Tony Stewart beendete ein erstaunlich ruhiges Restrictor-Plate-Rennen in Talladega beim ersten Green-White-Checkered-Anlauf mit einem großen Knall. Aus der großen Rauchwolke tauchten vorne Matt Kenseth, Jeff Gordon und Kyle Busch auf, die sich damit jeweils einen Platz auf dem Siegerpodest sicherten. Ansonsten gab es mit Ausnahme einer weiteren Kurt-Busch-Eskapade wenig Action, was aber nicht heißt, dass das Rennen unspannend war.
Es war schön, am Sonntag mal wieder enorme Bewegung im Draft zu sehen, ohne dass schon vor dem Finale etwas grandios schiefgeht. Teilweise wurde sehr verbissen um die Platzierungen gekämpft und über weite Strecken des Rennens ging es three-wide durch die stark überhöhten Turns – wirklich erstaunlich, wie lange diese spektakuläre Fahrweise dann doch gutging. Weil es eben bis zur letzten Runde vergleichsweise wenig gekracht hat, lebte die Chase-Ausgabe von Talladega dankenswerterweise eher von den interessanten Geschichten, welche das Rennen schrieb. Davon möchte ich in diesem Artikel einige nacherzählen, so unter anderem „die Aufholjagd“, welche durch das kleinste Trümmerteil der Welt erfolgreich beendet wurde sowie „die Erkenntnis“, dass man theoretisch zwar ohne Benzin fahren darf, allerdings nicht ohne Helm und mit Reisegepäck.
„Die Aufholjagd“ lieferten sich Dale Earnhardt Jr und Kyle Busch, nachdem sie während der ersten Green-Flag-Pitstops um Runde 62 zu schnell in der Boxengasse erwischt wurden. Zu diesem Zeitpunkt war das Feld übrigens 40 Umläufe mit einer Benzinladung unterwegs gewesen und diese Zahl sollte man sich jetzt schon mal gut merken, die wird/wurde nämlich später noch wichtig. Junior und „Rowdy“ Busch verloren daraufhin beim Nachsitzen natürlich fast eine komplette Runde und hingen ziemlich alleine im Wind, während das Paket von hinten näher rückte. Beide Piloten konnten sich aufgrund ihrer starken Autos aber mit einem Umlauf Rückstand wieder im Feld festkrallen und sich fortan um den Lucky-Dog balgen.
Den nächsten Free-Pass bekam aber in Runde 100 erstmal Trevor Bayne, welcher sich übrigens dasselbe zu Schulden kommen ließ wie die beiden erstgenannten Piloten. Bedanken darf Bayne sich im Übrigen bei Kurt Busch, der wieder einmal auf die harte Tour lernen durfte, dass die NASCAR definitiv das letzte Wort in diesem Circus hat. Bei seinem letzten Rennen in Diensten von Phoenix Racing hätte alles so schön werden können, immerhin führte Kurt, als seiner #51 plötzlich und unerwartet zwei Runden zu früh der Sprit ausging. Jamie McMurray schob ihn daraufhin von der Bahn, hatte aber natürlich keine andere Möglichkeit, dem plötzlich stotternden Chevrolet noch auszuweichen.
Nach einem Dreher in die innere SAFER-Barrier inspizierte Busch den Wagen zunächst, während die Safety-Crew sich schon auf Abtransport von Fahrer und Auto vorbereitete. Kurt interessierte das aber nicht wirklich, also sprang er wieder in seine ondulierte – aber noch fahrtüchtige – Karre und donnerte davon. Dabei gewann Busch „die Erkenntnis“, dass er zwar quasi ohne Sprit noch fahren darf und auch kann, wenn das Benzin ohne Banking wieder den Ansaugstutzen im Tank erreicht, doch er hatte die Rechnung ohne die NASCAR gemacht. Kurt fuhr nämlich los, ohne seinen Helm aufgesetzt und die Rettungskräfte von seinem Vorhaben unterrichtet zu haben, außerdem lag noch die Tasche eines Mitarbeiters auf dem Autodach.
