Nach einem turbulenten Renntag gibt es wahrlich viel zu diskutieren. Einerseits haben wir den aktuellen „Mr. Unstoppable“ Joey Logano und andererseits die Art und Weise, wie es zu seinem zweiten Sieg in Folge kam.
Die Kombination Kansas und Kenseth schien am Sonntagabend nicht nur namentlich gut zu passen, denn die #20 tat, was sie tun musste. In dominierender Manier führte Matt Kenseth das Hollywood Casino 400 über lange Strecken an, bevor es zwanzig Runden vor Schluss zum entscheidenden Restart kam. Zwar konnte sich die #20 zunächst absetzen, doch Joey Logano schloss dank eines wesentlich schnelleren Vehikels zügig auf. Wenige Runden vor Schluss entbrannte ein aggressiver Kampf um den Rennsieg, der zugleich für die Meisterschaft entscheidend war. Bekanntlich musste Kenseth nach seinem selbst verschuldeten Totalausfall in Charlotte gewinnen, um eine Chance auf die Meisterschaft zu wahren.
Diese Chance wollte er um keinen Preis abgeben und zwang somit Joey Logano mit zwei überaus harten Blocks zum Zurückstecken. Doch eine alte NASCAR-Weisheit besagt: „you block, you pay“. Spätestens beim zweiten Block seitens Matt Kenseth war klar, was kurz darauf geschehen musste und schließlich auch eintraf. Logano gab Kenseth einen kleinen Stubser auf die linke hintere Ecke und schickte die #20 damit auf Rauchwolkenreisen. Eine Schuldzuweisung lässt sich hier nicht treffen, denn beide Piloten hatten einen gleichwertigen Anteil am Unfall. Kenseth blockte gleich zwei Mal exzessiv gegen Logano, der sich dies natürlich nicht gefallen ließ. In diesem Sinne war es ein klassisches NASCAR-Manöver, auf das auch ein Dale Earnhardt stolz gewesen wäre.
Für Matt Kenseth war es die einzige Möglichkeit, eine Chance auf die Meisterschaft zu wahren. Zwar steht diese Woche noch das Rennen in Talladega an, aber auf dessen Ausgang kann man sich nun wahrlich nicht verlassen. Somit musste er alles versuchen, um den wesentlich schnelleren Joey Logano von der erneuten Einfahrt in die Victory Lane abzuhalten, und dies geht auf den Intermediate-Ovalen nun mal nur mit extrem harten Blockmanövern. Ein Joey Logano wird sich sowas hingegen nicht ewig gefallen lassen und seinen Gegner dies auch wissen lassen, was er fünf Runden vor Schluss schließlich in die Tat umsetzte. Somit ist der Unfall an sich keiner, den man einem der beiden Fahrer anlasten kann, sondern viel mehr einer, der vom abstrusen Chase-System provoziert wurde.
Im letzten Jahr „beglückte“ uns die NASCAR mit einem neuen, wahnwitzigen Meisterschafts-Playoff, das man sich ansatzweise bei der wesentlich populäreren NFL abgeschaut hatte. Heraus kamen drei Eliminierungsrunden und ein Rennen um Alles oder Nichts in Homestead. Dass dies die sportliche Integrität der Serie ins Lächerliche zog, schien anscheinend keinen zu interessieren. Im Kampf gegen sinkende Zuschauerzahlen muss die gebotene Show immer spektakulärer und aufregender werden, um die modernen und verwöhnten Konsumenten vor den Fernseher und an die Strecke zu locken. Heraus kommt eine künstlich erzeugte Hysterie, durch die sich – wie im letzten Jahr – nach fast jedem Rennen irgendwelche Leute eins auf die Mütze geben.
Die NASCAR war schon immer eine Serie, die verstand, den entsprechenden Show-Faktor in ihre Rennen mit einzubauen. Doch in den letzten Jahren und Jahrzehnten hat man mehr und mehr den eigentlichen Sport aus den Augen verloren und sich immer stärker auf die Show konzentriert. Nun kann man als bereits für die nächste Runde qualifizierter Fahrer einem konkurrierenden Meisterschaftskandidaten ein mögliches Weiterkommen wortwörtlich zerstören (ganz ohne eigenes Risiko) oder darf sich durch Glück im Finalrennen nach einem eigentlich eher unspektakulären Jahr Meister schimpfen. (Wohlgemerkt sollen beide Aussagen keine Wertung vornehmen, da einerseits Logano Kenseth augenscheinlich aufgrund der Blockerei abgeschossen hat und Harvick letztes Jahr verdient Meister wurde. Ich möchte lediglich die Unzulänglichkeiten dieses eigenwilligen Systems darstellen.)
