Heimspiel für Honda: Das vierte Saisonrennen der Super Formula findet auf dem Twin Ring Motegi statt. Mit dem bereits in der Super GT erfolgreich erprobten, verbesserten Motor will die Marke die Schmach der ersten drei Saisonrennen vergessen lassen. Für viel Wirbel im Vorfeld sorgte André Lotterer, der dieses Wochenendende aufgrund eines überraschenden Formel-1-Deals von Andrea Caldarelli ersetzt wird.
Die Meldung kam überraschend: Montagabend geisterte das Gerücht durch die Weiten des Internets, wonach André Lotterer den Japaner Kamui Kobayashi beim Formel-1-Grand-Prix im belgischen Spa-Franchorchamps ersetzen könnte. Das Gerücht wirkte zunächst nicht nur wegen der Audi-Werkszugehörigkeit Lotterers merkwürdig, sondern auch wegen des überschneidenden Rennens der Super Formula in Motegi. Aufgrund der Meldung wurde der höchsten japanischen Formel-Serie etwas unfreiwillig viel Aufmerksamkeit geschenkt, schließlich würde die einen Tag später veröffentlichte Entry-List einen ersten Indikator über den Wahrheitsgehalt des Gerüchts liefern. Tatsächlich tauchte der gebürtige Duisburger zunächst auch auf dieser auf, wurde wenige Stunden später aber durch Andrea Caldarelli ersetzt. Einige Zeit später verschwand die Teilnehmerliste sogar vollständig, war aber noch über den alten Link aufrufbar. Mittwoch dann die offizielle Bestätigung: Lotterer wird in Spa-Franchorchamps einmalig Kamui Kobayashi ersetzen. Die Verbindung zwischen Lotterer und Caterham kommt nicht zwingend überraschend, da der Rennstall nun mehr oder weniger von Collin Kolles geführt wird, der Lotterer 2009 bei den 24 Stunden von Le Mans in einen privat eingesetzten Audi R10 setzte.
Überraschend ist eher, dass es ausgerechnet jetzt passiert. Die Ardennenachterbahn kennt der in Belgien aufgewachsene, mittlerweile dreifache Le-Mans-Sieger jedenfalls wie kaum ein anderer. Zusätzlich ist er ein exzellenter Regenfahrer, was er unter anderem vergangenes Jahr beim Super-Formula-Rennen auf dem Fuji Speedway bewies, als er in der letzten Runde seinem Teamkollegen Kazuki Nakajima auf nasser Piste mit Slicks den Sieg wegschnappte. Mit dem Titelgewinn von 2011 in Japans höchster Formel-Serie in der Tasche war der Erwerb der für die Formel 1 benötigten Superlizenz zudem lediglich eine Formalität. Für den einstigen Jaguar-Testfahrer geht somit ein Karrierewunsch in Erfüllung, für den er von Audi sowie seinem japanischen Team Tom’s die Freigabe erhielt. Zusätzlich erhält die Super Formula quasi beiläufig etwas mehr der ihr absolut zustehenden Aufmerksamkeit aus dem Westen, da Lotterers Monoposto-Erfahrung mit seinen Rennaktivitäten in Japan in Verbindung gebracht wird. Sofern auch die Recherche stimmt. Denn neben der noch häufig fälschlichen Nennung des alten Seriennamens (Formula Nippon) berichtete die Online-Ausgabe einer großen deutschen Automobilzeitschrift beispielsweise, dass Lotterer ursprünglich an einem Sportwagenrennen in Motegi teilnehmen sollte…
Wenig überraschend entschied sich Petronas Team Tom’s, den Italiener Andrea Caldarelli als kurzfristigen Lotterer-Ersatz zu verpflichten. Caldarelli ist für das zweite Team von Tom’s in der Super GT unterwegs und führt dort die GT500-Meisterschaft zusammen mit seinem Teamkollegen Daisuke Ito an. Bereits vergangenes Rennen am Fuji Speedway sprang der Italiener für den in Le Mans schwer verunfallten Loic Duval ein, als dieser noch keine ärztliche Rennfreigabe erhielt, wobei er sich auf Anhieb die Pole-Position sicherte. Während der Franzose dieses Wochenende sein Comeback in Japan feiert, kommt Caldarelli somit zu seinem zweiten Einsatz in der Super Formula in diesem Jahr. Die Fuji-Pole kam nicht von ungefähr, schließlich absolvierte er im Vorfeld einige Testkilometer für Toyota, für die keine aktiven Stammfahrer verwendet werden durften. Auch in Motegi zählt Andrea Caldarelli zu den heißesten Siegesanwärtern.
