Zwar sind die Gran Turismos den Prototypen in diesem Jahr zahlmäßig deutlich unterlegen, doch interessant dürfte es zwischen den vielen starken Teams allemal werden.
„Nur“ 22 GTE-Boliden werden die 80. 24 Stunden von Le Mans bestreiten, nachdem es im letzten Jahr die Hälfte des Feld war. Doch gegen die aufkommende GT3-Konkurrent ist das nach wie vor eine gute Zahl. Dass die GTE-Pro sogar um die Hälfte geschrumpft ist (von 18 auf neun Fahrzeuge), liegt vor allem daran, dass im Vorjahr einige Wagen dort statt in der GTE-Am antreten mussten, weil sie neuentwickelte Wagen waren (u.a. alle Ferrari 458). Der ACO hat vor wenigen Tagen bestätigt, dass die auf der alten GT2 basierende GTE trotz der sinkenden Zahl teilnehmender Teams die einzige GT-Klasse sein wird, die mittelfristig in Le Mans zum Einsatz kommen wird. Allerdings erkennen die Organisatoren des 24h-Rennens an, dass GT Challenge-Klassen mit GT3-Fahrzeugen in den kontinentalen Rennserien (also ELMS, ALMS sowie asiatische WEC-Rennen) notwendig sein können, um ausreichend große Felder zusammen zu bekommen; Voraussetzung ist jedoch, dass sie so eingestuft werden, dass sie langsamer als die GTE-Wagen sind.
Im Prinzip ist das begrüßenswert, da die GT2-Klasse mit einem ausführlichen technischen Regelwerk ursprünglich eine völlig andere Herangehensweise darstellte als die GT3 mit ihrer „Bring what you’ve got“-Mentalität, in die sehr unterschiedlichen Wagen dann über eine umfassende Balance of Performance auf ein Niveau gebracht werden. Im Motorsport sollte es schließlich auch darum gehen, welche Hersteller oder Tuner das schnellste Auto bauen kann. Doch leider ist seit dem Wechsel von GT2 auf GTE auch der ACO zu einer BoP-orientierten Formel mit vielen Ausnahmeregelungen übergegangen.
War bis 2010 eine feste Tabelle Kern des GT2-Reglements, die aus dem Gewicht des Fahrzeugs und dem Hubraum die Größe des Luftmengenbegrenzers herleitete, sodass jeder Hersteller von vornherein wusste, worauf er sich einließ, ist inzwischen ein einheitliches Mindestgewicht von 1245kg vorgeschrieben und „Waiver“ sind mehr die Regel als die Ausnahme. Und auch die Balance of Performance wird von ACO, FIA und IMSA häufiger eingesetzt, auch wenn es selbstverständlich nicht die Ausmaße der GT3, die kaum über technische Regeln verfügt, annimmt.
GTE-Pro
Die GTE-Pro ist, wie schon erwähnt, über den Winter leider geschrumpft: ein Einsatz in dieser Klasse ist teuer und fast nur mit Werksunterstützung möglich. Mit BMW und Lotus verzichten zwei Hersteller in diesem Jahr auf die Le Mans-Teilnahme, wobei BMW schmerzlicher vermisst wird als Lotus. Es bleiben: Ferrari, Porsche, Corvette – und ein Aston Martin. Die insgesamt ‚nur’ neun Fahrzeuge dürften jedoch für enorm viel Spektakel sorgen: für spannende Rennen ist die GT2/GTE schließlich bekannt und die Fahrer-Lineups sind fast durchweg erstklassig.
Zunächst zum Unikat der Klasse: Aston Martin Racing versucht nach de Fehlschlag des LMP1-Projekts nun endlich mit einem Werkseinsatz den Vantage V8 zum Laufen zu bringen. Seit 2008 fährt dieser Wagen nun schon in ALMS, (E)LMS und Le Mans und nur in den Händen von JMW war er einigermaßen erfolgreich. Dass Aston Martin zuvor den Großteil der Entwicklungsarbeit kleinen Privatteams wie Drayson-Barwell und JWA überließ, rächte sich, denn mit wenig Personal und kleinem Budget war diese Aufgabe kaum zu bewältigen.
