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Formula E: Spitzen-Dreikampf in Buenos Aires

von StefanTegethoff
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Es war – darüber kann man sicherlich streiten, aber so meine Einschätzung – das bislang beste Rennen der noch jungen Formula E, und wer der etwas anderen Rennserie bisher noch keine Chance gegeben hat – oder ihr eine zweite geben möchte – sollte sich vielleicht eine Aufzeichnung des Buenos Aires ePrix anschauen: So schön kann Motorsport sein, selbst ohne Benzin und V8-Geblubber. Die drei besten Piloten der Serie – auch das sicher streitbar, aber meine Meinung, dazu später mehr – fanden sich für die letzten zehn Rennrunden auf den Podiumsplätzen ein, nachdem einer von vorn, einer im Mittelfeld und einer ganz hinten gestartet war. Und der Kampf um den Sieg war erst drei Kurven vor der Zielflagge entschieden.

_L0U1172Sebastien Buemi schuf mit seinem untypischen Quali-Dreher (Quali-Highlights hier) und dem daraus resultierenden letzten Startplatz die Grundlage für dieses grandiose Rennen: Dass es dem Spektakel zuträglich ist, wenn die schnellsten Autos nicht vorn stehen, ist eine weithin bekannte Motorsport-Weisheit. Auch Lucas di Grassi verpasste den Super Pole-Shootout und musste von Rang 7 starten. Sam Bird jedoch erreichte auf Rang 4 die Zusatz-Session für die Top 5 und fuhr in dieser die schnellste Zeit – mehr als drei Zehntel vor Nicolas Prost im e.dams-Renault, der dritte Startplatz ging an Vorjahressieger Antonio Felix da Costa.

Der Start ging relativ gemäßigt über die Bühne – vorn hielt man zunächst an der Startreihenfolge fest. Hinten hielt sich Sebastien Buemi in der ersten Kurvenkombination zurück, überholte jedoch ausgangs der langgezogenen schnellen Links Turn 3 gleich drei vor ihm gestartete Konkurrenten. Dies wurde zum Präzedenzfall: Über die nächsten 25 Runden pflügte der Schweizer, der in Kürze Vater wird, fast durch das gesamte Feld und machte sich dabei meist diese Streckenpassage zunutze: keine Attacke am Ende der langen Start-Geraden, dafür auf sauberer Linie durch die Haarnadel von Turn 1, die Bodenwelle in Turn 2 gut erwischen, in der Anfahrt zu Kurve 3 dann an den Vordermann heranbeschleunigen und ausgangs der schnellen Links zum Überholmanöver ansetzen – so schob sich Buemi in vielen Fällen schon vor der Bremszone zu Kurve 4 am jeweiligen Konkurrenten vorbei.

_SBL0927Lucas di Grassi kämpfte derweil vorn mit seinem DS-Virgin, der deutlich schwieriger zu kontrollieren schien als etwa der e.dams-Renault und der Abt-Schaeffler. Auch der Aguri-Bolide von Antonio Felix da Costa lag sehr gut: Eingangs Runde 13 von 35 konnte er sich vor Kurve 1 an Nicolas Prost vorbeischieben. Doch von seinem zweiten Rang sollte er nicht lange etwas haben: In Runde 18, der letzten vor dem Fahrzeugwechsel, blieb sein Aguri-Spark mit Software-Problemen ausgangs Kurve 1 liegen und war nicht mehr in Gang zu bringen. Ein trauriges Ende einer potenziellen Fahrt aufs Podium. Es wäre allemal spannend gewesen zu sehen, wie sich da Costa im Kampf um den Sieg gegen Bird, Buemi und di Grassi behauptet hätte.

Da Costas gestrandetes Auto löste eine Safety Car-Phase aus – mit der die Rennleitung jedoch wartete, bis die Boxenstopps abgeschlossen waren. Da das Fahrzeug nicht an einer gefährlichen Stelle stand, war dies eine vertretbare Entscheidung und der Einfluss des Safety Cars auf das Rennen wurde so minimiert. Bei der Einfahrt in die Box wiederum kam es bei Prost zu Problemen: Er durchfuhr die Boxengasse äußerst langsam, Lucas di Grassi stupste in vorsichtig an, Sebastien Buemi setzte sich sogar fast neben ihn, um möglich wenig Zeit bei der Anfahrt zum eigenen Fahrzeugwechsel zu verlieren. Diese Vorfälle wurden nach dem Rennen untersucht – Strafen wurden jedoch nicht ausgesprochen; das wäre auch übertrieben gewesen.

