Das Rennen in Le Mans könnte in diesem Jahr das knappste in der Geschichte des 24h-Rennens werden. Es geht an der Spitze um Sekunden, der kleinste Fehler kann das Rennen entscheiden.
Die große Frage wird sein, wie das Duell zwischen Porsche und Audi ausgeht. Toyota scheint mit dem Rennen an der Spitze zunächst nichts zu tun zu haben, aber das kann sich durchaus noch ändern. Denn das Wetter und damit das Setup für das Rennen spielt in diesem Jahr eine große Rolle. Stand Freitagmorgen soll es Samstag und in der Nacht zum Sonntag zwar trocken bleiben, doch ab Sonntagmorgen, ca. 6:00 Uhr wird mit andauernden Regenfällen gerechnet. Da zu diesem Zeitpunkt immerhin noch 40% der Renndistanz zu absolvieren sind, stellt sich für manches Team die Frage, ob man beim Setup nicht vielleicht ein Risiko eingeht und auf eine Regenabstimmung setzt. Aber das Wetter in Le Mans ist bekanntermaßen etwas unberechenbar, vor allem weil es auf der langen Strecke in der einen Ecke regnen kann, während es woanders noch trocken ist.
Audi vs. Porsche
Flo hatte es in seiner LMP1-Vorschau schon angedeutet: In Sachen Strategie hängt viel davon ab, ob Porsche in diesem Jahr 13 oder 14 Runden lange Stints fahren kann. Sicher scheint, dass Audi bei 13 Runden bleiben wird, ebenso Toyota. In der Qualifikation zeigte Porsche eine enorme Pace und distanzierte die Ingolstädter um satte drei Sekunden. Das war deutlich mehr, als man erwartet hatte, aber Porsche wird dieses Tempo mit Sicherheit nicht im Rennen gehen können, während aber Audi, wie so oft in Le Mans, im Rennen eher noch schnellere Rundenzeiten hinlegen wird, als man das in der Quali gesehen hat. Die mittlere Pace der R18 dürfte bei tiefen 3.22min bis 3.23min liegen, das lassen zumindest die Longruns aus den bisherigen Sessions vermuten.
Erstaunlicherweise sehen die Zeiten der Porsche auf den Longruns auch nicht besser aus. Überhaupt scheinen die 3.16min der #18 aus der ersten Quali schon das zu sein, was der Porsche kann. Vermutlich ginge es zwar noch schneller, wenn die Strecke mehr Gummi hat und der Porsche keinen Verkehr. Etwas um 3.15.7xxmin erscheint durchaus im Bereich des Möglichen. Aber das ist nur die Pace auf eine Runde. Porsche hat, wie von Flo beschrieben, immer noch ein Problem mit dem Reifenverschleiß, der höher ist als beim Audi.
Die folgende Rechnung basiert auf idealen Verhältnissen: Kein Regen, keine Unterbrechungen, kein Fahrzeug hängt hinter dem „falschen“ Safety Car und es gibt keine technischen Probleme.
Wir gehen davon aus, dass der Porsche zu Beginn eines Stints immer etwas schneller sein wird, so im Bereich von 0,7 bis einer Sekunde pro Runde. Gegen Ende eines Stints sollte der R18 den bis dahin eingehandelten Rückstand aber wieder verkürzen können, evtl. auch komplett. Audi kann mindestens zudem Vierfach-Stints mit den Reifen fahren, Porsche vermutlich nicht mehr als Doppelstints, im Notfall vielleicht mal einen Dreifach-Stint. Man verliert bei einem Reifenwechsel ca. 20 Sekunden.