Im fünften Jahr widmet sich nun also das Werksteam selbst dem Fahrzeug, das über den Winter wieder einmal weiterentwickelt wurde: vor allem an der Zuverlässigkeit und der Vereinfachung von Wartung und Reparatur wurde gearbeitet. Aber der Wagen ist auch schneller geworden – jedoch nicht ohne Hilfe von ACO und FIA, denn der Vantage darf mit 50kg geringerem Mindestgewicht, 1,4mm größerem Restriktor, 5l größerem Tank und ohne Gurney auf dem Heckflügel antreten. Zudem wurde dem Team vor Le Mans genehmigt, Modifikationen am Motor vorzunehmen, um dessen Zuverlässigkeit zu verbessern. Ob dies gelungen ist, wird sich über die 24h-Distanz zeigen, für die als Fahrer Mücke/Turner/Fernandez nominiert wurden.
Corvette Racing ist der Titelverteidiger in der Klasse. Mit der auf die nun erlaubten 2,05m verbreiterten C6 ZR1 lief es auch in diesem Jahr bislang gut: In Sebring noch von BMW geschlagen, konnten Gavin/Milner die beiden folgenden ALMS-Läufe gewinnen. Trotz der guten Ergebnisse erlaubte der ACO ihnen eine Vergrößerung des Restriktors um 1,3mm, eine etwas fragwürdige Entscheidung. Besagtes Fahrer-Duo wird in der #74 vom ebenfalls über alle Zweifel erhabenen Richard Westbrook ergänzt und dürfte zu den heißesten Sieganwärtern zu zählen sein. In der #73 werden Magnussen/Garcia durch Neuling Jordan Taylor ergänzt, der aus der Grand Am kommt und sich bislang achtbar schlug, aber am Testtag die Corvette in die Reifenstapel setzte.
Porsche ist in dieser Klasse mit zwei Wagen und vollem Werksfahrer-Ensemble unterwegs: Lieb/Lietz/Henzler greifen für Felbermayr Proton ins Volant, Bergmeister/Long/Holzer für Flying Lizard Motorsports. Beide sind – auch wenn Flying Lizard bislang in Le Mans viel Pech hatte – auf jeden Fall siegfähig, auch da der ACO ihnen ein um 35kg verringertes Mindestgewicht und einen minimal vergrößerten Luftmengenbegrenzer zugestand, während Ferrari und Corvette 15kg zuladen mussten. Mit dieser kleinen Hilfe fand gute alte 911er, der über den Winter ebenfalls verbreitert wurde und u.a. eine neue Aerodynamik und Luftführung bekam, wieder zu alter Stärke zurück, nachdem es im Vorjahr nur sehr schleppend lief.
Schuld daran ist allerdings auch, dass Ferrari mit dem F458 ein grandioses GT-Fahrzeug konstruiert hat, das in seiner GTE-Version aus dem Stand überzeugen konnte, auch wenn es zum Debütsieg in Le Mans knapp nicht reichte. Mit zwei dieser Wagen ist AF Corse wieder stark in der Klasse vertreten: Fisichella/Bruni/Vilander pilotieren die #51, Bertolini/Beretta/Cioci die #71. Noch besser klingt allerdings das Lineup von Luxury Racing mit Makowiecki/Melo/Farnbacher. Vor allem Frédéric Makowiecki gehört zurzeit (obwohl er als noch junger Fahrer ‚nur’ Gold-Status hat) wohl zu den schnellsten GT-Piloten auf der Welt, was er mit seiner Aufholjagd in Spa spektakulär unter Beweis stellte, auch wenn sein Team den Sieg am Ende knapp verpasste.
Etwas aus dem Rahmen fällt das letzte der Ferrari-Teams, JMW Motorsport, und das gleich aus mehreren Gründen. Einerseits setzen sie einen Vorjahres-F458 ein (der erst nach dem Testtag auf Wippenschaltung umgerüstet wurde) und sind das einzige GTE-Pro-Team auf Dunlop-Reifen; Dunlop ist gleichzeitig ihr Hauptsponsor und wie jedes Jahr fährt das JMW-Auto mit einer von einem Fan gestalteten Lackierung, diesmal im Wespen-Look. Darüber hinaus brauchte das Team von Jim McWhirter jedoch weitere finanzielle Unterstützung und bringt mit Roger Wills den einzigen Amateur in der Klasse an den Start. Somit wird es für seine jungen Co-Piloten Jonny Cocker und James Walker vermutlich schwierig, mit den ganz Großen mitzuhalten; aber sollte Wills konstant und fehlerfrei seine Stints abspulen können, ist mir etwas Glück ein Podium nicht unmöglich.
