Kyle Busch sicherte sich am Sonntag seinen ersten Sprint-Cup-Titel und das, obwohl er nach seinem schweren Unfall in Daytona zu Saisonbeginn nur 25 von 36 Rennen absolvieren konnte. Die Entscheidung war lange offen, denn alle vier Anwärter präsentierten sich nahezu gleichwertig – es waren am Ende Nuancen.
Es grenzt schon fast an ein Wunder, dass wir 2015 ausgerechnet Kyle Busch zum Meistertitel gratulieren dürfen. Ausgeschlossen war das natürlich nicht, denn schon in der Vorschau schrieb ich, dass Busch eine realistische Chance haben würde, wenn er einen seiner Alles-oder-nichts-Tage erwischen kann. Gleichzeitig konnte Busch dann auch noch Toyota zum ersten Sprint-Cup-Titel verhelfen. Für eine amerikanische Serie mit Wurzeln in den Südstaaten ist das natürlich ein dicker Brocken, wenn da plötzlich jemand aus Las Vegas in einem japanischen Auto Meister wird, obwohl er gar nicht an allen Rennen teilgenommen hat. Die würdevolle Verabschiedung eines Altstars tat an dieser Stelle nur ihr Übriges zum unbestrittenen Wandel der NASCAR bei. Im Grunde genommen erlebten wir einen ähnlich prägenden Moment wie damals 1992 in Atlanta, als Richard Petty von Jeff Gordon abgelöst wurde.
Ich denke, man sollte sich für Kyle Busch freuen und niemandem einen Vorwurf machen, dass er das Chase-System perfekt für sich genutzt hat. Immerhin gewann er mit fünf Saisonrennen nur eines weniger als Joey Logano und steht am Ende auf einer Stufe mit Jimmie Johnson und Matt Kenseth. Man kann getrost sagen, dass Busch 2015 definitiv seine stärkste Saison überhaupt erlebte – allein die persönlichen Höhen und Tiefen – auch wenn er 2008 schon mal acht Rennen in einem Jahr gewinnen konnte. Der Blankoscheck, den die NASCAR beiden Busch-Brüdern in diesem Jahr ausstellte, kam nicht von ungefähr, denn die Offiziellen sind auch in beiden Fällen mehr oder weniger direkt daran schuld, dass Kyle und Kurt Rennen auslassen mussten. Zum einen war es eine fehlende SAFER-Barrier an einer kritischen Stelle und zum anderen die vorzeitige Reaktion auf gerichtlich attestierte falsche Vorwürfe einer Ex-Freundin.
Dass die NASCAR Kyle Busch den Titel nun auf dem Silbertablett serviert hätte, kann man allerdings auch nicht behaupten. Nachdem das Rennen durch einen Regenschauer kurz vor dem anvisierten Start erst mit einiger Verzögerung starten konnte und bis auf einen größeren Zwischenfall mit Clint Bowyer auf der Gegengeraden ruhig verlief, führten die Offiziellen das Feld zehn Runden vor Schluss noch einmal mit einem eher fragwürdigen Call wieder zusammen. Busch lag unter den vier Anwärter nämlich deutlich vorn, als NASCAR eine letzte Debris-Caution ausrief. NBC zeigte eine Wasserflasche als Ursache, doch die Offiziellen rechtfertigten sich nachträglich mit einem Statement, dass ein Metallteil auf der Ideallinie gelegen hätte, welches von verschiedenen Spähposten an der Strecke beobachtet worden wäre. In so einem Fall sei – laut offizieller Aussage – immer eine Gelbphase die logische Folge.
Beim folgenden Restart holte sich Kyle Busch die Führung von Brad Keselowski und konnte auch von einem stark auffahrenden, direkten Konkurrenten in Person von Kevin Harvick nicht mehr aufgehalten werden. Dieses Rennen gewann Busch, auch wenn man bei drei weiteren Wiederholungen dann vermutlich alle Anwärter auf die Meisterschaft mal mit der Trophäe in den Händen gesehen hätte. Jeff Gordon beklagte sich ebenso wie Martin Truex Jr. an diesem Wochenende über Handling-Probleme und während man diese im letzten Rennen von Gordon schließlich annähernd in den Griff bekam, musste Truex sogar noch ein kleines Feuer bei einem Boxenstopp als weiteren Rückschlag hinnehmen. Mehr als Platz zwei, sechs und zwölf war für die trotzdem starke Konkurrenz von Busch dann einfach nicht drin.
Insgesamt haben wir 2015 einen sehr aufreibenden Chase gesehen, der Favoriten wie Jimmie Johnson und Matt Kenseth trotz überragender Leistungen zu früh eliminierte und auch Joey Logano, der Top-Sieger des Jahres, schied letztendlich nicht im sportlichen Kampf aus. Das Playoff-System ist nicht unumstritten und ich warte weiterhin auf den Moment, an dem mal ein wirklich übler Edge-Case die Meisterschaft entscheidet. 2014 hatten wir nach Abschluss der Fahraktivitäten mit Ryan Newman schon fast einen Piloten ohne Saisonsieg an der Spitze der Tabelle. Aber davon lebt leider der Hype des neuen Chase und das wird sich vermutlich auch nicht so schnell ändern. Hoffen wir, dass 2016 etwas weniger regulierende Eingriffe der Offiziellen notwendig sind, um die Oberhand zu behalten. Den Einschaltquoten hat der Trubel jedenfalls wider Erwarten nicht gut getan.
