Das Saisonfinale der Super Formula ist ein ungewöhnliches Fernduell: Während Tabellenführer André Lotterer für Audi in der WEC in Shanghai antritt, versucht der verbleibende Titelkandidat Naoki Yamamoto, ihm in Suzuka die Meisterschaft streitig zu machen.
Solch eine Ausgangslage hatte sich der zweifache Le-Mans-Sieger André Lotterer wohl zu Beginn des Jahres nicht ausgerechnet: Obwohl er aufgrund seines Engagements bei Audi in der Langstrecken-Weltmeisterschaft nicht am Saisonauftakt wie auch am Finale in Suzuka teilnehmen konnte, führt er mit insgesamt 37 Punkten unangefochten die Meisterschaft an. „Für mich heißt es einfach nur, viele Punkte zu sammeln“, erklärte er nach seinem Sieg Anfang Juni in Autopolis. Und dies tat der Duisburger auch: Neben dem Sieg in Kyūshū gewann er auch auf dem Fuji Speedway; in Motegi sowie im Sportsland Sugo eroberte er jeweils den zweiten Rang. Von den Patzern der direkten Konkurrenz profitierend ist Lotterer 2013 somit nicht nur der schnellste Pilot, sondern vor allem auch der konstanteste gewesen.
Zu viele Fehler erlaubten sich seine Rivalen. So gewann der letztjährige Vize-Champion Takuya Izawa zwar den Auftakt in Suzuka, schrieb im weiteren Saisonverlauf allerdings gleich drei Nullrunden – allesamt ausgelöst durch eigene Fehler oder unglückliche Kollisionen wie zuletzt in Sugo mit Takashi Kogure. Nicht besser verlief es für den Titelverteidiger Kazuki Nakajima, der lediglich in Motegi obsiegte und ansonsten mit zwei Nullrunden sowie einem fünften Platz zum Auftakt und einem schwachen achten Rang am Fuße des Fuji enttäuschte. Es war nicht unbedingt sein Jahr, auch wenn es mit gleich zwei Erfolgen in der Super GT deutlich besser für den ehemaligen Formel-1-Piloten lief. Ähnlich holprig war es für Joao Paulo de Oliveira. Der Champion von 2010 wurde vor der Saison zurecht als heißer Titelkandidat gehandelt, schaffte es in diesem Jahr bislang allerdings noch nicht aufs Podest. Ähnlich Nakajima wurden die Titelhoffnungen des Brasilianers endgültig begraben, als er aufgrund eines glücklicherweise glimpflich ausgegangenen Unfalls mit Rookie Ryo Hirakawa ausfiel.
Überhaupt dürfte das vergangene Rennen im Sportsland Sugo zu einem der besten, wenn nicht sogar zu dem besten in Japans höchster Formel-Serie gekürt werden. Zerfleddert durch vier Safety-Car-Phasen duellierten sich die beiden Audi-Kollegen André Lotterer und Loic Duval, der in diesem Jahr erstmals die 24 Stunden von Le Mans gewann, bis zur letzten Sekunde. Am Ende trennten die beiden lediglich 0,041 Sekunden – das knappste Finish der Super Formula. Für Duval (Champion 2009) war es der erste Sieg seit 2010, für Team LeMans sogar der Erste seit 2003. Wie auch Lotterer ist der Franzose an diesem Woche im Dienste von Audi in China unterwegs, weshalb er trotz sieben Punkten Rückstand nicht mehr in die Meisterschaft eingreifen kann. Ersetzt wird er wie schon zum Saisonauftakt vom Italiener Andrea Caldarelli; bei Petronas Tom’s steigt James Rossiter ins Cockpit. Der Brite ersetzte Lotterer bereits zum Saisonstart und ist ansonsten mit Kazuki Nakajima für Petronas Tom’s in der Super GT unterwegs. Rossiters Hauptaufgabe wird es sein, so viele Punkte wie möglich für die Team-Wertung zu ergattern. In dieser führt Petronas Tom’s (51 Punkte) nämlich mit 15 Zählern vor Kygnus Sunoco LeMans (36 Punkte). Entsprechend hoch dürfte demnach auch der Druck auf Ryo Hirakawa und Andrea Caldarelli sein.
Der Suzuka Circuit selbst benötigt keine große Einführung. Zusammen mit dem Fuji Speedway stellt die Strecke, die bereits im Frühjahr dieses Jahres ihren 50. Geburtstag feierte, den international bekanntesten Kurs Japans dar. Viele Fans und Fahrer bezeichnen die 5,807 km lange Strecke als eine der besten Rennstrecken der Welt. Die außergewöhnliche und einmalige Form einer Acht sowie die insgesamt 17 Kurven mit Namen wie Degner (benannt zu Ehren des 1983 verstorbenen Motorrad-Rennfahrer Ernst Degner, der just an dieser Stelle 1963 einen schlimmen Feuerunfall erlitt), Spoon, Dunlop aber auch Hairpin und natürlich die schnelle 130R entzücken Fans und Fahrer gleichermaßen. Jene 130R ist es allerdings auch, die nicht nur als schnelle und gefährliche (Mut-)Kurve gilt, sondern über die Jahre auch mehrmals aufgrund schwerer Unfälle aus Sicherheitsgründen umgebaut wurde. Während die Kurve mit der vergrößerten, asphaltierten Auslaufzone für Autorennen sicherer wurde, verstarb beim MotoGP-Japan-Grand-Prix Daiijiro Kato, als er aufgrund eines technischen Defekts in der 130R die Kontrolle über seine Maschine verlor. Es war das letzte Suzuka-Rennen der Motorrad-Weltmeisterschaft, ehe man aus Gründen der Sicherheit auf den deutlich langsameren und für Motorräder wohl auch sicheren Straßenkurs des Twin Ring Motegi wechselte.
