Heute und morgen gastiert die BTCC zu ihrer dritten Saisonstation auf dem Thruxton Circuit in der Grafschaft Hampshire.
Thruxton gehört zweifellos zu den markantesten Rennstrecken auf der britischen Insel. Das liegt vor allem daran, dass auf dem 3,7 Kilometer langen Asphaltband, das sich rund um einen ehemaligen Stützpunkt der Royal Air Force schlängelt, nur zwei Mal so richtig in die Eisen gegangen werden muss. Der Rest der Runde ist eine Mischung aus schnellen bis ultraschnellen Kurven und Flat Out-Abschnitten.
Seinen besonderen Reiz zieht Thruxton aber nicht nur aus den für die BTCC sehr hohen Durchschnittsgeschwindigkeiten, die hier erreicht werden, sondern – etwas zweifelhaft – auch aus der eher rudimentären Streckensicherheit. Zur Streckeninnenseite gibt es abgesehen vom Start-Ziel-Bereich so gut wie gar keine Streckenbegrenzung. Wer sich hier vertut, landet meist irgendwo auf den weiten Wiesen des Infields.
Das kann man ja noch verschmerzen. Brutaler kann es werden, wenn man in Fahrtrichtung nach links abfliegt. Kommt man nicht rechtzeitig zum Stehen, schlägt man im Optimalfall in eine der stellenweise recht nah stehenden Leitplanken ein. Läuft es schlechter, macht man auch gerne schon mal Bekanntschaft mit dem Unterholz. In Erinnerung ist beispielsweise Jason Platos Highspeedabflug vor einigen Jahren, als er durch ein Gebüsch flog und auf einem Feldweg zum Stehen kam.Eine Kurve tut sich in Thruxton in Sachen Risiko gepaart mit eigenwilliger Sicherheit besonders hervor. Church Corner ist ein progressiv zumachender Rechtsknick im rückwärtigen Streckenteil, der mit Vollgas genommen wird. Passiert hier ein Fehler, findet man sich schnell auf der Wiese wieder, die gegebenenfalls eher suboptimale Verzögerungswerte bietet. Was dann passieren kann, haben im letzten Jahr Nick Foster, Ollie Jackson und Simon Belcher zu spüren bekommen.
Gesichert war die Streckenbegrenzung in diesem gerne mit „the fastest corner in the UK“ betitelten Abschnitt nämlich mit einer „interessanten“ Kombination aus Erdwall und einer Reihe an Reifenstapeln. Dahinter liegt unmittelbar ein kleines Wäldchen. Die lose Reihe Reifenstapel nutzte Nick Foster bei seinem Abflug im letzten Jahr, um sich eindrucksvoll über besagten Erdwall zu katapultieren und im Gehölz zu landen. Noch blöder lief es für Simon Belcher. Der kam mit eingedrehtem Auto auf die durch die anderen Abflüge schon ordentlich in Mitleidenschaft gezogene Reifen/Erdwall-Kombi zugeschossen und hebelte sich an dieser komplett aus, was ihn kopfüber in die Bäume fliegen ließ.
Für einen Rallycrash war das sicherlich nicht schlecht. Und zum Glück hat Belcher sich nicht ernsthaft verletzt. Da aber auch den BTCC-Verantwortlichen im Nachhinein auffiel, dass man ja Rundstreckensport betreibt, wo Autos eigentlich nicht an einem Baum zum Stehen kommen sollten, hat ein Umdenken stattgefunden. Und damit sind wir beim eigentlichen Punkt dieser langen Vorrede: Die Auslaufzone in Church Corner ist für dieses Jahr neben einigen anderen riskanten Abschnitten modernisiert worden.
Ich hätte euch jetzt gerne ausführlicher erklärt, was man genau gemacht hat, um hier für mehr Sicherheit zu sorgen, aber leider hab ich darüber keine brauchbaren Informationen gefunden. Denkbar einfachste Variante wäre das Aufstellen von stabilen Leitplanken entlang einiger neuralgischer Abschnitte. Idealerweise mit einem fetten Paket Reifenstapeln davor. Noch sinnvoller wäre eine stellenweise Asphaltierung einiger Auslaufzonen. Das ist aber teuer und so lassen wir uns mit den ersten TV-Bildern heute Nachmittag im Qualifying einfach mal überraschen. Ich würde dieses Jahr nur echt gerne keine Autos mehr im Wald sehen.
Wichtig ist jedenfalls, dass man nicht in den eigentlichen Streckenverlauf eingegriffen hat, denn der ist einfach klasse. Hier packe ich noch mal das Onboardvideo von Andrew Jordan aus dem Jahr 2012 rein, das ich immer wieder hervorkrame, wenn es um Thruxton geht:
Und damit sind wir direkt bei der Frage nach den Favoriten. In den vergangenen Jahren war Honda die dominierende Marke in Thruxton. 2013 sicherten sich Matt Neal und Gordon Shedden die Siege in allen drei Läufen. Vergangene Saison gewannen Andrew Jordan und Gordon Shedden je ein Mal. Der dritte Sieg ging dann an Colin Turkington im BMW. Interessant ist die Honda-Dominanz ein wenig unter dem Aspekt, dass die Civics in den vergangenen Jahren eigentlich Nachteile in Sachen Top Speed hatten. Dass sie auf der Highspeedstrecke dennoch so gut unterwegs waren, zeigt, dass ein gutes Fahrwerk in den vielen schnellen Kurven in Thruxton wichtiger ist als pure Motorleistung.
