Endlich ist es soweit: Auf dem Chicagoland Speedway eröffnet die NASCAR am Wochenende den Chase! Doch wer fährt mit? Immerhin stehen mittlerweile circa elf Fahrer ziemlich fest, doch mindestens ein Teilnehmer wackelt noch. Nach dem MWR-Skandal wird nun auch Penske Racing bezichtigt, illegale Absprachen getroffen zu haben.
Es hätte alles so schön werden können: Ich hatte eigentlich geplant, eine nette kleine Vorstellung aller Chase-Fahrer zu bringen. Jeder Pilot wäre neben seinem Konterfei von mir auf Herz und Nieren bezüglich seiner Meisterschaftstauglichkeit untersucht worden. Leider kenne ich bis heute (Stand: Donnerstagabend vor dem ersten Playoff-Rennen in Chicagoland) nicht die komplette Liste aller Teilnehmer. Für den Fall, dass jemand die letzten fünf Tage in einer Hütte im tiefsten Wald verbracht und sich eher um den nächsten Fisch auf dem Teller gesorgt hat, gibt es erstmal eine Zusammenfassung des ganzen Dramas. Ich werde mich dabei auch bemühen, keine altgriechischen Sagen zu referenzieren. Begonnen hat der Schlamassel nur wenige Runden vor dem Ende des Rennens in Richmond, welches die NASCAR zu diesem Zeitpunkt – im Nachhinein betrachtet – einfach hätte abbrechen sollen.
Aber wer konnte schon ahnen, dass Clint Bowyer mit seinem sehr seltsamen Dreher den Urknall für einen großen Skandal liefern sollte. In diesem Moment befanden sich Ryan Newman und Jeff Gordon auf Chase-Kurs. Newman wollte mit einem Sieg die zweite Wildcard und damit sein Chase-Ticket lösen, während Gordon einen glücklosen Joey Logano mit zwei Runden Abstand hinter sich halten konnte und damit sogar über die punktbesten Zehn qualifiziert war. Martin Truex Jr. schien trotz Top-10-Resultat chancenlos, noch in die Playoffs zu gelangen, da sein einziger Saisonsieg gegen deren zwei von Newman und Kasey Kahne nichts wert gewesen wäre. Als einzige Chance für Truex blieb eine Wende an der Spitze und prompt drehte sich Teamkollege Bowyer, zeitlich akkurat passend, von der Strecke.
Im Endeffekt führte dieser Vorfall dazu, dass weder Ryan Newman das Rennen gewann, noch Jeff Gordon in den Chase einzog, während Joey Logano noch einige Plätze gewann und seinerseits Ticket #10 löste. Damit öffnete sich die Wildcard-Situation für Martin Truex Jr., weil Gordon natürlich keinen Rennsieg aufweisen konnte. Trotz Punktgleichheit mit Newman, der ebenfalls einen Saisonerfolg auf seinem Konto wusste, landete schließlich Truex bei sehr schlechter – wenn nicht sogar schlechtester – Ausgangssituation in den Playoffs. Ausschlaggebend war hier am Ende ein zweiter Platz (aus Texas), den Truex mehr eingefahren hatte als Newman. So weit, so gut, doch nun kam ESPN ins Spiel.
Nachdem die Kommentatoren des TV-Senders sich ob des spannenden Finales beruhigt hatten, fand jemand die Aufzeichnung des Funkverkehrs zwischen Clint Bowyer und seinem Spotter, setzte das Interview mit Dale Earnhardt Jr. nach dem Rennen dazu, verquirlte das Ganze und stellte es bei 200 °C in den Ofen. Bowyer habe seinen Dreher absichtlich eingeleitet, hieß es plötzlich und die unschuldigen Opfer Ryan Newman und Jeff Gordon konnten in ihrer ersten Niedergeschlagenheit noch gar nicht ahnen, welcher Tsunami sich damit in rasender Geschwindigkeit auf die NASCAR zubewegte. Da ich das Rennen erst mit einem Tag Verzögerung gesehen habe, kann ich leider nicht sagen, wie sehr Twitter in diesem Moment explodierte.
Der Schneeball vergrößerte sich auf seinem Weg den Abhang hinunter schnell und stetig, denn bereits am nächsten Tag sahen sich die NASCAR-Offiziellen das Renngeschehen unter dem Mikroskop an und es kamen weitere Unregelmäßigkeiten zum Vorschein. Auch der dritte MWR-Teamkollege im Bunde, Brian Vickers, war in den Skandal verstrickt, da er von seinem Spotter und Team-Manager Ty Norris zu einem unplanmäßigen und unsinnigen Boxenstopp während der letzten drei Runden unter grüner Flagge aufgefordert wurde. Passenderweise verblieb er dann ebenso wie Clint Bowyer ganze zwei Runden in seinem Pitstall, was Joey Logano zwei Positionen einbrachte, mit denen er Jeff Gordon aus den Top 10 in der Meisterschaft kegeln konnte, was wiederum die zweite Wildcard für Martin Truex Jr. in Reichweite brachte.
Da der Funkverkehr der #55 ziemlich eindeutig war, überführte NASCAR das gesamte Waltrip-Team der illegalen Absprache und wies ihnen nach, das Rennen manipuliert zu haben. Es wurden hohe Strafen ausgesprochen, so bekamen alle drei Teams jeweils 50 Fahrer- sowie Owner-Punkte abgezogen, während die jeweiligen Crew-Chiefs bis zum Jahresende auf Bewährung an den Wagen arbeiten müssen. Am schlimmsten erwischte es den Initiator Ty Norris, der nun auf unbestimmte Zeit gesperrt wurde, während Michael Waltrip Racing als Organisation mit einer Geldbuße in Höhe von 300.000 US-Dollar noch recht günstig davonkam. Das Urteil brachte dann jedoch ein Novum: Zum ersten Mal in der Geschichte des Chase änderte man das Teilnehmerfeld nachträglich!
