Wie üblich wird Anfang Mai in Spa die Generalprobe für die 24 Stunden von Le Mans abgehalten. Auch wenn in diesem Jahr nach einigen (meist finanziell bedingten) Rückzügen – aber teilweise aufgewogen durch Gaststarter – leider nur 28 Fahrzeuge für das Wochenende gemeldet sind, ist die Aussicht nach dem Saisonauftakt in Silverstone doch vielversprechend. Denn dort gab es am Osterwochenende ein sehr enges Quali-Ergebnis zwischen allen drei LMP1-Werksteams und einen spannenden Rennbeginn zwischen Audi und Toyota, während Porsche mit seinem Low Downforce-Setup etwas zurückfiel. Am Ende reichte es nach den Audi-Ausfällen zu Rang 3, während Toyota einen ungefährdeten Doppelsieg einfuhr und vielversprechend in die Saison startete.
Soweit man das nach dem teils nassen Rennwochenende beurteilen kann, hat das FIA-Komitee die „Equivalency of Technology“-Formel doch recht gut hinbekommen. Dies und die Tatsache, dass in Spa alle auch Toyota sowie einer der Audi mit Le Mans-Aerodynamik und entsprechend weniger Abtrieb antreten, sollte auch in Spa für Chancengleichheit und Spannung sorgen – und das, obwohl alle drei Hersteller mit ihren völlig unterschiedlichen Fahrzeugkonzepten ihre Stärken in unterschiedlichen Bereichen haben.
Der Audi R18 hat in Silverstone vor allem mit seinem Abtrieb und den daraus resultierenden Kurvengeschwindigkeiten geglänzt. Doch nach dem doppelten Ausfall brauchen die Ingolstädter dringend ein gutes Ergebnis für die Meisterschaft. Das Auto scheint eine gute Basis zu sein: Sowohl im Rennen als auch in der Quali fuhr ein R18 in Silverstone die schnellste Runde, auch wenn es dank des Systems mit den aggregierten Zeiten knapp nicht zur Pole reichte. Die Experten sind sich allerdings noch uneins, ob die Kiesbett-Ausritte in Silverstone durch Nässe bzw. Fahrfehler verursacht wurden oder vielleicht durch Probleme mit dem an die Bremsen gekoppelten Energierückgewinnungssystem. Jedenfalls mussten für Spa zwei Chassis neu aufgebaut werden; zudem setzt Audi in Spa einen dritten R18 ein. Dieser wird pilotiert von Filipe Albuquerque und Marco Bonanomi (Oliver Jarvis ist in der Super GT unterwegs) und ist mit der Le Mans-Aerodynamik ausgestattet, die eine geänderte Heckpartie mit längerem Überhang aufweist (und daher gerne als „Langheck“ bezeichnet wird).
Der Toyota beeindruckte mit seiner Beschleunigung: Die kolportierten 1000 PS aus V8-Benziner und dem Allrad-Hybridsystem katapultieren den TS040 geradezu aus den Kurven. Der Wagen ist zudem (zumindest über sechs Stunden) zuverlässig und auch die Fahrer haben in Silverstone einen tadellosen Job gemacht. Demnach hat Toyota beim „Heimrennen“ in Spa – das Team ist in Köln beheimatet – die Favoritenrolle inne, wird sich jedoch in der Low-Downforde-Version gegen die zwei Audis mit mehr Abtrieb wehren müssen.
Der Porsche war in Silverstone mit Abstand am schnellsten auf den Geraden. Am Messpunkt auf der Hangar Straight lag der höchste Topspeed des 919 20 km/h über der höchsten gemessenen Geschwindigkeit des Toyota und fast 30 km/h vor dem Audi. Ob dies allein durch den niedrigeren Abtrieb (und damit Luftwiderstand) zustande kommt oder ob der Porsche generell einen Speed-Vorteil hat, wird sich in Spa deutlicher zeigen. In Le Mans wäre ein solcher Geschwindigkeitsüberschuss auf den langen Landstraßen-Geraden hilfreich.
