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IndyCar: Hunter-Reay zittert sich zum Titel

von Vorsicht
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Ein mehr als dreistündiges Rennen ohne eine Sekunde der Langeweile beendete ein sportlich überragende Saison 2012. Ein Meister mit US-Pass könnte 2013 auch kommerziell helfen.

(c) INDYCAR/LAT USA

Was für ein Jahr für die IndyCars – und was für ein Finish! Die Einführung des neuen Autos, mehrerer Motorenhersteller und einer neuen Fahrweise und Abstimmung auf Ovalen – all das hat prima funktioniert. Wer noch Restzweifel darüber hatte, ob die „neue Formel“ der IndyCars auch auf Ovalen funktioniert, wurde in der Nacht auf Sonntag eines Besseren belehrt. Nicht zuletzt wegen der spannenden Tabellensituation gab es in einem Rennen, das immerhin über 500 Meilen ging, kaum einen Moment der Fadesse. Am Ende hat Ryan Hunter-Reay die Meisterschaft geholt – angesichts dessen, dass er in dieser Saison die meisten Siege geholt hat (und sowohl auf Rundkursen als auch Ovalen gewann) sicher verdient. Will Power erwies sich in der Stunde der Niederlage geradezu als Musterknabe des fairen Verlierens. Es bleibt ihm zu wünschen, dass auch er noch einmal die Chance auf den Titel bekommt. Das ist die positive Seite. Streitigkeiten um die Leitung der Rennserie, die unendliche Geschichte des Kalenders und der Aero-Kits für 2013, die Absage des Rennens in Tsingtao, das Abschneiden von Lotus und die verheerenden TV-Quoten sind die Kehrseite dieser Saison. 

Doch zuerst zum Rennen in Fontana: Das hat einmal mehr bewiesen, dass die Versuche der IndyCar-Verantwortlichen, das Racing auf Ovalen sicherer zu machen, funktionieren. Die Vorgaben im Bereich der Aerodynamik verhinderten das gefürchtete Pack-Racing, und führten zudem dazu, dass die Fahrer in der Kurven vom Gas mussten – ein bedeutender Vorteile für jene, die neben dem Vollgas-Fuß auch noch ein wenig Gefühl dafür haben, diesen im richtigen Moment zu heben. Die reduzierte Aerodynamik mag zwar zu einigen Drehern geführt haben. Diese endeten allerdings in der Regel in einem ziemlich stumpfen, daher weniger gefährlichen Winkel in der Mauer. Auch die im Vorfeld der Saison viel geschmähten Kotflügel verrichteten ihren Zweck – und vermieden zumindest einen schweren Crash zwischen Scott Dixon und Helio Castroneves, die, vermutlich von der untergehenden Sonne geblendet, leicht miteinander kollidierten (und ohne Schäden weiterfuhren).

Das Rennen gewann schließlich jener Pilot, dessen Team in Texas (vermutlich auch politischen Gründen) noch am meisten gegen das neue Reglement gewettert hatte. Ed Carpenter schnappte sich in einem packenden Finish den ersten Platz, nachdem er schon den ganzen Tag lang an der Spitze mitgehalten hatte. Ein großer Erfolg nicht nur für den Ovalspezialisten aus Indianapolis, sondern auch für das von ihm geführte Team. Offenbar wusste man, dass die Strecke in Kalifornien der eigenen Abstimmung und dem Fahrer entgegenkommt, und hat in den vergangenen Wochen schon alles in die Waagschale geworfen, und sich auf das Finale konzentriert. Dass die beste Saisonplatzierung außerhalb dieses Rennens zwei achte Ränge waren, zeigt die Bedeutung des Erfolges für Fahrer und Team.

Ein prima Rennen erwischten auch ein zwei weitere Piloten, der sich mittlerweile immer mehr zu Ovalspezialisten mausern: Alex Tagliani und Takuma Sato hielten auch in Fontana in der Spitzengruppe mit. Wenn auch leider nur bis ein paar Runden vor Schluss: Tagliani musste – in einem Moment, der vielleicht Hunter-Reays Titel gerettet hat – sein Auto mit Motorschaden abstellen. Takuma Sato dagegen vervollständigte sein saisonlanges Gesamtkunstwerk mit dem Titel „knapp danaben“ – wieder einmal in der letzten Runde mit einem Ausflug in die Mauer. Dennoch eine hoffnungsfrohe Saison für den Japaner, der im neuen Auto zumindest eine Menge Speed gezeigt hat.

Besonders beeindruckend auch die Leistung von Rubens Barrichello bei seinem allerersten Antritt auf einem der „großen“ Ovale. Der Brasilianer legte eine fehlerfreie Fahrt in der Spitzengruppe hin – bis er kurz vor Halbzeit mit einem Motorschaden (diesmal mit einem echten) das Rennen beenden musste. Barrichello hat sich in seiner ersten Saison als Bereicherung erwiesen. Im kommenden Jahr wird er dann wohl in einem der Teams mit Honda-Power an den Start gehen. Schade, dass er dafür KV Racing und seinen Teamkollegen Tony Kanaan verlassen muss.

