Die auf ein Lineup aus Profis und Amateuren ausgerichtete LMP2 stellt 2012 einen großen Teil des Feldes – und könnte auch die spannendste aller Klassen werden.
Die 24h von Le Mans werden seit jeher auf dem Circuit de la Sarthe ausgetragen, der südlich der Stadt Le Mans liegt. Nach vielen – mal größeren, mal kleineren – Änderungen am Layout beträgt die Streckenlänge aktuell 13,629 km. Immer noch führt sie zu einem guten Teil über Landstraßen, die an allen anderen Tagen dem normalen Straßenverkehr dienen, vor allem Richtung Süden, gen Tours. Zwar hat sich an der Streckenführung seit dem letzten Rennen nichts verändert, doch Stillstand herrschte seitdem gewiss nicht: der Großteil der Hunaudières-Geraden wurde neu asphaltiert, was Buckel und Spurrillen beseitigte und die Strecke somit schneller macht. Schon am Testtag sanken die Rundenzeiten der Werks-LMP1 in Richtung 3’25, in der Quali dürften beide nochmal etwas Zeit finden.
Außerdem hat Arnage, eine der langsamsten Kurven der Strecke, eine Auslaufzone samt Kiesbett bekommen, sodass wir hier seltener Einschläge in die Reifenstapel sehen werden. Gefährlich ist der Circut de la Sarthe dennoch – vor allem in den Porsche-Kurven, wo sich Guillaume Moreau bei einem Unfall schwer an den Rückenwirbeln verletzte. Selbst, wenn man hier auf weitere Auslaufzonen verzichten möchte, sollten zumindest die Streckenbegrenzungen überarbeitet werden: TecPro-Barrieren wie in der Formel 1, oder Safer Barriers als Upgrade für Betonmauern sollten dem ACO eine Überlegung wert sein.
Eine Runde mit Strakka-HPD-Pilo Jonny Kane sah am Testtag 2012 so aus:
Zurück zur LMP2…
Wie ich schon so oft geschrieben habe: das seit 2011 verfolgte LMP2-Konzept ist ein Volltreffer gewesen. Das zeigt sich allerspätestens jetzt, mit 20 in dieser Klasse gemeldeten Prototypen. Zwar sind einige davon von der Reserveliste nachgerückt, doch auch dass der ACO der LMP2 so viel Gewicht gibt, zeigt, wie wichtig die Klasse ist und wie zufrieden man mit der Entwicklung ist: die reichen Gentlemen, die Geld in die LMP2 investieren, sollen auch mit einem Le Mans-Start davon profitieren können. Vereinzelt ist man jedoch über das Ziel hinausgeschossen, doch dazu später mehr…
Anders als in der LMP1 ist die LMP2 noch mehr ein „klassisches“ Ausdauerrennen: konstante Rundenzeiten und das Vermeiden von Problemen stehen auf der Tagesordnung, vor allem für die Semi-Profis und Gentlemen Drivers, von denen laut Reglement mindestens einer in jedem Fahrertrio sein muss. Kommt man heil und mit wenigen Garagenaufenthalten durchs Rennen, sind die Chancen auf einen Podiumsplatz groß. Entsprechend groß ist auch die Zahl potentiell siegfähiger Teams und Fahrzeuge, eine Vorhersage ist daher extrem schwer.
Leider hat auf der Motorenseite – wie auch bei den Reifen, die allesamt von Dunlop kommen – die Vielfalt ein wenig gelitten: viele Teams setzen auf den Nissan-V8-Saugmotor, der sich im Vorjahr als der stärkste und zuverlässigste der zur Auswahl stehenden Aggregate erwiesen hat. So treten von den 20 Fahrzeugen allein 13 mit dem Nissan VK45DE im Heck an. Dessen Vorteil ist wohl, dass er zwar auf einem Serien-Block basiert, allerdings schon vor 2011 für den Motorsport, genauer gesagt für die Super GT, Motorsport-tauglich gemacht wurde. Entsprechend groß ist auch die Zahl potentiell siegfähiger Teams und Fahrzeuge, eine Vorhersage ist daher extrem schwer.