Der siegreiche Audi stoppte im letzten Jahr 29 Mal, inklusive eines 23minütigen Reperaturstopps. Ziehen wir den ab, bleiben 28 reguläre Stopps, elf Mal wurden dabei die Reifen gewechselt. Abgesehen vom langen Stopp, könnte dies auch die Blaupause für 2015 sein, eventuell sogar mit einem oder zwei Reifenwechseln weniger, weil man etwas weniger Abtrieb generiert als im letzten Jahr, die Reifen also nicht ganz so belastet werden. Auf der anderen Seite müssen die Vorderreifen in diesem Jahr mehr aushalten, da sie doppelte Hybridenergie auf den Asphalt bringen müssen. Konservativ gerechnet bleiben ca. zehn Reifenwechsel (ohne Regenreifen, Intermediates usw.)
Porsche muss die Reifen mindestens 14 Mal wechseln, daraus ergibt sich ein rechnerischer Vorteil von 80 bis 90 Sekunden für die Audi.
Was aber, wenn Porsche eine Runde pro Stint länger fahren kann? Dann spart sich Porsche knapp zwei Stopps, wobei man vermutlich am Ende noch einen „Splash n Dash“ einlegen müsste, oder man ginge zwischendurch doch hier und da wieder auf 13 Runden. Aber wenn Porsche zwei Stopps sparen könnte, gewinnt man ca. 120 Sekunden. Das heißt, der Nachteil durch die häufigeren Reifenwechsel wäre wettgemacht, es bliebe ein Vorteil von ca. 30 Sekunden über die Distanz.
Für Audi würde dies bedeuten, dass man in diesem Fall pro Stint ca. 1,5 Sekunden schneller sein muss als der schnellste Porsche, was ca. 0,1 Sekunde (!) im Schnitt pro Runde entspricht. In diesem Fall würden die beiden schnellsten Audi und Porsche Stoßstange an Stoßstange über die Ziellinie gehen.
Mit anderen Worten: Das ist so knapp, dass man es nicht vorhersagen kann. Denn schon eine „Slow Zone“, die ein Wagen erwischt, der andere aber nicht, könnte das Rennen entscheiden.
Völlig unberechenbar wird das Rennen aber durch den angekündigten Regen. Hier ist einfach die Frage, welcher Wagen wann und wo auf der Strecke den Regen abbekommt. Eine weitere Frage ist, wann und auf welche Reifen man wechselt. Intermediates? Regenreifen? Und wie lange lässt man diese Reifen dann auf dem Wagen? Lässt man die Regenreifen auch bei schon leicht abtrocknender Strecke drauf, weil der nächste Schauer bevorsteht, oder nimmt man für ein paar Runden Intermediates? Allein diese Entscheidung kann einem den Sieg bringen oder auch kosten.
Im Regen sollten die Audi einen deutlichen Vorteil haben, weil der R18 mehr Abtrieb generiert. Man wird dann vor allem im ersten Sektor (bis Tetre Rouge) und in den Porsche-Kurven sehr viel Zeit gewinnen. Es kann also gut sein, dass die Porsche bis zum Sonntagmorgen einen kleinen Vorsprung von ca. einer halben Runde herausfahren können, diesen aber in den letzten Stunden im Nassen wieder einbüßen.
Toyota und das Wetter
Regen ist genau das, was Toyota gerne hätte. Der diesjährige TS040 hat offenbar ein Leistungsproblem, immerhin fehlten dem Team in der Quali zwei Sekunden auf die eigene Pole-Zeit aus dem letzten Jahr. Woran das liegt, ist schwer zu sagen, die Vermutung liegt nahe, dass der Wagen mehr Abtrieb generiert als 2014. Das bedeutet aber auch, dass man im Nassen weit weniger Abstand hat und genau die Strategie fahren könnte, die Audi 2014 und 2008 angewendet hat. Mit einem langsameren Auto konstante Rundenzeiten fahren und hoffen, dass die Spitze sich gegenseitig in Fehler hetzt.
Das Problem für Toyota wird aber darin liegen, dass der Regen, zumindest nach den bisherigen Vorhersagen, erst sehr spät kommt. Wichtig wäre es für Toyota, dass man zumindest einen Wagen in einer Runde mit der Spitze halten kann. Es ist aber nicht davon davon auszugehen, dass Toyota das gelingen wird. Die Longrun-Zeiten bewegten sich um 3.26min herum, also mindestens rund drei Sekunden langsamer als die Konkurrenz.
