Endspurt. Drei Rennen stehen noch auf dem Plan der Formula E: Am kommenden Samstag wird im Zentrum Moskaus der nächste ePrix ausgetragen, bevor am letzten Juni-Wochenende ein Doubleheader in London die Debütsaison der Elektro-Formelserie abschließt.
Rückblick: Berlin ePrix
Der deutsche ePrix auf dem Tempelhofer Flughafen in Berlin war ein gelungenes Event und bot gutes Racing, sportlich wird er jedoch durch die Disqualifikation des Siegers in Erinnerung bleiben. Lucas di Grassi dominierte das Rennen fast von Beginn an, doch nach der Zieldurchfahrt bemerkten die Offiziellen bei der technischen Überprüfung seines Fahrzeugs, dass das Abt-Team unerlaubte Modifikationen am Frontflügel vorgenommen hatte: Einige Elemente waren verstärkt worden, Löcher waren abgedeckt und neue gebohrt worden. Von Seiten des Teams versuchte man zu erklären, dass es sich dabei um Reparaturen handelte, doch die Entscheidung stand und auf einen Protest verzichtete man bei Abt. So verlor Lucas di Grassi den Sieg und die Führung im Punktetableau. Jerome d’Ambrosio rückte so von Platz 2 vor und konnte am Abend seinen ersten Formula E-Sieg feiern.
Für den ersten Paukenschlag des Wochenendes war jedoch jemand ganz anderes verantwortlich: Altstar Jarno Trulli, der den Platz für sein Team in der Serie vor der Saison von Lord Paul Drayson erworben hat, zauberte in der ersten Qualifikationsgruppe eine bombastische Runde auf den rauhen Flughafen-Beton, die von keinem Konkurrenten mehr übertroffen wurde. Insbesondere im letzten Sektor, der reich an engen Kurven war, brillierte er: Hier verloren alle Konkurrenten bei ihren Versuchen deutlich auf Trulli, der seinen alten Ruf als Quali-Spezialist wieder aufleben ließ.
Trulli konnte sich jedoch nicht lang an der Spitze halten. Schon in der zweiten Kurve nach dem Rennstart geriet er ins Rutschen; Lucas di Grassi nutzte die Gelegenheit und schob sich vorbei auf den ersten Platz, den er bis zur Disqualifikation nicht mehr abgeben sollte. Ob und wieviel die Frontflügel-Modifikationen dazu beigetragen haben, ist kaum zu sagen. Geholfen hat dem Brasilianer jedoch der berühmte „Trulli Train“, der ihm ein paar Runden lang die Konkurrenten vom Leib hielt, sodass er einige Sekunden Vorsprung aufbauen konnte.
Doch Jarno Trulli konnte sich nicht lange behaupten. Der Beton auf dem Flughafen-Vorfeld war rauher als der Asphalt der Straßen, auf denen die bisherigen Läufe ausgetragen worden waren; man sah schon nach den wenigen Quali-Runden deutliche Abnutzungen an den harten Allwetter-Michelins. Möglicherweise hatte Trulli bei seiner Pole-Runde unter vollem Energieeinsatz die Reifen mehr gefordert als die anderen Piloten. Doch auch nach dem Fahrzeugwechsel ging es für ihn eher rückwärts als vorwärts – zwei Runden vor Schluss steuerte er schließlich die Box an und wurde somit als Letzter gewertet. Eine Erklärung gab er im Nachhinein nicht.
Hinter Lucas di Grassi lief derweil ein tolles Rennen. Die auf dem weiten Vorfeld konstruierte Strecke spielte den Boliden in die Karten und ermöglichte viele Zweikämpfe und Überholmanöver, insbesondere die zweite Streckenhälfte: Der langgezogene Turn 8/9 ließ die Fahrzeuge unruhig werden und ins Rutschen geraten, was Überholversuche in Turn 10 ermöglichte. Auch Konter im Anschluss daran wurden versucht, waren jedoch nicht immer erfolgreich.
Nelson Piquet jr. hatte eine schlechte Qualifikation erwischte, konnte sich von Startplatz 13 kontinuierlich vorarbeiten – und war dabei wieder einmal sehr effizient unterwegs, denn sein Akkustand war immer einige Prozent über dem der Konkurrenten. Allerdings halfen dem Brasilianer auch die zwei Fan Boosts, die er zum dritten Mal in Folge gewonnnen hatte: Sowohl mit dem ersten als auch mit dem zweiten Wagen half ihm der Zusatz-Schub bei Überholmanövern, wodurch er schließlich auf Rang 5 vorfahren konnte (woraus durch die Disqualifikation von di Grassi Rang 4 wurde). Auch die schnellste Rennrunde – die zwei Punkte wert ist – sicherte er sich mit etwa drei Zehnteln Abstand. Der Wettkampf zwischen di Grassi-Piquet spielte sich in Berlin nur als Fernduell ab.