GTE-Am
Die GTE-Am-Klasse wurde vor zwei Jahren als Gebrauchtwagen-Klasse für kleine Teams und Gentleman Drivers erdacht und hat sich als solche in Europa und der WEC recht gut etabliert – nur die ALMS verzichtet auf eine Trennung und schreibt eine gemeinsame GT-Klasse aus. Beide Lösungen haben ihren Reiz, denn einerseits ist es schön, wenn die Amateure um ihr eigenes Podium kämpfen können, andererseits wäre eine große GT-Klasse mit um die 20 Entries für die Zuschauer noch spektakulärer, zumal die Wagen im Wesentlichen gleich sind.
Nach dem Reglement müssen in der GTE-Am GTE-Fahrzeuge eingesetzt werden, die nach ihren Spezifikationen ein Jahr alt sind. Es darf sich um brandneu aufgebaute Fahrzeuge handeln, aber sie dürfen nicht über die neuesten Entwicklungen der aktuellen Version verfügen, wie z.B. die Aero-Updates, die Porsche über den Winter gebracht hat. Dennoch mischen sich die Am-Fahrzeuge oft unter die Pros. Über die 24h-Distanz sollten sie jedoch keine Chance gegen die Vollprofi-Besatzungen haben.
Aston Martin Racing bringt in dieser Klasse einen weiteren Vantage V8. Dem Namen nach scheint es sich um einen Werkseinsatz zu handeln, doch als (werksunterstütztes) Einsatzteam fungiert Young Driver AMR aus Paderborn, die schon 2010 im letzten Jahr der GT1-Klasse mit dem alten DBR9 ein Podium erreichen konnten. Das Fahrertrio scheint ebenfalls hoffnungsvoll: Christoffer Nygaard (2010 schon dabei), Kristian Poulsen (LMP2-Sieger 2009) und Allan Simonsen (fünf LM-Teilnahmen, zwei Klassen-Podien) sind allesamt erfahrene Profis, von denen jedoch nur Simonsen im ACO-Ranking als Gold-Fahrer klassifiziert ist. Zudem hat Aston Martin eine Ausnahmegenehmigung des ACO für die Nutzung mehrere 2012er Teile für Motor und Aufhängung bekommen, die die Zuverlässigkeit verbessern sollen, die bisher Schwachpunkt des Wagens war.
Dominiert hat die GTE-Am in diesem Jahr bisher Porsche, weshalb es verwunderlich ist, dass der ACO ihnen vor den 6h von Spa das Ausladen on 25kg Ballast erlaubte und dies auch nach dem Doppelsieg dort nicht wieder zurücknahm. Vor allem IMSA Performance Matmut mit Narac/Armindo/Pons (Sieger in Le Castellet und Spa) und Felbermayr Proton mit Ried/Roda/Ruberti (Sieger in Sebring, Zweite in Spa) dürften zu den Top-Favoriten auf den Klassensieg gehören. Raymond Naracs IMSA-Team kann oder muss sich voll auf diesen Wagen konzentrieren, denn dem Pro-Porsche blieb leider eine Einladung durch den ACO verwehrt.
Doch auch das belgische Prospeed-Team mit Al Faisal/Curtis/Edwards und der Am-Wagen von Flying Lizard mit Neiman/Pilet/Pumpelly gehören zum erweiterten Favoritenkreis. Werksfahrer Patrick Pilet, der für den nicht angenommenen IMSA-Pro-Porsche gemeldet war, verdrängte dabei kurzfristig Darren Law, vermutlich auf Wunsch von Porsche. Letztes Porsche-Team im Bunde, und als einziger Wagen überhaupt auf Pirellis unterwegs, ist JWA-Avila, die bei ihrer Rückkehr nach Le Mans mit Palttala/Camathias/Daniels antreten und eher zu den Außenseitern gehören, auch wenn der Finne Markus Palttala sehr stark ist.
