Motorschäden, Kühlungsprobleme, eine hakende Elektronik – die Liste mit Problemen bei Renault scheint endlos lang zu sein. Wie konnte das passieren?
Die Sorgenfalten bei fast allen Teams, die dieses Jahr auf den Renault-Motor setzen, sind sehr, sehr tief. Bei Red Bull entwickeln sich die Testfahrten zu einem kompletten Desaster. Während die Konkurrenz Runde um Runde dreht, steht der RB10 meist an Box. 59 Runden an einem Tag – mehr war nicht drin für Red Bull bisher. Das entspricht gerade mal einer Grand-Prix-Distanz in Bahrain, aber ist weit weg von einem Einsatz an einem Wochenende. Nicht viel besser lief es für Toro Rosso. Nur Caterham schien einigermaßen gut unterwegs zu sein, Lotus kann man wegen des späten Starts in die Testsaison noch nicht mit einbeziehen. Renault und Red Bull haben zugegeben, dass das Motorpaket, also Motor, Turbo, ERS, Batterien, Elektronik und Software nicht harmoniert. Doch warum hat Renault, die ja immerhin die letzten vier Weltmeisterschaften gewonnen haben, so viele Probleme?
Christian Horner sieht die Ursache in einer Entscheidung, die weit zurückliegt. 2008, um genau zu sein. Als damals KERS eingeführt werden sollte, entschied der damalige Renault-Teamchef Flavio Briatore, dass die Teams das KERS-Paket selber entwickeln sollten. Die Entscheidung war damals durchaus nachvollziehbar, denn Briatore hatte mit Renault einen Partner an der Seite, der um jeden Preis Geld sparen wollte – man verkaufte das Team ja dann auch bald. Gleichzeitig machte es Sinn, denn die Teams eigneten sich durch den „Eigenbau“ zusätzliches Know-how an. Das führte zum Beispiel dazu, dass Williams ein eigenes KERS-System entwickelte, dass man erfolgreich u.a. an Porsche verkaufen konnte.
Die Änderung zum diesjährigen ERS ist allerdings komplexer. War KERS etwas, was man an den Motor andocken konnte, ist ERS ein integraler Bestandteil des gesamten Motorsystems. Renault war also gezwungen, das komplette System neu zu entwickeln. Im Gegensatz dazu hatten Mercedes und Ferrari von Anfang ihr KERS selber entwickelt und sich über die Jahre das nötige Wissen beschafft. Dazu gehören vor allem die Ingenieure, die Renault nun erst anstellen musste. Im Grunde musste man eine komplett neue Abteilung aufmachen, die dann auch noch nahtlos mit den bisherigen Motorenbauern zusammenarbeiten musste.
Auf dem Prüfstand lief der Renaultmotor problemlos. Man war sich darüber im Klaren, dass es im Fahrzeug Probleme geben würde, ging aber davon aus, dass es allen Herstellern so gehen würde. Doch das Zusammenspiel von Fahrzeugelektronik, Motorsteuerung usw. erwies sich auf der Strecke dann doch als komplizierter, als man gedacht hatte.
Dazu kam, dass es offenbar Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Adrian Newey und Renault gegeben hat. Newey benötigte für die Konstruktion der Seitenkästen Temperaturdaten, gleichzeitig gab er Renault die Abmessungsdaten des Fahrzeugs. Von Renault kam wohl ein „Ok“, der RB10 wurde extrem schlank gebaut. Dazu kommt wohl auch die Positionierung des Akkus. Der sollte wegen des Gewichtes so tief wie möglich liegen, vermutlich unter oder seitlich vom Tank. Offenbar reichte aber die zugeführte Kühlungsluft nicht aus, der Wagen überhitzte sofort. Auch die Temperaturwerte des Turbo waren wohl deutlich höher, als von Renault errechnet.
Interessanterweise hatte Lotus wohl schon bei internen Testläufen, also als man den Motor das erste Mal in Chassis gehoben und angelassen hatte, die Probleme bemerkt. Und deswegen auch den Test in Jerez absagen müssen, weil man die Seitenkästen komplett neu bauen wollte. Warum Caterham von Anfang an mit so riesigen Seitenkästen unterwegs war, bleibt allerdings ein Rätsel. Entweder wollte man von vornherein auf Nummer sicher gehen, oder man hat, weil man mehr Zeit zur Vorbereitung hatte, die Probleme früher erkannt. Da Lotus und Red Bull bis tief in den Herbst im Kampf um die WM steckten, verloren sie viel Zeit für den Bau des neuen Fahrzeugs. Horner hat schon bestätigt, dass die Saison 2013 mit verantwortlich für den späten Beginn des 2014er Chassis gewesen sei.
Doch die Probleme bei Renault reichen tiefer. In Jerez kämpften alle Renault-Motoren mit Zündaussetzern, die Franzosen sprachen von einem Softwareproblem. Ein paar Tage nach Jerez gab man zerknirscht zu, dass die Software der Motorsteuerung nicht funktionieren würde. Man müsse neu programmieren. Kurz vor Bahrain hieß es, dass die einzelnen Komponenten gut arbeiten würden, aber halt nicht miteinander. Während des letzten Tests sprach Horner davon, dass die Probleme auch im Energierückgwinnungssystem liegen würden.