(Wer mehr dazu lesen will, findet in Paul Truswells Blog sowie bei „Mulsanne Mike“ Fuller wie immer spannende Detailanalysen.)
Rebellion Racing – wie beim Saisonauftakt auch in Spa einziges Privatteam in der LMP1 – hat es, wie angekündigt, tatsächlich geschafft, seine zwei brandneuen R-One rechtzeitig zur Generalprobe rennfertig zu bekommen. Das von Oreca entwickelte und aufgebaute Fahrzeug – wie der Lola zuvor von einem (allerdings neuen) Toyota-V8 angetrieben – hatte erst in der Woche vor dem Saisonauftakt in Silverstone seinen ersten Rollout auf dem Circuit Paul Ricard in Südfrankreich. Man darf gespannt auf die Rundenzeiten des neuen Autos sein, das zumindest vielversprechend aussieht. In der Silverstone-Quali fehlten dem alten Lola B12/60 „nur“ 1,2 bis 1,3 Sekunden auf die Top-Zeiten der Werksautos. Im Rennen wird es vermutlich bei der Feuertaufe zu technischen Problemen kommen, doch immerhin sind die Schweizer ihrer hybridlosen LMP1-Konkurrenz aus dem Hause Lotus (bzw. Kolles) voraus, von deren neuem Wagen noch nichts zu sehen oder zu hören ist. Zumindest gibt es ihn… angeblich.
LMP2
Die LMP2-Klasse ist leider weiterhin schwach besetzt, da der Strakka mit dem neuen Dome-Coupé bekanntlich leider erst in Le Mans antreten wird und Millennium Racing weiterhin nicht das nötige Geld von seinen Finanziers zu bekommen scheint. Zu den übrig bleibenden vier Wagen – von denen drei (SMP und G-Drive) mit russischem Geld laufen und daher auch ständig Gefahr laufen, wegzubrechen – gesellt sich in Spa erfreulicherweise das Jota Sport-Team aus der ELMS hinzu. Es ist gut zu sehen, dass sowohl Simon Dolan als auch der Zytek-Nissan nach dem heftigen Unfall in Silverstone, der das Team den Sieg kostete, wieder einsatzbereit sind.
Dieser Gaststart ist umso erfreulicher, als dass Jota ein starkes LMP2-Team ist, das auch auf WEC-Niveau um den Klassensieg kämpfen wird können. Da Filipe Albuequerque, in Silverstone bei der ELMS noch als Leihgabe für Jota unterwegs, in Spa allerdings im dritten Audi sitzt, unterstützt Routinier Marc Gené, im Vorjahr Dritter in Le Mans für Audi und Sieger dort 2009 mit Peugeot, bei dieser Gelegenheit Gentleman Driver Simon Dolan und Youngster Harry Tincknell.
Die stärkste Konkurrenz dürfte vom G-Drive-Team um Roman Rusinov kommen, das in Silverstone den Klassensieg vor der überraschenden KCMG-Mannschaft holte. Bei beiden SMP-Oreca-Nissans lief dagegen wenig zusammen. G-Drive ist in diesem Jahr vor allem mit OAK Racing als Einsatzteam und dem schnellen Olivier Pla sehr gut aufgestellt und gegen die wenigen Konkurrenten wohl deutlicher Titel-Favorit, solange das Gazprom-Geld weiter verfügbar bleibt.