Letztlich sind die Ereignisse in Kansas genau das, was die NASCAR wollte. Denn damit sind umfangreiche Schlagzeilen am nächsten Tag garantiert und man sieht ja, dass auch ich hier sitze und über diesen Unfug schreibe. Dass diese künstlich erzeugte Spannung auf Dauer funktioniert, wage ich jedoch zu bezweifeln. Irgendwann wird auch diese zum Alltag und nicht mehr entsprechend Anklang finden. Dann kommt wohl ein Chase mit Eliminierungen nach jedem Rennen und Talladega und Daytona im Wechselrhythmus. Das soll es jetzt aber auch mit dem Rant gewesen sein. Aus meiner persönlichen Sicht bleibt das aktuelle Chase-System ein Fall für die Tonne, da es den sportlichen Wert der Meisterschaft noch weiter abwertet, als es das vorherige schon tat.
Doch das Kansas-Wochenende hatte auch die eine oder andere positive Seite. Besonders stach der siebte Platz von Ryan Blaney heraus. Von einer hervorragenden achten Position gestartet, ging es gegen Mitte des Rennens eher zurück. Doch im Trubel der Schlussphase behielten die Wood Brothers einen kühlen Kopf und staubten einen verdienten siebten Platz ab. Die Kooperation mit Roger Penske scheint Früchte zu tragen, denn mit Kansas bestätigte man ein mal mehr die bemerkenswerten Auftritte der letzten Rennen. Dabei profitiert man vom aktuell starken Team Penske, was dem jungen und sehr talentierten Blaney nur helfen kann. Roger Penske hatte beim Formen der technischen Allianz mit den Wood Brothers im August diesen Jahres schon deutlich gemacht, dass er diese Lösung einem eigenen dritten Fahrzeug vorzieht. Dies zahlt sich nun für die #21 aus.
Ebenfalls bemerkenswert zeigte sich endlich mal wieder Kasey Kahne. Mit einem vierten Platz musste er sich nur Logano, Denny Hamlin und Teamkollege Jimmie Johnson geschlagen geben. Die #5 bewegte sich über weite Teile des Rennens sicher in den Top 10, was einen starken Kontrast zur bisherigen Saison darstellt. Hoffentlich kann der inzwischen schon 35-jährige Kahne daran anknüpfen und sich im nächsten Jahr zumindest mal wieder den Chase-Einzug sichern, nachdem er an diesem in dieser Saison gescheitert war. Ein starkes Hendrick-Ergebnis rundete Jeff Gordon auf Platz zehn ab, obwohl er lange Zeit mit dem Handling seines Chevrolets haderte. Nur Dale Earnhardt Jr. konnte beim starken Auftritt der Hendrick-Mannschaft nicht mitziehen und muss nun zusammen mit Matt Kenseth um das Weiterkommen bangen. Beide liegen weit abgeschlagen zurück und müssen jetzt auf viele Ausfälle oder einen Sieg in Talladega hoffen.
Direkt am Cut bleibt es weiterhin eng. Aktuell trennen den Fünftplatzierten Kevin Harvick und den an Position acht liegenden Martin Truex Jr. nur ein mickriger Punkt. Beide hatten sich beim letzten Boxenstopp unter Grün Strafen eingehandelt und so eine vielversprechende Position verspielt. Zwischen den beiden Fahrern ordnen sich noch Jeff Gordon und Brad Keselowski ein. Unter dem Strich und somit auf dem heißen Stuhl befinden sich weiterhin Kyle Busch und Ryan Newman. Diese haben sechs bzw. acht Zähler auf den Achtplatzierten Truex aufzuholen.
Zu guter Letzt sei noch auf das Endresultat des Hollywood Casino 400 verwiesen, sowie auf die aktuellen Übersichten zur Fahrer- und Ownerwertung. Wie bereits erwähnt, geht es diese Woche mit der Windschattenlotterie in Alabama weiter, auf der längsten Strecke im Kalender des Sprint Cup: dem Talladega Superspeedway.