Für Bahrain hatte Newey den RB10 umgebaut. Die Seitenkästen waren deutlich größer, die Lufteinlässe vorne ebenfalls. Im Grunde ein halbneues Auto, denn die größeren Seitenkästen verändern auch die Aerodynamik. Unter der Motorabdeckung hatte man Kühler und Aggregate neu positioniert. Helmut Marko sprach dann auch nicht von einem Test, sondern von einem „Roll-Out“ des Autos. Anders ausgedrückt: Man hatte erst in Bahrain und dann auch erst am zweiten Tag ein brauchbares Fahrzeug. Und prompt gab es für Vettel am dritten Tag auch 59 Runden. Wie dramatisch die Situation ist, sieht man diesen beiden Grafiken:
Und besonders schnell war man auch nicht unterwegs. Ricciardo fehlten knapp 5 Sekunden auf McLaren, was selbst für ein neues Auto ohne Testkilometer recht viel ist. Der Grund für den mangelnden Speed ist wohl die mangelnde Leistung des Renault. Kamui Kobayashi berichtete, dass sein Caterham auf den langen Geraden in Bahrain rund 20 bis 30 km/h langsamer sei, als die Fahrzeuge mit Mercedes oder Ferrari-Power. Nun ist der Caterham sicher nicht das schnellste Fahrzeug, aber so langsam war man in den letzten Jahren auf den Geraden nun auch nicht. Der Japaner vermutete ebenfalls mangelnde Leistung des Renault-Motors.
Was vermutlich einfach damit zusammenhängt, dass Renault erst mal damit beschäftigt ist, die unterschiedlichen Komponenten zu überreden, miteinander zu arbeiten. Logischerweise nimmt man erst mal die Leistung der belasteten Systeme runter, bis sie störungsfrei arbeiten. Von diesem Punkt aus hangelt man sich dann weiter zur Leistungsgrenze.
Dass Mercedes und Ferrari 2014 einen Vorteil haben würden, wurde schon letztes Jahr immer wieder vermutet. Es macht auch Sinn, denn wenn Motor und Chassisentwicklung innerhalb einer Firma liegen, sind die Kommunikationswege deutlich kürzer und unkomplizierter. (Wobei man fairerweise sagen muss, dass Mercedes seine Motoren nicht im Hauptquartier des Teams, sondern in Brixworth entwickelt, während man bei Ferrari Tür an Tür arbeitet.) Zwischen Red Bull Technologies und Frankreich liegen aber ein paar Kilometer mehr, was die Zusammenarbeit erschwert.
Das bedeutet aber nicht, dass man Renault für die Saison abschreiben sollte. Wie tief die Probleme wirklich liegen, ist schwer zu sagen. Bei Caterham läuft die Sache einigermaßen rund und man ist nahe an Rennsimulationen dran. Was darauf hindeutet, dass es vor allem konstruktionsbedingte Probleme sind, die Red Bull und auch Toro Rosso im Moment einbremsen. Die lassen sich aber theoretisch lösen, wenn die Lösungen nicht zu Lasten der diffizilen Aerodynamik gehen.
Die Saison ist mit 19 Rennen sehr lang, vor allem, wenn man bedenkt, dass die Teams nur fünf Motoren pro Wagen zur Verfügung haben. Selbst ein schwacher Start in die Saison bedeutet noch nicht das Ende der Titelhoffnungen, zumal Mercedes und Ferrari sicher auch noch Probleme bekommen werden. Doch die Hürden scheinen im Moment sehr groß.
Der Rückstand, den sich Red Bull und Renault bei den Tests einhandeln, wird schwer aufholbar sein. Der Vorteil liegt in der Standfestigkeit der Mercedes- und Ferrari-Motoren. Während Renault und Red Bull sich darum kümmern, dass der Motor überhaupt mal irgendwie mit reduzierter Leistung eine Renndistanz aushält, können sich Ferrari, Mercedes, McLaren und Co. schon um die Abstimmung und die Weiterentwicklung der Aerodynamik kümmern. Fehlende Runden bedeuten nicht nur, dass es weniger Daten für den Motor gibt, sondern auch, dass man weniger Daten vom Fahrzeug insgesamt bekommt. Wegen der Beschränkung auf 5 Motoren in diesem Jahr kann man den Freitag auch nicht so zum Testen nutzen, wie das bis 2013 der Fall war. Anders gesagt: Red Bull, Lotus usw. laufen von Anfang an einem Rückstand hinter her.
2 Kommentare
… und: Alle Motoren werden in wenigen Tagen für die ganze Saison „eingefroren“. Sorgenfalten auf Grand Canyon-Niveau.
Das ist alles schön und gut, aber meine Frage: Warum ist nur Vettel der Leidtragende?
Es mutet doch sonderbar an, dass Ricardo davon niemals betroffen ist. Läuft Vellels Auto aus Versehen mal etwas besser, ist er meist vor Ricardo. Mir kommt das vor wie ein Wackelkontakt, nicht aber elektrisch! Das wäre meine Frage an die Verantwortlichen bei den Roten Bullen. (Dr. Marco oder Horner)
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