Neben der naturgegebenen Favoritenrolle, die den Honda damit auch in diesem Jahr zufallen muss, werden daher wohl auch die VW CC vom Team BMR vorne zu finden sein. Zum einen kommt der lange Radstand der Strecke sehr entgegen, zum anderen war die Performance, die Jason Plato, Colin Turkington und Árón Smith in Brands Hatch und Donington gezeigt haben sehr beeindruckend und man hat untermauert, dass man 2015 zweifellos zu den Anwärtern auf den Meistertitel gehören wird.
Ein Zünglein an der Waage dürfte aber wieder einmal das Zusatzgewicht spielen, das ja in diesem Jahr deutlich erhöht wurde. Matt Neal als Tabellenführer und Gordon Shedden als Meisterschaftsdritter haben in ihren Hondas für das Qualifying und das erste Rennen 70 bzw. 57 Kilos an Bord. Colin Turkington und Jason Plato sind als Tabellenzweiter und -fünfter mit 66 bzw. 37 Kilo ebenfalls schwer beladen. Ein eventueller Vorteil für Árón Smith, der als Neunter in der Meisterschaft mit 15 Kilo vergleichsweise wenig „bestraft“ ist? Vielleicht.
Wenn es um die Pole Position geht, darf man aber auch Andrew Jordan nicht vergessen. Der Champion des Jahres 2013 war in den vergangenen Saisons der dominierende Fahrer in Thruxton, wenn es um eine schnelle Runde ging. Niemandem scheint der Thruxton Circuit so gut zu liegen, wie Jordan, dem in diesem Jahr allerdings nicht sein Honda zur Verfügung steht, sondern der in diesem Jahr auf einem Triple Eight MG an den Start geht. Das und die 48 Kilo Zusatzgewicht, die Jordan als Tabellenvierter einladen muss, machen es für mich etwas unwahrscheinlich, dass er seine Serie an Pole Positions in Thruxton fortführen kann.
Bleiben noch die BMW, die zuletzt in Donington überraschend schwächelten und in den vergangenen Jahren in Thruxton meist nie zu den schnellsten Autos gehörten. Mal sehen, was Andy Priaulx, Sam Tordoff und Rob Collard in ihren 125i nachher im Qualifying reißen können. Als Tabellenzehnter bzw. -elfter ist das Zusatzgewicht zumindest für Tordoff und Priaulx immerhin kein großes Thema.
Eine heimliche Favoritenrolle könnte dagegen Adam Morgan in seinem Mercedes zufallen. Die A-Klasse zeigte sich in diesem Jahr sehr gut und mit 21 Kilo Zusatzgewicht ist Morgan auch nicht allzu schwer beladen. Interessant wird auch, ob die Chevrolet Cruze des Power Maxed-Teams ihre Form aus Donington bestätigen können. Rookie Josh Cook kämpfte dort im famosen dritten Lauf zeitweise um den Sieg.
Insgesamt sehen wir in Thruxton 28 Autos am Start. Aussetzen muss Alex Martin, der sich einer Rückenoperation unterziehen muss. Damit steht mit Mike Bushell nur noch ein einziger verbliebener Ford am Start.
Und einen Fahrerwechsel gibt es auch. Richard Hawken wird beim neuen Infiniti-Team nach nur einem Einsatz durch Martin Donnelly ersetzt. Martin Donnelly? Ja genau, tatsächlich der Martin Donnelly, an den jetzt vielleicht einige denken. Für alle anderen: Der Name Martin Donnelly ist untrennbar mit einem der fürchterlichsten Unfälle verbunden, die es in der Formel 1 je gab. Im Qualifying zum GP in Jerez 1990 knallte Donnelly derart brutal in die Streckenbegrenzung, dass sein Lotus quasi sofort zerplatzte. Die Bilder von dem leblos auf dem Asphalt liegenden, immer noch an seinen Sitz geschnallten Donnelly verursachen auch heute noch einen eiskalten Schauer. Um so erfreulicher ist, dass sich der schwer verletzte Donnelly nach langer Rehabilitation erholte und es sogar zurück ins Renncockpit schaffte.
So, war es das? Ach ja, Thema Reifen. Wie üblich werden in Thruxton der hohen Belastungen auf das linke, kurvenäußere Vorderrad wegen ausschließlich die harten Reifen Verwendung finden. Über Reifenstrategien muss man sich damit also schon mal keine Gedanken machen.
Das Qualifying startet heute Nachmittag um 17:00 Uhr MEZ. Die Rennen am Sonntag gibt es um 13:10, 15:30 und 18:15 Uhr MEZ. Optimalerweise sollte man es also schaffen, zwischen erstem und zweitem Lauf die F1 in Spanien einzuschieben.
Enjoy!