Überhaupt ist es eine der großen Freuden der neuen Saison: Der Abstand zwischen dem ehemaligen Todesstern aus Penske und Ganassi und den kleineren Teams hat sich verkleinert, auf manchen Strecken sogar ins Gegenteil verkehrt. Mit Andretti Racing ist eine dritte Kraft im Kampf um Siege und Meisterschaften zurück im Rennen. Und auch Teams vom Schlage eines Dale Coyne oder Ed Carpenter Racing konnten in dieser Saison gewinnen. Sogar Sarah Fishers Mini-Team mit dem unerfahrenen Josef Newgarden war einige Male in der Führungsgruppe anzutreffen.

Und dann gab es noch eine erfreuliche Story in dieser Saison: Das dauernde Diskutieren um kuriose Entscheidungen der Rennleitung hatte endlich ein Ende. Der neue Rennleiter Beaux Barfield blieb zwar ebenfalls nicht fehlerfrei (Scott Dixons Bestrafung für den vermeintlichen Frühstart in Milwaukee und die mangelnde Disziplin bei den Restarts sind wohl die wichtigsten Beispiele) – er scheint aber immerhin den Respekt der Fahrer und Teamchefs zu besitzen, den sein Vorgänger Brian Barnhart zu Ende seiner Karriere völllig verspielt hatte. Barfield hatte dabei allerdings auch eine Menge Glück.

Das war auch in Fontana spürbar. Denn seine Entscheidung, statt einer langen Gelbphase zehn Runden vor Schluss die rote Flagge zu werfen, hätte leicht zu einem riesigen Politikum werden können.

Ryan Hunter-Reay wäre mit einer Entscheidung zu einer gelben Flagge wohl schon ziemlich sicher Meister gewesen, da die Zeit für einem Restart nicht mehr gereicht hätte. So hingegen stand er vor dem Risiko in den letzten zehn Runden doch noch überholt zu werden – oder überhaupt aus dem Rennen zu crashen. Auch sein Teamchef Michael Andretti war mit der Entscheidung alles andere als zufrieden, und gab das auch in einem TV-Interview zu verstehen, in dem er Barfield beschuldigte, während dem Rennen die Regeln geändert zu haben. Wie sich später herausstellte, war der Vorwurf haltlos – Barfield hatte nämlich schon vor dem Rennen angekündigt, bei einer gelben Flagge kurz vor Schluss das Rennen zu unterbrechen, und den Fans ein Finish unter grün bieten zu wollen. Die Entscheidung war also nicht parteiisch motiviert, sondern hätte klar nachvollziehbar in jedem Fall gegolten.

Allerdings: Hätte Hinter-Reay den Titel noch verloren, wäre ein Meisterschaftssieg Will Powers ganz sicher in heftigen Diskussionen um die rote Flagge untergegangen – und die Serie wäre wieder in ihrer unrühmlichen Tradition geendet, guten Sport mit egozentrischen Streitereien zu überdecken.

Der Meister

So aber durfte die Serie in Fontana gleich doppelt jubeln: Über den ersten amerikanischen Meister seit einem halben Jahrzeht. Und über einen tollen Verlierer, der in Interviews nach seinem Unfall und nach dem Finish sportliche Größe bewies.

Hunter-Reay hat den Titel am Ende verdient gewonnen: Kein anderer Fahrer hat es 2012 geschafft, Rennen sowohl auf Ovalen als auch auf Rundstrecken für sich zu entscheiden. Der Vergleich mit den jeweiligen Teamkollegen zeigt auch, dass Hunter-Reay wohl in einigen Fällen in einem etwas schwächeren Auto saß als seine Konkurrenten – umso höher ist die Leistung zu bewerten. Ein amerikanischer Sieger ist für die IndyCars in der aktuellen Situation sicher ein großer Vorteil: Hunter-Reay sollte sich mit Blick auf die kommenden Saison deutlich besser vermarkten lassen als der Australier Will Power oder gar der schweigsame Neuseeländer Scott Dixon.

Dennoch: Will Power hat mit seinem ehrlichen und selbstkritischen Interviews nach dem Rennen sicher neue Fans gewonnen. Man muss dennoch sagen, dass er den Verlust des Titels einmal mehr nur sich selbst zuzuschreiben hat. Vielleicht würde es ihm doch gut tun, sich einmal von einem Mentaltrainer – wie er in anderen Sportarten gang und gäbe ist – von seinen zweifellos vorhandenen fahrerischen Fähigkeiten überzeugen zu lassen. Seine aktuellen Motivationsmethoden, über die er mit dem großartigen Speed-Journalisten Marshall Pruett ganz offen gesprochen hat, scheinen doch etwas diskussionswürdig.