Da sich die Punktabzüge auf die Regular-Season bezogen, rutschte Martin Truex Jr. hinter Ryan Newman ab, der sich mit später Genugtuung die zweite Wildcard sicherte. Laut Jeff Gordon war damit die Gerechtigkeit fast wiederhergestellt, jedoch war die Bestrafung seiner (und auch meiner) Meinung nach nur sehr halbherzig. Eigentlich gehört für uns auch Clint Bowyer aus dem Chase geworfen, doch die Offiziellen konnten ihm trotz der sehr merkwürdigen Konversation am Funk und des einzigartigen Drehers keinen Vorsatz ankreiden. Somit blieb es dabei und die Welt diskutiert seitdem, womit der Schaden im Prinzip angerichtet war. Dass mal alle Welt über die NASCAR reden würde, hat sich die Organisation sicherlich auch anders vorgestellt. Solche Gespräche führen wir nämlich normalerweise, wenn die DTM mal wieder kräftig zugelangt hat.
Doch damit nicht genug, denn am Donnerstag tat sich das nächste Loch im Boden auf. Nun steht plötzlich Penske Racing mit Joey Logano am Pranger. Denen wirft man vor, den Markenkollegen David Gilliland im Front-Row-Ford beiseite gebeten zu haben, um dringend benötigte Punkte zu sammeln. Jeff Gordon wittert unterdessen natürlich schon Morgenluft, weil die Offiziellen sich nun auch diese Anschuldigungen ganz genau ansehen. Wie sich die Situation aufklärt bzw. aufgeklärt hat, wisst ihr womöglich schon beim Lesen dieses Artikels, da der NASCAR meiner Meinung nach nicht mehr viel Zeit verbleibt. Am Freitag geht der Fahrbetrieb in Chicagoland los und dann sollten eigentlich alle zwölf Variablen zweifelsfrei bestimmt sein.
Fraglich ist, wie sich das Urteil (oder vielleicht die Urteile?) auf die Zukunft auswirken werden. Muss nun jedes kleine Überholmanöver auf dem Weg zum Sieg untersucht werden? Muss die NASCAR – wie von Jimmie Johnson vorgeschlagen – bei unklaren Situationen einen Timeout (unter roter Flagge) ähnlich wie beim Football einführen? NEIN, bitte bloß das nicht! Man sollte den ganzen Trubel wirklich nicht überbewerten. Klar hat die Teamorder so kurz vor dem Chase überhandgenommen und natürlich war der (meiner Meinung nach klar absichtliche) Dreher von Clint Bowyer totaler Mist. Deswegen aber jetzt den Weltuntergang zu wittern? Ich weiß ja nicht. Wenn man sich in Zukunft einfach darauf beschränkt, dass man einen Teamkollegen gerne vorbeilassen kann, wenn er diesen einen Punkt benötigt und direkt hinter einem fährt, dann hat wohl keiner etwas dagegen.
Achso: Wen die nicht vorhandene Streckenvorstellung für das Wochenende gestört hat, der darf sich gerne in unserem Artikel zum Chicagoland Speedway seine gewünschte Informationsdosis abholen. Außerdem lege ich euch den Podcast vom gestrigen Donnerstag ans Herz, in dem wir uns ausführlich mit der Situation beschäftigt (wenn auch ohne die neuesten Logano-Erkenntnisse) und auch eine Bewertung der Chase-Favoriten abgegeben haben. Ihr verpasst also trotz meiner Zusammenfassung des Geschehens auf epischer Breite kein Stück vom Randgeschehen, zu dem der Chase und das Rennen am Sonntag ja mehr oder weniger verkommen sind. Und weil dies leider leider leider passiert ist, sehe ich nur einen Ausweg: In bester Pofalla’scher Manier erkläre ich die Diskussion über die Vorkommnisse von Richmond für beendet! In diesem Sinne: Lasset den Chase beginnen…
Zum Abschluss folgen an dieser Stelle wie gewohnt noch die Links (PDF) zu den (momentan nicht ganz) aktuellen Ständen in der Fahrer- und Owner-Wertung sowie die Entry-List und einen Zeitplan für das TV-Programm vom Wochenende.
Freitag, 13.09.
16:00 Uhr, Truck Series Practice, FOX Sports 1
18:00 Uhr, Truck Series Final Practice, FOX Sports 1
19:00 Uhr, Sprint Cup Series Practice, FOX Sports 1
20:30 Uhr, Nationwide Series Practice, FOX Sports 1
22:00 Uhr, Truck Series Qualifying, FOX Sports 1
23:30 Uhr, Sprint Cup Series Qualifying, ESPN2
00:30 Uhr, Nationwide Series Final Practice, FOX Sports 2
02:30 Uhr, Truck Series Rennen (EnjoyIllinois.com 225), FOX Sports 1 ab 2 Uhr
Samstag, 14.09.
17:00 Uhr, Sprint Cup Series Practice, FOX Sports 2
18:00 Uhr, Nationwide Series Qualifying, FOX Sports 2
20:00 Uhr, Sprint Cup Series Final Practice, FOX Sports 2
21:30 Uhr, Nationwide Series Rennen (Dollar General 300), ESPN2 / Motors TV
Sonntag, 15.09.
20:00 Uhr, Sprint Cup Series Rennen (Geico 400), ESPN / Motorvision TV ab 19 Uhr