Der Ärger über Platz zwei währte nur kurz: Will Power baute auch ohne Sieg seinen Vorsprung in der Meisterschaft aus. Am Sonntag könnte er in Baltimore schon Meister werden.
Es ist das Ergebnis, auf das die IndyCar-Verantwortlichen wohl gehofft hatten, weil es die Meisterschaft bis zum letzten Rennen spannend machen könnte: Will Powers matte Serie ist gerissen – der Australier hatte endlich wieder einmal ein gutes Rennen. Und das, obwohl er den Sieg am Ende doch an seinen Teamkollegen und Landsmann Ryan Briscoe abgeben musste. Power profitierte vor allem von Pech und Unvermögen seiner Konkurrenten: Scott Dixon wurde in der Startphase umgedreht. Seine furiose Aufholjagd endete, als er in der Box über einen Schlauch fuhr, und dafür eine Durchfahrtsstrafe kassierte. Helio Castroneves runierte sich bei einem Überholversuch seinen Frontflügel, und wurde am Ende nur Sechster. Auch Ryan-Hunter Reay wurde gegen Schluss in der neuen Haarnadelkurve umgedreht; Übeltäter war Alex Tagliani. Weil Hunter-Reay dabei seinen Motor abwürgte, kam er mit einer Runde Rückstand auf Platz 18 ins Ziel und verlor ebenfalls viele Punkte. Noch ist aber trotzdem nichts entschieden. Zwar kann sich Power schon in Baltimore zum Meister krönen, er brauchte dafür aber noch einmal Pech seiner Konkurrenten.
Das reine Glück hatte aber auch Power nicht beim Rennen auf der idyllischen, aber renovierungsbedürftigen Berg-und-Talbahn nahe der kalifornischen Pazifikküste. Denn eigentlich hätte er den Lauf gewinnen müssen: Der Meisterschaftsleader dominierte weite Strecken des Rennens, und verlor seine Führung erst in der Gelbphase nach einem schweren Unfall zwischen Sebastien Bourdais und Josef Newgarden – und wegen einer ziemlich zweifelhaften Änderung in den IndyCar-Regeln.
Weil nämlich die Rennleitung vermeiden will, dass Piloten kurz vor Ende des Rennens ohne Benzin liegen bleiben, bleibt die Boxengasse nun auch während Gelbphasen geöffnet. Mit dem Resultat, dass dadurch jene belohnt werden, die trotz Gelbphase möglichst schnell zum Tanken brettern (und dabei nicht von anderen Piloten aufgehalten werden, die ihr Tempo bereits verlangsamt haben). Besonders fair ist das nicht – und dem Sicherheitsgedanken einer Gelbphase kommt es auch nicht gerade entgegen.
Glück hatte mit der Regel in diesem Fall Ryan Briscoe, der bereits vor dem Unfall getankt hatte. Weil Power nämlich von „braven“ Piloten vor ihm auf dem Weg in die Boxen behindert wurde, konnte er nicht mit vollem Speed in Richtung Zapfsäule fahren. Briscoe dahinter hatte dagegen freie Bahn – und holte sich damit Rang eins von seinem Landsmann. Weil Power außerdem wegen eines technischen Fehlers seinen Push-to-Pass Button nicht verwenden konnte, musste es sich am Ende mit Rang zwei zufrieden geben. In den Interviews nach dem Rennen zeigte er sich dann auch im ersten Moment nicht sehr begeistert und bezeichnete die Gelbphasen-Regel ironisch als „another bright idea by INDYCAR“. Dass er Briscoe dennoch im Winner’s Circle vor laufenden Kameras herzlich gratulierte, war eine faire Geste.
Ebenfalls mit Kritik nicht gespart hat nach dem Rennen Ryan Hunter-Reay. Der Meisterschaftsanwärter wurde beim Restart Opfer eines Manövers von Alex Taliani, der den dahinter fahrenden Dario Franchitti vor der Haarnadel überholen wollte, dabei aber das Hinterrad von Hunter-Reay traf. Ein wenig sollte er sich aber auch an die eigene Nase fassen: Denn beim ungeschickten Versuch, gegen das gesamte entgegen kommene Feld den Wagen zu wenden, würgte er den Motor ab. Folge waren eine weitere Gelbphase – und eine Durchfahrtsstrafe für das als gefährlich gewertete Anfahren gegen das Feld.
Und dann gab es noch den großen „Unglück im Glück im Unglück“-Moment in Gestalt einer Kollision (Unglück #1) zwischen dem bis dahin starken Sebastien Bourdais und Josef Newgarden, die den Amerikaner frontal in eine Reifenstapel-Wand einschlagen ließ. Dass diese wohl zu dünn war, ist daran zu ermessen, dass die dahinterstehende Betonmauer beim Einschlag um einen guten Meter nach hinten verschoben wurde. Glück: Newgarden kann froh sein, nicht erst etwas später abgeflogen zu sein – wenige Meter von Unfall-Spot entfernt endet nämlich auch die dünne Reifenmauer zu Gunsten einer wackelig anmutenden (und zudem lückenhaften) Betonwand. Unglück #2: Newgarden konnte seine Hand nicht rechtzeitig vom Lenkrad nehmen, und zog sich einen ziemlich unschönen Bruch seines Fingers zu. Zumindest in Baltimore wird aus diesem Grund Bruno Junqueira statt Newgarden im Auto von Sarah Fischer Racing Platz nehmen.
