Ein vorweihnachtliches Motorsport-Event auf WM-Niveau hat das Jahr 2016 noch zu bieten: Runde 3 der Formula E wird am Samstag am Strand von Punta del Este in Uruguay ausgetragen. In der etwas längeren Pause seit dem letzten Lauf in Putrajaya, Malaysia – ein Rückblick ist weiter unten zu finden – gab es eine Reihe von Neuigkeiten, und zwar gute wie auch schlechte.
Team-Wechsel: Trulli raus, Jaguar rein
Die schlechte Nachricht zuerst: Jarno Trulli verabschiedet sich mit seinem Team mit sofortiger Wirkung aus der Elektro-Rennserie. Nach einem sportlich schwierigen ersten Jahr wurde es zu Beginn von Jahr 2 noch herausfordernder: Beim ersten Lauf in Beijing kamen die Antriebseinheiten nicht rechtzeitig durch den Zoll, in Putrajaya fielen beide Fahrzeuge bei der technischen Abnahme durch. Trulli und seine Fahrer Vitantonio Liuzzi sowie Salvador Duran mussten beide Male zusehen, wie die übrigen 18 Boliden ohne sie das Rennen aufnahmen.
In der Pressemitteilung äußerte sich Francesco Test, CEO von Trulli GP, wie folgt:
„After failing scrutineering in the Beijing and Putrayaja ePrix and in light of our commercial agreement with Formula E Holdings, we are forced to announce the retirement of Trulli Formula E from the FIA Formula E Championship. As major supporters of this all electric series, we are pleased to leave space for a new OEM to enter the series and further help develop the series and electric racing technology.”
Offen bleibt die Frage, wieso man aufgrund der kommerziellen Vereinbarung mit der Formula E Holdings zum Ausstieg gezwungen war – also ob es seine Klausel gibt, dass zwei verpasste Rennen den Rauswurf bedeuten, oder ob sich finanzielle Konsequenzen ergeben haben, die den Ausstieg erforderten.
Jedenfalls kam der Trulli-Ausstieg der Formula E nicht ungelegen, denn so wurde ein Platz im auf 20 Wagen ausgelegten Feld frei für einen großen Sportwagen-Hersteller, der im kommenden Jahr in die Serie einsteigen will und dies – bestimmt nur Zufall – am selben Tag ankündigte: Der Jaguar Land Rover-Konzern schickt die Traditionsmarke mit der Raubkatze auf dem Kühlergrill ins Rennen. Zusammen mit Williams Advanced Engineering will Jaguar einen eigenen Antriebsstrang entwickeln und so Forschung und Entwicklung im Hinblick auf elektrisch angetrieben Straßenautos voranbringen, die dann folgen sollen.
Das Video zur Ankündigung im Stile des Disney-Filmklassikers Tron ist allemal sehr hübsch:
So schade es auch ist, dass Trulli sich zurückzieht (ob es nun mit dem Jaguar-Einstieg direkt zusammenhängt oder auch nicht) – ein ambitioniertes Werksteam einer traditionsreichen Marke ist sportlich in jedem Fall ein Gewinn gegenüber dem leider schwächsten Team der vergangenen Saison. Die Zukunft der Formula E sind die Werksteams, denn Privatiers und Garagisten werden die teure Entwicklung der Technologie nicht mitgehen können – spätestens, wenn die Akkus zur Weiterentwicklung freigegeben werden.
Neue Rennen: Hong Kong & Mexico City
Auch neue Rennen sind für die Saison 2016/17 angekündigt. Eines davon war schon seit einigen Monaten bekannt, wurde hier im Blog aber noch nicht behandelt: Im Oktober 2016 wird die Formula E in Hong Kong an den Start gehen. Die zwei Kilometer lange Strecke mit zehn Kurven wurde auf einem frischen Stück Land am Victoria Harbour angelegt. Bis etwa 2008 befand sich dort noch Wasser, genauer gesagt: das Hafenbecken des Queen’s Pier.
