Lucas di Grassi hat mit seinem dritten Saisonsieg seine Meisterschaftsführung ausgebaut und bewies, dass er das gesamte Feld im Griff hat. Der technische Vorsprung des e.dams-Renault vom Saisonbeginn scheint tatsächlich dahin zu sein, vor allem in der Qualifikation passt es weiterhin nicht – wobei anzumerken ist, dass Prost weniger Probleme beim Zeitfahren zu haben scheint als sein Teamkollege Sebastien Buemi, der gerade dadurch im Titelkampf ins Hintertreffen geraten ist. Hinzu kamen in Paris die kühlen Temperaturen, die Mitteleuropa an diesem Wochenende im Spätapril überraschten – zwei Tage früher hätte der Paris ePrix anders ausgehen können…
Qualifying
Bei kühlen Temperaturen kann DS Virgin regelmäßig auftrumpfen, weil das britisch-französische Team die Reifen schneller auf Temperatur bringen kann. Das hat Sam Bird in diesem Jahr schon zu zwei Pole Positions verholfen (Buenos Aires und Long Beach), in Paris folgte die dritte mit Bestzeiten in der Gruppenphase und im „Super Pole“-Einzelzeitfahren der besten Fünf. In dieser letzten Session schaffte er es, Lucas di Grassi drei Zehntel abzunehmen.
Jean-Eric Vergne, der zweite DS Virgin-Pilot, zeigte in der Heimat ebenfalls eine starke Quali-Performance und sicherte sich Startplatz 3 vor seinen Landsmännern Stephane Sarrazin und Nicolas Prost. Sebastien Buemi erreichte nur den achten Rang. Mike Conway, Schnellster im Training, wurde durch eine unbedachte Aktion Nick Heidfelds nach einem Crash in der Gruppenphase um seine Chancen auf einen Top-Startplatz gebracht.
Rennen
Der Start lief dann jedoch nicht nach dem Geschmack von Sam Bird ab: Mit durchdrehenden Rädern musste er Lucas di Grassi – und auch Jean-Eric Vergne – vor bzw. in Kurve 1 passieren lassen. Vorn sollte es lange statisch bleiben: Während „JEV“ seinen frustrierten Teamkollegen Bird aufhielt, konnte sich Lucas di Grassi langsam aber sicher absetzen und fuhr bis zum Boxenstopp etwa fünf Sekunden Vorsprung heraus. Ohne direkten Druck konnte er fehlerfrei seine Runden auf den anspruchsvollen Strecke um das Hôtel des Invalides abspulen, während hinter ihm Teamkollegen um den zweiten Rang kämpfen. DS Virgin verzichtete auf den Einsatz von Teamordern, vielleicht auch weil es Vergnes Heimrennen war; überlegt man, dass Bird noch Meisterschaftschancen hatte (wenn auch eher geringe), hätte man hier auch anders entscheiden können.
Einige Plätze weiter hinten machte sich Sebastien Buemi an seine x-te Aufholjagd in dieser Saison, nachdem er sich zum fünften Mal in Folge nicht besser als Platz 5 qualifizieren konnte – nach zwei Poles in den Auftaktrennen wohlgemerkt. Am Start holte er sich Rang 7 von Robin Frijns, in Runde 9 schnappte er sich den stark fahrenden Oliver Turvey ausgangs Kurve 7 außen herum und in Runde 16 konnte er Stephane Sarrazin mit einem klassischen Ausbrems-Manöver am Ende der Startgeraden passieren. Seinen Teamgefährten Nicolas Prost überholte er in Runde 22 kurz vor den Boxenstopps, während der nun vor ihm fahrende Sam Bird seine Teamführung bat, ihn an Vergne vorbeizulotsen. Das wurde ihm nicht gewährt und der spektakuläre Versuch, ihn auf der Strecke zu überholen, half nur Sebastien Buemi, vor dem Fahrzeugwechsel unmittelbar auf die beiden DS Virgins aufzuschließen.
Mit dieser spektakulären letzten Runde vor den Stopps der Spitzengruppe war die Bühne bereitet für die zweite Rennhälfte. Die Fahrzeugwechsel selbst brachten keine Positionsänderungen auf den Top-Plätzen – und auch keine Strafen, was bei den leicht zu verfehlenden Mindestzeiten stets erfreulich ist. Die Mahindra-Piloten Senna und Abt fuhren eine Runde länger, Daniel Abt schaffte auf der kurzen Strecke sogar zwei Runden mehr, doch diese Taktik zahlte sich kaum aus. Sebastien Buemi fiel in der Out-Lap etwas zurück, konnte sich jedoch wieder an die DS Virgins heranarbeiten. Nicolas Prost jedoch fiel dauerhaft von dieser Kampfgruppe Vergne-Bird-Buemi ab, er kann im Rennen nicht mit dem Schweizer mithalten – und auch nicht mit den DS Virgins, denn der langsamere Vergne bestimmte das Tempo dieser Gruppe. Lift-and-Coast ist die Fahrtechnik, die in der Formula E gefragt ist, und dies beherrschen nicht alle Fahrer in gleichem Maße. Die Kunst, Energie zu sparen, aber trotzdem schnell zu sein – und sogar Angriffe gegen Konkurrenten zu starten – beherrschen einige Fahrer deutlich besser als andere, darunter Sebastien Buemi.
