Simon Pagenaud konnte sich in einem spannenden Finish den Sieg sichern. Das zweite große Thema am Samstag war die Sicherheit. Mit mehr Glück als Verstand ist die IndyCar Series mehrfach an einer Katastrophe vorbei geschlittert.
Starker Regen hatte am Freitag Sebastian Saavedra auf die Pole Position gespült. Aufgrund eines technischen Defektes oder einer Fehlbedienung würgte er aber beim stehenden Start den Motor ab. Ryan Hunter-Reay von Startplatz 3 konnte gerade noch ausweichen. Dies gelang Carlos Munoz nicht und er kollidierte mit dem stehenden Auto. Dahinter hatte dann Mikhail Aleshin keine Chance und schob sich mit hohem Tempo unter Saavedras Dallara. Alle drei Piloten blieben unverletzt. Dass so ein Startunfall auch anders ausgehen kann, zeigte der recht ähnliche Unfall von Didier Pironi und Riccardo Paletti beim Formel-1-Grand-Prix von Kanada 1982.
Vielleicht noch mehr Glück als die Fahrer hatten Samstag aber einige Personen in der Boxengasse. Diese ist nur durch eine etwa einen Meter hohen Mauer von der Strecke getrennt. Direkt an diesem Mäuerchen und neben Saavedra standen einige Personen, die sich noch gerade rechtzeitig vor dem Trümmerregen in Sicherheit bringen konnten. Weniger Glück hatte Greg Ballard, Bürgermeister von Indianapolis, der beim Schwenken der grünen Flagge von einem Carbonteil am Arm getroffen wurde. Die Abtrennung zur Boxengasse bietet Null Sicherheit und selbst hinter einem Zaun an dieser Stelle dürften da keine unbeteiligten Personen stehen. Das ist absolut fahrlässig.
Der zweite haarsträubende Unfall ereignete sich in Runde 47. Martin Plowman verbremste sich in Anfahrt auf Kurve 7 und wurde durch den inneren Abweiser ausgehoben. Er flog mit einem ordentlichen Luftstand über die Strecke und rasierte den Heckflügel von Franck Montagny ab. An Stelle des Heckflügels hätte er auch mit dem Überrollbügel und Motagnys Kopf kollidieren können. Beide Fahrer blieben wieder unverletzt und Plowman konnte mit zwei Runden Rückstand das Rennen sogar beenden.
Mit diesem Unfall war das Glück der IndyCar Series fast aufgebraucht. Nach einem Restart in Runde 55 gab es auf der Gegengeraden einige wilde Manöver und unter anderem wurde dabei der Frontflügel von Justin Wilsons Fahrzeug zerstört. Eines der Trümmerstücke traf James Hinchcliffe am Kopf und er konnte so gerade noch seinen Dallara in Kurve 7 abstellen. Nach ausgiebigen Untersuchungen an Kopf und Nacken wurde im Krankenhaus „nur“ eine Gehirnerschütterung diagnostiziert. Mit dieser wird Hinchcliffe aber einen großen Teil der Trainingstage für das Indy 500, die schon Sonntag begonnen haben, verpassen. Ersetzt wird er bei Andretti Autosport von EJ Viso. Trotzdem hatte auch Hinchcliffe eine gute Portion Glück im Unglück.
Neben den schweren Unfällen gab es noch eine leichte Kollision in Runde 41 zwischen den beiden Freunden Scott Dixon und Will Power. Power hatte Dixon in Kurve 1 hinein überholt und beim Konter in Kurve 3 drehte sich Dixon ins Kiesbett. Abgesehen davon, dass die Kollision das Rennen des amtierenden Meisters zerstörte, war es nur eine Lappalie.
Zwischen und nach den Unfällen wurde aber tatsächlich noch ein Rennen ausgetragen. Leider hat man als Fernsehzuschauer, durch die leicht indisponierte Regie von ABC/ESPN, nicht so viel davon mitbekommen. Immer wieder, vor allem in der Anfangsphase des Rennens, hat man im Hintergrund ein Fahrzeug ausscheren sehen, die Regie blieb aber nicht beim Zweikampf, sondern zeigte lieber den Führenden. Das war für 31 Runden überraschenderweise Jack Hawksworth. In der nassen Qualifikation hatte er sich Startplatz 2 gesichert und beim ersten Restarts Ryan Hunter-Reay für die Führung überholt. Diese behielt er ungefährdet bis zur Gelbphase ab Runde 42.