Die Motegi-Abstinenz wird Auswirkungen auf die Meisterschaftsambitionen von André Lotterer haben. Bislang befindet sich der Deutsche mit nur 3,5 Punkten Rückstand auf Kazuki Nakajima auf dem zweiten Tabellenrang. Je nach Rennverlauf könnte der Deutsche jedoch viel Boden nicht nur auf seinen Teamkollegen, sondern auch die weitere Konkurrenz verlieren. Der einstige Tabellenführer Loic Duval hatte in Fuji noch Glück im Unglück, da sowohl Lotterer als auch Joao Paulo de Oliveira wichtige Punkte liegen ließen, wodurch der Franzose lediglich auf Rang drei mit 15,5 Punkten abrutschte. Mit Autopolis, Sugo sowie Suzuka stehen nach Motegi noch drei Rennen auf dem Programm. Zusätzlich wird das Saisonfinale abermals in zwei Sprintrennen unterteilt. Bei lediglich halben Punkten erhalten die jeweiligen Laufsieger noch jeweils drei Bonuspunkte, weshalb Lotterers mathematische Chancen, ohne Ausfälle und dergleichen, trotzdem intakt bleiben sollten. Wie eng es zugehen kann, bewies unter anderem der finale Showdown im vergangen Jahr, als der Audi-Werkspilot aufgrund seines WEC-Engagements an zwei Rennen nicht teilnehmen konnte und am Ende nur aufgrund der bis letzte Saison anderen Tie-Breaker-Regeln den Titel an Naoki Yamamoto verlor.
Weltweit ist der Twin Ring Motegi eine einzigartige Rennstrecke, da er anders als die Strecken in den USA einen separaten Oval- sowie Straßenkurs enthält, ohne dabei Kompromisse bei der Streckenführung einzugehen. Gebaut wurde der gesamte Komplex 1997 von Honda, mit dem Ziel, die CART nach Japan zu holen und das eigene Wissen im Bereich des amerikanischen Open-Wheel-Sports zu erweitern. Trotz der „Zwillingsstrecken“ ist es allerdings nicht möglich, gleichzeitig zwei Rennen auszutragen, da sich der 4,8 km lange Straßenkurs die Boxengasse wie auch die Haupttribüne mit dem 2,493 km langen Super Speedway teilt. Zusätzlich werden beide Kurse in jeweils anderer Richtung gefahren. Neben der CART und später der IndyCar fuhr 1998 auch die NASCAR (damals noch Winston Cup) ein Einladungsrennen auf dem Oval. Das Coca-Cola 500 gewann damals Mike Skinner für Richard Childress Racing. In die NASCAR-Geschichte ging das Rennen allerdings aufgrund der Tatsache ein, dass es zum einen das erste (und einzige) Oval-Rennen der NASCAR in Japan war und zum anderen weil Dale Earnhardt sr. sowie sein Sohn Dale Earnhardt jr. das erste Mal zusammen in einem Rennen fuhren. Das letzte Oval-Rennen der IndyCar fand 2010 statt. Beim Tohoku-Erdbeben vom 11. März 2011 wurde der Super Speedway leider sehr stark beschädigt. Da die IndyCar bereits davor beschlossen hatte, nach 2011 aus wirtschaftlichen Gründen vorerst keine Rennen mehr im Land der aufgehenden Sonne auszutragen, beschloss der Streckenbetreiber, das Oval nicht zu reparieren. Das letzte IndyCar-Rennen fand deshalb erstmals auf dem Straßenkurs statt, welches Scott Dixon für Chip Ganassi Racing gewann. In Europa ist der Kurs insbesondere durch den dort seit 2004 jährlich ausgetragenen Japan-Grand-Prix der MotoGP bekannt.
Der Straßenkurs des Twin Ring Motegi fällt für japanische Verhältnisse aufgrund seines flachen Höhenprofils eher untypisch aus. Zudem besitzt die Strecke mit ihren 14 Kurven einen Stop-and-Go-Charakter, mit lediglich einer leichten Erhöhung in der Haarnadelkurve sowie kurzen Geraden. Überholmanöver sind deshalb schwierig. Interessant ist die Tatsache, dass der Straßenkurs zwei Unterführungen besitzt, mit der ersten auf der kleinen Geraden zwischen Kurve 4 und 5. An dieser Stelle verlassen die Fahrer quasi unter Turn 3 des Ovals den inneren Teil der Anlage; auf der Geraden nach Kurve 11 (zwischen Turn 1 und 2 des Ovals) gelangen sie durch die zweite Unterführung – das Ganze wirkt wie die Unterführung nach der Degner vor der Haarnadel in Suzuka – wieder in den inneren Teil hinein. Dies ist nur aufgrund der Einzigartigkeit der kompletten Anlage möglich und stellt somit gleichzeitig die Besonderheit der Strecke dar.