_SBL0602Buemi lag nach den Boxenstopps bereits auf Rang 4, hinter Bird, di Grassi und Sarrazin. Letzterer hatte Buemi zu aufgeregtem Funkverkehr motiviert, weil er im Regelbuch nicht ganz firm war und anstatt auf die anderen Fahrzeuge hinter dem Safety Car aufzuschließen mit verminderter Geschwindigkeit (wie bei einer Full Course Yellow ohne Safety Car) über die Strecke schlich. Buemi zahlte es ihm heim, indem er Sarrazin bei erster Gelegenheit nach dem Restart überholte – eines seiner wenigen Manöver in Kurve 1.

Da Bird sich – sehr clever – einen günstigen frühen Zeitpunkt fürs Gasgeben beim Restart ausgesucht hatte, konnte der Brite zunächst eine kleine Lücke aufreißen, doch di Grassi war schon eine Runde später wieder in seinem Heck und Buemi konnte ebenfalls schnell aufschließen. Birds DS Virgin-Bolide driftete sichtbar übersteuernd durch die Kurven (besonders schön zu sehen war dies in der schnellen Passage der Kurven 10/11/12), doch di Grassi konnte sich nicht neben ihn setzen. Dadurch konnte Buemi zum Heck des Brasilianers aufschließen, alle drei waren zeitweise nur durch circa eine Sekunde getrennt – und das bei noch acht zu fahrenden Runden!

Es folgte über das letzte Rennviertel ein Dreikampf von der Sorte, die einen auf die Sofakante treibt. Die Formula E-Boliden mögen an sich weder die schnellsten noch die spektakulärsten Monoposti im heutigen Motorsport sein, doch mit dem Kontrast zwischen batteriebedingt hohem Gewicht, harten Michelin-Allwetterreifen, schwieriger Bremstechnik (dank Energierückgewinnung) und flotter Elektro-Beschleunigung können Sie allemal spektakuläre und sehenswerte Duelle untereinander austragen. Dass diesmal aufgrund der Safety Car-Phase in den letzten zwölf Runden etwas mehr Energie zur Verfügung stand, war ebenso hilfreich.


The Battle Of Buenos Aires: Formula E Argentina… von FIAFormulaE

In Runde 28 schlug Sebastien Buemi dann an einer „neuen“ Stelle unerwartet zu: Nach Kurve 6, durch die man viel Schwung mitnehmen muss, schob er sich auf der kurzen Anfahrt zu Kurve 7, die im Eingang deutlich breiter ist als im Ausgang, neben den Brasilianer und setzte sich gegen dessen etwas halbherziges, unentschlossenes Verteidigungsmanöver durch.

_L0U1681Fast drei Runden brauchte Buemi, um die dadurch entstandene kleine Lücke zum führenden Sam Bird wieder zuzufahren. Der Brite fuhr wie entfesselt – und verteidigte sich cleverer als Lucas di Grassi zuvor: Er schaffte es, Buemi bis zum Rennende abzuwehren, egal ob dieser in Turn 1, Turn 4 oder – in der letzten Runden – noch einmal vor Turn 7 zum Angriff ansetzte. So blieb es am Ende bei der Reihenfolge Bird – Buemi – di Grassi: ein verdienter Sieg für den Briten und eine tolle Aufholjagd des Meisterschaftsführenden.

Buemi, Bird und di Grassi sind – sicherlich streitbar, aber so meine Einschätzung – die drei besten Piloten im Formula E-Feld. 15 Läufe wurden in der noch jungen Formula E bislang ausgetragen – bei zehn davon stand einer dieser drei ganz oben auf dem Siegerpodest. Und es könnten noch zwei mehr sein, wäre nicht Lucas di Grassi beim Berlin ePrix 2015 wegen einer technischen Unregelmäßigkeit der Sieg aberkannt worden und wären nicht letztes Jahr in Buenos Aires Buemi (Mauerkontakt) und di Grassi (unverschuldeter Aufhängungsbruch) jeweils in Führung liegend ausgefallen.

