Nach dem Highlight-Rennen in Buenos Aires brachte der erste Auftritt der Formula E in Mexico City eher Ernüchterung: War das Rennen (zwar dramatisch, aber nicht schön) schon eher schwere Kost, trugen auch die Entscheidungen der Offiziellen nach Rennende nicht zur angenehmen Verdauung des vorübergegangenen Renntages bei. Sieger Lucas di Grassi – durch Einsatz des Fan Boosts in Führung gegangen – wurde disqualifiziert: Untergewicht lautete das Urteil der Kommissare. Die Profiteure: Sieger Jerome d’Ambrosio und der Meisterschaftsführende Sebastien Buemi.
Wir fühlen uns erinnert an den Berlin ePrix im Vorjahr, den der Brasilianer ebenfalls gewann, nur um dann wegen eines technischen Verstoßes, den sein Team Abt Schaeffler Audi Sport fabriziert hatte, aus der Wertung genommen zu werden. Auch dort war es Jerome d’Ambrisio, der di Grassi beerbte. Damals wie heute beeinträchtigt der damit einhergehende Verlust von 25 Punkten massiv dessen Meisterschaftschancen. Den Kommissaren kann man freilich keinen Vorwurf machen – sie tun ihren Job gemäß Regelbuch, und 1,8 kg Untergewicht sind nicht wegzudiskutieren. Dass davon nur das erste der beiden im Rennen genutzten Autos betroffen war (mit dem di Grassi nicht in Führung ging, sich aber Rang 2 erkämpfte) mag das Vergehen aus sportlicher Sicht relativieren, tut aber ‚juristisch‘ nichts zur Sache.
Der Tag begann weniger überraschend: Sebastien Buemi, knapp führend in der Meisterschaft, dominierte die Trainings (zweieinhalb und dreieinhalb Zehntel Vorsprung) und die Qualifikation (wiederum gut zwei Zehntel vor der Konkurrenz) – bei einer Rundenzeit von nur 1’03 sind diese Abstände schon bemerkenswert. Doch in der für diese Saison neu eingeführten „Super Pole“-Quali der schnellsten Fünf leistete er sich den dritten Fehler auf einer wichtigen Qualifikationsrunde in Folge: In der Anfahrt auf die zweite Schikane verbremste er sich und verlor 1,5 Sekunden. Ergebnis war die Pole für Jerome d’Ambrosio im Dragon-Venturi, Buemi wurde nur Fünfter. Dazwischen lagen Nicolas Prost, Lucas di Grassi und ein starker Daniel Abt.
Der Start ging auf den ersten Metern gesittet vonstatten, doch schnell zeigte sich, dass der auf dem Oval des Autodromo Hermanos Rodriguez abgesteckte Kurs doch enger und hakeliger war, als ich es noch in meiner Vorschau gehofft hatte. Die ersten beiden Schikanen hatten zwar tatsächlich einen gewissen Reiz, jedoch war die Strecke in diesen Bereichen recht eng. Im Startgetümmel kam es so im Hinterfeld zu Auffahrunfällen, Antonio Felix da Costa im Gulf-Aguri musste kurz darauf zum Nasenwechsel an die Box und konnte so ein weiteres Mal keine Punkte einfahren.
Vorn blieb das Feld – vor gut besetzten Tribünen, auch im Stadion Foro Sol – eng zusammen: Hinter d’Ambrosios Dragon-Venturi waren die vier Top-Autos von e.dams-Renault und Abt Schaeffler aufgereiht wie an einer Perlenschnur. Loic Duval im zweiten dunkelroten Dragon-Boliden konnte auf P6 zunächst noch Kontakt halten, musste aber schließlich abreißen lassen. In der engen Fünfergruppe bewies Sebastien Buemi seine Stärke in Runde 4 mit einem tollen Überholmanöver gegen Daniel Abt: In der abknickenden Zufahrt zur ersten Schikane ging er entschlossen an dem jungen Deutschen vorbei. Dass Abt kurz vorher die dritte Schikane verpasst hatte und etwas verlangsamte, um keinen Vorteil zu gewinnen, mag den Weg hierzu bereitet haben.
Vorn blieb es eng, aber statisch, bis in Runde 22 Lucas di Grassi seinen – zu leichten – Monoposto schließlich eingangs der zweiten Schikane an Nicolas Prost vorbeischob, um Rang 2 zu erobern. Die kurz darauf folgenden Fahrzeugwechsel-Stopps brachten keine unmittelbare Veränderung, allerdings sollte Nicolas Prost wenig später wegen eines „Unsafe Release“ eine Durchfahrtsstrafe aufgebrummt bekommen und verlor durch einen Fehler seines Teams ein gutes Resultat.
Die vermeintlich rennentscheidende Szene folgte nur eine weitere Runde später: Nicolas Prost hatte im Zuschauer-Voting einen der drei FanBoosts zugesprochen bekommen und setzte diesen prompt gegen Jerome d’Ambrosio ein. Auf der Start/Ziel-Geraden setzte er sich dank der zusätzlichen 30 kW Leistung neben den Dragon-Piloten, musste aber dennoch kämpfen, um auf der Bremse sauber vorbeizugehen. Es war ein sehenswertes Manöver, das aber ohne den Fan Boost wahrscheinlich nicht zustande gekommen wäre. Diesem wettbewerbsverzerrenden Element stehe ich als Motorsport-Purist nach wie vor kritisch gegenüber, bei aller Liebe für die frische Herangehensweise der Formula E.
