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Vorschau Formula E-Saisonfinale: Zweimal London, bitte!

von StefanTegethoff
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_SBL5944Es ist gerade einmal Ende Juni, aber die Formula E befindet sich schon auf der Zielgeraden ihrer Debütsaison. Es dürfte das erste Motorsport-Saisonfinale des Jahres 2015 sein, zumindest was internationale Rennserien angeht – was daran liegt, dass die junge Elektro-Formel als Winterserie konzipiert ist. Im vergangenen September begann die Saison in Peking, acht weitere Rennen wurden seither absolviert. Und zum Saisonabschluss steht nun ein Doubleheader im Herzen Londons an: Am Samstag und am Sonntag wird in zwei gleichwertigen Rennläufen die Meisterschaftsentscheidung zwischen Nelson Piquet jr., Lucas di Grassi und Sebastien Buemi gefällt.

Rückblick auf den Moscow ePrix

Vor der schönen Kulisse aus Kreml und Basilius-Kathedrale – in dieser Hinsicht war dieser ePrix prototypisch für das Formula E-Konzept von City-Rennen – fiel vor drei Wochen beim Moscow ePrix zwar noch nicht die Vorentscheidung, doch wegweisend war der ePrix in der russischen Hauptstadt in jedem Fall, denn er bestätigte die Kräfteverhältnisse, die sich im Laufe der zweiten Saisonhälfte zunehmend stabilisiert haben.

Der schnelle Franzose Jean-Eric Vergne sicherte sich mit nur zwanzig Tausendstelsekunden vor dem Meisterschaftsführenden Nelson Piquet jr. die Pole Position. Für Vergne war es die dritte Pole in seinem siebten Rennen – doch für Piquet wäre sie wichtiger gewesen, um den Puffer im Spitzenkampf zu vergrößern. Denn auch der Gesamtzweite Lucas di Grassi sicherte sich mit Quali-Rang 3 (eine Viertelsekunde zurück) einen aussichtsreichen Startplatz, direkt hinter ihm fand sich mit Sebastien Buemi der Meisterschaftsdritte wieder. Da mit Piquet, di Grassi und Buemi die drei Top-Platzierten auch den FanBoost per Abstimmung zugesprochen bekamen, gab es in dieser Hinsicht keinen Vor- oder Nachteil im Meisterschaftskampf.

_L0U1129Gleich am Start schnappte Piquet di Grassi, der mit viel Wheelspin nicht gut von seinem Startplatz loskam. Von da an hatte niemand mehr eine Chance, Piquet gefährlich zu werden, wie schon in Long Beach dominierte er das Rennen. Bis zu den Boxenstopps gab es im ganzen Feld wenig Bewegung. Der teilweise recht buckelige Streckenbelag beschäftigte die Fahrer genug. Nur in der Schikane auf der „Gegengeraden“ gab es den einen oder anderen Überholversuch und Ausrutscher durch den Auslauf.

Die Fahrzeugwechsel brachten schließlich nicht nur Bewegung, sondern auch Durcheinander: Beim e.dams Renault-Team verschätzte man sich und hielt Sebastien Buemi etwa zehn Sekunden länger in der Box als nötig – nur um ihn dann genau vor Nick Heidfeld wieder auf die Strecke zu schicken, wofür er später bestraft werden sollte. Auch Jean Eric Vergne verlor seinen zweiten Rang im Stopp-Reigen an Lucas di Grassi.

_L0U1535In der zweiten Rennhälfte gab es im Mittel- und Hinterfeld den einen oder anderen Zwei- oder gar Dreikampf; dabei kam es zu weiteren Schikanen-Ausrutschern und zu Auffahrunfällen und Drehern in der engen Kehre auf der Brückenauffahrt. Der Kampf um den letzten Podiumsplatz zwischen Vergne, Buemi und Heidfeld zog sich durch die ganze letzte Runde und führte zu Zwischenfällen in beiden Passagen: Buemi verpasste im Streit mit Vergne die Schikane, verlangsamte, um diesen passieren zu lassen, doch anstatt dass Vergne Buemi überholte, schnappte sich der lauernde Heidfeld den Franzosen. Buemi fuhr als Dritter durchs Ziel, doch dort sollte er nicht lange bleiben…

Der Kampf um die Meisterschaft

_L5R1196Jedenfalls sicherte sich Nelson Piquet jr. – nach Sebastien Buemi als zweiter Fahrer – seinen zweiten Saisonsieg und baute seine Führung in der Fahrer-Meisterschaft auf 17 Zähler aus; 128 weist sein Konto insgesamt auf. Lucas di Grassi wurde zwar in Moskau Zweiter, doch ihm fehlen weiterhin die 25 Punkte, die er durch die regelwidrige Frontflügel-„Reparatur“ beim Berlin ePrix verlor. Doch auch so liegt er mit 111 Zählern bei noch maximal 60 zu vergebenden Punkten in Reichweite seines Landsmannes. Um die Rivalität, die in Monaco nach einem Quali-Zwischenfall entstanden war, ist es seitdem wieder ruhiger geworden.

