Eigentlich hätte an diesem Wochenende der zweite Moskau ePrix nahe des Kremls und des Roten Platzes stattfinden sollen. Doch da man sich wegen mehrerer parallel stattfindender Veranstaltungen mit den Behörden der russischen Hauptstadt nicht über die notwendigen Straßensperrungen verständigen konnte, wurde der neunte Saisonlauf im April abgesagt. Ein Ersatz – Monaco war hier kurzzeitig im Gespräch – konnte auf die Schnelle nicht organisiert werden. Und so wird der London ePrix mit seinen zwei Läufen – allerdings erst in vier Wochen – sowohl das nächste Rennen als auch das Saisonfinale darstellen.
Eine kurze Bemerkung in eigener Sache sei vorangestellt: Leider musste meine Berichterstattung über den Berlin ePrix vor zwei Wochen ausfallen, da ich in Berlin erkrankt war. Darum gab es weder eine Live-Berichterstattung vom Event via Twitter noch den gewohnten Rennbericht in der Woche darauf. An dieser Stelle möchte ich kurz auf das Rennen zurückblicken und auf die Neuigkeiten eingehen, die in den letzten Wochen – gerade auch im Hinblick auf die Saison 2016/17 – publik wurden.
Der London ePrix findet statt – zum vorerst letzten Mal
Zunächst die guten Nachrichten, denn, wie in der Vorschau zum Berlin ePrix geschrieben, auch das Saisonfinale in London schien zwischenzeitlich in Gefahr. Aufgrund der Beeinträchtigungen der Pflanzen und der Nutzbarkeit des Battersea Parks, die durch das Event und den damit einhergehenden langwierigen Auf- und Abbau verursacht wurden, hatte sich eine Protestbewegung unter den Bürgern des Stadtbezirks gebildet, die sich gegen die Fortführung des ePrix an diesem Standort aussprach. Die politische Vertretung des betroffenen Stadtbezirks Wandsworth hatte jedoch auch für das Jahr 2016 wieder knapp zugunsten des ePrix gestimmt.
Die Bürgerinitiative „Battersea Park Action Group“ wollte darum den juristischen Weg bestreiten und hat eine Beschwerde eingereicht, die Ende Mai vor dem High Court of Justice, dem Obersten Zivilgericht Englands, hätte verhandelt werden sollen. Doch einen Tag vor dem Termin konnte das Formula E-Organisationsteam um Alejandro Agag verkünden, dass man mit der Battersea Park Action Group und dem Wandsworth Borough Council eine Einigung erzielt habe. Die kurzfristige Gefahr für das diesjährige Saisonfinale – und eine Absage hätte die Formula E nach der Moskau-Absage möglicherweise in eine Krise stürzen können – ist gebannt: Das Event kann wie geplant als Doubleheader-Wochenende stattfinden. Doch für die Zukunft wird man sich nach einem alternativen Standort umsehen müssen, wenn es weiterhin einen London ePrix geben soll.
Im ersten öffentlich gewordenen Kalender-Entwurf für die dritte Formula E-Saison 2016/17 fehlt darum der London ePrix oder ein anderes Rennen in Großbritannien. Denn dort ist die Veranstaltung eines Straßenrennens aufgrund der Rechtslage nach wie vor nicht problemlos möglich. Lange waren Motorsport-Rennveranstaltungen auf öffentlichen Straßen durch den Road Traffic Act grundsätzlich und ohne Möglichkeit einer Ausnahme verboten. Im Jahre 2015 wurden durch den Deregulation Act einige Absätze in den Verbotsparagraphen eingefügt, die es den örtlich zuständigen Behörden ermöglichen sollen, solche Veranstaltungen nach Prüfung zu genehmigen. Es fehlt allerdings noch eine Rechtsverordnung („statutory instrument“ im Vereinigten Königreich) als sekundäre Gesetzgebung, die Zuständigkeiten und Prozeduren klärt und die Gesetzgebung damit tatsächlich in der Praxis anwendbar macht; nach meinem Kenntnisstand ist diese bislang noch nicht verabschiedet worden.
[Kleiner Exkurs: Rennen mit Kraftfahrzeugen sind auch nach der deutschen Straßenverkehrsordnung gem. § 29 Abs. 1 verboten; jedoch kann die zuständige Stelle des betroffenen Landes hiervon gem. § 46 Abs. 2 im Einzelfall eine Ausnahme erteilen, sodass nicht erst der Gesetzgeber bemüht werden muss, sondern die Verwaltung über die Frage entscheiden kann.]
