Der Sprint Cup hielt auf den letzten Metern vor dem Chase noch mal einen anstrengenden Marathon bereit. Nach Regenfällen konnte erst spät am Abend überhaupt ein Rennen gefahren werden und dieses musste dann wegen weiterer Niederschläge noch zwei Mal mehr oder weniger lange unterbrochen werden. Dies führte jedoch zu einer spannenden Schlussphase.
Als hätte nicht schon genug Anspannung in der Luft sowie den acht Wildcard-/Playoff-Kandidaten gelegen, verlor ausgerechnet das Wetter eine Stunde vor dem angedachten Rennstart die Nerven und es begann, in Richmond zu regnen. Es war meiner Meinung nach nicht so richtig sicher, wie viel an Renndistanz absolviert oder ob überhaupt gefahren werden konnte. Der TV-Propaganda darf man da meistens kaum Glauben schenken, denn die Fernsehsender wollen natürlich ihre Zuschauer halten, um die Werbekunden zufrieden zu stellen. Mit knapp zwei Stunden Verspätung konnte das Rennen um 21:39 Uhr Ortszeit (03:39 Uhr MESZ) aber schließlich doch angegangen werden, wenn auch zunächst nur unter Gelb, weil die Strecke noch nicht gänzlich trocken war. Bis zum nächsten Regenschauer schien es allerdings nur eine Frage der Zeit zu sein.
In Runde 7 konnte das Feld schließlich unter Renngeschwindigkeit auf die Reise zum Chase geschickt werden. Nach weiteren 40 Umläufen hatte die NASCAR zudem eine Competition-Caution vorgesehen, um den Teams eine Kontrolle ihres Reifenverschleißes auf der grünen Strecke zu ermöglichen. Bis dahin tat sich erst einmal nicht viel, vorne hielt sich der etwas überraschende Polesitter Dale Earnhardt Jr tapfer vor Denny Hamlin und Clint Bowyer. Boxenstopps und eine direkte zweite Gelbphase nach einem Dreher von David Ragan brachten ebenfalls keine Veränderung an der Reihenfolge.
Der folgende Green-Flag-Run ging über 82 Runden, in denen man immerhin etwas Renndistanz abspulen konnte, während alle Teams und auch die NASCAR-Offiziellen immer mit einem Auge auf das Regenradar schielten. Unterdessen tauschten Dale Earnhardt Jr und Denny Hamlin an der Spitze mehrmals munter die Führung untereinander, bis sich die #11 schließlich einen Vorsprung von etwas mehr als einer Sekunde herausfahren konnte. Hinter dem Duo folgten weiterhin Clint Bowyer, Jimmie Johnson sowie Martin Truex Jr, während Hamlin vorne die anderen Konkurrenten reihenweise überrundete.
Besonders hart erwischte es den Wildcard-Kandidaten Jeff Gordon, bei dem nichts zusammenlief: Die Öltemperatur seiner #24 erreichte zunächst eine Marke von 300 °F, dann kamen auch noch Brems- und Handling-Probleme dazu. Zu allem Überfluss wurde Gordon in Runde 129 schließlich ebenfalls überrundet. Da bot sich natürlich eine willkommene Gelegenheit zum Überdenken der Taktik, als es neun Umläufe später erneut zu regnen begann und die NASCAR das Rennen mit der roten Flagge unterbrechen musste.
Wieder verging eine knappe Stunde, in denen sich die Jet-Dryer der Strecke annahmen und um kurz vor Mitternacht Ortszeit (ca. 6 Uhr MESZ) endlich der Restart erfolgen konnte. Wahrscheinlich waren viele europäische Augen zu diesem Zeitpunkt schon endgültig zugefallen.
Als erster Sieg-Anwärter verabschiedete sich nun Dale Earnhardt Jr recht schnell nach dem Fallen der grünen Flagge aus der Spitzengruppe. Welche Veränderungen sein Crew-Chief auch immer kurz vor der Unterbrechung am Auto vornehmen ließ, sie machten sich jedenfalls überhaupt nicht bezahlt. Wie es sich aber in dieser guten Saison 2012 für Junior gehört, verlor er wenigstens nicht den Anschluss an die Top10 und fuhr am Ende immerhin einen 14. Platz nach Hause. Dass es nicht für ein besseres Ergebnis reichte, war letztendlich auch der taktischen Entscheidung während der finalen Gelbphase geschuldet, aber dazu später mehr.
Zwischenzeitlich ging die – bis auf Junior – unveränderte Spitzengruppe kurz nach Rennhalbzeit zu einer Serie von Green-Flag-Pitstops über, an deren Ende ausgerechnet Clint Bowyer eine Caution auslöste, weil er unglücklich mit Juan Pablo Montoya aneinander geriet. Bis dahin fuhr Bowyer ein absolut souveränes Rennen und es wirkte zunächst wie das typische Michael-Waltrip-Racing-Pech, wenn doch mal ein Sieg in greifbarer Nähe ist. Später sollte sich dies allerdings noch relativieren, wie das Artikelbild weiter oben sicherlich schon verraten hat.