Sollte sich Piquet auch bei den nächsten Läufen wieder den Fan Boost sichern, könnte dieses Gimmick großen Einfluss auf die Meisterschaftsentscheidung nehmen. Meinen Unmut über dieses Konzept der Fan-Einbindung bzw. Fan-Einmischung habe ich mehrfach zum Ausdruck gebracht und hoffe, dass es zu einer allzu drastischen Einflussnahme nicht kommt. Vielleicht wäre es eine Möglichkeit, im nächsten Jahr die Abstimmung so einzuschränken, dass die Fahrer, die in einem Rennen den Boost bekommen haben, beim nächsten Lauf nicht zur Wahl stehen, denn es sind immer wieder die üblichen Verdächtigen, für die sich die Fans entscheiden: Bislang gewannen den Boost in dieser Saison nach neun Läufen: 5x Jean-Eric Vergne, 4x Bruno Senna sowie je 3x Piquet jr., Salvador Duran und Nick Heidfeld.
Sebastien Buemi, der in Berlin ein gutes Wochenende hatte, profitierte in Berlin erstmals vom Fan Boost. Von Startplatz 3 erreichte er auch im Rennen den dritten Rang, später dann Rang 2 durch di Grassis Ausschluss. Der spätere Sieger Jerome d’Ambrosio hatte ein sehr starkes Rennen: Vom sechsten Startplatz aus passierte er zunächst die rückwärts wandernden Trulli und Nicolas Prost (der seit einigen Rennen überhaupt nicht mehr in Tritt kommt), überholte dann Nick Heidfeld und konnte durch einen schnellen Fahrzeugwechsel Sebastien Buemi schnappen. Di Grassis Vorsprung war jedoch zu groß, um ihn auf der Strecke einzuholen, dafür waren die Kommissare notwendig.
Besagter Nick Heidfeld schien zunächst ein starkes Heimrennen zu haben, verlor jedoch am Ende noch einige Plätze und endete auf Rang 5, direkt vor seinem Venturi-Teamkollegen Stephane Sarrazin. Auch ein anderer französischer LMP1-Pilot hatte einen guten ePrix: Loic Duval fuhr auf Rang 3, auch wenn er den nicht auf dem Podium zelebrieren durfte. Der zweite Deutsche dagegen hatte gleich am Start Pech: Daniel Abt ging zu optimistisch in Kurve 2 hinein, drehte sich und musste das ganze Feld passieren lassen, bevor er sich wieder auf den Weg machen konnte. Mehr als Rang 14 war so nicht mehr zu holen.
Mein Besuch beim Berlin ePrix musste leider krankheitsbedingt ausfallen, sodass ich den angekündigten Erfahrungsbericht nicht abliefern kann (im nächsten Jahr dann hoffentlich!). Jedoch schien es, soweit ich das via TV und Social Media beurteilen konnte, ein gelungenes Event zu sein. Die Organisatoren haben die Möglichkeiten des Tempelhofer Flughafens gut genutzt: Die Autogrammstunde wurde an den alten Check-In-Schaltern abgehalten, die Strecke führte sogar bis unter die Hangar-Überdachung und auch für das anschließende DJ-Set wurde ein passender Platz in der weitläufigen Anlage gefunden. 21.000 Zuschauer waren nach offiziellen Angaben vor Ort, eine beachtliche Zahl.
Die Meisterschaft zwischen Berlin und Moskau
Lucas di Grassi hätte mit dem Sieg seine Tabellenführung ausgebaut – doch es kam anders. Sein Landsmann und Rivale Nelson Piquet jr. ist nach seiner beherzten, Fan Boost-geförderten Fahrt durchs Feld und der schnellsten Rennrunde nun ganz vorn, liegt mit 103 Zählern allerdings nur zwei vor Sebastien Buemi. Mit 93 Punkten hat di Grassi so viele wie vor Berlin, ist aber immer noch in Schlagdistanz.
Nicolas Prost ist nach dem dritten schwachen Rennen in Folge noch etwas weiter zurückgerutscht und liegt nun mit 78 Punkten nur noch einen vor Berlin-Sieger d’Ambrosio. Diese beiden müssten jedoch aufs Podium fahren und auf das Pech der drei Spitzenreiter hoffen, wenn sie noch eine Chance auf den Titel haben wollen.
Es sind zwar noch maximal 90 Punkte zu vergeben (25 pro Rennsieg, 3 pro Pole und 2 pro schnellster Runde bei noch drei Läufen), aber die Piloten dahinter sind eigentlich aus dem Spiel. Sam Bird hat mit 68 Punkten – das ist ein Rückstand von 35 – zwar rechnerisch noch recht gute Chancen, aber es liegen fünf Piloten deutlich vor ihm, die höchstwahrscheinlich nicht alle unter Problemen leiden werden.