Sebastien Buemi drehte zwar die schnellste Rennrunde, wurde aber im Nachgang des Rennens noch mit einer Zeitstrafe für den oben bereits erwähnten „Unsafe Release“ in der Boxengasse belegt. Der so zustande gekommene neunte Rang und die zwei Punkte für die schnellste Rennrunde addierten sich nur zu vier Zählern – in der Meisterschaft ist Buemi damit recht deutlich zurückgefallen, behält aber seinen dritten Rang. Da alle drei Top-Piloten bereits mindestens einen Ausfall erlitten haben, muss niemand ein Punkte-Ergebnis abgeben, denn die Regel besagt, dass das punkteärmste Rennen (Disqualifikationen ausgenommen) eines jeden Piloten aus der Wertung gestrichen wird.

_MG_8256Nicolas Prost, Jerome d’Ambrosio und Sam Bird auf den Rängen 4 bis 6 haben nur noch rein rechnerische Chancen, sich ganz vorn einzumischen. Prosts Rückstand auf Piquet jr. beträgt 46 Punkte, d’Ambrosios 51 und Birds 60 – bei noch genau 60 zu vergebenden Zählern. Für einen Rennsieg sind aus diesem Trio aber möglicherweise die Youngster aus Belgien und Großbritannien gut; Nicolas Prost kam in der zweiten Saisonhälfte nicht so recht in Tritt und sammelte vor allem Mittelfeld-Platzierungen.

Nick Heidfeld rückte in Moskau aufgrund von Buemis Strafe noch auf den letzten Podiumsrang vor. Es war sein bestes Saison-Resultat – nach dem ersten Lauf, als er mit Nicolas Prost bis zur letzten Kurve um den Sieg kämpfte und dort dann unsanft abgeräumt wurde, verlief die Saison mehr als ernüchternd, auch wenn Heidfeld oft zeigte, dass mehr drin hätte sein können – Meisterschaftsrang 10 ist Mittelmaß. Vierter wurde beim russischen ePrix Jean-Eric Vergne, der in der Meisterschaft auf Rang 7 liegt, obwohl er erst zum dritten Rennen in die Serie einstieg und danach dreimal vor Rennende den Wagen abstellen musste. Mit Rang 5 konnte auch Daniel Abt in Moskau auch endlich wieder einmal ein brauchbares Resultat abliefern; in der Punktwertung liegt er auf Rang 9 hinter Antonio Felix da Costa.

_SBL5156In der Teamwertung ist der Titel fast vergeben: e.dams Renault konnte sich über die Saison als einziges Team mit zwei relativ konstant starken Fahrern vorn absetzen, während bei den Verfolgern Audi Sport Abt (44 Punkte zurück) und NEXTEV TCR (55 Punkte zurück) jeweils nur ein Fahrer fast den ganzen Punktevorrat erbeutet hat. Nur ein völlig verkorkstes Wochenende für e.dams Renault kann hier noch den Umschwung bringen, und ein solches hatte das Team zuletzt beim ersten Saisonlauf.

Vorschau auf den London ePrix

Der London ePrix wird – von der Isle of Man TT  abgesehen – das erste Straßenrennen auf britischem Boden seit dem 1986 bis 1990 ausgetragenen Birmingham Superprix sein. Das liegt daran, dass Autorennen auf britischen Straßen per Gesetz verboten sind und erst durch das Parlament in Form eines Gesetzes für den Einzelfall (wie damals für Birmingham) erlaubt werden müsste. Im vergangenen Sommer kündigte Premierminister Cameron an, das Gesetz zu ändern und Motorsport auf öffentlichen Straßen in das Ermessen der lokalen Gremien zu überführen. Diese Gesetzesänderung wurde aber – soweit ich informiert in – bislang nicht verabschiedet.