Mit dieser Gelbphase zu Rennmitte wurde es strategisch richtig interessant. Helio Castroneves, Juan Pablo Montoya und Charlie Kimball fuhren in Runde 41, noch bevor die Boxengasse durch die Caution geschlossen wurde, an die Box. Unter Gelb in Runde 44 folgte ihnen ein großer Teil des Feldes, unter anderem Jack Hawksworth, Will Power, Sebastien Bourdais und Simon Pagenaud. Sie verloren natürlich Track-Position gegenüber der Castroneves-Gruppe. Ryan Hunter-Reay, Oriol Servia und weitere Fahrer verzichteten ganz auf den Stopp in diesem Fenster. Bei einem Fuel-Window von 24 bis 28 Runden mussten alle Fahrer danach noch mindestens einen weiteren Stopp absolvieren.
Eine Gelbphase ab Runde 52 bot dafür die Gelegenheit. Mit einem Stopp in Runde 54, also 28 Runden vor Rennende, konnte man im Sparmodus wohl zu Ende fahren. Ryan Hunter-Reay und Simon Pagenaud setzten genau auf diese Strategie. Oriol Servia stoppte zwar gleichzeitig, aber bei Rahal Letterman Lanigan Racing glaubte man, dass man auf jeden Fall noch Nachtanken müsste und so fuhr Servia so schnell wie möglich.
In Führung lag ab Runde 55 Helio Castroneves vor Charlie Kimball, Jack Hawksworth und Sebastien Bourdais, die aber alle noch einmal in die Box mussten. Hawksworth verlor auf seinen Prime-Tyres Zeit und so holte man ihn schon in Runde 61 in die Box. Das war ein Fehler, denn er kam mitten im Verkehr wieder auf die Strecke und konnte sich nicht wieder in die Spitzengruppe vorarbeiten. Platz 7 am Ende ist für den Rookie zwar ein sehr gutes Ergebnis, es wäre aber noch mehr möglich gewesen.
Zwischen Runde 69 und 71 absolvierte dann die restliche Spitzengruppe ihren Stopp. Kurzfristig ging Oriol Servia an die Spitze, bis er in Runde 78 zum Nachtanken kam. In Führung lagen nun die beiden Benzinsparer Simon Pagenaud und Ryan Hunter-Reay. Von hinten machten Castroneves und Co. mit frischen Reifen und genug Benzin Druck. Etwa 1 bis 1,5 Sekunden pro Runde waren sie schneller. Zwei Fragen führten zu einem sehr spannenden Finish: Kommen Pagenaud und Hunter-Reay mit ihrer Benzinmenge ins Ziel? Können Castroneves und Bourdais die Spitze attackieren?
Das Benzin reichte aus und Castroneves schaffte es nur bis zur hinteren Stoßstange von Hunter-Reay. Im Abstand von drei Sekunden kamen Pagenaud, Hunter-Rey, Castroneves und Bourdais ins Ziel. Mit ein wenig mehr Rückstand folgte geschlossen das B-Team von Chip Ganassi in Form von Charlie Kimball und Ryan Briscoe.
In der letzten Runde verlor Will Power, durch einen Fahrfehler oder Benzinmangel, Platz 7 noch an Jack Hawksworth. Power war sehr schnell im Rennen, musste aber eine Drive-Through Penalty antreten, weil er bei seinem zweiten Boxenstopp einen Druckluftschlauch überfahren hatte. Mit einem Tankstopp in Runde 57 und damit außerhalb der Sequenzen der anderen Fahrer konnte er sich wieder in die Top 6 vorarbeiten. Frische Reifen, freie Fahrt und Will Power ist schon eine extrem schnelle Kombination.
Hinter Power kamen nach einem sehr unauffälligen Rennen Takuma Sato und Tony Kanaan ins Ziel. Justin Wilson musste wie auch Sato in Runde 58 seinen defekten Frontflügel wechseln lassen und verpasste so eine bessere Platzierung. Auf Platz 12 folgte Oriol Servia, der einfach auf der falschen Strategie in den letzten 28 Runden unterwegs war. Nach kleineren Zwischenfällen beendeten Carlos Huertas, Marco Andretti und Scott Dixon das Rennen am Ende der Führungsrunde.