Vorschau: Moskau ePrix
Nun steht Moskau auf dem Plan – das Rennen ist nachträglich noch in den Kalender gerutscht. Auf politische Kommentare verzichte ich an dieser Stelle, dazu kann sich jeder selbst eine Meinung bilden. Gefahren wird allerdings in direkter Nachbarschaft zum Zentrum der Macht: Die Strecke liegt unmittelbar östlich des Kremls und passiert auch den Staraya-Platz, an dem einst das Zentralkommitee der KPdSU saß, dessen Gebäude heute als Hauptquartier der russischen Präsidialverwaltung genutzt wird. Die Strecke umrundet die brachliegende Fläche, auf der bis 2007 das gewaltige Hotel Rossija stand. Einstmals war dieser Platz die erste Siedlung außerhalb der Kreml-Mauern; heute sind davon nur noch wenige Spuren zu sehen, stattdessen wird ein Nachfolge-Projekt gesucht, nachdem sich die letzten Pläne für einen Hotel-Neubau von Norman Foster zerschlagen haben. Historischer Blickpunkt im Hintergrund wird die berühmte Sankt Basilius-Kathedrale sein, jenseits derer sich der Rote Platz erstreckt.
Die gut 400 Meter lange Start/Ziel-Gerade verläuft entlang des Flusses Moskva, eine ebenso lange Gerade schließt sich nach einer Linkskurve an. Diese führt auf einen Komplex aus fünf Kurven zu, die erste davon scheint eine nicht gerade langsame Rechts zu sein – dies könnte eine Schlüsselstelle sein, je nachdem, wie genau sie schlussendlich ausgestaltet ist. Nach besagtem Komplex folgt eine weitere schnelle Passage, unterbrochen von einer kleinen Schikane. Und in Sichtweite von Kreml und Kathedrale folgt schließlich zum Abschluss der Runde eine Art „Motodrom“ auf einer Brückenauffahrt: Hier sind eine sehr enge Haarnadel und 150 Meter später eine weitere 180 Grad-Kehre zu passieren, vermutlich beinhaltet diese Passage auch einen kleinen Höhenunterschied.
Einen Wechsel gibt es im Fahrerfeld, da Scott Speed anderweitige Verpflichtungen hat: Er tritt bei den X Games im Rallyecross an. Für ihn schickt Andretti Justin Wilson ins Rennen. Der Brite kann einen Formel 1-Zähler (mit Jaguar) und zwei ChampCar-Vizemeisterschaften vorweisen. Ein Vollzeit-Cockpit konnte der dreifache IndyCar-Rennsieger 2015 nicht ergattern, trat jedoch für Andretti Autosport bei den beiden Rennen in Indianapolis an – leider erfolglos.
Neuigkeiten
Im Hintergrund drehen Alejandro Agag und Co. an den Rädchen für die Zukunft der Formula E. Unter den zahlreichen Bewerbungen von Städten, die einen Lauf der Serie ausrichten möchten, steht Montreal weit oben auf der Liste: 2016 soll dort das Auftaktrennen abgehalten werden, meldet Autosport – nicht auf dem Circuit Gilles Villeneuve, sondern auf einem Straßenkurs im Stadtzentrum. Die F1-Strecke mit ihren langen Geraden wäre ohnehin nicht gerade vorteilhaft für die schwachbrüstigeren Boliden, außerdem würde ein Rennen dort am Konzept der Serie vorbeischießen. In Mexiko-Stadt, wo die Strecke tatsächlich sehr zentral liegt, könnte genau das jedoch anstehen (ich würde das allerdings nicht begrüßen, es sei denn, man findet eine alternative Strecken-Variante).
In der Saison 2016/17 sollte ursprünglich die Entwicklung der Batterie-Technologie für die teilnehmenden Teams freigegeben werden. Davon wird man aber wahrscheinlich abrücken – dieses Vorhaben würde so früh in der Entwicklung der Serie zu teuer werden. Darum, so Agag, werde man versuchen, zunächst gemeinsam die Energiespeicher weiterzuentwickeln, bevor man 2018/19 Wettbewerb in diesem Bereich erlaubt. Fest steht dies allerdings noch nicht.
(Bilder: Formula E Media)
1 Kommentare
MST hat geschrieben, dass bei Trulli irgendwas mit dem Energiemanagement nicht passt. Er musste ab der ersten Runde Energie sparen und es hat trotzdem nicht gereicht. Warum das so ist, weiß wohl selbst das Team nicht, da dieser „Fehler“ beim Teamkollegen nicht auftritt.
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