Das zweite neue Event wird in Mexico City ausgetragen, wie jüngst bekannt gegeben wurde: Hier greift man auf die – entsprechend dem Ziel der Formula E, „in der Stadt“ Rennen zu fahren – auf das innerstädtische und allseitig umgebaute Autodromo Hermanos Rodriguez zurück, wählt jedoch eine andere Streckenvariante als Formel 1 und WEC. Die Formula E wird im Wesentlichen das Oval nutzen, das nach Start/Ziel rechts abbiegt, direkt wieder auf die Gegengerade führt und dann durch die Peraltada zurück auf Start/Ziel. Allerdings werden drei Schikanen und ein Haken durch das Stadion eingebaut, was nach dem atmosphärischen Highlight des diesjährigen Formel 1-Events nur logisch ist. Ob diese Streckenvariante guten Motorsport bieten kann, bleibt abzuwarten.
Das Saisonfinale wird wieder im Londoner Battersea Park ausgetragen, der auch in der folgenden Saison ein Austragungsort sein wird. Nach langen Debatten fiel die Abstimmung im Stadtteil-Parlament von Wandsworth zugunsten des Events aus. Widerstand gab es von einem Teil der Bewohner, da sich die Auf- und Abbauarbeiten lange hinzogen und der Park sowie die Erholungsmöglichkeiten dort für längere Zeit beeinträchtigt waren.
Fragezeichen gibt es dagegen nun bezüglich des Berlin ePrix: Der Flughafen Tempelhof kann im Mai 2016 nicht genutzt werden, da in einigen der dortigen Hangars zurzeit Flüchtlinge untergebracht sind. Die Organisatoren suchen nach einem Ausweich-Standort in Berlin, ziehen aber auch München und den Norisring in Nürnberg in Erwägung.
Ob die Verhandlungen über einen Saisonstart in Montreal mittlerweile erfolgreich zu Ende geführt wurden, ist noch nicht bekannt gegeben worden…
Rückblick: Hitze & Chaos in Putrajaya
Ein kurzer Rückblick auf das vergangene Rennen in Putrajaya, denn das dortige Chaos verdient es, etwas aufgeschlüsselt zu werden. Am Ende sah Lucas di Grassi (Abt-Schaeffler/Audi) die Zielflagge als Erster, gefolgt von Sam Bird (DS Virgin-Citroen) und dem Überraschungsmann Robin Frijns (Amlin Andretti). Eigentlich hatte der Beijing-Dominator Sebastien Buemi sich angeschickt, auch an diesem Samstag in Malaysia wieder alles abzuräumen: Schnellster in der Quali, Super-Pole-Gewinner mit mehr als vier Zehnteln Vorsprung und damit der Start von Platz 1.
Chaos In Malaysia: Putrajaya 2015 Race Highlights by FIAFormulaE
Doch in Runde 15 von 33 wurde Buemi plötzlich langsam: Die Hitze setzte der Software des e.dams-Renault zu, der Wagen schlich nur noch über die Strecke. Buemi konnte sich zwar zum Fahrzeugwechsel in die Box schleppen, verlor jedoch alle Chancen auf eine Top-Platzierung. Sein Teamkollege Prost wurde zeitgleich in die Box geordert, da sich bei ihm das gleiche Problem ankündigte.
Zwar ging Prost in Führung, als die Konkurrenz ihre Stopps absolvierte, doch musste er in der zweiten Rennhälfte sparsamer mit seiner Energie umgehen und konnte die Konkurrenz daher nicht dauerhaft hinter sich halten. Zu Beginn von Runde 24 schob sich Lucas di Grassi an ihm vorbei und ging in Führung. Auch Antonio Felix da Costa ging vorbei, blieb jedoch kurz darauf mit Defekt liegen. Die beiden Dragon-Piloten Duval und d’Ambrosio zeigten eine starke Leistung und lagen fünf Runden vor Schluss auf den Rängen 2 und 3. Doch dann schlug Loic Duval mit dem Heck an einer Mauer an und blieb mit beschädigter Aufhängung nach der Haarnadel (Kurve 11) mitten auf der Strecke liegen.