So reichte es im Vorjahr „nur“ zu den Rängen 2, 3 und 5 im Meisterschaftsklassement, da Meister Nelson Piquet jr. mehr Konstanz (und weniger Ausfälle) aufwies und Jerome d’Ambosio (Rang 4) ein sehr starkes letztes Saisondrittel (mit einem geerbten Sieg) zeigte. Diese beiden gehören sicherlich zur nächstbesten Kategorie, doch Buemi, Bird und di Grassi bilden die aktuelle FE-Elite.

_SBL1106Sebastien Buemi zeigt vor allem in dieser Saison eine enorm dominante Leistung: zwei Siege in vier Rennen, einmal technische Probleme und nun in Buenos Aires eine grandiose Fahrt durchs Feld nach einem Dreher in der Qualifikation. Doch auch im Vorjahr war er mit drei Siegen schon der erfolgreichste Pilot, verpasste die Meisterschaft am Ende um einen Punkt, da er zwei Ausfälle und ein weiteres punkteloses Resultat hatte, während Piquet nur einmal ausgefallen war. Trotz eines Streichresultats war somit Piquet im Vorteil. In diesem Jahr profitiert Buemi vom starken e.dams-Renault, dem Top-Auto des Feldes in der ersten Saison mit zur Entwicklung freigegebenen Teilen.

Lucas di Grassi gewann das allererste Formula E-Rennen in Beijing 2014 – mit etwas Glück, da Nicolas Prost Nick Heidfeld beim Kampf um den Sieg in der letzten Kurve abschoss. Doch der irreguläre Frontflügel in Berlin kostete ihn einen Sieg nach starker Performance und damit 25 Punkte – und riss ihn so aus dem Meisterschaftsrennen. Die sechs verbliebenen Podiumsplätze stellten den Top-Wert in der letzten Saison dar. 2015/16 sitzt auch er in einem Top-Auto, auch wenn der Abt-Schaeffler-Bolide nicht ganz an den e.dams-Renault herankommt.

Sam Bird war der Erste, der mich in der Formula E richtig beeindruckt hat: Als er im Vorjahr beim zweiten Lauf in Putrajaya die Konkurrenz geradezu deklassierte und dominant gewann, schien er als Erster begriffen zu haben, wie man ein Formula E-Rennen bestreiten muss – schließlich bedarf dies einer anderen Taktik und Fahrweise als klassische Motorsport-Serien. Doch auch die anderen Piloten lernten dazu und so entwickelte sich die Saison für Bird beinahe enttäuschend: Zwar war er, wenn er nicht ausfiel, stets in den Top 8, doch verpasste er auch jedes Mal das Podium. Erst zum Saisonfinale in London sollte er einen starken Heimsieg feiern, auch wenn dieser wegen des Meisterschaftskampfes zwischen Piquet und Buemi kaum Beachtung fand.

Sein DS Virgin-Bolide mit Twin-Motor und nur einem Gang läuft deutlich besser als das einzige andere Auto mit diesem Antriebskonzept – der NEXTEV TCR – muss aber meist hinter der Konkurrenz von Abt-Schaeffler und e.dams-Renault zurückstehen. Doch mit der Unterstützung von Technik-Guru Xavier Mestelan Pinon, der für die Entwicklung der WRC- und WTCC-Maschinen von Citroen verantwortlich war und seit Jahresbeginn Chef von DS Performance geworden ist, ist vielleicht sogar in dieser Saison noch ein kleiner Fortschritt durch Feintuning möglich; große Wirkung wird dieses neue Engagement erst im kommenden Jahr entfalten können.