_G7C4176Dies ist einer der Gründe, warum der Battersea Park, knapp 3 km südwestlich der City of Westminster am Südufer der Themse gelegen, zum Austragungsort des ersten London ePrix auserkoren wurde: Die innerhalb des Parks verlaufenden Fahrwege zählen nicht zum öffentlichen Straßennetz, für das das Verbot gilt. Dennoch musste das Wandsworth London Borough Council grünes Licht für das Event geben und eine Planning Application für die – teils temporären, teils dauerhaften – Umbauarbeiten eingereicht werden. Beides klappte – und die Lokalpolitiker machten sogar den Weg für ein Doubleheader-Wochenende frei, wenn auch nicht ohne Gegenstimmen.

Die Strecke

Die ersten Entwürfe für die Strecke durch den Battersea Park sahen wunderbar flüssig und schnell aus und erinnerten ein wenig an eine Light-Variante des Kurses von Bremgarten aus den 50ern. Darum war es damals schon zu vermuten, dass dies aus Sicherheitsgründen nicht so bleiben würde – und so kam es auch. Eine ganze Reihe von Schikanen wurde in die Runde eingebaut – fünf sind es, um genau zu sein. Auch die Fahrtrichtung wurde geändert. Damit hat man der Strecke leider viel von dem ursprünglichen Reiz genommen – gerade weil man ja in den bisherigen Saisonläufen sehen konnte, dass improvisierte Schikanen nicht das favorisierte Terrain des Spark-Chassis sind. Bleibt zu hoffen, dass die gegen Mitte der Saison nach zahlreichen Defekten verstärkten Radaufhängungen diese Masse an Holper-Schikanen gut überstehen…

LONDON_Original_MapDer Kurs beginnt nun mit einem schnellen Links-Rechts-Schwung, der in eine sehr enge Links überleitet – dies dürfte eine der herausfordernderen Passagen sein. Es folgt ein durch zwei Schikanen unterbrochener Lauf in Richtung der nächsten engen Rechts – die Geraden hier sind so kurz, das Überholen unmöglich scheint. Danach geht es wieder mit zwei Schikanen mehr oder weniger geradeaus – hier sind jedoch die Abstände so groß, dass Überholversuche möglich scheinen. Es folgt mit Turn 13 eine langgezogene schnelle Links, die hoffentlich trotz der Schikane unmittelbar davor noch nicht ihren ganzen Reiz verloren hat; im Anschluss hieran ist Schikane Nr. 5 zu passieren, die sich ganz vielleicht auch als Überholmöglichkeit eignen könnte. Mit einer engen Links geht es danach zurück auf Start/Ziel.

_L0U0457Das Layout stammt aus der Feder von Simon Gibbons, einem britischen Architekten und Rennstrecken-Planer, der schon für den Formula E-Kurs in Putrajaya verantwortlich zeichnete, einen der besten Kurse der Debutsaison. Möglicherweise fährt sich die Park-Rennstrecke in London besser, als sie auf den ersten Blick aussieht. Mit 2,922 km ist eine Runde jedenfalls relativ lang im Verhältnis zu den meisten anderen Formula E-Strecken (nur der langweilige Kurs in Peking war länger); 17 Runden werden somit pro Lauf gefahren. Die Boxengasse wurde etwas verschlungen mitten durch den Park gelegt – aber da jeder (nur) einmal stoppen muss, ist das nicht schädlich.

Karun Chandhok unternahm mit dem Team des britischen Motor Sport Magazine im Frühjahr schon einmal einen „track walk“ um die temporäre Rennstrecke und zeigte dabei auf, dass auch die Querneigung der Parkumfahrt an der einen oder anderen Stelle zur Herausforderung werden könnte:

Das Fahrerfeld

Etwas überraschend kam es wieder zu einigen Veränderungen im Fahrerfeld. Von den Fahrern an der Tabellenspitze wurde selbstverständlich keiner ausgetauscht, aber im hinteren Tabellenbereich gab es schon im Laufe der Saison die eine oder andere Fluktuation und dies setzt sich nun fort – möglicherweise handelt es sich dabei auch in dem einen oder anderen Fall um eine Probefahrt für mögliche KandidatInnen für die nächste Saison.