Das gesamte Rennergebnis kann bei Jayski inklusive weiterer Statistiken noch einmal nachgeschaut werden. Es folgen wie gewohnt die Fahrerwertung und die Owner-Punkte, dieses Mal in ihrer abschließenden Fassung. Ich bedanke mich bei allen Lesern, Chat-Teilnehmern und Autoren-Kollegen für eine interessante und unterhaltsame Begleitung der NASCAR-Saison 2015 und freue mich schon auf die nächsten 36 + 2 Rennen mit euch.
5 Kommentare
Ich freue mich für Kyle, daß er Champ geworden ist – meiner Meinung auch verdient!! Er hat immerhin 20% seiner Rennen gewonnen – an diese Quote kommt auch Logano nicht ran. Außerdem ist mir Kyle in den letzten Jahren immer sympathischer geworden, weil er den „Rowdy“ nicht mehr so raushängen läßt. –
Nätürlich wäre es auch „Hollywood“ gewesen, wenn Jeff auf seiner letzten Fahrt…., oder Truex, der Underdog mit dem „Ein-Mann-Team“….- aber, es war ein faires Rennen ohne Nickeligkeiten auf der Strecke; Kyle hat sich den Erfolg „erfahren“ und nicht „rausgeschoben“, und somit ist er für mich ein würdiger Meister der Serie.
Was mir allerdings sauer aufstößt, ist der Chase an sich! Ich bin immer noch der Meinug, daß der Meister einer Sportart / Liga / Serie (wie auch immer) bis zum Ende unter allen (!) Teilnehmern ermittelt werden soll, und nicht aus einem „elitären Kreis“! Ich meine, es ist nicht im Sinne des Sports, irgendwann einen Schnitt zu machen und dann ca. 60% der Wettbewerber von der Titelentscheidung auszuschließen! (Klar, das ist im Sinne der Einschaltquoten und von „money, money, money“..) Sorry, aber ich habe mit dieser Methode so meine Probleme (werde aber Nascar selbstverständlich weiterhin anschauen).
So, aber nun etwas Positives: Ich möchte an Dich, Kristian, und an Steffen einen dicken Dank loslassen für die wie immer vollumfängliche Betreuung während der Saison mit Vorberichten und Analysen. Eure mit „flotter Feder“ geschriebenen Artikel haben mich nicht nur gründlich informiert, sondern auch oft zum schmunzeln gebracht. Ich hoffe, Ihr seid auch im nächsten Jahr wieder mit dabei.
Sollten wir nix mehr voneinander lesen, wünsche ich jetzt schon frohe Feiertage, guten Rutsch, und… bleibt gesund. (Jo, ist etwas früh….)
@ Reinhard54:
Naja in der Formel 1 gibt es keinen Chase…dort hat man auch schon nach knapp über der Hälfte der Rennen nur noch 3 Fahrer gehabt die Meister werden konnten, da sehe ich 16 Fahrer nach 25 von 36 besser…
btw. ohne Chase hätten zum letzten Rennen nur Harvick oder Logano Meister werden können…mit nur theoretischen Chancen für Logano
@ Bitbreaker:
Der Vergleich hingt meiner Meinung nach. Bei jedem Format fahren die Fahrer anders und deshalb erschließt es mir nicht, die Punkte theoretisch umzurechnen.
Josh schrieb:
Der Vergleich sollte auch nur aufzeigen, dass die Aussage von Reinhard54, dass der Titel bis zum letzten Rennen unter allen Teilnehmern ermittelt werden sollte, niemals machbar sein kann. Nur die wenigsten Fahrer werden im letzten Rennen um die Meisterschaft fahren können, für den Rest wird es immer nur um den Sieg gehen. Egal bei welchem System und ob mit Chase oder ohne.
@ Reinhard54:
Danke für die Blumen. Was den Chase angeht, bin ich da ganz bei dir. Eine komplette Saison ohne Playoff-Runde ist hingegen auch schwer vorstellbar, da in Zeiten von extrem vielen konkurrierenden Unterhaltungsmedien immer nach der spektakulärsten Show gestrebt wird. Somit fand ich den alten Chase zumindest akzeptabel. Hier musste man auf verschiedenen Kursen über zehn Rennen konstant seine Leistung bringen. Somit war ein gewisser sportlicher Wert noch erhalten.
Was dann 2014 kam war aus meiner Sicht zum Scheitern verurteilt. 2013 gab es den riesen Skandal um die Manipulation des Chase seitens Michael Waltrip Racing und daraus resultierend saftige Strafen gegenüber dem Team und einhergehend den Anfang des Niederganges von MWR. Kurz darauf stellte man ein Chase-Format vor, dass der Manipulation alle Türen öffnete. Nun war es möglich, als bereits sicher qualifizierter oder bereits ausgeschiedener Fahrer ohne großes Risiko anderen Meisterschaftsanwärtern jegliche Titelchance zu nehmen oder aber auch das halbe Feld abzuschießen um selber das Weiterkommen zu sichern. Ich denke ihr wisst, wovon ich rede. In allen drei fraglichen Rennen wurde der Ausgang der Meisterschaft wissentlich beeinflusst und somit bleibt bei mir nach dem Finale ein heftiges „Geschmäckle“.
Über die Art und Weise, wie letztlich der Champion in einem einzigen Rennen durch eine zumindest fragwürdige Caution kurz vor Schluss gekürt wird, rede ich mal lieber nicht. Die NASCAR sucht nach einer immer größer werdenden Show, hat dabei aber den Sport vergessen. Das ist letztlich auch der Grund, warum ich persönlich dem Sprint Cup nichts mehr abgewinnen kann und auch nicht weiter verfolgen werde. Eine Hoffnung auf Besserung ist schon längst verflogen.
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