Eine Woche nach der „großen Schwester“ WEC ist auch die European Le Mans Series wieder unterwegs – diesmal auf dem Circuit Paul Ricard in Südfrankreich. Der Kurs nahe dem Örtchen Le Castellet, in den Bergen oberhalb der Cote dÀzur, ist eine der frühen Retortenstrecken und war damals (1969) vorbildlich in Sachen Sicherheit; dennoch starb dort 1986 bei Testfahrten Elio de Angelis. Nach dem Tod des namensgebenden Spirituosen-Produzenten kaufte Bernie Ecclestone die Strecke und ließ sie zu einer Teststrecke mit unzähligen Varianten und weiterläufigen Asphalt-Auslaufzonen umbauen.
Erst in den letzten Jahren fanden wieder Renn-Events auf dem Circuit Paul Ricard statt, auch kleine Tribünen wurden neu erbaut. Vor allem Sportwagen-Serien wie die ELMS und die SRO-GT-Serien gehören zu den größeren heutigen Veranstaltungen, wobei das in Ermangelung nennenswerter Tribünenkapazitäten immer noch ein eher überschaubares Publikum bedeutet. Die Strecke wird geprägt von der 1,9 km langen Mistral-Geraden, die die ELMS-Boliden ohne unterbrechende Schikane befahren; am Ende dieser Vollgas-Passage wird die extrem schnelle Signes-Kurve in Angriff genommen.
In den letzten Jahren siegten Signatech-Alpine und Newblood by Morand Racing – beide Male saß Pierre Ragues am Steuer. Doch Ragues ist nicht mehr dabei, beide Teams sind in die WEC aufgestiegen. Das untermauert noch einmal die Funktion der ELMS als „Nachwuchs“-Serie – bezogen auf Fahrer und Teams. Das neue Modell der ELMS hat sich gut etabliert; wie sich das neue LMP2-Reglement mit nur vier Chassis-Konstrukteuren und einem Motorenhersteller auf die Klasse und auf die Serie ab 2017 auswirkt, bleibt abzuwarten, doch die Ausgangsposition scheint solide.
In den Top-Klasse, der LMP2, lautet das Duell: Jota Sport vs. Thiriet by TDS. Wir erinnern uns an das Rennen auf dem Red Bull Ring: Es wurde von Safety Car-Phasen und Strafen in allen Klassen geprägt, und auch den Kampf um den Sieg haben die Ereignisse beeinflusst. Am Ende brauchte es eine Strafe für das Thiriet by TDS-Team, damit das dominante Jota-Team den verdienten Sieg einfahren konnte, den es durch Gelbphasen-Pech fast eingebüßt hätte… 60:58 zugunsten von Jota ist der aktuelle Meisterschafts-Stand.
Auch in Le Castellet wird es wohl wieder auf diesen Zweikampf um den Sieg hinauslaufen. Dolan/Albuquerque/Tincknell im offenen Gibson-Nissan von Jota Sport und Thiriet/Badey/Gommendy im deutlich jüngeren Ligier-Nissan-Coupé sind allen anderen Teams den entscheidenden Tick voraus. Doch sollten die beiden auch nur in kleinere Probleme geraten, stehen einige Teams aus der zweiten Riege bereit.
Schon bei den Preseason-Testfahrten auf dem Circuit Paul Ricard gehörten neben Jota und Thiriet die beiden Teams Greaves Motorsport und Murphy Prototypes zu den Schnellsten. Im bisherigen Saisonverlauf hatten beide Fahrertrios ihren Moment im Rampenlicht (Greaves mit Sieg in Silverstone, Murpy in P2 in Imola), doch Kontinuität fehlt beiden.
Eurasia Motorsport konnte in Österreich sogar einige Runden lang das Rennen anführen, fiel jedoch am Ende zurück; diesmal bekommen Pu Jun Jin und Nico Pieter de Bruijn einigermaßen prominente Unterstützung: Richard Bradley, seines Zeichens Le Mans-Klassensieger und auch Sieger im WEC-Lauf am Nürburgring am Steuer des LMP2-Boliden von KCMG stößt zu der kleinen Truppe, die unter philippinischer Flagge gemeldet ist.