Die Aufforderung, den Wagen sofort abzustellen, bekam er aufgrund der abgelegten Funkverbindung natürlich zunächst nicht mit. Später sah man ihn dann aber doch auf dem Apron parken, vermutlich hatte er sich nebenbei wieder angekleidet und verkabelt. Diese überhastete Kurt-Busch-Eskapade, bei welcher dann zu allem Entsetzen auch noch die Tasche des Safety-Crew-Mitglieds auf dem Asphalt landete, brachte die NASCAR-Offiziellen zu dem Entschluss, Busch für den Rest des Tages zu parken. Im anschließenden Interview versprühte er wieder einmal eine ganze Menge Sarkasmus und den bekannten „Alle sind gegen mich“-Charme. Wenigstens erinnerte Kurt sich wohl rechtzeitig daran, dass er noch bis zum 31.12.2012 auf Bewährung unterwegs ist und drohte niemandem Prügel an.
Ganz ehrlich? Es war sehr amüsant, weil außer der Tasche niemand zu Schaden kam, aber Kurt Busch sollte wirklich aufpassen, wie viel er sich noch leistet. Kurt, das HB-Männchen, darf in Zukunft gerne erst einmal tief durchatmen, bevor er wieder direkt an die Decke geht oder kurzerhand – völlig überhastet – kaputte Autos aus den Händen der Safety-Crew entwendet.
So ging die wilde Fahrt also ohne ihn in die nächste Runde – Nr. 104 um genau zu sein. Hier fand „die Aufholjagd“ dann ihre Fortsetzung und beide Piloten hatten sich schnell wieder an der Spitze etabliert, nur eben mit einem Umlauf Rückstand. Zunächst „führte“ Kyle Busch und Dale Earnhardt Jr besetzte den Lucky-Dog, wobei ich sofort eine „unsichtbares Debris“-Caution witterte, um beide Sieganwärter wieder in die Führungsrunde zu bugsieren.
Es wäre doch total inkonsequent zum Vorgehen der letzten Rennen, sowas nicht zu tun und so zweifelte ich schon am Universum selbst, bis die Offiziellen in Runde 140 tatsächlich eine mickrige Ausrede an Trümmerteil auf der Gegengerade fanden. Zwischenzeitlich hatte sich die Reihenfolge aber gedreht: Junior befreite sich beim Fallen der gelben Flagge als Führender des Pulks selbstständig vom Rundenrückstand, während Busch den Lucky-Dog einsackte. Immerhin zeigte man „Debris“ und auch wenn es die Größe eines Fingerhuts hatte, sowie nicht mal auf der eigentlichen Fahrbahn lag, so hatte das Teil seinen Zweck doch erfüllt.
Nun ging es also ins große Finale und es waren zum Restart noch gut 45 Runden zu absolvieren und wer vorhin gut aufgepasst hat, dem wird es jetzt wie Schuppen von den Augen fallen. Richtig, das gesamte Feld war mehr oder weniger bis zu fünf Umläufe short und sowas kann man ja nun nicht auf einer Strecke einsparen, auf der man zu 100% mit Vollgas unterwegs ist. Die Frage war also, wer im Spritkrimi bei 320 km/h plötzlich mitten im Pulk zuerst ausrollen würde, womit die Katastrophe dann perfekt gewesen wäre.
Das Problem erledigte sich dann zum Ärger von Jamie McMurray selbst, der sechs Runden vor Schluss von Kevin Harvick in aussichtsreicher Position liegend im Trioval umgedreht wurde. Unter Gelb ließen sich nun die notwendigen Umläufe einsparen – zumindest ohne Einberechnung einer eigentlich zu erwartenden Green-White-Checkered-Orgie. Die weniger mutigen Piloten gingen daher ein letztes Mal zum Splash-&-Dash an die Boxengasse. Clint Bowyer, Matt Kenseth, Kevin Harvick, Trevor Bayne, Tony Stewart, Regan Smith, Aric Almirola, Michael Waltrip, Terry Labonte, Kasey Kahne und David Ragan blieben dagegen draußen und legten an der Spitze den Grundstein für den Urknall der letzten Runde.
Beim Restart zum Sprint über die finalen zwei Umläufe war plötzlich die Hölle los: Das gesamte Feld zwängte sich tatsächlich eine ganze Runde FOUR-WIDE über den Talladega Superspeedway! So kam es dann auch zum unvermeidlichen Big-One eingangs der letzten beiden Turns in der letzten Runde und es war wirklich kein kleiner, da mehr als 20 Autos innerhalb von Sekunden zu Totalschäden verarbeitet wurden. Als Urheber gilt – nicht zuletzt nach eigener Aussage – Tony Stewart, der offensichtlich seinen Spotter überhört haben muss, als er Michael Waltrip vor die Motorhaube zog. Da es an dieser Stelle quasi um die Führung ging, schluckte der Big-One das gesamte Verfolgerfeld.