In Runde 34 versuchte es Buemi mit dem gewonnenen FanBoost, doch dies schlug fehl. Er machte kontinuierlich weiter Druck auf Bird, dessen Fahrweise immer wilder wurde, auch aufgrund der schneller abbauenden Reifen (die Schattenseite des schnelleren Aufheizens). Wir kennen diese Situation aus Buenos Aires, als Buemi Bird um den Sieg jagte. In Runde 40 war Buemi auf der 450 Meter langen Startgeraden dicht an Birds Heck; der Brite versuchte, in der Straßenmitte zu verteidigen, konnte jedoch auf dem „Dach“ des Straßenprofils nicht sauber anbremsen und drehte sich in die Auslaufzone – er verlor drei Plätze und viele Meisterschaftspunkte.
Nur Momente darauf endete das Rennen faktisch, denn der Crash des neuen Aguri-Piloten Ma Qing Hua in der schnellen Kurve eingangs der Startgeraden erforderte einen Safety Car-Einsatz, der bis zum Rennende in Runde 45 andauern sollte. Der Chinese Ma (WTCC-Pilot 2014-15 und zuvor F1-Testfahrer für Caterham und HRT) hatte am Start eine starke Performance gezeigt, überholte mehrere Piloten von seinem Startplatz im Hinterfeld aus; doch er hatte die für die schweren FE-Boliden notwendige Fahrweise sowie das Energiesparen noch nicht recht verinnerlicht und fiel im Laufe des Rennens wieder zurück, bevor er schließlich in dem schwierigen Rechtsknick recht heftig verunfallte, aber unversehrt blieb.
Lucas di Grassi gewann so ungefährdet sein drittes Rennen in dieser Saison (sogar das vierte, wenn die Disqualifikation in Mexico City nicht gewesen wäre) vor Jean-Eric Vergne, der ausgerechnet beim Heim-ePrix seine beste Platzierung aus der Vorsaison wiederholt, und Sebastien Buemi, der aus einer schwachen Quali wiederum noch möglichst viel gemacht hat. Die Franzosen Prost und Sarrazin runden die Top 5 ab. Sam Bird hatte keine Chance, noch einmal zu versuchen, die verloren gegangenen Plätze wieder zurückzuholen, ebenso konnte Daniel Abt nichts mehr aus seinem angesparten Energieüberschuss machen; mit Platz 10 ergatterte er aber immerhin einen Punkt. Die schnellste Rennrunde ging an Nick Heidfeld im Mahindra, der nach seinem Quali-Patzer zum ersten Mal in dieser Saison nicht die Top Ten erreichte.
Stand der Meisterschaft
In der Meisterschaft hat sich Lucas di Grassi nun von seinem härtesten Konkurrenten Sebastien Buemi absetzen können: Aus einem Punkt Vorsprung in Long Beach sind elf Punkte geworden – bei noch vier zu fahrenden Rennen ist das kein uneinholbares Defizit, doch e.dams-Renault und Buemi müssen die Qualifikationsschwäche dringend in den Griff bekommen, ansonsten starten sie jedes Mal mit einem Handicap. Sam Bird ist mit dem dritten sechsten Rang in Folge – bedingt durch seinen Patzer kurz vor Schluss – weiter zurückgefallen und liegt nun 44 Zähler hinter Lucas di Grassi; seine Meisterschaftsambitionen kann er damit begraben. Hätte er seine Pole in einen Sieg ummünzen können, hätte dies ganz anders ausgesehen.
Jerome d’Ambrosios punktloser elfter Rang (Teamkollege Duval fiel mit technischem Defekt aus) lässt ihn bald in die Klauen des immer stärker auftrumpfenden Stephane Sarrazin fallen, der nur noch sechs Punkte zurück ist. Auch in der Teamwertung ist Dragon Racing der große Verlierer: DS Virgin schließt mit den Rängen 2 und 6 sowie Birds Pole auf nur sechs Zähler Rückstand auf. Vorn hat Renault e.dams die Führung um einen Punkt ausgebaut, die Ränge 3 und 4 sind diesen Zähler mehr wert als di Grassis Sieg kombiniert mit Abts zehntem Rang.
Überholen war schwierig auf dem Kurs im Herzen von Paris, dafür waren die Geraden zu knapp bemessen und auch unglücklich positioniert. Der Eingang zur Startgeraden zog die Autos eher auseinander und erschwerte Angriffe in Kurve 1, während die langsame Einfahrt auf die Gegengerade zwar optimal war, jedoch die Schikane am Ende zu schnell, um auf der Bremse sicher vorbeizuziehen. So blieb es oft bei Angriffen, die jedoch sicher abgewehrt werden konnten. Einige schöne Manöver gab es in der Kurvenkombination 6/7 zu sehen: Der schnelle 45°-Linksknick ermöglichte es, sich für die scharfe langsame Rechtskurve danach rechts neben dem Vordermann zu positionieren, wenn man ausgangs des Geschlängels der Kurven 2 bis 5 nah genug dran war. Auf dieser neu asphaltierten Passage hatten die Fahrzeuge auch mehr Grip als auf der übrigen Strecke.
Trotz dieser Schwierigkeiten war der erste Paris ePrix mit 20.000 Zuschauern ein gelungenes Event. Neben der französischen Politik war auch FIA-Chef Jean Todt vor Ort und verschaffte sich Einblicke in die jüngste Weltmeisterschaft unter dem Dach seines Verbandes. Der nächste Lauf – Nummer 8 von 11 – findet in vier Wochen in Berlin statt. In diesem Jahr wird in der „City-Ost“ gefahren, nahe des Alexanderplatzes wird ein Kurs auf der Karl-Marx-Allee rund um den Strausberger Platz abgesteckt. Der zweite Berlin ePrix wird dort am 21. Mai ausgetragen.
(Bilder: Formula E Media)