In der GTE kann man, wie jedes Jahr in Le Mans, einen engen Kampf erwarten. Hier einen Sieger festzulegen, ist praktisch unmöglich.
Die GTE ist bekanntermaßen in zwei Kategorien unterteilt. Die „Pro“ und „Am“. Wie der Name schon verrät, handelt es sich um eine Variante für Profis und eine für „Amateure“. Gefahren wird in beiden Kategorien nach GTE-Reglement. Das ist im Grunde genommen eine Art „GT2“-Reglement, das der ACO aber leicht abgewandelt hat. Denn nur durch eine gewisse Flexibilität in Sachen Regelauslegung schafft man es überhaupt, zum Beispiel die Aston Martin noch an den Start zu bekommen. Das GTE-Reglement ist weltweit einzigartig und wird auch nur vom ACO bzw. von angebundenen Serien wie der USCC genutzt.
Die Frage, warum man nicht ein GT3-Reglement nimmt, stellt sich natürlich sofort. Immerhin kosten die extra für die WEC aufgebauten GTEs jede Menge Geld, weil sie nicht in großen Stückzahlen produziert werden. Und in der GT3 gäbe es ja eine Fülle von Herstellern wie Bentley, Lamborghini usw., die nicht in Le Mans antreten. Der Grund: Hinter der GT3 stecken Stephane Ratél und seine „Blancpain Serie“, und Ratél und der ACO mögen sich nicht so. Gleichzeitig möchte der ACO vor allem die „Pro“-Kategorie mit Werkseinsätzen besetzt sehen und nicht mit Privatteams. Die dürfen sich in der „Am“ tummeln.
Die Unterschiede zwischen GTE (GT2) und GT3 sind nicht sonderlich groß, man muss dafür ein eigenes Chassis aufbauen, weil man nicht einfach so zwischen beiden Klassen hin und her rüsten kann. Die GTE sind schneller (na ja, es fehlt der Vergleich, aber sie sollten schneller sein) und haben etwas andere aerodynamische Hilfen. Der Unterschied zwischen der „Pro“- und der „Am“-Kategorie besteht darin, dass die Fahrzeuge meist aus der „Gebrauchtwagen“-Ecke der Hersteller kommen, was die Autos aber nicht langsamer macht. Sie bekommen aber nicht die letzten Upgrades der „Pro“-Klasse. Beide Klassen werden durch die „Balance of Performance“ reguliert.
Zwischen „Pro“- und „Am“-Fahrern gibt es ebenfalls ein paar Unterschiede. Die FIA kategorisiert die Fahrer in „Platin“, „Gold“, „Silber“ und „Bronze“. Einfach gesagt: Je erfolgreicher ein Fahrer, desto höher seine Kategorie. Amateur-Fahrer werden immer höchstens als „Silber“ oder „Bronze“ eingestuft. Während in der „Pro“ das Team komplett mit „Platin“-Fahrern besetzt sein darf, muss in der „Am“ mindestens ein „Bronze“-Fahrer mit von der Partie sein. Dabei müssen alle Fahrer die Mindestfahrzeit von 2 Std. 45min einhalten. „Bronze“-Fahrer sind meist wirklich Amateure, die zwar in nationalen Serien unterwegs sind, aber ansonsten wenig fahren. Es sind oft reiche „Gentleman Driver“, die einen Teil der Kosten für den Einsatz übernehmen.
Über den Einsatz diese „Gentleman Driver“ hat es immer wieder Streit gegeben. Nicht wenige sagen, dass diese Fahrer in Le Mans keinen Platz mehr haben, weil ihre Unerfahrenheit zu Unfällen führen kann, was in der Vergangenheit auch oft passiert ist. Auf der anderen Seite gehören die „Gentleman Driver“ zur Tradition von Le Mans, das sich dem Amateursport immer wieder verpflichtet fühlt. Denn ohne die Pay-Driver gäbe es vermutlich keine GTE-Am und vermutlich wäre das Rennen heute nicht in seiner 83. Ausgabe angelangt, wenn die Amateure die Sache nicht über Jahre finanziert hätten. Allerdings hat der ACO die Zulassung der Amateure verschärft und sie bekommen vor dem Rennen noch extra Briefings.
GTE Pro
In dieser Klasse treten die Hersteller Porsche, Ferrari, Aston Martin und Chevrolet gegeneinander an. Reine Werkseinsätze also. Wobei man schon bei Ferrari Abstriche machen muss, denn die lassen sich durch AF Corse vertreten. AF Corse wurde 1995 von Amato Ferrari (nicht verwandt oder verschwägert mit Ferrari) gegründet und hat sich schnell zu einer Art „Filial-Team“ von Ferrari entwickelt. Ferrari selber hat kein eigenes GT-Programm. Offiziell. Inoffiziell ist AF Corse das Werksteam, da Ferrari dem Team etliche Ressourcen zur Verfügung stellt und die GT-Fahrzeuge auch mit entwickelt. Kein Wunder, dass sich bei AF Corse dann auch die Ferrari-Werksfahrer wiederfinden.
