Sebastien Buemi ist in der zweiten Formula E-Saison der Mann, den es zu schlagen gilt. Das konnte er in Punta del Este an der uruguayischen Atlantikküste umso besser beweisen, da er am Morgen des Samstages Fehler gemacht hatte: Erst warf er nach der Trainingsbestzeit seinen e.dams-Renault in einer der zahlreichen Schikanen in die Wand – in der Super Pole-Qualifikation leistete er sich vor der Links-Kehre der Kurven 10/11 einen heftigen Verbremser, sodass seine Runde nur zu Startplatz 5 reichte. Doch diese Ausgangslage bescherte den Zuschauern ein umso spannenderes Rennen.
Der Kurs in Punta del Este ist „äußerlich“ keine sonderlich ansehnliche Strecke. Bei näherer Betrachtung jedoch ist es ein sehr interessanter Kurs, da er für die Piloten sehr herausfordernd ist. Dabei muss man im Kopf behalten, dass die Formula E-Boliden mit einem Gewicht von rund 900 kg (inkl. Fahrer) deutlich schwerer sind als übliche Monoposti mit Verbrennungsmotoren. Die schweren Batterie-Packs – tief in der Fahrzeugmitte eingebaut – lassen sie weniger grazil durch die Kurven oder über die Kerbs fahren. Gerade in Punta del Este gilt es daher, mit möglichst wenig Schwung-Verlust durch die zahlreichen Schikanen zu gleiten; statt harter Bremsmanöver wurde am Ende der Geraden viel „Lift & Coast“ angewandt, auch um den Akkustand zu schonen.
Die erste Startreihe hatten sich – möglicherweise nur dank des Buemi-Faux Pas – die beiden Dragon-Piloten gesichert: Jerome d’Ambrosio startete von der Pole und behielt Platz 1, sein Teamkollege Loic Duval ließ sich dagegen von Sam Bird überrumpeln. Dahinter schob sich Sebastien Buemi an seinem Meisterschaftskonkurrenten Lucas di Grassi vorbei. So machte sich der Schweizer dann auf die Jagd und lieferte eine Reihe sehr schneller Runden sowie sehenswerter Überholmanöver ab, ohne dabei mehr Energie zu verbrauchen als die direkten Konkurrenten in der Spitzengruppe.
Nacheinander schnappte sich Buemi seine Konkurrenten Loic Duval, Sam Bird und schon nach etwa einem Viertel des Rennens den Führenden Jerome d’Ambrosio. Diesen hielt er anschließend auf Distanz, ohne aber zu weit davonzufahren. Er dosierte seine Energie so, dass er trotz der Aufholjagd gemeinsam mit den Konkurrenten zum Fahrzeugwechsel in die Box fahren konnte.
Lucas di Grassi, Meisterschaftsführender dank Buemis Software-Problem in Malaysia, war derweil auf Rang 4 hängen geblieben. Er fuhr im Schlepptau der beiden Dragon-Boliden in die Box – und kam vor ihnen wieder heraus. Während das Abt-Team genau das vorgeschriebene Minimum von 59 Sekunden abpasste, wurden beide Dragon-Piloten für zwei bis drei Sekunden länger in der Boxengasse gehalten. Das Problem ist nicht neu: Schon in Putrajaya wussten andere Teams ihre Boxenstopps besser zu timen als Dragon; hier ist Nachholbedarf über die Weihnachtsferien gegeben, wenn das Team von Jay Penske tatsächlich um Siege mitkämpfen will.
Die Spitzengruppe der ersten Vier blieb nach den Boxenstopps stabil – daran änderte auch eine Safety Car-Phase wegen des Liegenbleibens von Sam Bird nichts. Bird verlor eine aussichtsreiche Punkte-Position und fiel damit weit zurück im Meisterschaftsrennen. Sebastien Buemi ärgerte sich noch über unklare Signale, wann die „Full Course Yellow“ genau begonnen haben soll – doch auch das änderte nichts an seiner Führung, es kostete ihn nur einen Teil seines Vorsprungs. Während der Rennleiter noch den Countdown zum Beginn der FCY herunterzählte, hatten die Streckenposten schon mit Schildern und Flaggen reagiert.
