Fünf schwere Unfälle bei den Trainings zum Indy 500 sind leider nicht unbedingt etwas besonders Seltenes. Das Schema, nach welchem drei der Unfälle dieses Jahr abliefen, gibt jedoch leider Anlass zu höchster Sorge. Der Versuch einer Analyse.
Ich bin weder ein Fachmann für Aerodynamik noch in irgendeiner Weise mit der Technik von Autos besonders bewandert. Aber was auch immer die Überschläge bei den Unfällen in Indy auslöst, muss dringendst behoben werden, und der Verdacht, dass die neuen Aero Kits Schuld sind, liegt sehr nahe. Eine Chronik. Den ersten Unfall (Mittwoch) hatte Helio Castroneves:
Das Auto wird in der Kurve kurz unruhig, dreht sich und schlägt dann umgedreht seitlich in die Mauer ein. So weit, so normal vom Unfallablauf. Durch den Einschlag wird das Auto auf der rechten Seite etwas angehoben, bekommt dann anscheinend vollends Unterluft und hebt komplett ab. Und es hebt sehr hoch ab. Entfernungen sind auf TV-Bildern schwer abzuschätzen, das dürften jedoch mindestens zwei Meter sein:
Bei Penske äußerte man sich nach dem Crash, den Castroneves zum Glück unverletzt überstand, folgendermaßen: Man sei mit noch weniger Downforce als im letzen Jahr gefahren, sei nun aber sicher, das Problem besser zu verstehen und man müsse auch daran arbeiten. Eine direkte Verbindung zu den neuen Aero Kits wolle man nicht ziehen.
Nicht unerwähnt bleiben soll hier der schwere Unfall von Pippa Mann ebenfalls am Mittwoch, bei dem sie zum Glück unverletzt blieb und der nicht in das Schema der anderen Unfälle passt. Bei einem Unfall mit Aufsteigen muss man in Indy leider sagen, dass dies dort mal vorkommt. Insofern war der Unfall von Castroneves an sich noch kein Grund zur Besorgnis, die Art des Unfalls verursachte allerdings bei einigen Leuten Magenschmerzen, und das nicht zu Unrecht, wie sich bedauerlicherweise in den folgenden Tagen herausstellen sollte. „Auftritt“ Josef Newgarden (Donnerstag):
Erschreckend ähnlicher Unfallhergang wie bei Castroneves: Newgarden verliert in der Kurve das Auto, dieses dreht sich und schlägt umgedreht mit dem linken Vorderrad zuerst in die Mauer ein, dann mit dem Heck. Und prompt beim Einschlagen des Hecks steigt hier wie bei Castroneves das ganze Auto auf und überschlägt sich. Hier hat das Auto zwar weniger Airtime und steigt nicht so hoch auf, es ist trotzdem äußerst unschön. Auch Newgarden blieb bis auf ein paar Schrammen unverletzt. Nach dem Unfall von Newgarden äußersten sich die ersten durchaus besorgten Stimmen und bei der Indycar und bei Chevrolet, die die Aero Kkits der beiden verunfallten Fahrzeuge produzierten, standen die großen Fragezeigen im Gesicht. Erklären konnte das keiner so wirklich, zumal man nach dem ersten Unfall versucht hatte zu reagieren. Man entfernte ein kleines Teil an der Nase, welches eigentlich dazu gedacht ist, die Fahrzeuge bei Kurvenfahrten zu stabilisieren, aber die Nase wohl beim rückwärtigem Abfliegen auf den Boden drückt und so dem Heck das Aufsteigen erleichtert. Von Indycar-Seite wurde jedoch dementiert, dass das Teil irgendwas mit dem Aufsteigen zu tun hätte. Castroneves sagte, dass das Hauptproblem wohl die mangelnde Erfahrung mit den neuen Aero Kits sei. Townsend Bell merkte an, dass man die Fahrzeuge nie im Windtunnel rückwärts getestet hat. Ironischerweise sagte Ed Carpenter folgendes: „There’s aero kits, there’s a giant hole in our underwing, there’s a lot of things that are different. I don’t know that we understand why it’s going on at this point.“ „There’s certainly a lot of unanswered questions and hopefully we’ll get answers to them in time.“ Ed Carpenter bekam keine rechtzeitgen Antworten (Sonntag):
Der Unfall entspricht fast eins zu eins dem von Newgarden. Besonders klar wird dies, wenn man sich den Vorgang des Aufsteigens anschaut, hier mal ein Screenshot dazu (für volle Größe zwei Mal draufklicken):
Das sind, auch wenn es absolut nicht so aussieht, zwei verschiedene Unfälle. Auch Ed Carpenter blieb unverletzt, war aber direkt nach dem Unfall mächtig sauer. Daraufhin gingen dann (endlich) bei der Indycar und bei Chevrolet alle Alarmglocken an. Das konnte kein Zufall mehr sein. Man traf folgende Maßnahmen:
– Limitierung der Turbolader, dadurch in etwa 50 PS weniger und Speeds nicht über 230 Meilen pro Stunde
– Teams müssen im Qualifying und im Rennen das gleiche Aerosetup fahren
Ed Carpenter versuchte sich später in einem Interview dann in Understatement:“Things are a little unpredictable right now.“ Castroneves und er hatten die Aero Kits im März in Texas getestet. Völlig unwissend über das Verhalten der Kits waren sie also nicht, ein weiterer Indikator für die Komplexität und Größe des Problems. Die Indycar kündigte weiterhin an, nach dem Indy 500 die Kits solange zu testen, bis man das Problem gefunden habe, bevor es auf die nächsten Highspeedovale wie Texas, Fontana und Pocono geht. Die Serie sagt selbst, dass das Reduzieren der Geschwindigkeit eine Vorsichtsmaßnahme ist. Aus dem Statement kann man aber in etwa Folgendes rauslesen: Wir haben nicht den blassesten Schimmer, also probieren wir es mit einer allgemeinen Maßnahme und hoffen.