_MG_8384Gleichzeitig haben sich diese drei als Spitzen-Piloten in Le Mans-Prototypen einen Namen gemacht. Buemi ist seit Jahren Toyota-Werksfahrer und WEC-Champion des Jahres 2014; Lucas di Grassi ist 2014 in den Audi-Stammkader für die volle WEC-Saison aufgerückt und hat bislang die Ränge 2 und 3 in Le Mans einfahren können. Sam Bird ist im Vergleich dazu noch der „Rising Star“ am LMP-Horizont: Im Vorjahr holte er in seiner LMP2-Debütsaison mit G-Drive Racing auf Anhieb den WEC-Klassentitel und tat sich dabei als vielleicht schnellster Pilot im starken LMP2-Feld hervor.

Der übrige Rennverlauf verblasste im Gegensatz zu den meisterhaften Fahrten der drei Podiumspiloten, doch auch im Mittelfeld war es ein munteres Rennen. Villeneuve-Ersatz Mike Conway war schnell  – er erreichte Rang 5 in der Qualifikation, direkt hinter seinem Teamkollegen Sarrazin, und war auch im Rennen zunächst gut unterwegs – doch es ist noch eine gewisse Eingewöhnung in die Formula E nötig. Am Ende warf er mit einem Dreher in Turn 4 ein solides Resultat weg und wurde 15. Teamkollege Sarrazin fuhr einen starken vierten Rang ein.

Das Dragon-Team (mit Venturi-Antriebsstrang) konnte nicht ganz an die starke Leistung der letzten Rennen anknüpfen: Waren d’Ambrosio Duval Zehnter und Zwölfter in der Quali, So ging es im Rennen für Duval unauffällig auf Rang 6 nach vorn, während sein belgischer Teamkollege nach einem Kontakt in Runde 1 einen frühen Reparaturstopp einlegen musste und von da an das Ende des Feldes markierte.

_MG_8314Das Mahindra-Team schafft es (nach einer guten Vorstellung beim Auftakt in Beijing) nicht mehr so recht, in der Quali in Fahrt zu kommen; der indische Antriebsstrang (wie bei Venturi/Dragon 4 Gänge und ein einziger E-Motor) scheint auf eine Runde schwächer zu sein als die vieler Konkurrenten. Doch im Rennen können die Mahindra-Piloten regelmäßig einige Plätze gutmachen: So ging es von den Quali-Positionen 13 (Heidfeld) und 16 (Senna) für beide Piloten um drei Plätze nach vorn. Nick Heidfeld entschied erst nach dem Shakedown am Freitag, dass er nach seiner Verletzungspause in Punta del Este wieder fahrtüchtig war.

Robin Frijns etabliert sich im Vorjahres-Auto von Amlin Andretti weiter als sehr solider Pilot (Rang 8), während Simona de Silvestro nicht an ihre früheren IndyCar-Glanzleistungen anknüpfen kann. Oliver Turvey zeigte für NEXTEV TCR wieder einmal eine stärkere Leistung als Teamkollege und amtierender Champion Nelson Piquet jr.; diesem half auch seine mittlerweile gewohnte Strategie, in der ersten Rennhälfte viel Energie zu sparen und einige Runden nach der Konkurrenz das Fahrzeug zu wechseln, kaum weiter. Es hat sich in den letzten anderthalb Saisons gezeigt, dass es – wie in der Formel  1 meist auch – nur eine wirklich sinnvolle Strategie gibt, auf die folgerichtig auch fast alle Teams zurückgreifen.

Mit einem Meisterschaftsstand von 80 (Buemi) zu 76 (di Grassi) zu 52 (Bird) geht es nun weiter nach Norden auf der Amerika-Tournee: Das Debüt in Mexico City steht in knapp fünf Wochen (am 12. März) auf dem Plan. Gefahren wird auf einer Variante des Oval-Kurses im Autodromo Hermanos Rodriguez, unter Zuhilfenahme der Stadion-Sektion und einiger Schikanen. Die Strecke sieht auf dem Papier weniger vielversprechend aus als viele andere Formula E-Kurse, aber wenn Buemi, di Grassi und vielleicht auch wieder Bird ein ähnliches Feuerwerk abliefern wie in Buenos Aires, gibt es auf jeden Fall einen Grund zum Einschalten.

(Bilder: Formula E Media)

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