Suzuka ist auch jener Ort, an dem die NASCAR 1996 und 1997 jeweils ihre beiden NASCAR-Thunder-100-Einladungsrennen auf dem 2,3km langen Ostkurs austrug, auf dem auch die WTCC seit 2011 unterwegs ist. Während das Rennen 1997 aufgrund des erstmaligen Einsatzes von Regenreifen in die NASCAR-Sprint-Cup-Geschichte einging, verstarb im Jahr zuvor Pace-Car-Fahrer Elmo Langley auf tragische Weise, als er in den S-Kurven während einer Evaluierungsrunde einen Herzinfarkt erlitt. Beim Rennen der Super Taikyu Series (im Rahmen der WTCC) verstarb im letzten Jahr auf tragische Weise der 56-jährige, ehemalige Super-Formula- und Super-GT-Fahrer Osamu Nakajima, als er mit hoher Geschwindigkeit auf dem Öl eines vorausfahrenden Fahrzeuges ausrutschte und mit der Beifahrerseite seines Nissan Fairlady 350Z in die Streckenbegrenzung von Kurve 1 abflog. Nakajima erlag seinen schweren Verletzungen, wohl auch weil das schützende HANS-System bis zu jenem Zeitpunkt unverständlicherweise in der Super Taikyu Series nicht vorgeschrieben war. Einen Nachruf an OSAMU, so wie ihn seine Fans nannten, habe ich im letzten Jahr verfasst.
Wie eine Runde auf dem Suzuka Circuit der Formula Nippon aussieht, soll im folgendem eine Onboard-Runde von Joao Paulo de Oliveira aus dem Jahr 2011 demonstrieren:
Der einzig verbleibende, am Rennen auch teilnehmende Titelkandidat ist somit Mugen-Pilot Naoki Yamamoto. Der Rückstand von 13 Punkten auf André Lotterer ist für den 25-jährigen Japaner allerdings keine einfache Aufgabe, zumal er bislang noch kein Super-Formula-Rennen gewinnen konnte. Seine Meisterschaftsplatzierung festigte der diesjährige Gewinner des 1000km-Rennens in Suzuka, welches gleichzeitig auch den bislang größten Erfolg seiner noch jungen Karriere darstellte, mit insgesamt drei Bronzeplatzierungen in Autopolis, Fuji sowie Sugo. Etwas aus dem Rahmen fällt hierbei der achte Platz auf dem Twin Ring Motegi, welchen er sich aber mit einem ondulierten Auto, nach einer anfänglichen Kollision mit Takuya Izawa, schwer erkämpfte. Naoki Yamamoto ist ein schneller Fahrer. Gegen ihn sprechen aber immer mal wieder winzige Fehler, die er sich in kleineren Scharmützeln erlaubte. Nach eigener Aussage hat er bei seinem Erfolg beim Pokka Sapporo 1000km im August dieses Jahr jedoch einiges dazugelernt. Anstatt beispielsweise aggressiv eine verlorene Position zurückzuerobern, behielt er in jenem Rennen die Ruhe und legte somit den Grundstein für den Erfolg seines Teams. Fehler sind am Wochenende unverzeihlich. Aggressivität könnte aber durchaus belohnt werden, insbesondere weil das Finale wie auch bereits im vergangenen Jahr in zwei unterschiedlich lange Sprintrennen unterteilt ist. Dabei werden die gewonnen Punkte, ausgenommen vom jeweiligen Sieger, halbiert.
Normalerweise sollte der Gewinner demnach lediglich fünf Punkte erhalten. Um den Sieg aber etwas stärker zu belohnen, gibt es für den jeweiligen Sieg drei Bonuspunkte, was acht Zähler in der Addition macht. Im folgendem die genaue Punkteverteilung für das Saisonfinale:
1. Platz 5 + 3 Punkte (8 Punkte)
2. Platz 4 Punkte
3. Platz 3 Punkte
4. Platz 2,5 Punkte
5. Platz 2 Punkte
6. Platz 1,5 Punkte
7. Platz 1 Punkt
8. Platz 0,5 Punkte
Gleichzeitig wird jeweils ein Bonuspunkt für die beiden Pole-Positions verteilt. Das macht eine maximale Punktzahl von 18 Zählern, die ein Fahrer an diesem Wochenende holen kann. Ein besonderes Augenmerk wird demnach auf die nicht im TV übertragene Qualifikation gelegt. Im bekannten Knock-Out-Format ausgetragen wird die Startaufstellung für das erste Rennen in Qualifikations-Segment 1 herausgefahren, während das Ergebnis von Q3 für die Startaufstellung des zweiten Rennens herangenommen wird. Q1 kann somit bereits schon einen großen Einfluss auf den Verlauf des Rennsonntags haben, zumal das Überholen in Suzuka, trotz einiger guter Möglichkeiten, als nicht sonderlich einfach gilt.