Die Weiterentwicklung übernahm NISMO zusammen mit der britischen Firma Zytek, die auch LMP2-Chassis herstellen. Drei Fahrzeuge, die beide Zytek-Produkte einsetzen, sind im Feld zu finden, darunter auch die Titelverteidiger von Greaves Motorsport. Die treten diesmal sogar mit zwei Wagen an, allerdings mit komplett neuen Fahrertrios: in der für die WEC gemeldeten #41 sitzen Zugel/Julian/Gonzalez; deutlich prominenter kommt die #42 daher mit Martin Brundle und seinem Sohn Alex sowie dem Playstation-Aufsteiger Lucas Ordonez, der sich gut gemacht hat. Gerade der Ex-Le Mans-Sieger Martin Brundle ist allerdings schwer einzuschätzen, da er kein ELMS- oder WEC-Rennen zur Vorbereitung bestritten hat. Alex jedoch hat in Le Castellet ein gutes Debüt abgeliefert, sodass mit diesem Wagen durchaus zu rechnen sein dürfte.
Der dritte Zytek-Nissan wird von Jota Sport eingesetzt, die nach einem erfolglosen Ausflug in die GTE mit Aston Martin wieder in die LMP2 zurückgekehrt sind und in Spa ein gutes Rennen ablieferten. Neben Teamboss Simon Dolan sind Ex-Aston Martin-Fahrer Sam Hancock und der Japaner Haruki Kurosawa an Bord, der zuletzt in der Super GT, aber auch schon fünfmal in Le Mans antrat, darunter einmal mit Jota.
Die zahlmäßig größte Fraktion stellen wieder einmal die Oreca-Nissans dar, sechs Teams setzen auf diese Kombination, darunter das Quasi-Werksteam Signatech Nissan mit zwei Fahrzeugen für Tresson/Mailleux/Lombard (WEC) und Ragues/Panciatici/Rusinov, von denen das erstgenannte Trio das stärkere sein dürfte: Mailleux fuhr in den Porsche-Kurven eine Zeit, die nur 0,4 Sekunden langsamer war als die LMP1-Toyotas und war damit achtschnellster insgesamt in dieser Sektion! Rusinov fuhr 2008 und 2009 GTs in Le Mans, Panciatici kommt frisch aus der Formel Renault und gibt sein LMP2-Debüt. Auf mehr oder weniger frische Fahrer aus Formelserien, v.a. aus dem Stall von Alan Docking selbst, setzt auch dessen Team ADR/Delta mit Martin/Charouz/Graves, die sich in ihren ersten WEC-Rennen auch erstaunlich solide schlugen und in Spa nur knapp am Sieg vorbeischrammten. Ein weiteres Oreca-Nissan-Team aus der WEC ist das nominell stark besetzte Pecom Racing, eine AF Corse-Ausgründung um Luis Perez-Companc und seine Co-Piloten Pierre Kaffer und Soheil Ayari, die allerdings bisher ihr Potential kaum einmal wirklich in Resultate umwandeln konnten.
Drei weitere Teams mit dieser Chassis-Motor-Kombination stoßen aus der ELMS hinzu, darunter die dominanten Sieger des Auftakts in Le Castellet: Thiriet by TDS Racing, um den Sohn des Geldgebers, Pierre Thiriet. Es wird spannend zu sehen sein, wie er und seine Kollegen Tinseau/Beche sich gegen die WEC-Konkurrent durchsetzen. Boutsen Ginion Racing mit Bastien Briere, dem Deutschen Jens Petersen und Ex-F1’ler Shinji Nakano ist wiederum äußerst schwer einzuschätzen, aber gehört wohl eher nicht zu den Podiums-Favoriten. Nach dem Dyson-Rückzug ins Feld nachgerückt ist Murphy Prototypes aus Irland mit dem erfahrenen Duo Hughes/Firth und dem Ex-Red Bull-Youngster Brandon Hartley, auf den man ein Augen haben sollte; das Team könnte als Dark Horse für eine Überraschung gut sein…
Letztes Nissan-Team ist Gulf Racing Middle East, das mit zwei Lola-Coupés vertreten ist. Aber: beide Wagen in die WEC und damit nach Le Mans einzuladen, war eine Fehlentscheidung des ACO. Zwar ist die #28 mit Giroix/Johannson/Badey einigermaßen gut besetzt (und dennoch trotz guten Wagens chancenlos), doch die #29 mit Ihara/Deletraz/Quick hat nichts in diesem Feld oder in der WM verloren. Vor allem der einzige Profi, Ex-F1-Pilot Jean-Deniz Deletraz, hat in Spa haarsträubende Fahrleistungen abgeliefert und teils gefährliche und dumme Fehler gemacht, dass es verständlich ist, dass das Team zuvor in Sebring sogar gebeten worden war, diesen Wagen nicht starten zu lassen. Auch am Testtag gehörten sie zu den langsamsten LMP2-Autos. Update: kurzfristig wurde Steve Quick durch Marc Rostan ersetzt, womit zumindest ein solider Piloten mit LMP-Erfahrung im Cockpit der #29 sitzen wird.