In der #51 sitzen Gianmaria Bruni, Toni Vilander und Giancarlo Fisichella, die im letzten Jahr das Rennen gewonnen haben und somit zu den Favoriten zählen. Alle drei fahren seit einer kleinen Ewigkeit zusammen und kennen sich dementsprechend gut. Es ist eine der ausgewogensten Fahrerpaarungen in der GTE-Pro. Der Ferrari F458 gilt als ausgereift und technisch unempfindlich, also genau das, was man in Le Mans haben will. Weil der F458 aber so schnell ist, hat man ihm den kleinsten Tank verpasst. Während die Konkurrenz bis zu 95 Liter tanken darf, bekommt der Ferrari nur 85 Liter. Interessanterweise kommt der Ferrari aber oft genauso weit mit dem Sprit.
Der zweite AF Corse, die #71, ist ebenfalls gut besetzt: Davide Rigon, Olivier Beretta und James Calado teilen sich hier das Cockpit. Auch wenn nominell alle drei „Platin“-Status haben, ist das Team etwas schwächer einzuschätzen. Calado kommt aus der GP2 und fährt erst seit einem Jahr in der GT-Klasse. Rigon ist der langsamste im Team, aber Beretta dafür derjenige, der die meiste Erfahrung mitbringt.
Der ewige Gegenspieler von Ferrari in Le Mans ist natürlich Porsche. Das Werksteam wird von der Manthey-Truppe betreut, die zwei 911 RSR (991) einsetzen. 2013 konnte man, etwas überraschend, gleich im ersten Jahr des Einsatzes den Sieg in Le Mans holen. 2014 reichte es „nur“ für P3. Porsche machte auch in diesem Jahr noch nicht den Eindruck, dass sie wirklich zu den schnellsten im Feld gehören. Dem 911er fehlt es ein wenig an Topspeed, was man aber in diesem Jahr behoben hat. Die Klasse liegt aber eng zusammen, verliert man ein paar Hunderstel pro Runde, summiert sich das am Ende der 24 Stunden. Da der Porsche bisher bei allen Rennen am Ende nicht mithalten konnte, sind die Siegchancen für die Mannschaft eher schlecht. Eingesetzt werden:
#91 Lietz, Christensen, Bergmeister
#92 Pilet, Henzler, Makowiecki
Deutlich mehr Chancen auf den Sieg hat da die Werksmannschaft von Aston Martin, die gleich mit drei Vantage an den Start geht. Zu den Aston muss man sagen, dass sie eigentlich überhaupt nur dabei sind, weil der ACO dem Team etliche Ausnahmeregeln (sogenannte „Waiver“) erteilt hat. Im Grunde besteht das halbe Auto aus Waivern. Das fängt bei der Aerodynamik an und hört beim Motor auf, dessen Grundkonzeption von Jaguar aus den 90er Jahren (!) stammt, aber von Aston Martin gebaut wird. Seit 2008 fährt die Mannschaft von Dave Richards fröhlich mit den Waivern, egal ob es der DBR9 oder der heute verwendete Vantage ist. In der „Pro“ konnte man bisher keine Erfolge erzielen, denn der Vantage zeigt sich erstaunlich anfällig für allerlei Probleme rund um den Motor. Immerhin gewann man im letzen Jahr die „Am“-Kategorie.
Der sogenannte „Dänen-Bomber“ (englisch „Dane-Train“) ist in diesem Jahr in die „Pro“-Klasse aufgestiegen: Nikki Thiim, Christoffer Nygaard und Marco Sörensen besetzen den Wagen mit der #95 in diesem Jahr, gelten aber nicht als Favoriten. Nygaard und Thiim kennen sich, Sörensen ist in diesem Jahr in die Mannschaft gerutscht und hat null Erfahrung in Le Mans, was immer ein Hindernis ist.
Der Sieganwärter ist wohl der Wagen mit der #97: Stefan Mücke, Darren Turner und Rob Bell sind erfahren, sehr schnell und eigentlich mal fällig für einen Sieg in Le Mans.
Ein Geheimtipp ist die #99 mit Fernado Rees, Richie Stanaway und Alec Macdowall. Auf dem Papier ist es die schwächste Mannschaft, weil MacDowell nur als „Silber“ eingestuft ist, aber davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Zum einen fährt der Brite schon länger in der GT-Klasse, zum anderen konnte genau diese Mannschaft das letzte Rennen in Spa gewinnen.
Schwer einzuschätzen sind die beiden Corvette. Chevrolet setzt die Autos exakt einmal in Europa ein: in Le Mans. Ansonsten fährt man damit (aber unter leicht anderen Regeln) in der USCC. Schnell ist die Corvette jedenfalls, beim Testtag vor zehn Tagen lag ihr Topspeed mitten bei den LMP2 und damit waren sie die schnellsten in der Pro-Klasse. Über die Besetzung der Corvette muss man sich keine Gedanken machen. Die #63 sieht Jan Magnussen, Antonio Garcia und Ryan Briscoe am Steuer, die #64 ist mit Oliver Gavin, Jordan Taylor und Tommy Millner ebenso gut besetzt.