Aus Mangel an Super-Formula-Onboard-Material im folgendem eine Onboard-Runde mit Ryo Michigami im Rockstar Dome NSX (Super GT) aus dem Jahr 2009:
Unglücklicherweise sorgt aber genau diese Einzigartigkeit der Strecke für einige Probleme für die Zuschauer vor Ort. Zum einen sitzen sie beispielsweise auf der Haupttribüne zu weit von der Start- und Zielgeraden entfernt, zudem blockiert das Oval die Sicht auf einige Kurven der Strecke, weshalb viele größere Monitore zum Verfolgen des Geschehens benötigt werden. Abseits der Haupttribünen sind die Sitze auf wenige Stellen im inneren Teil des Ovals sowie die Gegengerade des Straßenkurses limitiert. Zu allem Übel besitzt die Strecke keine besonders gute Infrastruktur. Motegi (Tochigi-Präfektur) selbst ist mit lediglich 16.403 Einwohnern (Stand 2005) und einer Gesamtfläche von 172,71km² eine relativ kleine Stadt. Zwar ist die Strecke mit dem Auto nur rund 6 km von der Innenstadt entfernt, dennoch sind die Übernachtungsmöglichkeiten, abgesehen von einem Hotel direkt an der Strecke, quasi inexistent. Zusätzlich besitzt die Anlage lediglich zwei zweispurige Straßenzufahrten, was bei Großveranstaltungen mitunter für Verkehrsstaus sorgt. Die Anfahrt mit dem Zug gestaltet sich ebenfalls schwierig, weil die zwei großen regionalen Zuggesellschaften JR East und Tobu Railway den Bahnhof in Motegi nicht direkt anfahren. Pläne für eine Schnelltrasse für den Shinkansen gibt es ebenfalls nicht.
Passend zum Heimspiel von Honda erhalten die Teams den bereits in der Super GT erfolgreich erprobten, verbesserten Tubro-Motor. Dieser soll auch in der Super Formula das starke Leistungsdefizit gegenüber dem Toyota-Aggregat mindern. Ein erster Indikator für die wiederweckte Stärke von Honda könnten die beiden Trainingseinheiten vom Freitag sein, die hauptsächlich für Performance-Tests genutzt wurden. Weil der Twin Ring Motegi als besonders belastend für die Bremsen gilt, schrieb die JRP aus Sicherheitsgründen eine Vergrößerung der Bremskühlung vor. Bereits in den vergangenen Wochen testeten beide Marken im Sportsland Sugo mit Takuya Izawa und Andrea Caldarelli besagtes Problem. Zwar gibt es kein offizielles Wort über das Ergebnis der Testfahrten. Tom’s-Chefingenieur Tsutomu Toji erklärte jedoch in seinem Blog, dass unter anderem die Bremsen bei den Testfahrten erprobt wurden. Zusätzlich verringerte die JRP für Motegi den Benzinfluss von 100 kg/h auf 90 kg/h. Mit 1:33.373 erzielte Hiroaki Ishiura bei den Performance-Tests die Tagesbestzeit. Dahinter versammelten sich mit Hideki Mutoh, Naoki Yamamoto sowie Tomoki Nojiri gleich drei Honda-Piloten. Die Top 5 wurde von Loic Duval abgerundet. Selbstredend werden die Karten erst in der Qualifikation aufgedeckt, es ist jedoch davon auszugehen, dass Honda mit der verbesserten Motorleistung nun endlich wieder auf Augenhöhe mit Toyota ist. Ein etwaiger Sieg wäre jedenfalls die perfekte Bestätigung für die Leistungssteigerung. Der letzte Honda-Erfolg auf dem hauseigenen Zwillingsring geht übrigens auf Takashi Kogure ins Jahr 2009 zurück. Seitdem hießen die Sieger hauptsächlich André Lotterer, Loic Duval, Joao Paulo de Oliveira oder Kazuki Nakajima. Mit den drei letzteren muss selbstredend auch dieses Wochenende wieder gerechnet werden.