Aus der Rauchwolke tauchten nur drei Wagen intakt auf und das waren in dieser Reihenfolge Matt Kenseth, Jeff Gordon und Kyle Busch, welche mit viel Glück dem Unfall entkamen. Da das Rennen sofort neutralisiert wurde, konnte Kenseth sich über seinen zweiten Saisonsieg nach dem Daytona 500 freuen und zudem auch alle vier Restrictor-Plate-Ausgaben des Jahres in den Top3 beenden – was für eine Statistik. Dabei war der Erfolg von Kenseth sogar noch mehrfach bedroht, unter anderem als ihn sein Teamkollege Greg Biffle im ersten Rennviertel fast umdrehte, nachdem sie im Tandem die Führung übernommen hatten. Wie Matt seine #17 da noch abgefangen hat, würde ich auch gerne mal wissen.
Zu den restlichen Ergebnissen sage ich jetzt mal nichts, da die ja aufgrund des Big-Ones sehr verzerrt wurden und teilweise bei Rennende noch nicht mal komplett bekannt waren. NASCAR musste nämlich erst die Videoaufzeichnungen bemühen, um die Rauchwolke korrekt zu klassifizieren. Was aber noch Erwähnung finden sollte, ist die gute Leistung von Casey Mears und Michael Waltrip. Während Mears bis zum Rennende die Top5 im Visier hatte, wäre Waltrip wohl ohne den Big-One am Ende der Favorit beim Sprit zur Ziellinie gewesen. Den Stand in der Meisterschaft schauen wir uns in der Analyse für Charlotte, das letzte Nachtrennen der Saison am kommenden Wochenende, genauer an.
Die gesamten offiziellen Ergebnisse können hier inklusive weiterer Statistiken noch einmal bei Jayski.com nachgeschaut werden. Zum Abschluss folgt wie gewohnt die Übersicht zu den Punkteständen bei den Fahrern und in der Owner-Wertung (Achtung: Alles PDF-Dateien!).
3 Kommentare
Das 4-Wide Racing nach dem Restart sah wirklich spektakulär aus. Wahnsinn.
„bis die Offiziellen in Runde 140 tatsächlich eine mickrige Ausrede an Trümmerteil auf der Gegengerade fanden“
Ich wußte ja schon bevor ich den Bericht gelesen habe, daß wieder jemand erzählen wird, die Debris Caution wäre nicht berechtigt.
Da frage ich mich aber nur: warum hat die NASCAR so lange damit gewartet? Jr. war schon länger in der Position des Lucky Dog. Und daß er es schaffen würde, sich selbst zurückzurunden, und somit Kyle Busch der Lucky Dog wäre war ja nicht abzusehen.
Und dazu kommt noch: bei Tempo 320 ist es besser auf Nummer sicher zu gehen. Aber wie gesagt, mir war vorher schon klar, daß wieder jemand mit der Verschwörungstheorie der Debris Caution anfängt.
Vielleicht hätte ich noch etwas mehr Ironie in den Satz legen sollen, denn du hast mich leider missverstanden… Hättest du während des Rennens im Chat mitgelesen, dann wüsstest du, dass ich die Caution geradezu herbeigesehnt habe. Aber das kann ich dir natürlich jetzt nicht vorwerfen! ;o)
Mir ist es mittlerweile echt komplett egal, was NASCAR mit den Debris-Cautions anstellt, daher auch die Ironie. Aber diese war echt meilenweit gegen den Wind zu riechen, ich habe die sogar vorher im Chat mit Ansage angekündigt. Allerdings hätte ich auch erwartet, dass sie schon bei der ersten Gelegenheit kommt.
Wie dem auch sei, bitte in Zukunft nicht wundern, wenn ich diese „Debris“-Cautions etwas flabsig erwähne. Mit Verschwörungstheorie hat das aber nichts zu tun, außerdem ist dieser Begriff ohnehin komplett überstrapaziert! Unberechtigt fand ich die Caution auch nicht…
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