Gleichzeitig bröckelte in der ohnehin schwierigen Kurve 10 der Asphalt zunehmend auf. Als Robin Frijns und Sam Bird genau hier auf Duvals langsamen Wagen aufliefen und ihn beiderseits zu passieren versuchten, rutsche der junge Niederländer in die Wand und beschädigte seine vordere rechte Aufhängung. An dieser Stelle hätte die Rennleitung eigentlich das Safety Car auf die Strecke schicken sollen – wenn nicht gar müssen! – doch sie verzichtete darauf, vermutlich, um ein spannendes Rennende nicht zu gefährden. Das ist aus meiner Sicht sehr fahrlässig. Auch, dass Robin mit schräg stehendem Rad noch die drei Runden bis zum Rennende weiter fahren durfte, kann nicht im Sinne der Sicherheit oder des Reglements sein.
Dass Nicolas Prost dann in Kurve 10 auch noch auf den Asphalt-Bröckchen ins Aus rutschte und Jerome d’Amborio in der Schlussrunde ebenfalls noch verunfallte, komplettierte das unwürdige Chaos. Der waidwunde Robin Frijns wurde so noch Dritter – sicherlich ein schönes Resultat für ihn nach einer guten Leistung, aber eigentlich hätte er aufgrund der stark beschädigten Aufhängung in die Box geholt werden müssen.
Die Meisterschaftsführung hat nach Rang 2 in Beijing und dem Sieg in Putrajaya Lucas di Grassi mit 43 Punkten inne, acht Zähler vor Sebastien Buemi, der schon insgesamt zehn Bonuspunkte durch die beiden Poles und schnellsten Rennrunden gesammelt hat. Der zwölfte Rang in Malaysia brachte ihm darüber hinaus keine Punkte ein. Sam Bird mit 24 und Nick Heidfeld mit 17 Punkten sind die nächsten Verfolger.
Vorschau: Auf nach Uruguay!
Doch Nick Heidfeld muss leider in Punta del Este aussetzen, da er sich noch von einer kleinen OP an seiner Hand erholt: Bei seinem spektakulären opposite-lock-Drift in Putrajaya (s. Highlight-Video) zog er sich eine Bänder-Verletzung in der Hand zu. Sein Ersatzmann ist der Brite Oliver Rowland. Der 23-Jährige holte sich in der abgeschlossenen Saison mit acht Siegen und 13 Podien in 17 Rennen dominant den Formula Renault 3.5-Titel. Man darf gespannt sein, wie er sich bei seinem WM-Debüt im starken Mahindra-Boliden präsentiert.
Rowland hat eine herausfordernde Aufgabe vor sich: Punta del Este bot schon im Vorjahr ein Rennen, das reich an Zwischenfällen war. Dafür sorgte das Streckenlayout, das reich an Schikanen ist – zu Beginn der Debütsaison waren die Aufhängungen dem noch nicht gewachsen und brachen allein beim Überfahren der Kerbs. Ein Jahr später braucht es schon einen Mauerkontakt, um die Aufhängung zu zerbrechen, doch auch das ist in Punta del Este durchaus im Bereich des Möglichen. Lange Geraden wechseln sich mit vier engen Schikanen ab, die für dieses Jahr noch etwas modifiziert wurden. Die erste Kombination nach Start/Ziel führt nun in die entgegengesetzte Richtung, um die Boxenausfahrt sicherer zu gestalten als im Vorjahr. An beiden Enden der sich auf dem mehrspurigen Strand-Boulevard langstreckenden Bahn befinden sich 180°-Kehren: eine Doppel-Links und eine enger werdende langgezogene Linkskurve.
Nach den ersten beiden Rennen geht das e.dams-Renault-Team wiederum als klarer Favorit an den Start. Aus den Temperatur-Problemen in Malaysia wird man gelernt haben, und etwas kühler soll es an der uruguayischen Küste auch werden: 21°C und trockenes Wetter sind vorhergesagt. Beste äußere Bedingungen für Motorsport eigentlich, aber der Wind wird wieder Sand auf die Strecke wehen und die Aufgabe für die Piloten so etwas schwieriger gestalten.
Das Rennen startet um 20 Uhr deutscher Zeit am Samstagabend. Eurosport überträgt ab 19:45 live und zeigt vorher eine halbstündige Quali-Zusammenfassung; der britische Sender ITV4 ist bereits ab 19 Uhr mit ausführlichen Vorberichten dabei.
Bilder: Formula E Media