Die ehemaligen F1-Piloten hatten recht unterschiedliche Wochenenden: Takuma Sato hatte nach einem schwachen Qualifying wieder einmal einen frühen Ausfall zu verzeichnen. Rubens Barrichello holte auf der ersten Strecke, die er etwas besser kannte einen starken vierte Platz – seine bisher beste Platzierung in der IndyCar Series und womöglich Ansporn, in der kommenden Saison doch eine weitere Saison dort zu bestreiten. Und Sebastien Bourdais konnte – bis zu seinem Ausfall – überhaupt mit der Spitze des Feldes mithalten. Dass er dann aber bei seinem Crash laut eigener Aussage „mein Gebtriebe im Nacken“ hatte, wird ihm dennoch die Erinnerung an das Rennen ein wenig vergällen.
In der Meisterschaft hat Power nun einen deutlichen Vorsprung von 36 Punkten vor Hunter-Reay und 41 vor Castroneves. Dixon hat bereits 54 Zähler Rückstand. Pro Rennen gibt es 53 Punkte zu gewinnen. Dixon muss also sehr wahrscheinlich vor Power landen, um in Fontana noch Meisterschaftschancen zu haben. Hunter-Reay und Castronves können auch mit einem Platz knapp hinter Power ihre Chancen noch wahren, sollen sich aber ebenfalls bemühen, vor dem Australier zu landen.
Schafft es Rundstrecken-Spezialist Power in Baltimore nicht, den Sack zuzumachen, ist in zweieinhalb Wochen bei den 500 Meilen auf dem schnellen Oval von Fontana wieder alles möglich.
Wenige Neuigkeiten gibt es zum Kalender für 2013, der eigentlich „bis Anfang September“ hätte feststehen sollen. Einzig Texas und Iowa haben in der vergangenen Woche bestätigt, dass auf den beiden Oval auch im kommenden Jahr wieder Rennen stattfinden werden. Damit haben nun elf der bestehenden Strecken plus, als bisher einzig neues Rennen, Houstons Reliant Park einen Termin für 2013 bestätigt.
Baltimore
Schon am kommenden Sonntag findet zum zweiten Mal ein IndyCar Grand Prix in Baltimore statt. Die Veranstaltung im vergangenen Jahr hat die etwas verblüffende Auszeichnung, gleichzeitig ein großer Erfolg und ein Desaster gewesen zu sein. Einer teils hastig aufgebauten, unsicher wirkenden Strecke und einem massiven finanziellen Verlust des Veranstalters stand eine Besucherzahl von 100.000 Fans gegenüber – das meistbesuchte Rennen der vergangenen Saison. Um diese Zahl in Relation zu setzen: Den Meisterschaftslauf in Edmonton verfolgten nur etwa 150.000 Zuseher vor den Fernsehgeräten.
Nach dem Konkurs des ursprüngliches Promotors musste die IndyCar über den Winter lange bangen, ob es auch 2012 wieder ein Rennen geben würde. Erst wenige Wochen vor dem geplanten Termin hat dann Michael Andrettis Veranstaltungfirma, die auch schon für Toronto und Milwaukee verantwortlich ist, auch diesen Grand Prix übernommen.
Die Strecke wurde gegenüber 2011 an drei Stellen leicht verändert. Kurve eins nach Start und Ziel wurde verbreitert, und sollte nun mehr Überholmanöver zulassen. Die Schikane auf der Gegengerade, Höhe Boxeneinfahrt, die im vergangenen Jahr wegen eines möglichen spitzen Einschlagwinkels ziemlich gefährlich war, wurde angeblich entschärft. Und die Straßenbahngleise bei Start und Ziel wurden mit einer Asphaltschicht bedeckt – eine improvisierte Schikane ist an dieser Stelle heuer also nicht mehr nötig.
Eine kleine Änderung gibt es auch gegenüber den Rennen in Mid-Ohio und Sonoma: Die IndyCar hat die sehr umstrittene (aber zumindest in Mid-Ohio auch ziemlich erfolgreiche) Verzögerung beim Einsetzen des Push-to-Pass Effektes wieder abgeschafft.
Ansonsten bleibt ganz einfach abzuwarten, ob auf der ziemlichen eckigen Bahn mit dem neuen Auto ein spannenderes Rennen zu Stande kommt als es 2011 zu sehen war.
Im TV
Auf NBC Sports, die auch dieses Rennen wieder übertragen, gibt es diesmal zwei IndyCar-Termine.
In der Nacht von Samstag auf Sonntag (0:00 Uhr) läuft dort eine Wiederholung des Qualifyings.
Am Sonntag beginnt die umfangreiche Berichterstattung mit einer Folge von „Indycar 36“ (18:00 Uhr), die diesmal Will Power einen Tag lang begleitet hat. Danach folgt live das Rennen des IndyLights (18:30 Uhr). Von 20:00 bis 23:00 Uhr wird schließlich der IndyCar Lauf übertragen. Die grüne Flagge fällt nach Invocation und US-Hymne wohl gegen 20:30 Uhr.