Langsam waren auch die als Lotus gemeldeten, aber von Kolles bzw. Kodewa eingesetzten Lola-Judds, von denen allerdings nur einer im Rennen vertreten sein wird: die #31 mit Th. Holzer/Schultis/Moro. Fast 13 Sekunden fehlten beim Test auf die LMP2-Spitze. Dass mit der Kombination aus Lola-Coupé und Judd-Motor viel mehr zu erreichen ist, zeigt das irische Status Grand Prix-Team mit Sims/Buurman/Iannetta, die zehn Sekunden schneller waren und nach gutem Debüt in Le Castellet durchaus eine Chance aufs Podium haben könnten. Das Antriebsaggregat aus John Judds englischer Schmiede ist wie der Nissan ein V8-Saugmotor und basiert auf dem Block, der auch im BMW M3 zu finden ist. Er scheint der Konkurrenz auch einigermaßen ebenbürtig zu sein, nachdem der ACO sich vor Spa entschieden hat, den 2011 vergebenen kleinen BoP-Vorteil wieder zurückzunehmen. Damit sind alle LMP2-Motoren wieder im Ausgangszustand.
Langsamstes Team in der LMP2 war übrigens weder Gulf Racing noch Lotus, sondern Extreme Limite, ebenfalls mit Judd-V8. Da deren Norma-Chassis ein Einzelstück ist, ist es schon erfreulich, dass es nach dem schweren Unfall in der Eau Rouge vor gut einem Monat wieder aufgebaut werden konnte. Der fehlende Speed dürfte v.a. der fehlenden Entwicklung im Vergleich zu Oreca, Lola und Co zuzuschreiben sein, entsprechend wäre eine Zielankunft für Rosier/Thrion/Haezebrouck nach DNF 2010 und Verfehlen der 70%-Marke 2011 ein großer Erfolg.
Nominell ebenfalls wenig aufregend, aber bei seinen bisherigen beiden Le Mans-Teilnahmen erstaunlich stark unterwegs, war Race Performance aus der Schweiz. Meichtry/Frey/Hirschi dürften auch in diesem Jahr wieder eine Chance haben, in ihrem Oreca-Judd an die beiden sechsten Plätze anzuknüpfen. Ob mehr drin ist, ist bei der starken Konkurrenz fraglich, aber keinesfalls unmöglich.
Zu den Anwärtern auf den Klassensieg oder zumindest aufs Podium dürfte dagegen Oak Racing mit seinen zwei weiterentwickelten Pescarolo-Chassis gehören, die mittlerweile Morgan getauft wurden. Teambesitzer Jacques Nicolet teilt sich in diesem Jahr die #24 mit Matthieu Lahaye und dem extrem schnellen Olivier Pla (der in beiden Sessions am Testtag Bestzeit fuhr), die #35 ist mit dem dänischen Programmierer David Heinemeier-Hansson, der sich in seinem ersten Jahr in der LMP2 bisher gut macht, und den belgischen Profis Bas Leinders und Maxime Martin besetzt. Interessant ist außerdem, dass die #24 wie gewohnt auf den Judd-V8 setzt, während für die #35 wenige Wochen vor dem Rennen ein Wechsel zu Nissan bekannt gegeben wurde. Oak entschied sich dazu, um auch seinen Kundenstamm über Judd-Teams hinaus zu erweitern, wie schon in der ALMS mit Conquest Racing geschehen.