Die Übertragung

Einen besonderen Absatz verdient sich zum Saisonabschluss auch noch einmal die Übertragung von NBC Sports. Nicht nur, weil sie einmal mehr um Längen besser war als es das viel größere ESPN in dieser Saison zu Stande gebracht hat. Sondern auch deswegen, weil es das letzte Rennen des langjährigen NASCAR und IndyCar-Kommentators Bob Jenkins war, der nun in Pension geht, um sich besser um seine krebskranke Frau kümmern zu können. Im Vorspann zum Rennen hat ihm der Sender ein sechsminütiges Tribute gebastelt, das ich allen Lesern sehr ans Herz legen will. Der eifrige Twitter-Schreiber @indy44 (der übrigens selbst auch eine große Follow-Empfehlung ist) hat es hier auf YouTube zur Verfügung gestellt.

Die Baustellen für 2013

Trotz der zahlreichen Fortschritte bleibt für die IndyCar Series noch viel zu tun. Ein kurzer Blick auf jene Dinge, die uns in den kommenden Monaten beschäftigen werden:

– An erster Stelle stehen wohl noch immer die katastrophalen Einschaltquoten der Serie. Zwar gab es zu Beginn der Saison eine leichte Verbesserung gegenüber dem Vorjahr – zum Ende des Jahres veröffentlichten allerdings weder Sender noch INDYCAR aktuelle Zahlen. Ein deutlicher Indikator dafür, dass man wohl etwas hinter den Erwartungen liegt. Die Situation der IndyCar Series gibt leider wenig Hoffnung auf baldige Besserung. NBC Sports, an die man noch einige Jahre lang vertraglich gebunden ist, sind zwar nun in deutlich mehr Haushalten zu empfangen als zu jenen Zeiten, in denen der Sender noch „Versus“ hieß. In bessere Einschaltquoten ließ sich diese Tatsache bisher allerdings nich ummünzen. Für die finanziell klammen Teams wäre eine baldige Verbesserung allerdings im wahrsten Sinn des Worts überlebenswichtig.

– Das Transferkarussel. Es scheint sich in dieser Saison etwas schneller zu drehen als sonst. Bekannt ist bisher, dass Will Power und Helio Castroneves wohl bei Penske bleiben, und Franchitti und Dixon bei Ganassi. Auch Andretti Autosport hält an der aktuellen Fahrerpaarung fest.
-Penskes dritter Pilot, Ryan Briscoe, ist dagegen wohl auf der Suche nach einem neuen Arbeitgeber – wer ihn ersetzen könnte, ist noch völlig unklar, seitdem Ryan Hunter-Reay in Fontana ein dahingehendes Angebot ausgeschlagen hat.
– Bei Ganassis B-Team wird es ebenfalls eine Änderung geben: Graham Rahal verlässt das Team, aller Wahrscheinlichkeit in Richtung des Rennstalls seines Vaters. Charlie Kimball und Sponsor bleiben Ganassi dagegen erhalten, so dass sich die Frage stellt, ob man einen vierten Piloten findet, oder das B-Team besser schließt, und mit dem A-Team drei Autos einsetzt.
– Rubens Barrichello wird KV-Racing verlassen, und wohl bei einem Honda-Team Unterschlupf finden. Bei welchem ist zur Stunde unbekannt.
– Gleiches gilt für Takuma Sato und Rahal-Letterman Racing.
– Sebastien Bourdais wird wahrscheinlich ein weiteres Jahr für Dragon Racing fahren.
– Und der Oval-Pensionist Mike Conway könnte Spekulationen zufolge auf den Rundkursen das Auto von Ed Carpenter übernehmen.
– Etwas still ist es dagegen um die Gerüchte geworden, das Coloni-Team könnte in der kommenden Saison mit Giorgio Pantano in der IndyCar-Series an den Start gehen.

– Die leidige Politik. Noch immer scheint es hinter dem Kulissen Bestrebungen einiger Teamchefs zu geben, CEO Randy Bernard abzulösen, und ein Management unter Leitung der Teams einzuführen. Roger Penske und Chip Ganassi haben sich in der vergangenen Woche recht deutlich dagegen ausgesprochen – vor allem letzterer mit durchaus harschen Worten. Weil aber auch diese beiden Herren meistens irgendeine Agenda verfolgen, die nicht exklusiv dem Wohl der Serie dient, wird das Thema auch in den kommenden Monaten aktuell bleiben.

– Zum Beispiel dann, wenn endlich der ursprünglich „für Ende August“, dann „vor dem Rennen in Fontana“, und nun für Ende September angekündigte Kalender für 2013 feststeht. Randy Bernard möchte aus Marketing-Gründen im kommenden Jahr unbedingt 19 Rennen fahren. Weil es aber nicht genügend interessierte Strecken gibt, überlegt man nun, manchmal Double Header am Samstag und Sonntag zu fahren. Fix ist als neue Strecke bisher lediglich der Reliant Park in Houston, wo schon die Champ Car früher unterwegs war. Gerüchte gibt es außerdem über Michigan, Pocono und einen Straßenkurs in Providence, Rhode Island.

Schließlich möchte ich mich in einer kurzen persönlichen Note für das Interesse an der Berichterstattung in diesem Jahr bedanken. Ich wünsche eine schöne IndyCar-freie Zeit! Gegen Ende des Jahres wird es wie immer einen „richtigen“ Saisonrückblick geben, in dem dann hoffentlich auch schon die eine oder andere Antwort auf diese Fragen bekannt ist.

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