Die Wege im Battersea Park fallen nicht unter die öffentlichen Straßen, für welche die frühere Beschränkung galt, darum war die bisherige Lösung der Formula E eine recht charmante; doch auch die Kritik ist durchaus nachvollziehbar, denn ein Park erfüllt nunmal eine wichtige Funktion für die Bevölkerung der Umgebung und ist nicht vorrangig ein Veranstaltungsplatz. Andere Parks werden als potenzielle Austragungsorte aufgrund genau dieser Problematik jedoch ähnliche Schwierigkeiten mit sich bringen. Also werden Agag und Co. zusätzlich zur MSA Lobbyarbeit beim britischen Parlament betreiben müssen, um die notwendige Rechtsverordnung zeitnah zu erwirken.
Die bestehenden Verbindungen zu Baron Paul Drayson, Ex-Wissenschaftsminister, Ex-Le Mans-Pilot, Halter des Geschwindigkeitsrekords mit einem Elektroauto und Mitglied des Haus of Lords, werden dabei sicherlich nicht schädlich sein. Drayson plante ursprünglich auch mit einem eigenen Team, in der Formula E an den Start zu gehen, veräußerte seinen Platz dann aber an das Team von Jarno Trulli; dieses wiederum zog nach dem zweiten Rennen in dieser Saison zurück und ermöglichte damit den Einstieg von Jaguar für die kommende Saison – die übrigens in der vergangenen Woche das erste Rollout mit ihrem Antriebsstrang vorgenommen haben (die Fotos sind wenig spektakulär, da es sich schließlich um ein Einheitsauto handelt).
Für die Zukunft des London ePrix könnte das Olympia-Gelände in Stratford eine Möglichkeit darstellen. Dieses war schon das eine oder andere Mal für die F1 im Gespräch und auch vor dem Formula E-Debüt als möglicher Austragungsort in Erwägung gezogen worden. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob sich auf dem Gelände um das Stadion, die Schwimmhalle oder das Velodrom eine charakterlich zur Formula E passende Strecke abstecken lässt; die bisher existierenden Beispiele von Rennstrecken auf Olympia-Flächen (Sochi Autodrom, Beijing ePrix, Sidney-Homebush/V8 Supercars) sind allesamt keine positiven Beispiele.
Der Kalender-Entwurf für die Saison 2016/17
Während sich am Kalender zwischen Saison 1 und Saison 2 der Formula E zunächst wenig tat – Mexico City kam hinzu, Miami entfiel (der Berlin ePrix musste zwangsweise verlegt werden und Moskau wurde kurzfristig abgesagt) – wird es für die dritte Saison wohl größere Änderungen geben. Auf dem von Sam Smith bei motorsport.com veröffentlichten Kalender-Entwurf fehlen neben London auch die ePrix in Beijing (China), Putrajaya (Malaysia) und Punta del Este (Uruguay). Um die recht gelungene Strecke in Putrajaya ist es schade und Punta del Este bot zweimal viel Spektakel vor südamerikanischer Sandstrand-Kulisse; den zu langen Kurs im Olympiapark von Peking werde ich nicht vermissen.
Der Saisonstart wird stattdessen am 9. Oktober in Hong Kong ausgetragen; der Ticketverkauf läuft bereits. Entsprechend steht hierfür auch schon das Streckenlayout fest: gefahren wird im zentralen Stadtbezirk auf Hong Kong Island zwischen dem Rathaus und den Fähren-Piers im Schatten des Hong Kong Observation Wheel (eines 2014 errichteten permanenten Riesenrades). Im November soll ein Lauf in Marrakesch (Marokko) stattfinden; ob hierfür möglicherweise die größtenteils auf öffentlichen Straßen verlaufende Strecke genutzt werden soll, die dieses Jahr erstmalig von der WTCC befahren wurde, ist noch nicht bekannt. Der WTCC-Kurs schien allerdings wenig gelungen und ist mit 3 km auch länger als der Formula E-Standard.