Bleibt zu guter Letzt noch die Honda-Fraktion. Die ist leider geschrumpft, obwohl die HPDs mit dem V6-Turbomotor eigentlich stets siegfähige Autos waren. Allerdings stieg Strakka in die LMP1 auf, Highcroft konzentrierte sich auf den Delta Wing und RML verzichtet wegen der unattraktiven ELMS auf die gesamte Saison 2012. Übrig von den Einsatzteams der letzten Jahre blieb nur Level 5 Racing. Scott Tucker dürfte allerdings nicht mehr zu den beliebtesten Fahrern im Paddock gehören, nachdem wegen der unlauteren Kredit-Geschäfte, mit denen er sein Rennteam finanziert, nun gegen ihn ermittelt wird. Mit Tuckers Co-Piloten Bouchut/Diaz dürfte das Team allerdings wieder zu den Favoriten auf den Sieg gehören.
Deutlich sympathischer und ebenso stark ist wohl der ebenfalls amerikanische Neueinsteiger Starworks Motorsport einzuschätzen. Teambesitzer Peter Barron bringt das Trio Potolicchio/Dalziel/Kimber-Smith an den Start, wobei letzterer als Ersatz für Stephane Sarrazin nachnominiert wurde, der bei Toyota einsprang. Mit Sarrazin konnte Starworks gleich beim Debüt in Sebring siegen und auch mit Tom Kimber-Smith dürften sie gute Chancen auf eine vordere Platzierung haben, auch wenn es am Testtag nur für eine Platzierung im Mittelfeld reichte. Doch wenn ein neues Team 12h auf der Buckelpiste von Sebring schadlos übersteht, sollte das auch in Le Mans machbar sein.
Wann, wie und wo?
Das Rennen startet, wie seit einigen Jahren üblich, um 15 Uhr am Samstagnachmittag. Eurosport überträgt das komplette Rennen live, einige Stunden jedoch nicht auf dem Hauptsender, sondern auf Eurosport 2 (Pay-TV). Als Alternative gibt es noch den EurosportPlayer. Eurosport zeigt auch alle Trainings- und Qualifying-Sessions am Mittwoch- und Donnerstagabend in voller Länge live. Außerdem gibt es täglich das Magazin „24 Minuten von Le Mans“. Die genauen Zeiten sind dem Racingblog-TV-Planer zu entnehmen.
Die Kollegen haben außerdem im Forum einen Thread eröffnet, in dem noch einmal alle Zeiten und Links zu Streams, Live Timings, Radio etc. aufgeführt sind. Hier im Racingblog wird es wie schon in den letzten beiden Jahren einen durchgehenden Liveblog geben, in dem man auch die Stunden nachlesen kann, wenn man mal ein Nickerchen machen musste. Außerdem gibt es im Forum ein Tippspiel um Ruhm und Ehre!
Auf Einladung von Nissan werde ich von Freitag bis Sonntag live vor Ort sein. Ich werde – wenn alles klappt – selbstverständlich auch von der Rennstrecke twittern, allerdings (technisch bedingt) über meinen privaten Account und leider auch ohne Bilder – die gibt es dann allerdings in der Woche danach, selbstverständlich mit einem Event-Bericht. Die sportliche Analyse des Rennens wird Don übernehmen. Ihm und dem ganzen Team sei an dieser Stelle auch ein großer Dank ausgesprochen für die tolle Zusammenarbeit im ganzen Jahr und insbesondere bei den 24h von Le Mans, die zumindest für mich das Saisonhighlight darstellen. Und natürlich auch allen Lesern!
(Bilder: Nissan, WEC)
2 Kommentare
(hinweis: kleiner copy paste fehler nach dem nissan motor)
@ spookyt:
Danke für den Hinweis, ist korrigiert :)
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