Zahlmäßig stärkster Gegner von Porsche ist auch in dieser Klasse Ferrari mit fünf Fahrzeugen. Neben dem AF Corse-F458 mit Perazzini/Cadei/Griffin sind drei der Ferraris stark amerikanisch geprägt: Da Michael Waltrip wegen der NASCAR verhindert ist, vertritt ihn wieder Brian Vickers im AF Corse-Waltrip-Wagen an der Seite von Aguas/Kauffman. Vickers Debüt allerdings ging grandios daneben, als er in Spa den Wagen im Training zerlegte. Stärker einzuschätzen ist Krohn Racing, auch wenn sie einziges Dunlop-bereiftes Team in der Klasse sind: in dem gewohnt giftgrünen Wagen sitzen Krohn/Jonsson/Rugolo. Luxury Racing hat zusätzlich zum deutsche Pierre Ehret die zwei US-Piloten Jeannette/Montecalvo aus der LMP Challenge-Klasse der ALMS engagiert. JMB Racing aus Monaco bringt im den Landesfarben entsprechend rot-weißen Ferrari Rodrigues/Illiano/Ferté an den Start.
Bis auf Luxury Racing sind diese Teams mittlerweile recht erfahren im Langstreckensport. Nominell scheinen die Wagen von AF Corse und Krohn am stärksten besetzt. Doch dass es in der GTE-Am auch Überraschungen auf dem Podium geben kann, bewies im Vorjahr das Ehepaar Robertson mit ihrem Ford GT. Konstanz und wenige Boxenaufenthalte sind wie in der LMP2 der Schlüssel zum Erfolg, den auch die vermeintlich Schwächeren so durchaus finden können.
Am besten gelang das im Vorjahr dem französischen Traditionsteam Larbre Competition, das in diesem Jahr gleich mit zwei Corvettes antritt und wieder zu den Siegkandidaten gezählt werden muss: Bornhauser/Canal werden in der #50 von Pedro Lamy unterstützt, der in Sebring ein gutes GT-Debütrennen fuhr, auch wenn er am Ende wegen technischer Probleme unbelohnt blieb; das rein französische Trio Belloc/Bourret/Gibon pilotiert die #70.
Wann, wie und wo?
Das Rennen startet, wie seit einigen Jahren üblich, um 15 Uhr am Samstagnachmittag. Eurosport überträgt das komplette Rennen live, einige Stunden jedoch nicht auf dem Hauptsender, sondern auf Eurosport 2 (Pay-TV). Als Alternative gibt es noch den EurosportPlayer. Eurosport zeigt auch alle Trainings- und Qualifying-Sessions am Mittwoch- und Donnerstagabend in voller Länge live. Außerdem gibt es täglich das Magazin „24 Minuten von Le Mans“. Die genauen Zeiten sind dem Racingblog-TV-Planer zu entnehmen.
Die Kollegen haben außerdem im Forum einen Thread eröffnet, in dem noch einmal alle Zeiten und Links zu Streams, Live Timings, Radio etc. aufgeführt sind. Hier im Racingblog wird es wie schon in den letzten beiden Jahren einen durchgehenden Liveblog geben, in dem man auch die Stunden nachlesen kann, wenn man mal ein Nickerchen machen musste. Außerdem gibt es im Forum ein Tippspiel um Ruhm und Ehre!
Auf Einladung von Nissan werde ich von Freitag bis Sonntag live vor Ort sein. Ich werde – wenn alles klappt – selbstverständlich auch von der Rennstrecke twittern, allerdings (technisch bedingt) über meinen privaten Account und leider auch ohne Bilder – die gibt es dann allerdings in der Woche danach, selbstverständlich mit einem Event-Bericht. Die sportliche Analyse des Rennens wird Don übernehmen. Ihm und dem ganzen Team sei an dieser Stelle auch ein großer Dank ausgesprochen für die tolle Zusammenarbeit im ganzen Jahr und insbesondere bei den 24h von Le Mans, die zumindest für mich das Saisonhighlight darstellen. Und natürlich auch allen Lesern!
(Bilder: Ferrari, Porsche, WEC)