_SBL5562Michael Andretti setzt mit der Schweizerin Simona de Silvestro eine neue Pilotin ein – sie wird die einzige Frau im Starterfeld sein, nachdem sich Katherine Legge und Michela Cerruti, die zu Saisonbeginn noch dabei waren, nur zwei bzw. vier Rennen lang in ihren Cockpits halten konnten. De Silvestro hat in der IndyCar Series mehrfach bewiesen, dass sie eine talentierte Monoposto-Pilotin ist (u.a. Rang 2 in Houstin 2013), doch der Job als „affiliated driver“ (was auch immer das sein sollte) beim Sauber-F1-Team im Vorjahr brachte ihre Karriere nicht recht weiter. Nun hat sie die Chance, sich in zwei Formula E-Rennen zu beweisen.

Mit Oliver Turvey wird ein weiterer erfolgreicher Sportwagen-Pilot in einen Formula E-Boliden einsteigen. Der Le Mans-LMP2-Klassensieger aus dem Vorjahr (und diesjähriger Nissan-LMP1-Pilot) ist beim chinesischen Team NEXTEV TCR bereits der vierte Fahrer für das zweite Auto neben Nelson Piquet. Ho-Pin Tung, Antonio Garcia und Charles Pic konnte allesamt dem Brasilianer nicht das Wasser reichen – nun darf der junge Brite es versuchen.

Turvey gehört zu den nun insgesamt zehn Formula E-Piloten, die vor anderthalb Wochen in Le Mans am Start waren (oder sind zumindest zur Qualifikation antraten, die Corvette von Oliver Gavin musste unfallbedingt zurückgezogen werden) – bis auf Gavin traten all diese Piloten in LMP1 und LMP2 an, Klassen-Podeste gab es für Tuvey und Sam Bird, den Gesamtrang 4 für die Audi-Fahrer Lucas di Grassi und Loic Duval. Auch das bestätigt noch einmal die erfreulich gute Besetzung des Formula E-Feldes in der Debutsaison der Serie.

_SBL5543Bei Amlin Aguri muss Antonio Felix da Costa ersetzt werden, der DTM-Verpflichtungen nachkommen muss. Das japanische Team hat sich für einen japanischen Piloten entschieden: Ex-F1-Pilot Sakon Yamamoto wird das Steuer übernehmen; er hat bereits einmal in seiner Rolle als japanischer TV-Kommentator einen FE-Wagen probegefahren.

Der sicherlich überraschendste Wechsel wurde kurzfristig beim Virgin Racing Team vorgenommen: Am Dienstag wurde ohne Angabe von Gründen gemeldet, dass Ex GP2-Meister Fabio Leimer den ehemaligen F1-Piloten Jaime Alguersuari in London ersetzt. Alguersuari war in der Formula E meist eher im Mittelfeld zu finden; seine beste Platzierung ist ein vierter Rang in Buenos Aires. Leimer saß schon bei den Preseason-Tests in Donington letzten Sommer hinter dem Steuer eines Spark-Renault.

Zu erwarten ist eine Fahrer-Ankündigung auch noch beim Team von Jarno Trulli, denn Vitantonio Liuzzi, der ab Miami eher spontan dazugestoßen war, hat anderweitige Verpflichtungen.

Wann und wo?

Zwei Rennen finden am Wochenende in London statt – an beiden Tagen ist der Zeitplan im Wesentlichen gleich: morgens Training, mittags Quali und nachmittags das Rennen. Start ist an beiden Tagen um 17 Uhr deutscher Zeit. Sky überträgt jeweils live ab 16:45 Uhr.

_MG_8426Der britische Sender itv4 ist am Samstag eine Stunde vor Rennstart mit Vorberichten drauf; auch die Quali wird dort an beiden Tagen (jeweils um 12:30 Uhr deutscher Zeit) live übertragen. Das Meisterschaftsfinale rückt sogar ins itv-Hauptprogramm auf (auch weil auf itv4 die BTCC übertragen wird), auch am Sonntag wieder mit Vorberichten ab 16 Uhr deutscher Zeit.

In den Vorberichten wird man sicherlich auch Bilder davon sehen, wie der Londoner Bürgermeister Boris Johnson in einem Formula E-Boliden Platz nimmt – allein dafür dürfte sich das rechtzeitige Einschalten schon lohnen – und dranbleiben lohnt sich, denn die Meisterschaftsentscheidung wird spannend!

(Bilder: Formula E Media)

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1 Kommentare

Eagel-F1 24 Juni, 2015 - 19:22

Tolle Vorschau! Eine kleine Korrektur. Es gibt auf britischem Boden (sogar auf englischem) noch ein weiteres Straßenmotorsport-Event und zwar auf dem Oliver’s Mount. Ist lange nicht so bekannt wie die TT auf der Isle of Man oder das NW200 (was aber in Nordirland stattfindet).

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