Der nächste Green-Flag-Run kam auf insgesamt 36 Runden, in denen viel Bewegung im Feld zu beobachten war – immerhin ging es für einige Fahrer jetzt darum, sich für das Finale und möglicherweise auch für den Chase zu positionieren. Denny Hamlin konnte zwar kurzzeitig von Martin Truex Jr in Bedrängnis gebracht werden, schob sich aber schnell wieder an die Spitze vor. Dahinter drehte unterdessen Jimmie Johnson auf, der durch die Gelbphase inmitten der Boxenstopps unter grüner Flagge etwas den Anschluss an die Top5 verloren hatte. Auch Kasey Kahne zeigte sich in Richmond von seiner besten Seite, um vielleicht doch noch die Top10 der Meisterschaft zu knacken und die Bonuspunkte für seine zwei Saisonsiege in Anspruch zu nehmen.
Dann gab in Runde 276 jedoch vor allem der Regen wieder Vollgas, während sich eine Top5 in Form von Denny Hamlin, Kasey Kahne, Martin Truex Jr, Kevin Harvick und Jimmie Johnson zementierte. Bis zu diesem Zeitpunkt sah prinzipiell alles nach einem Sieg von Hamlin aus, doch diese schon erwähnte finale Gelbphase brachte nun die Chef-Strategen kräftig ins Rotieren. Bei noch gut 120 zu absolvierenden Umläufen erschien ein Benzinpoker ziemlich riskant, da man bisher nur einen echten Fuelrun als Vergleichsmöglichkeit besaß. Dieser wurde dazu noch durch die rote Flagge unterbrochen und drückte das Spritfenster lediglich auf knappe 100 Runden nach oben.
Bei Joe Gibbs Racing spekulierte man unterdessen auf einen Rennabbruch und ließ sowohl Denny Hamlin als auch Wildcard-Anwärter Kyle Busch unter Gelb draußen. Die Top7 entschloss sich, dem Beispiel des Führenden zu folgen und verzichtete ebenfalls auf einen Boxenstopp, während dahinter unter anderem Clint Bowyer, Greg Biffle, Tony Stewart, Ryan Newman, Mark Martin sowie Matt Kenseth ihrer Crew einen Besuch abstatteten. Ganz viel Glück hatte wie aus heiterem Himmel Jeff Gordon, welcher den Lucky-Dog nutzen konnte, um wieder in die Führungsrunde zu gelangen, nachdem das Rennen für ihn zuvor wie erwähnt eher nicht so toll gelaufen war.
Schon wenige Runden später wurde klar, dass doch kein Abbruch ins Haus stand, weshalb für die Teams an der Spitze direkt die nächste Entscheidung ins Haus stand: Sofort an die Box fahren und nachtanken, aber riskieren, dass man in den letzten Runden ohne Benzin ausrollt? Wenn man dann noch einmal kommen müsste, würde man unter Grün sehr viel Track-Position verlieren. Die zweite und im Nachhinein richtige Option für die zunächst draußen gebliebenen Piloten war es, erstmal auf einen Pitstop zu verzichten und den noch halbvollen Tank leer zu fahren. Dann wäre man mit dem Verbrauch bis zur karierten Flagge immer sicher im Benzinfenster, auch im Falle einer potenziellen Verlängerung.
Bei Denny Hamlin (18.) und Dale Earnhardt Jr (14.) wählte man Option 1, verlor die Track-Position und musste schließlich unter Grün noch einmal kommen, nur um weitere Platzierungen aufzugeben. Mehr als die zweite Hälfte der Top20 war für den eigentlich sicheren Sieger Hamlin dann nicht mehr drin.
Bei Kyle Busch (16.) versuchte man Option 2, doch für ihn funktionierte das im Anschluss überhaupt nicht: Auf seinen alten Reifen kam er im Gegensatz zur Konkurrenz gar nicht zurecht und verlor viele Positionen. Besonders bitter war das natürlich für seinen Kampf um die Wildcards, in welchem er bis zu dieser verhängnisvollen Gelbphase zunächst locker vor Jeff Gordon cruiste. Dann drehte sich das Blatt aber komplett, so dass plötzlich die #24 vorne war. Buschs Laune war dementsprechend am Ende und man kann nur froh sein, dass er im Anschluss an die Unflätigkeiten per Boxenfunk dann nach dem Rennen wenigstens vernünftig mit den Reportern sprechen konnte.
Alle Fahrer, welche direkt zu Beginn der Caution getankt hatten, verfügten jetzt über die besten Karten beim Restart, da sie zwar noch einmal kommen mussten, aber wenigstens die notwendige Track-Position besaßen. Im nun folgenden letzten, über 100 Runden langen Green-Flag-Run dünnte sich die Spitze im Verlauf dann mehr oder weniger aus, weil immer mehr Piloten die Boxengasse aufsuchten. Aus dem Wirrwarr tauchten allerdings plötzlich Clint Bowyer und Denny Hamlin auf, welche tatsächlich versuchten, die Direkteinspritzung zu überlisten. Kurioserweise gelang es nur Bowyer, welcher zudem während der letzten Caution noch vier Runden früher als Hamlin zum Tanken kam.
