Als Klassiker in Sachen Spannung wird der ersten GP von Russland sicher nicht in die Geschichte eingehen. Auf der anderen Seite spiegelte das Rennen sehr gut wieder, wie die Saison verlaufen ist. Konsequenterweise hat sich Mercedes auch den ersten Titel in diesem Rennen gesichert.
Die Überraschung des Rennwochenendes erlebten die Teams schon am Freitag, als sie nach den Trainingssessions die Reifendaten überprüften. Obwohl die Strecke brandneu und praktisch unberührt war, obwohl es diese lange, sehr schnelle 180-Grad-Kurve gibt, lagen die Verschleißwerte weit unter den Erwartungen. Sehr weit. War man in den Simulationen noch von einer Zwei-Stopp-Strategie ausgegangen, offenbarte sich schnell, dass ein einziger Stopp völlig ausreichen würde. Damit war aber auch klar, dass das Rennen in Sachen Strategie wenig Möglichkeiten bieten würde. Aber bevor man die Schuld an dem eher langweiligen Rennen in Richtung Pirelli schiebt: Die Italiener waren nicht schuld. Da sie keinerlei eigene Daten über die Beschaffenheit des Asphalts hatten, mussten sie mit den „Medium/Soft“ eine konservative Wahl treffen. Im Nachhinein wären die „Supersoft“ die bessere Wahl gewesen.
Das Rennen war im Grunde in der ersten Kurve entschieden, als Rosberg zwar die bessere Linie für Turn 2 hatte, sich aber fürchterlich verbremste. Interessanterweise bremste er nur ein paar Zentimeter später als Hamilton, dennoch handelte er sich zwei fette Bremsplatten ein. Das deutet daraufhin, dass Rosberg die Bremsbalance weiter nach vorne gestellt hatte, was man nicht zum ersten Mal gesehen hat. Auffällig war das schon in Monza, wo die nach vorne geleitete Bremskraft Rosberg einen möglichen Sieg kostete. Was Rosberg im restlichen Rennen leistete, war dann aber wieder sehr sehenswert, denn er kämpfte sich durch das gesamte Feld und lag schon nach etwas mehr als der Hälfte des Rennens wieder auf P2, allerdings rund 20 Sekunden hinter Hamilton. Zeit, die er durch seine Überholmanöver verloren hatte, aber es waren dann auch nicht mehr als 0,7 Sekunden pro Runde, die er dadurch verlor, was schon erstaunlich war.
Man könnte spekulieren, was passiert wäre, hätte Rosberg die Kurve geschafft, aber über das gesamte Wochenende war Hamilton deutlich schneller als der Deutsche. Die langen Geraden und DRS hätten die Reihenfolge vermutlich schnell wieder hergestellt. Aber durch den Fehler wurden die Zuschauer dann eines schönes Duells an der Spitze beraubt. Denn nachdem Rosberg in der ersten Runde an die Box fuhr, um seine eckigen Reifen zu wechseln, hatte Hamilton wenig Druck. Zwar bemühte sich Bottas, im Windschatten von Hamilton zu bleiben, doch der Mercedes war für den Williams einfach zu schnell. Immerhin hielt er in den ersten Runden Kontakt zum Briten, der aber vermutlich eh schon eher im „Rennen gewinnen“-Modus war.
Dahinter tat sich zumindest etwas, weil die Toro Rosso, Red Bull, McLaren und Ferrari miteinander beschäftigt waren und sich teilweise sehr schöne, faire und spannende Zweikämpfe lieferten. Doch während auf anderen Strecken die Fahrzeuge über die gesamte Renndistanz zusammenkleben, zog sich in Sotschi das Feld schnell sehr weit auseinander. Man war schwer an die Rennen in Valencia erinnert. Dabei mangelt es auf der Strecke weder an DRS-Zonen noch anderen Überholmöglichkeiten. Die breite Strecke erlaubt unterschiedliche Linien und sogar Überholmanöver auf der Kurvenaußenseite. Warum also zog sich das Feld soweit auseinander?
Der Grund dafür ist eine Mischung aus den konservativen Reifen und einer Strecke, die ein relativ mittleres Downforce-Setup verlangt. Da eine Ein-Stopp-Strategie zum besten Ergebnis führen würde, waren die Vorgaben für die Fahrer klar. Die Teams wussten also genau, was das Auto auf den Reifen mit welchem Spritverbrauch kann. Und handelten dementsprechend. Schaltzeitpunkte, Spritverbrauch, maximale Rundenzeiten und Reifentemperaturen geben eine maximale Perfomance vor, gegen die man sich nur schwer wehren kann. In Sotschi zeigten also die Teams, was ihr Auto, zumindest auf Strecken dieser Art, leisten kann. Mercedes war eine gute Sekunde schneller als Rest, Williams folgte, die wiederum einen großen Abstand auf die überraschend starken McLaren hatten. Kevin Magnussen meinte nach dem Rennen auf die Frage, warum das Auto plötzlich so stark sei: „Wir waren auch überrascht, das müssen wir rausfinden.“
Dahinter lagen eigentlich die Red Bull, die man in Sotschi auch etwas stärker erwartet hatte, aber Fernando Alonso quetschte den Ferrari mal wieder auf die bestmögliche Position. Was auch ein wenig daran lag, dass Vettel und Riccardo in den ersten Runden in einem heftigen Zweikampf lagen und viel Zeit auf den Spanier verloren. Da half selbst der verpatzte Stopp von Ferrari am Ende nichts.