GTE-Pro
Überraschend musste vergangene Woche das britische Ram Racing-Team die Teilnahme beider Ferrari 458 (je einer in der GTE-Pro und -Am) für Spa absagen – Teamchef Dan Shufflebottom gab als Grund einen „temporary shortfall of funding“ an. Das Team glaubte eigentlich, ein passendes Budget für die erste WEC-Saison zu haben, doch – so ließ es Shufflebottom im Interview bei Radio Le Mans durchklingen – die nötigen Vorauszahlungen für die Teilnahme an der WEC und den 24h von Le Mans haben das Budget für den aktuellen Zeitpunkt so reduziert, dass man schweren Herzens auf das Rennen in Spa wird verzichten müssen. Auch wenn das Team gegen die Werks- bzw. werksunterstützten Einsätze von Porsche, Aston Martin und Ferrari in Silverstone kaum eine Chance hatte, schmerzt der Verlust des einzigen echten GTE-Pro-Privatiers.
Somit werden sich die genannten Hersteller mit ihren je zwei Autos wie aus dem Vorjahr gewohnt ohne weitere Konkurrenz um die Podiumsplätze streiten. In Silverstone konnten die beiden Manthey-Porsche einen recht überzeugenden Doppelsieg feiern; doch die Strafe folgt mit einer neuen Balance of Performance wie gewohnt auf den Fuß. Je 25 kg Gewicht müssen die beiden 911 RSR der 991er Baureihe zuladen. Für die beiden Aston Martin V8 Vantage gibt es je 15 kg Erleichterung, nachdem in Silverstone knapp eine Sekunde auf die Konkurrenz fehlte. Damit sind die britischen Sportwagen je 40 kg leichter sind als die Fahrzeuge der Konkurrenz.
Darren Turner und Stefan Mücke im starken #97er-Aston Martin, die trotz der fehlenden Sekunde in Silverstone den letzten Podiumsplatz ergattern konnten, werden in Spa von Bruno Senna unterstützt. Porsche dagegen verzichtet auf seine „dritten“ Fahrer Lietz und Tandy und schickt nur Pilet/Bergmeister und Holzer/Makowiecki ins Rennen. Bei AF Corse bleibt alles beim alten: Bruni/Vilander pilotieren die #51, Rigon/Calado die #71. Mit der neuen BoP ist das Rennen in Spa in der GTE-Pro völlig offen.
GTE-Am
Auch in der GTE-Am fehlt der Ram Racing-Ferrari; Johnny Mowlem wird seine Hoffnungen auf den Titel damit wohl frühzeitig begraben können. Zumindest aber bleibt die Menge an Autos (und an Ferraris) trotzdem gleich, denn AF Corse hat einen dritten 458 gemeldet: die #60 mit Peter Mann, Raffaele Giammaria und Lorenzo Casé. Die beiden letzteren können vereinzelte GT-Erfolge vorweisen, Bronze-Pilot Mann dagegen scheint noch ein relativ unbeschriebenes Blatt als GT-Rennfahrer zu sein, ist im Vorjahr allerdings bereits in der Blancpain Endurance Series mit AF Corse angetreten. Dieser zusätzliche Wagen wird aller Voraussicht nach keine nennenswerte Rolle im Rennen spielen.
Diese Aufgabe dürfte vor allem wieder den beiden Aston Martin Vantage zukommen, die in Silverstone mit ihren starken Besatzungen abgeräumt haben. Eine Änderung gibt es dabei: Nicki Thiim wird (und das war bereits vor seinem Unfall beim GT Masters-Saisonauftakt in Oschersleben geplant) in der #95 durch den jungen Neuseeländer Richie Stanaway ersetzt, der bereits 2013 für das Team unterwegs war. Stanaway, Meister der ADAC Formel Masters und des ATS Formel 3 Cup, brach sich 2012 bei einem Formel Renault-Unfall in Spa zwei Rückenwirbel; nach der Reha-Pause fasste er bei den Sportwagen wieder Fuß – ein zweiter Platz in der GTE-Pro bei den 6h von Shanghai im Vorjahr war dabei das Highlight.