Es sollen über den Winter die bekannten Läufe in Mexico City (Januar), Buenos Aires (Februar) und Long Beach (März) folgen. Danach steht ein Lauf in Singapur für den 22. April auf dem Plan, auch hier noch ohne nähere Informationen zur Strecke; ob Teile des F1-Straßenkurses zum Einsatz kommen sollen, ist daher unklar. Im Mai soll in Monaco und in Paris gefahren werden (ursprünglich hatte ich es so verstanden, dass Monaco und Paris sich abwechseln, aber der Paris ePrix war wohl zu erfolgreich, um darauf zu verzichten), bevor es am 10. Juni nach Brüssel geht. Über ein FE-Event dort wurde schon seit einigen Monaten gerüchtelt. Berlin soll zwei Wochen später (Verschiebungen sind denkbar, weil man sich nach den 24 Stunden von Le Mans richten wird) den Abschluss der Europa-Saison darstellen, auch hier wird man abwarten müssen, wo gefahren wird.
Komplett neu ist der Saisonabschluss in Nordamerika. Jeweils zwei Rennen sollen in Montreal Mitte Juli und New York Ende Juli ausgetragen werden. In Montreal wird nicht auf dem Curcuit Gilles Villeneuve gefahren (der auch völlig unpassend für die Formula E-Boliden wäre), sondern auf einem noch nicht veröffentlichten Kurs in der Nähe des Rathauses im Stadtzentrum. Und in New York (bzw. New Jersey) kommt neben anderen möglichen Austragungsorten anscheinend auch das gescheiterte Port Imperial-Projekt der Formel 1 in Betracht; der Reiz wäre auch für die Formula E die Skyline von Manhattan im Hintergrund. Ein New York ePrix stellt für Alejandro Agag und weitere Formula E-Stakeholder eines der wichtigsten Projekte dar, während man gleichzeitig versuchen wird, Moskau und London wieder auf den Kalender zur bringen.
Der Berlin ePrix im Rückblick
Der nun schon zwei Wochen zurückliegende Lauf in Berlin war sehenswert und spannend. Die Strecke auf der Karl Marx-Allee funktionierte gut. Mit ihren zahlreichen harten Bremsmanövern und engen Haarnadeln sowie der schnellen Passage um den Strausberger Platz ermöglichte sie Überholmanöver und provozierte Fehler. Die sozialistische Bebauung als Kulisse und der Fernsehturm im Hintergrund betteten das Event auch in schöne Bilder ein. Etwas enttäuscht war ich bei meinem Spaziergang am Vorabend des Rennens davon, dass die Zäune rund um die Strecke fast durchgehend mit als Sichtblenden fungierenden Werbebanderolen bespannt waren, sodass die Sicht auf die Strecke nur von den Tribünen aus möglich war. Für mich als jemanden, der gern um eine Rennstrecke herumwandert und von verschiedenen Punkten aus zuschaut, hätte damit etwas gefehlt. Die Bronze-Stehplatztribünen verfügten zudem nicht über Leinwände.
In der Qualifikation zeigte sich wieder einmal das DS Virgin-Team stark: Jean-Eric Vergne fuhr auf die Pole, Sam Bird auf Startplatz 4. Sebastien Buemi brachte sich im Meisterschaftskampf mit Startplatz 2 in eine gute Position (endlich einmal wieder ohne Quali-Probleme), während sein Konkurrent Lucas di Grassi seine Meisterschaftsführung von Platz 8 aus verteidigen musste. Sein Teamkollege Daniel Abt erreichte einen starken dritten Rang in der Super Pole-Qualifikationsrunde, die von Nick Heidfeld komplettiert wurde, der jedoch wegen irregulärer Reifendrücke ans Ende des Feldes strafversetzt wurde.
Beim Beschleunigungsduell am Start konnte Sebastien Buemi sich direkt gegen Jean-Eric Vergne durchsetzen, während es hinter den beiden in der ersten Haarnadel sehr eng zuging. Eine Runde später konterte Vergne an gleicher Stelle und eroberte die Führung zurück. Er konnte sich jedoch nicht vom schnelleren e.dams-Renault absetzen und in Runde 6 konterte Buemi mit einem gewagten, aber schönen und letztendlich erfolgreichen Ausbremsmanöver in der südlichen Kehre der Lichtenberger Straße (an der Singerstraße). Von dem Punkt an konnte er sich vorn absetzen und das Rennen im starken Renault kontrollieren – zum ersten Mal sein Monaten.
