Es war ein grandioses letztes Rennen der Saison 2014, das am Ende aber durch den schweren Unfall von Mark Webber überschattet wurde. Porsche und Webber hatten dabei doppelt Glück.
Knapp 27 Minuten waren noch zu fahren, als Mark Webber zur Überundung des Ferrari F458 aus der GTE-Am-Kategorie ansetze. Bergauf, Richtung Turn 14 wollte Webber offenbar innen an Matteo Cressoni vorbei. So richtig klar ist nicht, was genau passierte, weil die Kameras die erste Berührung nicht einfingen und Mark Webber später keine Erinnerung mehr an den Unfall hatte. Die wahrscheinlichste Variante: Webber wollte innen vorbei, Cressoni wollte die Linie frei machen. Ein klassisches Missverständnis. Der Porsche mit #20 schlug stumpf in der Betonmauer auf der Außenseite ein, trudelte quer über die Strecke, schlug mit dem Heck auf der gegenüberliegende Seite ein und blieb schließlich mitten auf der Strecke liegen. Webber konnte zwar auf eigenen Beinen stehen, wurde aber sicherheitshalber auf eine Trage gelegt und ins Hospital gebracht. Cressoni ebenfalls. Beiden ist nichts passiert, sieht man mal von ein paar Prellungen und dem Gedächtnisverlust von Webber ab. Beide hatten sehr viel Glück. Der Einschlagswinkel war günstig, ebenso war die Geschwindigkeit an der Stelle noch nicht so hoch (ca. 240 km/h). Die nachfolgenden Fahrzeuge reagierten ebenso vorbildlich, wie die Streckenposten, die das kleine Ölfeuer im zerstörten Heck des 919 schnell löschten und die Lage von Webber checkten.
Bis zum Zeitpunkt des Unfalls war es ein phantastisches Rennen der WEC, vermutlich das beste Sechs-Stunden-Rennen des Jahres. Vom Start weg lagen alle drei Hersteller in einem engen Kampf um die Podiumspositionen. Die #20 von Porsche konnte sich ein wenig absetzen, dahinter kämpften die #8 von Toyota, die #14 von Porsche und die #1 von Audi um die restlichen Plätze. Vor allem die Toyota und Porsche lagen während des gesamten Rennens in einem sehr engen Zweikampf. Und mit eng ist gemeint: innerhalb von wenigen Zehntelsekunden. Über drei Stunden lang kämpfte man um P2, mehrfach wechselte die Postion, teilweise innerhalb einer Runde. Es war, wie Neel Jani zwischendurch berichtete, „flat out“. Doch warum waren die Toyota dieses Mal nicht überlegen? Und warum konnte Audi die #1 im Kampf um Platz 3 halten, obwohl man auf anderen Strecken so viel Zeit verloren hat?
Wie immer gibt es keine direkte Antwort auf die Frage, aber es gibt zwei Faktoren, die eine erhebliche Rolle spielen. Der größte Faktor dürfte die Höhe sein, auf der die Rennstrecke liegt. Obwohl Sao Paulo ja direkt am Meer liegt, schraubt sich das Hinterland steil nach oben. Die Strecke liegt auf 762 Meter Höhe, was nach nicht viel klingt, aber für die Saugmotoren einen durchaus erheblichen Leistungsverlust bedeutet. Rein rechnerisch könnte der bei bis zu 15% liegen, wenn man Silverstone (geringe Höhe, niedrige Temperaturen) mit Interlagos (762 Meter Höhe, hohe Temperaturen) vergleicht. Vermutlich reduziert sich der Verlust aber durch ein fetteres Gemisch und die nicht ganz so hohen Temperaturen am Wochenende auf unter 10%. Das erklärt aber, warum Audi näher an den Toyota dran war. Der Turbomoter verliert halt weniger Leistung in der Höhe.
(Einschub: Kollege FloausN wies mich daraufhin, dass durch das Regelement, in dem der Benzindurchfluss, nicht aber der Lufteinlass reglementiert wird, der Leistungsverlust geringer ist, als in obiger Rechnung und ein fettes Gemisch den Nachteil eher erhöhen würde.)
Der zweite Faktor ist die Strecke selber. Zwar verliert Audi in Sachen Topspeed, aber bei weitem nicht so viel wie in anderen Rennen. Gleichzeitig ist der Mittelteil quasi für den R18 gemacht. Im Rennen konnte man immer schön sehen, wie die Audi im langen Mittelteil der Strecke verlorenen Boden gutmachen konnte. Auch die Höhe spielt eine aerodynamische Rolle, denn durch die minimal dünnere Luft verliert man auch an Abtrieb. Audui konnte es sich erlauben, den Heckflügel besonders flach zu stellen, was den Topspeed-Verlust zusätzlich beschränkte.