Gestern verunfallte James Hinchcliffe. Zu dem Unfall werde ich hier kein Video posten, da Hinchcliffe den Unfall leider nicht unverletzt überstanden hat, sondern am Oberschenkel operiert werden musste. Bei dem Unfall von Hinchcliffe führt das Nachgeben der Aufhängung zum Ausbrechen und das Auto überschlägt sich nicht, sondern legt sich „nur“ kurz auf die Seite und das erst, nach dem es sich einmal nach dem Einschlag gedreht hat. Der Unfall ist somit nicht komplett vergleichbar mit den oberen dreien, insofern ist es eher unwahrscheinlich, dass hier das Problem auch auftrat. Außerdem fuhr Hinchcliffe ein Honda-Aero Kit. Da das Aufsteigen des Autos ausbleibt, lässt dies darauf schließen, dass das Problem nur bei Chevrolet-Aero Kits besteht.
Zumindest die ersten drei Unfälle sind jedoch erschreckend ähnlich. Alle Fahrzeuge fuhren das Aero Kit von Chevrolet, alle Fahrer verlieren die Kontrolle in den Kurven 1/2 und alle drei überschlagen sich. Herumfliegende Autos sind in den Trainings schon äußerst unschön, die Autos wurden hier aber zum Glück von keinen nachfolgen Fahrzeugen getroffen oder flogen in den Zaun. Die Unfälle waren so schon äußerst heftig, was aber im Rennen eventuell passiert, wenn die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls von zwei Autos einfach größer ist, möchte ich mir lieber nicht vorstellen. Weder die IndyCar Series noch Chevrolet, sofern das Problem wirklich nur ein Chevrolet-Problem sein sollte, haben eine Ahnung, woran es liegt. Es ist ja nicht mal sicher, ob es wirklich an den neuen Aero Kits liegt. Schon der DW-12 mit der Standard-Dallara-Aerodynamik neigte zum Überschlag, wie zum Beispiel der Unfall von Conor Daly in Indianapolis 2013 zeigte. Außerdem muss man auch analysieren, welche Änderungen beziehungsweise welche Einstellungen die Teams verwendet haben. Es ist halt auch auffällig, dass zwei von drei Wagen von CFH Racing Probleme hatten, aber kein Chevrolet von Chip Ganassi Racing oder KVSH Racing. Deswegen ist es natürlich auch äußerst schwer, jetzt eine Lösung zu finden. Und genau an diesem Punkt muss man die Serie einerseits wegen der “Ungreifbarkeit” des Problems in Schutz nehmen und andererseits hart kritisieren.
Aero Kits für Highspeedovale zu bauen, ist sicherlich keine einfache Aufgabe. Nur hat man hier anscheinend den Sicherheitsaspekt aus den Augen verloren. Autos schlagen öfters mal auf Highspeedovalen rückwärts fahrend in die Mauern ein. Das ist kein neues Phänomen. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass Autos bei Unfällen mit 370 km/h pro Stunde zum Abheben neigen. Selbst die tonnenschweren NASCARs fliegen manchmal leider trotz Roofflaps wie Matchboxautos durch die Luft. Wieso wurden die Aero Kits, im Bewusstsein der Problematik, dann so wenig getestet? Es gab keine Tests, wie die Autos sich beim Rückwährtsfahren im Windkanal verhalten. Ob man das Problem im Windkanal gesehen hätte? Eventuell. Wieso hat man nur in Texas getestet und nicht in Indy oder Pocono? Die Ovale, die die Indycar fährt, sind sehr unterschiedlich. Dass die Autos und die Kits sich deswegen dort unterschiedlich verhalten, sollte auf der Hand liegen. Des Weiteren wirft ja niemand absichtlich beim Testen ein Auto in die Wand, deswegen noch einmal mehr: Wieso wurde das anscheinend nicht simuliert?
Eine Lösung des Problems ist wie erwähnt jetzt natürlich äußerst schwer. Die Autos in Bezug auf das Aero Kit umzurüsten, wird unmöglich sein, allein schon wegen der Logistik. Das Einzige was man eventuell machen könnte, wäre die Teams zu zwingen, mit möglichst viel Downforce zu fahren. Nur ist das leider auch relativ unpraktisch. Wo zieht man die Grenze, mit wie viel Downforce gefahren werden muss und ob es wirklich im Fall der Fälle hilft? Außerdem würde mehr Abtrieb dichteres Auffahren ermöglichen und so eventuell das hochgefährliche Pack-Racing begünstigen. Das Kind ist in den Brunnen gefallen und es jetzt in letzter Minute noch zu retten, ist fast unmöglich. Im Vorfeld gab es einfach zu viele Versäumnisse. Helio Castroneves brachte es mit „We don’t have enough data.“ auf den Punkt. Und auch hier sei es nochmal erwähnt: Es ist zwar wahrscheinlich, aber nicht bewiesen, dass es an den Aero Kits liegt. Ich hoffe inständig, dass die IndyCar sich diese Fragen nicht Sonntagabend noch dringlicher stellen muss.
1 Kommentare
also, ich will ja nix sagen, aber für mich sieht das so aus, als ob man das neue aerokit(oder auto) im winkanal nur in vorwärtsrichtung getestet hat und den sanitycheck „was passiert eiegnetlich wenn es in die andere richtung fährt“ vergessen hat.
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