Die so eroberte Führung gab Lucas di Grassi bis ins Ziel nicht mehr ab. Während er sich vorn absetzen konnte, ging es hinter ihm richtig zur Sache: Sebastien Buemi schickte sich nun an, d’Ambrosio zu überholen, doch ohne Fan Boost gestaltete sich dies äußerst schwierig. Mehrfach kam der Schweizer in der Zufahrt zur ersten oder zur zweiten Schikane sehr nah heran oder konnte seinen Frontflügel sogar neben das Heck des Dragon-Venturi platzieren, doch d’Ambrosio verteidigte seinen zweiten Rang mit harten Bandagen.
Er fuhr – insbesondere auf Start/Ziel – Kampflinie in einer Weise, die sicherlich grenzwertig war: zu wenig, um als tatsächlich Blocken bestraft werden zu können, aber auch zu viel, um es noch als respektvollen Umgang mit dem Gegner zu bezeichnen. Mehrfach fuhr er einem zum Überholen ansetzenden Buemi – mit sanften Schlenkern, aber ohne tatsächliche Spurwechsel – vor das Auto; in einem Fall schob Buemi – mit seiner Nasenspitze in d’Ambrosios hinterem rechten Kotflügel – beide im Stile von NASCAR-„Bump Drafting“ an der ersten Schikane vorbei, zum Glück ohne Folgen. Bei einem weiteren Versuch verpasste Buemi die Schikane, gewann kurz den Platz, gab ihn aber zurück.
Der Ärger des Schweizers – in Französisch über den Teamfunk zu hören – war verständlich, doch die Rennleitung griff nicht ein. So blieb es bei der Reihenfolge auf dem Podium: di Grassi – d‘Ambrosio – Buemi. Doch dahinter wurde es in den Schlussrunden noch einmal bunt und unübersichtlich: Zunächst schob sich Sam Bird an Loic Duval vorbei auf Rang 6, doch dann machte er einen – weder in TV-Bildern noch in der Pressemitteilung seines Teams aufgelösten – Fehler und verlor wieder mehrere Plätze. Daniel Abt – bis dahin auf Rang 5 liegend – verspielte diesen noch, indem er seinen Abt-Schaeffler-Boliden kurz vor Schluss in die Barrieren setzte. So fiel er noch auf Rang 8 zurück, wiederum leider ein enttäuschendes Ergebnis.
Doch dann schlugen die Kommissare zu und deckten gleich drei Verstöße auf. Der wichtigste: Das erste von Lucas di Grassi im Rennen genutzte Fahrzeug war 1,8 kg unter dem Mindestgewicht von 888 kg – eine eindeutige Disqualifikation, für die er sich erneut bei seinem Team bedanken darf. So gewann schließlich Jerome d’Ambrosio das Rennen – doch auch nicht ohne Makel: Neben den bereits angesprochenen kritikwürdigen Fahrmanövern wurde auch er noch fürs ‚Schummeln‘ bestraft. Eigentlich hatte nämlich der Belgier die schnellste Rennrunde gedreht und sich damit zwei Zusatzpunkte gesichert. Doch ausgerechnet in dieser Runde hatte er in einer der Schikanen abgekürzt. Der Verstoß blieb nicht unbemerkt, die Punkte wurden gestrichen (und nicht an den nächstbesten Farher vergeben).
Loic Duval war das dritte Opfer der Kommissare: Er soll mehrfach die Schikanen ausgelassen haben und wurde dafür nach dem Rennen mit einer Zeitstrafe von 15 Sekunden belegt – das kostete den Franzosen allerdings nur einen Platz, er wurde im Endergebnis Vierter hinter Nicolas Prost, der nach seiner Durchfahrtsstrafe von all diesem Durcheinander profitierte und das „offizielle“ Podium komplettierte, ohne Schampus versprühen zu dürfen. Robin Frijns im Andretti-Auto fuhr unauffällig auf einen starken fünften Rang.
Statt eines Führungswechsels an der Tabellenspitze konnte nun Sebastien Buemi seinen Vorsprung deutlich ausbauen: 98 Zähler hat er nun auf dem Konto gegenüber di Grassis 76. Da Streichresultate für die zweite Saison abgeschafft wurden, wird diese Disqualifikation Lucas di Grassi bis zum Ende der Saison nachhängen. Sebastien Buemi diese Punkte noch einmal abzutrotzen, wird bei dessen Form schwierig werden. Sam Bird (60) und Jerome d’Ambrosio (58) kämpfen um Rang 3, bemerkenswert ist ansonsten noch der siebte Gesamtrang von Robin Frijns zur Saisonmitte – sein Andretti-Team fährt immerhin noch mit dem Standard-Antriebsstrang aus der vergangenen Saison; damit nur sieben Zähler hinter Nicolas Prost und 15 vor Daniel Abt zu liegen (beide in Top-Autos), ist eine tolle Leistung des Niederländers. In der Teamwertung führt e.dams Renault mit 136 Punkten deutlich vor Dragon Racing (102) und Abt Schaeffler Audi Sport (92).
Der nächste Lauf der Formula E wird am Samstag des ersten April-Wochenendes in Long Beach ausgetragen, wieder auf einer verkürzten Variante der bekannten IndyCar-Strecke. Es ist der sechste von elf Läufen und Lucas di Grassi wird alles geben müssen, um den in Mexico City erlittenen Verlust wettzumachen…
(Bilder: Formula E Media)