Der V8 von Toyota litt also etwas unter Atemnot, die Audi profitierten, die Porsche ebenfalls, denn deren kleiner Turbomotor war für die Höhe ebenfalls besser gerüstet. Wenn man sich Rundezeiten des Rennens anschaut, wird klar, wie eng die Sache war. Alle drei Hersteller lagen innerhalb von einer Zehntel. Der Witz an der Sache ist: FIA und ACO fummeln monatelang an der EoT rum, und ein paar Höhenmeter schaffen es dann, ein ausgeglichenes Feld herzustellen. Die EoT ist bis nach Le Mans 2015 eingefroren, was allerdings abhängig davon ist, ob sich ein Hersteller dazu entschließt, einen neuen Motor einzusetzen. Natürlich werden die Hersteller auch versuchen, über den Winter die Antriebseinheit zu verbessern. Alle drei haben schon angedeutet, dass man den Energieausstoß erhöhen wird. Audi von 2 MJ auf 4 oder 6 MJ, Toyota und Porsche von 6 auf 8 MJ. Bei Nissan werden es 6 oder 8 MJ sein.
Für das Rennen in Sao Paulo bedeutete die Annäherung, dass die Reifenstrategie eine große Rolle spielte. Audi setzte teilweise auf Doppelstints, was die #1 im Spiel um Platz 3 hielt und die #2, die in der ersten Runde auf Grund eines elektronischen Problems fast eine Runde verlor, wieder an die Spitzengruppe heranbrachte. Auffällig waren auch mal wieder zwei Dinge, die sich im Laufe der Saison fast in jedem Rennen wiederholten. Audi konnte nach ca. der Hälfte des Rennens plötzlich an Geschwindigkeit zulegen, während es Porsche genau andersherum ging. Woher der Speedzuwachs beim Audi kommt, bleibt rätselhaft. Bei Porsche vermutet man, dass das komplexe, zweistufige Energiesystem (wie in der F1, also Brems- und Turboenergie) im Verlauf des Rennens an Leistung verliert. Porsche wies die #14 schon früh an, die Energiefreisetzung manuell zu bedienen. Das könnte auf ein Softwareproblem hindeuten, das man im Verlauf der Saison nicht lösen konnte. Die #20 schien unter diesem Problem in Sao Paulo stärker zu leiden, denn nach knapp vier Stunden fiel der Wagen dann immer weiter zurück und konnte auch nicht um den Kampf um Platz 3 eingreifen.
Vorne wurde es dafür in der letzten Stunde richtig spannend. Die Boxenstrategien der Teams hatte sich im Verlauf des Rennens etwas verschoben, sodass die Porsche und Audi etwas früher reinkommen mussten, während die Toyota ihren letzten Stopp in die letzten 40 Minuten des Rennens verschoben. Das bedeutete, dass beide Wagen mit weniger Sprit und frischen Reifen unterwegs waren. Der führende Porsche #14 ließ sich dann beim letzten Stopp auf ein Wagnis ein, indem man die Reifen nicht wechselte. Das hatte man im Verlauf der Saison schon ein paar Mal versucht, um dann allerdings festzustellen, dass die Michelin im letzten Drittel des Stint eingingen.
Nach dem Stopp führte die #14 mit knapp 20 Sekunden vor der #8 von Toyota, die allerdings in großen Schritten aufholte. Als Mark Webber verunfallte war der Vorsprung auf 14 Sekunden geschmolzen und es waren noch 27 Minuten zu fahren, was ungefähr 20 Runden entsprach. Toyota holte aber mit einer knappen Sekunde auf den Porsche auf. Die Strategie von Toyota hätte aufgehen können, vor allem, weil Neel Jani im Porsche gezwungen gewesen wäre, die Reifen weiter voll zu belasten. Ausgerechnet der Unfall von Webber sorgte dann dafür, dass Porsche in der ersten Saison auch das erste Rennen gewinnen konnte.
Die #1 von Audi wäre durch die dahinter liegende #7 von Toyota allerdings wohl nicht unter Druck gekommen. Der zweite Toyota war im Rennen nie schneller als die #1, zudem hatte man sich auch bei Audi dazu entschlossen, den letzten Stint auf frischen Reifen zu fahren. So konnte Tom Kristensen sein letztes Rennen in der WEC mit einem grandiosen dritten Platz abschließen. Zu verdanken hatte er diesen vor allem auch Luca di Grassi, der sensationelle Stints hinlegte.
Mehr zu den Entwicklungen der Hersteller über das Jahr, warum Audi so große Probleme hatte und Porsche so gut war, gibt es in einem Saisonrückblick in den nächsten Wochen.
LMP2
G-Drive war das dominierende Team des Jahres. Das neue Ligier-Chassis ist dem älteren Oreca-Chassis überlegen, die Mannschaft eingespielt und schnell. Das einzige, was G-Drive machen musste, war in der Nähe des SMP #27 zu bleiben, der Punktevorsprung hätte völlig ausgereicht. In der ersten Stunde des Rennens gelang das auch perfekt, denn auch die #27 hielt sich zurück und ging das Rennen sehr konservativ an, während der zweite SMP mit der #37 versuchte, den an der Spitze liegenden KCMG nicht aus den Augen zu verlieren. Doch nach einer Stunde war für G-Drive alles vorbei. Beim Anbremsen auf die erste Kurve brach vorne rechts die Bremsscheibe. Das führte dazu, dass der Wagen schlagartig nach links abbog und in die Tec-Pro-Barrieren einschlug. Wäre der G-Drive einfach geradeaus gerutscht, wäre nichts passiert und er hätte sich sogar an die Box schleppen können. Doch beim Einschlag brach die Lenkstange und die komplette rechte Aufhängung. Oliver Pla versuchte noch ein paar Meter zu fahren, musste dann aber doch aufgeben.