3 Kommentare
Das ist ja mittlerweile schon lächerlich, was hier über den Chase gejammert wird. Nicht, dass hier der Eindruck entsteht, alle Mitleser dieses Blogs teilen diese Meinung. Ganz im Gegenteil: ich finde das neue System klasse und würde nur an der Aufteilung der einzelnen Chase-Kurse etwas ändern, aber sonst? Schon 31 von 36 Rennen vorbei und nichts ist klar, herrlich. Dass es da auch mal ungerecht zugehen kann, na und? Wenn schon als vergleichendes Beispiel die NFL erwähnt wird: die bezieht doch ebenfalls genau wie viele andere Sportarten ihren Reiz aus den Playoffs, wo eine komplett geniale Saison in einem einzigen Spiel in die Tonne gekloppt wird und vorher leicht positive Teams später alles abräumen. Vielleicht nicht gerecht, aber dafür haben wir ja die Fußball-Bundesliga, die langweiligste, weil gerechteste Meisterschaft im Sport. Egal, ich schweife ab. Komischerweise kommen nach dem Rant im Artikel oben ganz viele Argumente, die meiner Meinung eher für als gegen dieses System sprechen. Man schaue sich nur mal die Punktabstände an. Und noch was: Kasey Kahne war letztes Jahr im Chase und hat auch noch tatsächlich diese verflixte erste Runde überstanden. Musste mal geschrieben werden.
Danke für den Hinweis mit Kasey Kahne, Holger. Das Atlanta-Rennen vom letzten Jahr, wo er sich doch noch in den Chase gefahren hatte, war mir ganz entronnen. Ist korrigiert.
Was den Chase angeht: Der Vergleich mit der NFL ist schwer, da dort auch die Mannschaften aus dem Rennen sind, die es eben nicht geschafft haben. Dies ist in der NASCAR (aus nachvollziehbaren Gründen) anders, aber aus meiner Sicht seit jeher ein Manko am Chase an sich. So wird der Ausgang der Meisterschaft von eigentlich schon eliminierten Teams verzerrt und somit kein direkter Kampf um den Titel mehr. Durch die Einführung des neuen Chase-Systems wurde dies meiner Ansicht nach noch verschärft. Zudem bin ich allgemein kein Freund von irgendwelchen Playoff-Runden, was denke ich deutlich geworden ist.
Für mich ist zusätzlich der sportliche Wert einer Serie ein wichtiger Bestandteil, der mit der Show im Einklang gehen sollte. Da können von mir aus die Bayern zehn Spieltage vor Schluss Meister werden. Wenn die Leistung die ganze Saison über dies rechtfertigt, warum nicht? Aber das sind meine persönlichen Präferenzen. Ich freue mich allerdings, auch mal gegenteilige Kommentare zu hören. Letztendlich haben wir alle unseren persönliche Beweggründe die uns als Fan einer Serie wachsen lassen. Aus meiner Sicht hat man einfach letztes Jahr den falschen Weg eingeschlagen. Aber es ist ja nicht alles schwarz, z.B. freue ich mich auf das nächstjährige Aero-Paket. Davon verspreche ich mir mehr Action als durch irgendwelche engen Punktetabellen.
Ja, Steffen, das mit dem neuen Aero-Paket unterschreibe ich voll und ganz. Und sicher hat jeder seine eigenen Gründe, etwas gut oder schlecht zu finden. Aber generell kann ich für mich persönlich feststellen, dass mein Interesse an der NASCAR erst durch die Einführung des Chase im allgemeinen und des neuen Chase im speziellen stark angestiegen ist. Für mich ist halt nichts langweiliger im Profisport als die Formel 1 seit ca. 15 Jahren oder die Fußball-Bundesliga. Für mich muss Sport immer mit Spannung zu tun haben. Und wer sagt denn nicht, dass z.B. Kevin Harvick letztes Jahr verdient Champion geworden ist, trotz dieses Systems? Bislang gab es in fast zwei Jahren dieses Systems für mich nicht eine Entscheidung, die nicht sportlich okay war. Und wenn es ein siebenfacher Meister wie Jimmie Johnson nicht schafft, sich innerhalb von drei Rennen für eine Gesamt-Top12 zu qualifizieren, dann fliegt er halt raus. Und was ist im Endeffekt innerhalb einer Dreier-Runde höher zu bewerten? Ein Fahrer, der in drei Rennen dreimal Zehnter wird oder ein Fahrer, der zweimal früh ausscheidet und ein Rennen gewinnt? Ich könnte Argumente für beide Antworten finden, aber dieses jetzige System garantiert mir einfach als Zuschauer, dass selbst jetzt fünf Rennen vor Schluss der zurzeit Zwölfte noch Champ werden kann. In der Bundesliga kann das ja nicht mal mehr der Zweite nach neun Spieltagen. Tolle Leistung? Vielleicht, aber furchtbar öde. Und wenn sich die Meisterfrage wie in der Formel 1 schon vor der Saison nur auf vielleicht 2-3 Fahrer beschränkt, finde ich selbst das Herbeiführen von künstlicher Spannung im Profisport sinnvoller als das krampfhafte Festhalten an alten Grundsätzen.
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