Für den Titelkampf ergibt sich somit folgendes Szenario:
Naoki Yamamoto gewinnt gegenüber André Lotterer die Meisterschaft, wenn er…
– beide Rennen gewinnt.
– ein Rennen gewinnt, im anderen Zweiter wird und zwei Pole-Positions einfährt. Gelingt ihm in dieser Konstellation nur eine Pole-Position, würde er punktgleich mit Lotterer ziehen, im Direktvergleich aber aufgrund lediglich eines Sieges die Meisterschaft verlieren.
Beide Rennen sind kürzer als die normalerweise übliche Distanz von 250km, was allerdings nicht die Anforderungen an Fahrer und Teams schmälert. Eine schlechte Ausgangsposition nach der Qualifikation oder ein Fehler in Rennen 1 kann bereits titelentscheidend sein. Zumindest über eine etwaige Rennstrategie müssen sich die Teams im ersten Rennen keine Gedanken machen. Bei nur 20 Runden (116km) Renndistanz gilt der erste Lauf quasi als Sprintrennen. Das zweite Rennen ist mit 28 Runden (162km) länger, gleichzeitig wird auch ein Pflichtboxenstopp vorgeschrieben, bei dem alle vier Reifen gewechselt werden müssen. Hier können die Teams die Strategie etwas splitten und so ein etwaiges Überholmanöver an der Box setzen. Im letzten Jahr ermöglichte es genau solch eine Strategie Kazuki Nakajima, doch noch den Titel zu gewinnen, nachdem er im ersten Lauf keine Punkte einfuhr und eine schlechte Ausgangsposition für den alles entscheidenden, letzten Sprint hatte. Dank eines perfekt getimten Boxenstopps sowie einiger guten Rundenzeiten bei freier Fahrt hievten die Tom’s-Strategen den Sohn von Satoru Nakajima aber auf den Platz an der Sonne.
Keine einfache Aufgabe, die Naoki Yamamoto am Wochenende somit bevorsteht. Unterstützung erhält er von Takuma Sato, der bereits beim Saisonstart sowie in Sugo in das zweite Cockpit bei Mugen kletterte. Im letzten Rennen erreichte der IndyCar-Pilot und diesjähriger Sieger des prestigereichen Grand Prix von Long Beach lediglich den elften Rang, nachdem er den Motor am Start abwürgte. Ähnlich suboptimal verlief es wegen eines technischen Defekts Anfang des Jahres. Beim Einladungsrennen (offiziell Round Zero genannt) im Rahmen des Suzuka Circuit Fan Appreciation Day obsiegte der einstige Formel-1-Pilot jedoch, wenn auch der ursprünglich auf zehn Runden angesetzte Sprint nach bereits drei Umläufen nach einer Massenkarambolage im hinteren Feld abgebrochen wurde.
Das Saisonfinale der Super Formula ist ein ungewöhnliches Fernduell. Schafft Naoki Yamamoto die Sensation und gewinnt seinen allerersten Titel? Oder hat André Lotterer in den vergangenen Rennen einen ausreichend großen Vorsprung herausgefahren? Für Lotterer wäre es nach 2011 nicht nur der bereits zweite Titelgewinn in der bis 2012 Formula Nippon genannten Rennserie. Er hätte außerdem trotz zweier Nichtteilnahmen das Unmögliche möglich gemacht und die Meisterschaft gewonnen. Aufgrund seines Speeds und seiner Konstanz kann der zweifache Le-Mans-Sieger somit durchaus als der „kompletteste“ Pilot der diesjährigen Saison bezeichnet werden, egal wie es letztlich am Sonntag ausgehen wird. Keine allzu große Rolle dürfte dabei das Wetter spielen: Bewölkt bis sonnig bei kalten 17 bis 19 Grad. Lediglich Sonntagfrüh zu Lauf 1 besteht eine minimale Chance auf vereinzelte Regenschauer.
TV-Zeiten
An der derzeitigen TV-Situation hat sich auch zum Saisonfinale nichts geändert, weshalb erneut auf die mehr oder weniger beliebte Graualternative im Internet zurückgegriffen werden muss. Wer die Rennen sehen möchte, muss bereits früh aufstehen. Der japanische Sender J Sports 1 geht um 2:00 Uhr auf Sendung, der Rennstart zu Lauf 1 erfolgt 20 Minuten später um 2:20 Uhr deutscher Zeit. Für Lauf 2 geht J Sports 1 anschließend um 6:00 Uhr wieder auf Sendung. Der Start erfolgt eine halbe Stunde um 6:30 Uhr deutscher Zeit.
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