Weitere starke Anwärter auf das Podium sind unter anderem Duvals Teamkollege Ryo Hirakawa sowie James Rossiter. Der Brite verhilft Kondo Racing bereits seit dem Saisonstart zu neuen Höhenflügen und wurde zu Beginn des Jahres nicht umsonst von mir als „Dark Horse“ betitelt. Vergangenes Rennen in Fuji hatte Rossiter zudem Chancen auf den Sieg, entschied sich wie Lotterer aber während der kurz vor Schluss ausgelösten Safety-Car-Phase gegen den Wechsel auf Regenreifen. Das Resultat war eine Schlitterpartie auf Slicks, die ihn bis auf Position acht zurückwarf. Ryo Hirakawa hatte wie auch Kazuki Nakajima hingegen den richtigen Riecher, wechselte rechtzeitig auf die korrekten Pneus und lieferte sich im Schlussprint ein packendes Duell mit dem Champion von 2012. Bedingt durch einen kleinen Fahrfehler warf der für kurze Zeit sogar führende Hirakawa den möglichen Sieg weg. Mit Position zwei feierte der erst 20-jährige Japaner jedoch sein bis dato bestes Saisonresultat. Ein wichtiger Schlüsselfaktor wird die Qualifikation am Samstag sein, da das Überholen auf dem Zwillingsring nur schwer möglich ist. Bei Temperaturen über 30 Grad wird sich der japanische Hochsommer abermals von der heißen Seite zeigen, weshalb insbesondere auf den Reifenverschleiss geachtet werden muss. Es ist dennoch nicht davon auszugehen, dass die Teams mehr als einen Boxenstopp absolvieren werden. Für eine interessante Spannungsvariable könnte zudem erneut das Wetter sorgen, denn sowohl für Samstag wie auch Sonntag sind vereinzelte Regenschauer sowie Gewitter vorhergesagt.
News
Vor zwei Wochen veröffentlichte die JRP den vorläufigen Kalender für 2015. Zwar taucht auf diesem erneut kein Rennen außerhalb Japans auf. Dafür wird mit Okayama ein toller wie auch sehr lange von den Fans vermisster Kurs seine Rückkehr feiern. Okayama ist international insbesondere durch den ehemaligen Pazifik-Grand-Prix der Formel 1 sowie einige der japanischen WTCC-Läufe bekannt. National feiert die Super GT seit einigen Jahren dort ihren Saisonstart. Das letzte Super-Formula-Rennen in Okayama fand im Jahr 2008 statt. Damals gewann Loic Duval vor André Lotterer und Kohei Hirate. Ansonsten bleibt auch der nächstjährige Kalender mit sieben Saisonrennen auf sechs verschiedenen Kursen überschaubar. Die Saison beginnt und endet erneut in Suzuka, womit die Grand-Prix-Bahn der einzige Austragungsort ist, der zweimal besucht wird. Nach der Absage des Rennens in Inje (Korea) hält sich die JRP bezüglich der Expansion in Asien bedeckt. Gerüchten zufolge könnte es in den nächsten Jahren allerdings ein Rennen auf dem Buddh International Circuit in Indien geben. Die dortigen Streckenbetreiber wollen sich zumindest noch dieses Jahr mit der JRP zu weiteren Gesprächen treffen. Als ebenfalls möglich erscheint ein Rennen in Indonesien, zumal die Super Formula auf dem hiesigen, für japanische Sendungen spezialisierten Sender Wakuwaku übertragen wird. Der vorläufige Kalender muss noch vom Motorsport-Weltverband FIA abgesegnet werden.
Im folgendem der provisorische Kalender für 2015 im Überblick:
11.04-12.04: Suzuka Circuit
23.05-24.05: Okayama Internatioal Circuit
18.07-19.07: Fuji Speedway
22.07-23.08: Twin Ring Motegi
12.09-13.09: Autopolis
26.09-27.09: Sportsland Sugo
07.11-08.11: Suzuka Circuit
TV-Zeiten Motegi
An der derzeitigen TV-Situation hat sich nichts geändert, weshalb man erneut auf die mehr oder weniger beliebte Graualternative im Internet zurückgreifen muss. Die Qualifikation am Samstag wird vom japanischen TV-Sender J Sports 3 ab 6:00 Uhr übertragen. Die Übertragung am Rennsonntag beginnt auf J Sports 3 um 7:30 Uhr. Der Startschuss zu den 52 Runden erfolgt eine halbe Stunde später um 8:00 Uhr deutscher Zeit.
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