Die beiden russischen BR01-Boliden sind diesmal wieder unter dem Banner von AF Corse (als AF Racing statt SMP Racing) gemeldet; vermutlich ist das wiederum auf die Spannungen zwischen Europa und Russlang zurückzuführen und die damit verbundenen Wirtschaftssanktionen, die den Geldfluss zum Team schon einmal erschwert haben. AF Corse ist jedoch schon seit geraumer Zeit für den Einsatz der SMP-Autos verantwortlich. Und wenn die beiden BR01 weiter wie bisher an Speed und Standfestigkeit gewinnen, ist nach P3 am Red Bull Ring bald der Einstieg in den Kampf um Siege zu erwarten.
Die LMP3 ist weiter mit etwas mageren vier Fahrzeugen besetzt, allesamt aus der Ginetta-Schmiede, doch die Klasse wird noch wachsen und vielfältiger werden. Team LNT hat faktisch die Doppelführung in der Meisterschaft inne, da das bislang zweitplatzierte Team der University of Bolton nicht mehr antritt. Chris Hoy und Charlie Robertson führen die Wertung nach zwei Siegen in drei Rennen recht solide an.
An Spannung der LMP2 ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen, ist die GTE-Kategorie. Drei verschiedene Sieger in drei Rennen, sieben von neun Teams haben in der Saison schon auf dem Podium gestanden und sieben Teams liegen in der Meisterschaft innerhalb von 14 Punkten. Zwar haben sich der dänische Formula Racing-Ferrari (48 Punkte) und der #55-Ferrari des AF Corse-Teams (43) ein wenig abgesetzt, doch dahinter lauern fünf weitere Teams, darunter auch zwei Porsche und ein BMW, im Bereich zwischen 38 und 34 Zählern.
Auch die Rennen sind spannend: Nur achteinhalb Zehntel trennten im Ziel des letzten 4h-Rennens die Top 3, angeführt von Laursen/Mac/Rizzoli für Formula Racing. Dabei hatte jedoch auch in dieser Klasse der kuriose Rennverlauf immer wieder zugeschlagen, etwa als gut platzierten Teams Strafen aufgebrummt wurden, wie etwa dem zwischenzeitlich führenden JMW-Team aus England. Mit Andrea Bertolini (AF Corse #51), Matt Griffin (Af Corse #55), Adam Carroll (Gulf Racing-Porsche) und Richard Lietz (Proton-Porsche) sind auch wieder Top-Piloten auf fast allen Autos gemeldet. Der BMW Z4 GTE, u.a. mit Tourenwagen-Weltmeister Andy Priaulx und bislang dreimal auf Rang 4 ins Ziel gekommen, wird es in Le Castellet schwer haben: High Speed ist nicht die Stärke des BMW, auf den langen Geraden dort aber wichtig. So könnte es gut ein Ferrari-Mehrkampf werden…
In der GTC-Klasse führt der BMW Z4 GT3 des TDS-Teams vor drei AF Corse-Ferraris. Mit den Franzosen Perera/Lunardi/Dermont ist der Z4 recht solide besetzt, doch die #62 mit Flohr/Castellacci/Hall hat bislang zwei von drei Läufen gewonnen und liegt nur aufgrund eines Ausfalls in Silverstone knapp hinten. In Österreich siegte der Ferrari dominant mit zwei Runden Vorsprung, während dahinter der BMW nur knapp Rang 2 vor dem Massive Motorsport-Aston Martin sichern konnte; die Dänen stürmten nach zwei Ausfällen direkt aufs Podium und werden sich auch weiterhin vorn einmischen, auch wenn in der Meisterschaft der Zug längst abgefahren ist. Ausfälle sind bei nur fünf Rennen schwer zu verkrafte – und das gilt für alle Klassen.
Das Rennen startet am Sonntag um 13 Uhr und geht über vier Stunden. Die Qualifikation findet am Morgen ab 9 Uhr statt, Rahmenprogramm gibt es in Le Castellet auf der Strecke keines – dafür ist der Eintritt frei. Wer nicht spontan hinreisen kann, kann sich das Rennen – ebenfalls kostenlos – im Livestream ansehen, oder – gegen Bezahlung und falls überhaupt verfügbar – auf MotorsTV, die ebenfalls komplett live dabei sind.