Er wird sich das Cockpit mit dem Programmierer und starken Amateur-Fahrer David Heinemeier-Hansson und Ex-WTCC-Fahrer Kristian Poulsen teilen; die #98 wird von Dalla Lana/Lamy/Nygaard pilotiert. Unverständlich scheint, dass das FIA-Komitee entschieden hat, dass auch die Aston Martin in dieser Klasse 15 kg Ballast ausladen dürfen – ein weiterer (Doppel-)Sieg scheint damit nicht unwahrscheinlich zu sein, nachdem die Fahrzeuge im Vorjahr bereits in Spa gut liefen, wenn ihnen auch in beiden GT-Klassen der Sieg knapp entging.
Die größte Konkurrenz dürfte der AF Corse-Ferrari mit der #81 (Wyatt/Rugolo/Bertolini) darstellen, auch wenn diesmal Sam Bird, der in Silverstone schnell unterwegs war, fehlt; auch Vorjahres-Klassensieger 8 Star Motorsports um Enzo Potolicchio sollte man wenigstens für ein Podium auf der Rechnung haben. Der Proton Competition-Porsche 991 mit Ried/Bachler/Al Qubaisi muss trotz eines nicht übermäßig starken Saisonauftakts wie die GTE-Pro-Variante 25 kg Ballast zuladen. Der schwächelnde Prospeed-Porsche (das schwierig abzustimmende 997er-Modell) bleibt dagegen bei seinem leichteren Gewicht. Trotzdem dürfte es für das belgische Team (das allerdings mit drei französischen Fahrern antritt) wenig Chancen auf eine gute Platzierung geben.
Wann und wo?
Das Rennen startet am Samstag (!) um 14:30 Uhr und geht damit am Abend in die Dämmerung hinein. Die Quali läuft am Vorabend um 19:20 Uhr. Die letzten zwei Rennstunden zeigt Eurosport ab 18:30 Uhr live auf seinem Hauptkanal; MotorsTV ist ab 14 Uhr durchgehend live drauf. Auch im Stream ist das Rennen live zu sehen, ebenso die Quali, doch der Live-Stream ist in dieser Saison Bestandteil der kostenpflichtigen, neu entwickelten WEC-App, für die 20 € (für die Saison, aber ohne Le Mans) bzw. 5 € (für das Rennen) fällig werden. Das Live-Timing ist jedoch, anders als es anfangs schien, vollständig frei zugänglich.
In Silverstone hagelte es von Seiten der Fans – verständlicherweise – Kritik für dieses Bezahlpaket. Wenn eine Rennserie, die noch jung und auf Neuzuschauer angewiesen ist, sich nach zwei Jahren kostenloser Streams hinter einer Bezahlschranke versteckt, ist das zunächst unverständlich. Auf der anderen Seite ist die Begründung von Serien-Organisator Gerard Neveu, dass man die TV-Rechte schwierig vermarktet bekommt, wenn es ein kostenloses Angebot im Netz gibt, ebenso nachvollziehbar. Was meiner Meinung nach problematisch ist, ist nicht die Idee eines kostenpflichtigen Premium-Services, sondern vielmehr die Art der Kommunikation. So war die Ankündigung am Samstag in Silverstone doch etwas kurzfristig und kam für viele Fans als (sanfter) Schock. Hätte man nicht viel mehr die Testfahrten in Le Castellet, die man als „Prologue“ zu vermarkten versuchte, zur Ankündigung des Pakets nutzen können und dies gleich mit einem Schnupperangebot für die Testtage verbinden können?
Auch die Preisstruktur ist zwar simpel, aber ärgerlich. Warum beispielsweise auch der Abonnent eines „Season Packs“ noch einmal 10 € extra für Le Mans zahlen soll, wirkt unverständlich. Da ich das Paket nicht gebucht habe, kann ich die Qualität des Streams, der zusätzlichen On Boards und der eventuell vorhandenen weiteren Services nicht beurteilen. Die Qualität der App selbst und der frei zugänglichen Daten und Service überzeugt jedoch.
(Fotos: WEC)