Damit war Titel aber noch nicht komplett weg, denn Sergey Zlobin musste seinen SMP erstmal über die 70% Grenze schleppen, um in die Wertung zu kommen. Was sich als schwere Herausforderung darstellte. Denn plötzlich stand der zweite SMP am Streckenrand und bewegte sich nicht mehr vorwärts. Das Team beschloss daraufhin, die #27 in die Box zu holen, was eine reine Vorsichtsmaßnahme war. Man bastelte an allen Ecken und Enden des Wagens rum, tauschte Teile und schickte den Wagen dann wieder auf die Strecke. Es folgte dann noch ein zweiter, ebenfalls sehr langer Stopp, was am Ende dazu führte, dass der KCMG, trotz einiger Ausflüge ins Grüne, mit satten 18 Runden Vorsprung gewinnen konnte. SMP und Zlobin war es am Ende egal. Als erster Russe und als erstes russisches Team hat man die Team- und Fahrerweltmeisterschaft. Zwar stellte SMP in diesem Jahr 50% des LMP2 Startfeldes, aber eine großartige Leistung ist es dennoch. Nächstes Jahr dürfte es schwer werden, den Titel zu verteidigen. Mit ESM kommen gleich zwei starke neue Fahrzeuge und G-Drive wird sicher auch zurückschlagen wollen.
GTE-Pro
Da die Kameras die meiste Zeit auf den LMP1 blieben, war es etwas schwer, das wie immer sehr enge Rennen in der GTE-Pro zu verfolgen. Im Grunde war der Aston Martin mit Turner/Mücke die gesamte Zeit mit dem Porsche von Pilet/Mackowiecki beschäftigt. Ebenfalls in Reichweite des Sieges war der zweite AF Corse mit Rigon/Calado. Diese drei Teams wechselten sich an der Spitze laufend ab, auch wegen der unterschiedlichen Boxenstrategien. Dabei hatte AF Corse aber vor allem den Team-Titel im Sinn, nachdem man sich in Bahrain schon den Fahrer-Titel für Vilander/Bruni geholt hatte. Das einzige, was nicht passieren durfte, war ein Ausfall beider Ferrari. Daher ließ man die neuen Weltmeister etwas konservativer fahren, während Calado und Rigon Gas geben durften.
Interessanterweise sorgte der Unfall von Webber dann dafür, dass dem Porsche-Team der Sieg aus der Hand genommen wurde. Denn es hieß, dass der Aston Martin für einen Splash noch einmal an die Box kommen musste, was dann wegen der Caution nicht mehr passierte. Stefan Mücke und Daren Turner konnten so dann ihren längst überfälligen Sieg in diesem Jahr einfahren.
GTE-AM
In der AM Kategorie gaben beide Aston wie immer den Ton an. Die „Amateur“-Crews bestehenden aus Dalla Lana, Lamy, Nygaard und dem „Dänen-Bomber“ mit Heinermeier-Hanson, Thiim, Poulsen gaben es sich dabei über die gesamte Renndistanz richtig. Beide Aston lagen die meisten Zeit Stoßstange an Stoßstange und waren in einen engen Zweikampf verzahnt. Auseinandergerissen wurde das Paar dann, als Thiim sich verbremste und eine Abkürzung nahm. Statt den folgenden Aston dann vorbeizulassen, fuhr Thiim weiter, was ihm eine Durchfahrtsstrafe einbrachte. Mit Wut im Bauch und einer etwas anderen Boxenstrategie holte man die Zeit dann wieder auf und kam am Ende auf P2. Auch hier begünstigt durch den Unfall von Webber, denn der AF Corse mit Rugolo, Bertonlini, Wyatt lag lauernd auf P3. Die Porsche waren mal wieder chancenlos, hier sollte die FIA die BoP dann über den Winter wirklich mal langsam anpassen.
Das war es dann mit der WEC in diesem Jahr. Und es war ein sehr gutes Jahr für die Serie, die durch den Einstieg von Porsche so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Das neue technische Reglement hat sich schon jetzt als richtige Entscheidung herausgestellt und mit dem Einstieg von Nissan dürfte noch mal mehr Schwung in die Sache kommen. Zwar wird Nissan nächstes Jahr kaum wie Porsche sofort um den Sieg fahren können, aber ein wichtige Ergänzung sind sie auf jeden Fall. Das Sorgenkind der WEC bleiben die GT-Klassen, wo es außerhalb von Le Mans einfach an Startern fehlt. Das GTE-Regelement ist veraltet und bedarf dringend einer Überarbeitung, damit die Bentley, Corvette und McLaren dieser Welt die Sache abwechslungsreicher machen.
Zum Abschluss: Alle Daten aller Rennen gibt es bei der FIA.
Bilder: FIA
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