent aufs Auto wirft. Neues Heck, neue Nase, neue Luftleitbleche auf den Seitenkästen – da wird viel experimentiert. Interessanterweise bringen Updates aber häufig weniger, als man sich erhofft, während andere Teams, die weniger neue Teile haben, schneller werden. Williams ist so ein Beispiel. Es hat sich schon oft gezeigt, dass weniger neue Bauteile an einem Wagen durchaus kein Nachteil sein müssen, weil die Fahrer dann den Wagen besser verstehen lernen und die Abstimmung mehr nach ihren Wünschen ausrichten. Ein mittelmäßiges Auto wird zwar auch mit einem Top-Fahrer nicht schneller, aber ein schnelles Chassis lässt sich besser ausreizen. Was die Form von McLaren in Montreal angeht: Da bin ich mir unsicher. Sie waren in Barcelona schwach, in Monaco war man auch nicht stark. Vielleicht bracht der Wagen auch niedrigere Temperaturen.
„Dark Horse“ am Wochenende sollte Lotus sein. In Monaco passte der Wagen nicht, das hatte man vorher schon verlautbart. In Montreal sieht die Sache etwas anders aus. Ich hab mir noch mal die Zeiten aus Barcelona angeschaut und gesehen, dass Räikkönen in den ersten beiden Abschnitten, sehr gut unterwegs war. Das könnte für Kanada bedeuten, dass man gut gerüstet ist. Lotus ist auch langsam fällig, was einen Sieg angeht, nachdem man ihn zweimal mehr oder weniger per Strategie verpasst hat. Aufpassen sollte man auch Romain Grosjean, auch wenn er gleichzeitig der erste Wettkandidat für „Wall of Champions“ ist.
Ferrari sehe ich in Montreal nicht so stark. Weil das Auto wenig Abtrieb generiert (zumindest bisher) muss man hohe Flügel fahren, was dem Topspeed schadet. Wie sehr das ins Gewicht fällt, konnte man in Spanien sehen. Trotz KERS und DRS kam Alonso Maldonado nicht so richtig nahe. Das sind keine guten Aussichten für Kanada, von daher sehe ich sie auf Höhe der Red Bull. Den Italienern ist schon ein Schritt nach vorne gelungen, und immerhin führt man die WM an. Aber so richtig überzeugend ist der F2012 bisher nicht gewesen.
Williams sollte die Brandschäden aus Barcelona mittlerweile ersetzt haben. Nach dem enttäuschenden Wochenende in Monaco sieht es für Montreal wieder besser aus. Der Wagen hat einen guten Topspeed und geht gut aus den engen Ecken raus. Könnte gut sein, dass sich Maldonado wieder in die Top 5 schleicht. Ein Fragezeichen gibt es aber doch in Form der Reifen. Da Pirelli wieder die Mischungen Soft/Supersoft anschleppt und der FW34 nicht gerade zimperlich mit dem Gummi umgeht, könnte Williams zu einem Kompromiss in der Abstimmung gezwungen sein.
Bei Sauber will es, trotz guter Testergebnisse, nicht so recht voran gehen. Da war in den letzten Rennen auch viel Pech bei, zum Beispiel als Grosjean in Spanien Perez den Hinterreife aufschlitzte, aber irgendwie scheint es bei Sauber nie so richtig zu passen. Entweder versemmelt einer der Piloten die Quali, oder es gibt technische Probleme, oder man wird in Unfälle verwickelt. Klar – die Startposition im Mittelfeld unterstützt das, aber eigentlich sollte der Sauber in der Lage sein, weiter vorne mitzufahren. In Sachen Topspeed war Sauber bisher jedenfalls oft Klassenprimus, daher tippe ich mal, dass mindestens ein Wagen um Platz 8 landen wird.
Force India wird Montreal nicht mögen. Der Wagen ist etwas langsam, auch wenn der Reifenverschleiss niedrig bleibt. Bei hohen Temperaturen kann das ein Vorteil sein, in Kanada soll es am Wochenende aber nur rund 25 Grad warm werden. Für Toro Rosso gilt ähnliches. Das Team hat sich leicht verbessert, kommt aber meist nur über die Strategie in Richtung Top 10.
Caterham sucht weiter Leistung. Immerhin war in Monaco recht nahe am Mittelfeld. Mit einer geradezu sensationellen Leistung konnte Kovalainen im Rennen Jenson Button hinter sich halten und sogar P13 erreichen. Damit hat man dann auch wieder den nicht unwichtigen 10. Platz in der Team-WM inne. Aber man vermisst doch die Leistungssprünge nach vorne und auf schnellen Kursen sah der Caterham bisher nicht gut aus. Der Wagen produziert zu wenig Abtrieb, soll einen nervöse Hinterachse haben und mit dem Reifenverschleiss sieht es auch nicht so doll aus.
Marussia dagegen verspricht sich vom Rennen in Montreal einiges. Die Zusammenarbeit mit McLaren läuft wohl nun besser, zu dem bringt man neuen und angeblich entscheidende Teile mit nach Kanada. Die Strecke könnte dem Wagen zu dem liegen und so kann man vielleicht eine kleine Überraschung erleben. (Obwohl ich da skeptisch bin). HRT wird wie immer das Schlusslicht bleiben.
Die Strategie wird am Wochenende mal wieder interessant sein. Wegen der kurzen An- und Abfahrzeiten in die Box lohnt es sich eigentlich nicht auf eine Ein-Stopp-Strategie zu setzen. Der Zeitverlust mit abbauenden Reifen wird zu groß sein, vor allem mit den Supersoft. Die dürften auf der Strecke nicht ganz so viel bringen, vielleicht eine halbe Sekunde, aber das reicht bei den knappen Abständen ja aus. Je nach dem, wie gut man durch die Quali kommt, sollte die Wahl auf zwei Sätze Supersoft und ein Satz Soft fallen. Hier gilt dann allerdings die Frage, wann man seine neuen Reifensätze einsetzt. Man wird mit Supersoft starten, aber dann ist die Frage, ob man einen zweiten Satz davon nimmt oder sich diesen für den Endspurt aufbewahrt um einen langen Mittelstint mit den „Soft“ zu drehen. Wie Vettel in Monaco gezeigt hat, ist das durchaus eine lohnenswerte Alternative, weil man im langen Mittelstint nach vorne gespült wird und relativ freie Fahrt hat. Liegt das Feld am Ende aber eng zusammen, bieten die Supersoft einige Runden lang eine bessere Traktion aus den engen Haarnadeln heraus.
Eine Rolle wird auch das Wetter spielen können. Für Freitag sind Gewitter angesagt, am Renntag könnte es ebenfalls Schauer geben. Das kennt man ja aus Kanada und Regen hat den Grand Prix noch immer eine besondere Note gegeben.