Die zweite Rennhälfte war vom Kampf von Jean-Eric Vergne und dem amtierenden Champion Nelson Piquet jr. geprägt. Piquet war im schwächelnden NEXTEV TCR-Boliden von Rang 12 gestartet (zwei Plätze hinter seinem Teamkollegen Oliver Turvey), Vergne musste nach einem verkorksten Qualifying von ganz hinten an den Start gehen (Startplatz 17, Jacques Villeneuve musste nach einem Trainingscrash das Rennen auslassen). Piquet und Vergne arbeiteten sich langsam, aber konsequent durchs Feld, und als Oliver Turvey wegen eines zu kurzen Boxenstopps bestraft wurde, fanden sie sich im Kampf um Rang 8 wieder – wertvolle Punkte für beide. Vergne schloss auf und jagte Piquet wenige Runden vor Schluss erbarmungslos – mit einem Prozent mehr Energie im Speicher.
In Runde 32 von 33 startete Vergne dann eingangs der Doppellinks (Kurve 10/11) einen gewagten Angriff, rutschend sicherte er sich das Kurveninnere, konnte den Wagen jedoch nicht auf der Linie halten, sodass Piquet in der zweiten Links wieder innen vorbeizukommen versuchte. Beide berührten sich – Felge an Felge – und konnten weiterfahren; Vergne auf der äußeren Linie zog den Kürzeren, aber gab nicht auf und hetzte weiter. Eingangs der übernächsten Schikane touchierte Pieuqt jr. dann mit dem rechten Hinterrad die Außenmauer, geriet in einen Drift und konnte das Auto nicht mehr abfangen, bevor er seitwärts mit dem Heck in die Mauer rutschte. Bird konnte sich am quer durch den Schikanenausgang rutschenden NEXTEV-Wagen vorbei lavieren und holte sich den achten Rang. Der Champion stieg aus. Er hatte das schwungvolle Fahren etwas zu weit getrieben…
Sebastien Buemi gewann mit 3,5 Sekunden Vorsprung vor Lucas di Grassi, der nie eine Chance hatte, dem Schweizer gefährlich zu werden. Die beiden Dragons lagen eng beieinander knapp sieben Sekunden zurück. Buemi hat di Grassi nun – dank Sieg und schnellster Rennrunde – auch in der Meisterschaft wieder überholt: Mit 62 Punkten liegt er nur um einen Zähler vor dem Brasilianer. Die Konkurrenz ist bereits um mehr als einen Rennsieg abgeschlagen: Jerome d’Ambrosio (28), Sam Bird und Loic Duval (beide 24) bilden die zweite Garde. Nick Heidfeld ist der Nächste mit 17 Zählern, die er nicht aufstocken konnte, da er den letzten ePrix verletzungsbedingt auslassen musste.
Erstaunlich ist, wie viel stärker Buemi und di Grassi als ihre Teamkollegen sind: Prost kann phasenweise mit Buemi mithalten, kommt jedoch bislang nur auf elf Punkte; bei Abt sind es nur zehn insgesamt, ihm fehlt jegliche Chance gegen di Grassi. Das zeigt die Klasse der beiden Spitzenreiter und wie gut sie die besonderen Herausforderungen der Formula E meistern. Auch in der Teamwertung ergibt sich so ein Zweikampf zwischen e.dams-Renault (73 Punkte) und Abt-Schaeffler (71) vor Dragon Racing mit 52 Zählern.
Der nächste Lauf der Formula E findet am 6. Februar des nächsten Jahres in Buenos Aires statt. Der dortige Kurs funktionierte im Vorjahr sehr gut und bot ein spannendes Rennen. Das Meisterschaftsduell wird sich dort fortsetzen – weiter mit Vorteil Buemi? Den Testtag in Punta del Este dominierte er jedenfalls ebenso wie das vorangegangene Rennen…
(Bilder: Formula E Media)