Wie gut die Corvette auf den Longruns ist, wird man sehen müssen. Zwar haben sie in den USA schon einige Siege einfahren können, aber die BoP in Le Mans ist etwas anders. Hilfreich wird sein, dass die C7 Corvette wie 2014 eingestuft ist, Chevrolet aber das Auto in diesem Jahr komplett neu aufgebaut hat.
GTE-Am
In der Am-Klasse starten 14 Autos, davon kommen alleine sechs aus dem Hause Ferrari. AF Corse setzt setzt drei Wagen ein, wobei die #83 mit Perrodo, Aguas und Collard wohl mit die stärkste Besetzung ist. Perrodo fährt seit 2012 in diversen GT-Serien und hat Le Mans-Erfahrung, Aguas und vor allem Collard sind alte Hasen in verschiedenen Klassen und kennen Le Mans aus dem Eff-Eff. Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist die #55, die mit Ducan Cameron, Matt Griffin und Alex Mortimer besetzt ist, wobei Cameron der „Bronze“-Fahrer ist. Allerdings gehört Cameron zur Standardbesetzung bei AF Corse, seine Einstufung ist ein wenig merkwürdig.
Die anderen Ferrari sind nominell alle durch die Bank schlechter besetzt, wobei man den SMP-Ferrari zumindest beobachten sollte, da der Wagen ebenfalls von AF Corse eingesetzt wird. Die #72 ist mit Andrea Bertolini, Victor Shytar und Alex Basov nicht schlecht besetzt, wobei Basov als unerfahrener „Bronze“-Pilot sicher der Schwachpunkt ist.
Porsche hat vier Autos am Start, wobei nur ein Wagen eventuell Chancen auf ein Podium hat. Die Proton-Mannschaft setzt in der #88 auf Christian Ried, Al Quabaisi und Klaus Bacheler. Ried ist hier der „Bronze“-Fahrer, was auch ein wenig merkwürdig ist, denn Ried fährt auch schon seit Jahren. Der zweite Proton #77 ist mit Marco Seefried und Patrick Long sehr stark, allerdings teilen die sich das Cockpit mit Patrick Dempsey. Nichts gegen den Schauspieler und seinen Einsatz, aber den Speed der Teamkollegen kann er bei weitem nicht halten.
Zwei weitere Porsche kommen vom AAI-Team aus Taiwan und sind schon von vornherein als chancenlos einzustufen. Mehr Sorgen macht einem die Unerfahrenheit der beiden taiwanesischen Piloten Jun-San-Chen in der #67 und Han-Chen Chen in der #68. Immerhin hat der Rest der Mannschaft viel Le Mans-Erfahrung, von daher ist davon auszugehen, dass man die beiden Chen nur am Tag für die Mindestfahrzeit einsetzen wird.
Eine Corvette gibt es in diesem Jahr in der Am-Kategorie auch wieder. Das französische Labre-Team hat sich bei GM eine letztjährige Corvette C7 besorgt und teilweise neu aufgebaut. Am Steuer der #50 sitzen Gianluca Roda, Paulo Ruberti und Kristian Poulsen, der letztes Jahr noch mit Aston Martin die Am-Klasse gewinnen konnte. Ein absolut siegfähiges Team, dass man unbedingt auf der Rechnung haben muss. In Spa lagen sie schon in Führung, bis sie von einem LMP1 abgeschossen wurden.
Und dann wäre da noch die Viper aus den USA. Als einziger Nachrücker in das Rennen (weil Morand in der LMP2 einen Wagen weniger hat) rückt die Riley-Mannschaft mit Enthusiasmus an. Nach dem Rückzug von SRT aus der USCC letztes Jahr hat man die alten Chassis gekauft und für Le Mans nun extra ein GTE-Chassis aufgebaut. Am Steuer der #53 sitzen mit Jeroen Bleekemoolen, Ben Keating und Mark Miller diejenigen, die in der USCC unterwegs sind. Keating hat in diesem Jahr mit dem Wagen auch die 24h von Daytona gewonnen.
Das Problem mit der Viper ist die Einstufung. Auch sie fährt nur diesen einen Einsatz in Europa und war zuletzt 2013 am Start. Da die Viper über einen 8 Liter V10 verfügt, musste der ACO einen Waiver ausstellen, damit die Viper überhaupt antreten darf (erlaubt sind max. 5,5 Liter Hubraum). Die Frage ist also, wie der ACO die Viper einstuft und erfahrungsgemäß sind die Franzosen da eher konservativ. Also sollte man nicht allzu viel von der Viper erwarten.
In den letzten Jahren wurden die Rennen in den GT-Klassen teilweise erst in den letzten Minuten entschieden. Leider verirrt sich die Kamera nur selten in die Am-Klasse, weil man sich auf das Geschehen an der Spitze konzentriert. Da es dort in diesem Jahr enger als sonst zugehen kann, wird man von der „Am“ eher wenig sehen. Da hilft nur der Blick auf das Livetiming und natürlich unseren Liveticker, der sich regelmäßig um die GT-Klassen kümmern wird.
Bilder: WEC/ACO/Adrenalin