Clint Bowyer gelang damit ein wahnsinniges Kunststück und zudem bereits sein zweiter Saisonsieg nach Sonoma, was dank drei weiterer Bonuspunkte jetzt eine bessere Ausgangsposition in der Playoff-Setzliste bedeutet. Gratulation somit an Bowyer, welcher endlich mal die Früchte einfahren kann, die Michael Waltrip Racing vor und während des aktuellen Jahres gesät hat.
Platz 2 und auch die zweite Wildcard sicherte sich – nach dem Rennbeginn überraschend – Jeff Gordon, welcher damit Kyle Busch aus der Titelentscheidung ausgesperrt hat. Gordons Auto ging im letzten Green-Flag-Run plötzlich wie die Hölle und konnte so die meisten Verfolger hinter sich lassen.
Die Top5 komplettierten die unauffälligen Piloten Mark Martin, Tony Stewart sowie Matt Kenseth. In den Top10 befanden sich nach Abschluss des Rennens ein ungewöhnlich starker Jeff Burton vor Brad Keselowski, Ryan Newman, Greg Biffle und Kevin Harvick. Newman war nach Gordon der zweitbeste Wildcard-Anwärter, hätte aber einen Sieg gebraucht, wofür die #39 allerdings nicht stark genug unterwegs war.
Weitere Ergebnisse:
– Sam Hornish Jr zeigte auf Platz 11 wieder ein persönlich gutes Ergebnis und deutete damit erneut an, wie viel er in der Nationwide Series nach seinem früheren bzw. zu frühen Cup-Abenteuer schon dazugelernt hat. Schade, dass er 2013 wohl keinen Cup-Ride bekommen wird, da es mit neuen Sponsoren ja momentan immer noch sehr schlecht aussieht.
– Kasey Kahne sicherte sich die erste Wildcard mit einem soliden 12. Platz und zwei Saisonsiegen.
– Mich hat überrascht, dass Martin Truex Jr (21.) nicht mal mehr die Top20 knacken konnte, nachdem er beim letzten Restart noch auf Platz 2 zu finden war. Vermutlich waren es ähnlich wie bei Kyle Busch auch die alten Reifen, während der Rest von Michael Waltrip Racing ja noch neue Gummis aufziehen ließ.
– Neben Kyle Busch waren auch Marcos Ambrose (15.), Carl Edwards (17.), Paul Menard (23.) und Joey Logano (30.) nur unter ferner zu finden. Die Chase-Ausgabe 2012 findet damit also ohne diese fünf Piloten sowie den bereits genannten Ryan Newman statt, während Hendrick Motorsports als einziges Team vier Fahrer in die Playoffs bekommen hat. Da hätte jetzt aber auch eh keine andere Mannschaft mithalten können, weil die Truppe von Rick Hendrick ohnehin die letzte ist, welche noch vier Wagen im Vollzeitbetrieb einsetzt! Sehr bezeichnend irgendwie…
Die gesamten offiziellen Ergebnisse können hier inklusive weiterer Statistiken noch einmal bei Jayski.com nachgeschaut werden. Zum Abschluss folgt wie gewohnt die Übersicht zu den Punkteständen bei den Fahrern und in der Owner-Wertung (Achtung: Alles PDF-Dateien!). Aus aktuellem Anlass habe ich auch die endgültige Chase-Setzliste (PDF) verlinkt.
2 Kommentare
Das Gordon noch den Chase geschafft hat, ist für mich die Sensation des Jahres. Wenn man seine ganze Saison nimmt, kann man sich nur wundern. Sehe aber nicht, dass er im Chase was mit der Titelvergabe zu tun hat. Aber schwer zu sagen, wer da Favorit sein wird. Halte eine Überraschung durch Keselowski oder jemand anderen nicht für unwahrscheinlich.
Also erst einmal will ich den Schreibern des Racingblog’s ein großes Danke für die wirklich guten Berichte hier lassen.
Ich hoffe für alle NASCAR Fans in unseren Landen, dass es genauso auch in der Zukunft weitergeht. Fachwissen gepaart mit Leidenschaft, das einzig wahre Rezept, was ihr hier immer wieder beweist.
Zum kommenden Chase, da wünsche ich mir am besten soviel Spannung wie im letzten Jahr, mit vielleicht ein paar mehr Anwärtern auf den Titel. Die Vorzeichen sind gut, ich denke es sind ein paar ganz heiße Eisen im Feuer. Ein fast die ganze Saison bärenstarker Johnson, wie auch Biffle eigentlich immer dabei ist. Achten sollte man aber definitiv auch auf Hamlin, der ja die letzten Wochen die Farben angesagt hat. Keselowski, auch lange schon kein Geheimtip mehr, Dodge wird sich zum Abschied bestimmt nicht lumpen lassen.
Zu guter Letzt wird hoffentlich aber auch Titelverteidiger Stewart eine gewichtige Rolle im diesjährigen Chase spielen….oh die Vorfreude ist groß!!!
Gruß an Euch hier und einen spannenden Chase!
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