Mehrere Piloten gerieten in den ersten Runden bei den geringen Abständen in den engen Kurven aneinander, was zu herumwackelnden Teilen an Front und Heck führte. Die Rennleitung holte diese Piloten konsequent – und trotz aller Beschwerden im Funk völlig zu Recht, erinnert man sich an die tödlichen Unfälle von Henry Surtees und Justin Wilson – mit der schwarz-orangenen Flagge zur Reparatur an die Box. Auch Sam Bird war – auf Rang 4 liegend – davon betroffen, nachdem er sich den Frontflügel angeschlagen hatte.
Daniel Abt konnte währenddessen Jean-Eric Vergne überholen, während sich sein in der Meisterschaft führender Teamkollege di Grassi langsam vorarbeitete. Der profitierte kurz vor den Boxenstopps auch noch davon, dass Vergne bei der Verteidigung seines dritten Platzes gegen Nicolas Prost in der Schikane (Turns 2/3) zu hart über die Kerbs rumpelte und dabei seinen gesamten Frontflügel verlor. Di Grassi konnte zudem eine Runde länger fahren als die Konkurrenz an der Spitze und sollte damit in der zweiten Rennhälfte etwas mehr Energie zur Verfügung haben.
In Runde 39 versuchte er ohne Erfolg, Nicolas Prost in Kurve 1 außen herum zu überholen, eine Runde später täuschte er das gleiche Manöver an, zog dann jedoch nach innen und ging sauber am Franzosen vorbei. Damit lag der Brasilianer direkt hinter seinem Teamkollegen Daniel Abt und für das Abt-Team stellte sich die Frage nach einer Teamorder. Diese kam schließlich mit eindeutigen Funksprüchen, völlig nachvollziehbar und gerechtfertigt kurz vor Saisonende und im Kampf um die Meisterschaft; immerhin lag Sebastien Buemi weiterhin auf Kurs zu 25 Punkten für den Sieg.
Abt ließ Buemi herankommen, jedoch blieb die Reihenfolge zunächst bestehen – und dann verunfallte Loic Duval in der schnellen Passage um den Strausberger Platz, was das Safety Car zum Einsatz brachte. Sollte das Rennen bis zum Ende neutralisiert bleiben, wäre die Ausführung der Teamordner unmöglich – doch der BMW i8 verließ zwei Runden vor Schluss die Strecke. Die Funksprüche der Abt-Teamleitung wurden wiederholt und am Ende der vorletzten Runde gestikulierte Daniel Abt seinem Teamkollegen, ihn zu passieren, ohne jedoch wesentlich zu verlangsamen. In der letzten Runde (die Ziellinie befand sich ausgangs Kurve 1) wollte Abt nach eigener Aussage nichts mehr riskieren und überfuhr beim Heimrennen als Zweiter die Ziellinie.
Zwar schien die erste Begegnung nach dem Aussteigen aus den Fahrzeugen etwas merkwürdig und gedrückt in der Stimmung, doch nach dem Rennen erklärte di Grassi, er wolle die Meisterschaft nicht durch Teamorder gewinnen (ob das ehrlich oder Team-PR-politisch war, lässt sich leider kaum feststellen, aber ich möchte ihm ersteres zugestehen). Somit hätten wir drei nachvollziehbare Positionen: das Team, das den WM-Titel gewinnen will, di Grassi, der ihn im ehrlichen Zweikampf gewinnen will, und Daniel Abt, der beim Heimrennen so weit oben wie möglich auf dem Podium stehen möchte. Seine Erleichterung zeigte, wie wichtig dieses Ergebnis (das zweite Podium in dieser Saison) für ihn persönlich war.
Sebastien Buemi jedoch ist mit dem Sieg auf einen Punkt an Lucas di Grassi herangerückt (141:140 Punkte), während Sam Bird mit 59 Punkten Rückstand nur minimale rechnerische Chancen hat (2 x 25 Punkte für die Rennsiege + 2 x 2 Punkte für die schnellsten Rennrunden und 2 x 3 Punkte für die Poles sind noch zu vergeben, insgesamt 60 Zähler). Renault e.dams behauptet seine Führung in der Teamwertung gegen Abt Schaeffler Audi Sport mit 202:191. Mit diesem Stand geht es in das Doubleheader-Saisonfinale in London am 2. und 3. Juli.
(Bilder: Formula E Media)