Ein aufregendes Rennen hatte auch Juan Pablo Montoya, der auf Platz 16 ins Ziel kam. Beim Rennstart blieb er wie Saavedra stehen. Zum Glück wurde er von keinem nachfolgenden Fahrzeug getroffen. Natürlich verlor er aber seinen guten Startplatz in den Top 10. Bei den Restarts zeigte er sich sehr aggressiv, eigentlich schon viel zu aggressiv, und machte jeweils einige Positionen gut. Mit vielen anderen Piloten im Hinterfeld beschleunigte er vorzeitig und entsprechend wild fächerte sich das Feld auf. Zusammen mit Motagny wurde Montoya für diese Restarts bestraft. Im Prinzip hätte die IndyCar aber ein Drittel des Feldes bestrafen müssen. Die Start-und Zielgerade ist zwar sehr breit im IMS, trotzdem waren die Aktionen sehr gefährlich. Erst beim letzten Restart waren die Fahrer halbwegs diszipliniert.
Bei den wilden Restarts gab es natürlich einige Carbonschäden. Neben Wilson und Sato musste auch Josef Newgarden seinen Dallara reparieren lassen. Mike Conway beschädigte sich durch Debris direkt am Start sein Auto und verlor 20 Runden in der Box. Nach einer Kollision mit Juan Pablo Montoya in Runde 50 musste Graham Rahal sein Auto sogar ganz abstellen.
Das ganze Ergebnis findet man hier übersichtlich auf der Seite der IndyCar Series.
In der Meisterschaft führt Will Power nur noch mit einem Punkt vor Ryan Hunter-Reay. Nur weitere fünf Punkte dahinter liegt Simon Pagenaud. Mit einem Abstand von 40 Punkten folgen Helio Castroneves und Scott Dixon. Auf der Statistikseite der IndyCar findet man die komplette Meisterschaftswertung.
Direkt am Sonntag starteten die ausgiebigen Trainingssitzungen für das Indy 500. Bis Freitag steht der IMS jeden Tag von 12:00 pm bis 6:00 pm den Teams zur Verfügung. Einen Stream gibt es auf der Seite der IndyCar Series. Am Samstag 17. Mai findet die erste Qualifikation (11:00 am – 5:50 pm) und am Sonntag 18. Mai die zweite Qualifikation (10:15 am – 2:45 pm) statt. Laut der Programminfo von Sky wird der Pole Day am Sonntag von 19:00 bis 21:00 Uhr bei Sport1 US HD live übertragen.
Das nächste Rennen sind dann die 500 Meilen von Indianapolis am 25. Mai.
3 Kommentare
Dass Paletti bei einem ähnlich angelegten Unfallhergang ums Leben kam dürfte so ziemlich die einzige Gemeinsamkeit sein. In den über 30 Jahren seitdem ist dermassen viel an Technik, Ausstattung, Fahrzeugdesign, Sicherheitssystemen und Rettungsabläufen verändert worden, dass man da meines Erachtens nicht ernsthaft Vergleiche über das Gefahrenpotential anstrengen kann. Was damals eben in der Tat ganz anders ausgehen *konnte*, wird heute mit beträchtlicher Wahrscheinlichkeit so ausgehen wie es ausgegangen ist.
Also ich finde das Beispiel durchaus treffend, denn es zeigt auch wie steinzeitlich dir Indycar mit dem Rennen und den Problemen umgegangen ist. Es gibt keine vernünftige Aufarbeitung und in Medien wird nur verbreitet wie toll das alles war. Wenn die Indycar ehrlich wäre muss sie zugeben, dass nur mit viel Glück an nächsten Toten vorbeigeschrammt ist.
Mit der Konzeption und Einführung des DW12 hat die IndyCar die Sicherheit der Piloten massiv gesteigert. Nach dem Unfall von Wheldon hat man auch die Sicherheit im Oval, Stichwort: pack-racing, deutlich verbessert.
Auf der anderen Seite ignoriert man die einfachsten Sicherheitsgedanken. Ich denke dabei zum Beispiel an die Flugschanzen in Baltimore, die provisorischen Zäune in Houston, in die Franchitti geflogen ist, der fehlende Zaun im IMS, stehende Starts mit Autos, die dafür im Grunde nicht konzipiert worden sind, keine Caution, um Hinchcliffe aus dem Auto zu holen, wilde Restarts …
Das sind jetzt nur Dinge, die mir an den letzten sieben Rennwochenenden negativ aufgefallen sind. Früher oder später wird es wieder zu einer Katastrophe kommen. Wobei drei schwer verletzte Fahrer, Franchitti, Wilson, Hinchcliffe, und ein verletzter Bürgermeister sind schon eine „ordentliche“ Quote in sieben Rennen.
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