Pro Stint verliert man also rund 30 bis 40 Sekunden und mehr als 13 Runden wird der TS040 nicht draußen bleiben können. Selbst wenn man von günstigen 30 Sekunden Zeitverlust pro Stint ausgeht und man Toyota unterstellt, dass sie wie Audi Vierfach-Stints mit den Reifen gehen können (was wir nicht glauben), ergibt sich nach fünf Stints ein Verlust von einer Runde. Das ist dann vier bis fünf Stunden im Rennen. Bis zum Regen am Sonntagmorgen hätte Toyota dann ca. zweieinhalb Runden verloren, was ungefähr einen Rückstand von 7.30min entspricht. Um den in neun Stunden wieder aufzuholen, müsste man pro Stint ca. eine Minute schneller als Audi und Porsche sein, was auch im Regen eher utopisch ist. Auf der anderen Seite: Ein Boxenaufenthalt von sieben Minuten für eine Reparatur ist in Le Mans, wenn denn was schief geht, nicht ungewöhnlich.
Das Problem der Toyota ist dabei aber nur, dass es eher unwahrscheinlich scheint, dass alle sechs Audi und Porsche während des Rennens in so große Probleme kommen, dass sie diese Zeit verlieren. Toyota muss also hoffen, dass es a) sehr früh regnet und b) die beiden deutschen Hersteller bis dahin ihr Material derartig belastet haben, dass unplanmäßige Stopps nötig sind. Die Chancen stehen also denkbar schlecht.
Die anderen Klassen
Für die Spitzenreiter der anderen Klassen gilt im Grunde ähnliches wie für Audi und Porsche. In der LMP2 werden der KCMG, der G.Drive, der Jota und der Thiriet sehr lange eng beieinander liegen. Reifenverschleiß und Verbrauch sind bei den Fahrzeugen ebenfalls ähnlich. Der Greaves, in der Quali immerhin auf P3, wird vermutlich wegen des unerfahrenen Patelou im Rennen zurückfallen. Für die genannten Teams geht es am Ende auch darum, wer im Regen wann auf welche Reifen wechselt.
In beiden GTE-Klassen wird Porsche auf Regen hoffen. Bekanntermaßen hat der 911er wegen seines Layouts im Regen deutliche Vorteile in Sachen Abtrieb und Beschleunigung. In der „Pro“ fehlten den Werks-911ern allerdings in der Quali rund zwei Sekunden auf die Spitze. Wie im Fall von Toyota ergibt sich hier bis zum Sonntagmorgen ein Rundenrückstand, der aber aufgrund der längeren Stints der GTs etwas kleiner ausfallen wird. Auch für die Porsche gilt, dass man unbedingt in einer Runde mit der Spitze bleiben muss, wenn man eine Chance auf den Sieg haben will.
Die Aston Martin mögen keinen Regen, aber der Ferrari kommt auf nasser Strecke gut voran und hat hier einen Vorteil. Sollte der Regen früh kommen, läuft es auf ein Duell zwischen Ferrari und Porsche hinaus. Schwer einzuschätzen sind die Corvette, die man in diesem Jahr im Regen noch nicht gesehen hat.
In der „Am“-Kategorie sieht es für Porsche erstaunlicherweise etwas besser aus. Auch wenn die Aston hier dominieren, lag der beste Porsche in Reichweite. Die Aston werden die Pace aus der Quali im Rennen nicht auf Dauer gehen können und wenn es regnet schon gar nicht. Vor allem der Proton-Porsche #88 mit Al Quabaisi, Bacheler, Reid hat durchaus gute Chancen auf den Gesamtsieg.
Bilder: Toyota, Audi AG, Porsche AG, ACO