Toro Rosso sah zunächst im Rennen sehr gut aus, doch das Team hatte die guten Startpositionen für eine Abstimmung geopfert, die im Rennen nicht mehr so gut funktionierte. Die Reifen bauten bei Toro Rosso schneller ab als bei der Konkurrenz, weswegen Kyvat und Vergne nach und nach aus den Punkten fielen.
Erstaunlicherweise war es im Rennen gar nicht so leicht zu überholen. Zwar konnte Nico Rosberg mit seinem überlegenen Mercedes durchs Feld schneiden, aber davon abgesehen war es eher zäh. Besonders überraschend war, dass Felippe Massa mit frischen „Soft“ hinter Sergio Perez feststeckte, der gleichzeitig von der Box angewiesen wurde, Sprit zu sparen. Normalerweise hätte man erwarten müssen, dass Massa mit dem schnellen Williams und neuen „Soft“ sich wie ein Beserker durchs Feld würde wühlen können. Doch das war nicht der Fall. Ein Grund dafür wird der Zustand der Strecke gewesen sein. Denn wie man oft, vor allem auf neuen Strecken, beobachten kann, verliert man am Ende selbst mit alten Reifen kaum Zeit, weil mehr Gummi auf dem Kurs liegt. Gleichzeitig werden die Autos leichter und somit sinkt die Belastung auf die Reifen. Rosberg konnte seine schnellsten Runden im letzten Drittel des Rennens fahren, Bottas die schnellste Runde des Rennens in der letzten Runde.
Für die WM bedeutete das Ergebnis zunächst mal, dass Mercedes den Konstrukteurs-Titel gewonnen hat. Zum ersten Mal in der Geschichte der Formel Eins, denn der Titel wurde erst nach dem Rückzug der Stuttgarter in den 50er Jahren eingeführt. Das ist natürlich eine großartige Leistung, vor allem wenn man bedenkt, wo das Team in den letzten zwei Jahren gestanden hat. Aber in diesem Jahr hat Mercedes in allen Belangen die beste Arbeit geleistet. Die Motorenwerkstatt in Brixworth genauso wie das Team in Brackley. Man hat den besten Motor und, was noch wichtiger ist, das beste Chassis. Keine Verschleißprobleme, keine Sorgen auf Strecken, in denen hoher Abtrieb gefragt ist. Auch Red Bull hatte in diesem Jahr nicht so ein gutes Chassis wie Mercedes.
Toto Wolff verriet im Interview bei der BBC, dass immerhin knapp 700 Angestellte in England und Deutschland für den Titel gearbeitet haben. Für das Team ist dieser Titel bekanntermaßen wichtiger als ein Fahrertitel. Für die Angestellten sowieso, denn die Bonus-Zahlungen sind ja meist an derartige Erfolge geknüpft.
Der Fahrertitel wird nun auch ganz sicher an Mercedes gehen. Zwar hat Ricciardo mit 92 Punkten Rückstand bei noch 100 zu vergebenen Punkten mathematische Chancen, aber dass die Mercedes in allen Rennen ausfallen werden, ist wohl kaum zu erwarten. Für Rosberg wird die Luft allerdings langsam dünn. Hamilton führt mit 17 Punkten und scheint im Moment den besseren Lauf zu haben. Will Rosberg nicht auf das Pech seines Teamkollegen angewiesen sein, muss er beim nächsten Rennen in Austin unbedingt gewinnen, um den Abstand auf zehn Punkte zu reduzieren. Auf keinen Fall darf der Abstand beim letzten Rennen in Abu Dhabi mehr als 14 Punkte betragen. Denn dann könnte Rosberg auch mit einem Sieg nur dann Meister werden, wenn Hamilton höchstens Dritter wird.
Ein Fragezeichen bleibt aber weiter die Zuverlässigkeit der Autos. Mercedes hat noch Luft bei beiden Fahrern, was die zu nutzende Anzahl der Motorkomponenten angeht, aber wie schnell sich ein Schaden einstellen kann, hat man in diesem Jahr schon mehrfach gesehen und je länger die Saison dauert, desto größer ist die Chance, dass was kaputt geht.
Die Formel Eins macht nun drei Wochen Pause, was angesichts der Vorfälle in den letzten Wochen auch gut ist. In Russland wurde mehrfach an Jules Bianchi gedacht, der immer noch um sein Leben kämpft, ein „Business als usual“ gab es in keinem Fall. Wirklich großartig war auch die Reaktion von Toto Wolff, als er nach seinen Gefühlen angesichts des Titels gefragt wurde. Er sagte sinngemäß, dass man sich freuen würde, dass das Team lange und hart gearbeitet habe und das man auch Ross Brawn nicht vergessen werde, der maßgeblich am Erfolg beteiligt gewesen sei. Aber man würde in der Freude auch nicht Jules Bianchi vergessen.
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