Ein hartes Manöver und eine andere Strategie brachten Lewis Hamilton in Kanada den Sieg. Aber war die Strategie von Ferrari wirklich so falsch oder hatte man einfach nur Pech?
Wie kann man ein Rennen verlieren, wenn man in der ersten Kurve vorne liegt und offenbar ein Auto hat, dass mindestens genauso schnell ist wie die verfolgende Konkurrenz? Indem man die Strategie versemmelt, was bei Ferrari in diesem Jahr offenbar eine Sache ist, die man häufiger macht. Aber war die Idee, auf zwei Stopps zu gehen, wirklich so falsch? Die Analyse zeigt, dass eine Menge „hätte, wäre, wenn“ im Spiel ist, aber auch, dass die Ein-Stopp-Strategie eigentlich die unübliche Variante war.
Ein Blick auf die Daten zeigt, dass es nur drei Fahrer gab, die nur einmal stoppten: Hamilton, Bottas und Alonso. Der Spanier schleppte die „Soft“ ganze 52 Runden durchs Rennen, die anderen beiden immerhin knapp 47 Runden. Das ist selbst für die in diesem Jahr etwas härter ausgefallenen Soft eine lange Strecke. Aber vor allem die sehr niedrigen Asphalttemperaturen sorgten für eine lange Lebensdauer der Reifen. Das galt für alle Mischungen, auch für die Ultrasoft. Die 24 Runden von Hamilton waren keine Ausnahme im Rennen, Magnussen schaffte sogar 29 Runden.
Bei Ferrari hatte man sich schon vor dem Start des Rennens für eine Zwei-Stopp-Strategie entschieden. Davon ausgehend, dass man nach dem Start hinter den Mercedes liegen würde, war man sich bei Ferrari bewusst, dass man etwas anders machen müsse. Um den Druck auf Mercedes so groß und so lange wie möglich zu halten, war auf dem Papier die Zwei-Stopp-Strategie die schnellere Variante. Das galt auch für den Moment, in dem Vettel in Führung lag.
Das VSC, das wegen des Ausfalls von Button kurz ausgerufen wurde, setzte aber interessanterweise Ferrari unter Druck. Einerseits ergab sich eine Chance, weil man ohne großen Zeitverlust stoppen konnte, andererseits musste man eine Entscheidung fällen. Wollte man die Führung abgeben und die Reifen etwas früher wechseln? Man entschied sich für diese Variante.
Tatsächlich wäre die Sache für Ferrari fast aufgegangen. Als Vettel wieder auf die Strecke ging, hing er zwar knapp zehn Sekunden hinter Hamilton, hatte aber die Supersoft aufgezogen. In den 26 Runden, in denen Vettel damit unterwegs war, entschied sich dann das Rennen. Die Reifen auf dem Ferrari waren gebraucht, also zumindest angefahren. Damit konnte Vettel zunächst Zeit auf Hamilton gutmachen, was Mercedes wiederum dazu zwang, den Briten ein paar Runden früher an die Box zu bitten. Gleichzeitig konnte Vettel in der Phase seinen Vorsprung aber nicht ausbauen. Im Gegenteil. Im Verkehr und durch schnelle Runden des Mercedes auf den neuen Soft reduzierte der Brite den Rückstand von knapp 14 auf zehn Sekunden. 20 Sekunden hätte Vettel benötigt, um nach dem Stopp vorne zu bleiben.
Blieb also noch die Variante, dass Vettel mit neuen Soft an die Spitze stürmen würde. Aber auch diese Rechnung ging zur Überraschung vieler nicht auf. Hamilton fuhr extrem konstante und schnelle Runden und er leistete sich keinen Fehler. Im Gegensatz zu Vettel, der sich ein ums andere Mal in der Haarnadel, der letzten Schikane und der ersten Kurve verbremste. Zwar konnte der Deutsche den Vorsprung zunächst reduzieren, aber nie so weit, dass er Hamilton in Sichtweite hatte. Der Reifenverschleiß bei Mercedes war bei den niedrigen Temperaturen einfach zu gering.
Hätte Ferrari damit rechnen können, dass das passieren würde? Hinterher ist man immer klüger. Die Strategie von Ferrari, mittels zwei Stopps den Druck auf Mercedes hoch zu halten, war sicher nicht falsch, sie passte halt nicht ganz so gut, wie das Team sich das gedacht hatte. Ob Vettel mit einer anderen Strategie gewonnen hätte, ist auch nicht sicher. Da bestand jederzeit die Möglichkeit des Over- oder Undercuts durch Mercedes. Den einzigen Vorwurf, den man Ferrari wirklich machen kann: Sie haben beide Autos auf die gleiche Strategie gesetzt. Das war unnötig und hat am Ende vor allem Räikkönen nichts gebracht.
Denn das Beispiel Bottas zeigte, dass man mit einem Stopp nach vorne kommen konnte. Von P7 gestartet lag er nach dem Start hinter den Red Bull, schnappte sich aber im Verlauf des Rennens Ricciardo, nachdem dieser einen Fehler gemacht hatte. Danach hing er die meisten Zeit im Heck von Verstappen, der aber wie Vettel zweimal stoppte und am Ende nicht die Reifen hatte, um Bottas noch angreifen zu können. Da hat Williams in Sachen Strategie mal alles richtig gemacht.
Es gibt aber auch ein positives Beispiel für eine Zwei-Stopp-Strategie. Carlos Sainz startete von P20 und landete am Ende auf P9. Der Toro Rosso Pilot profitierte dabei von einer etwas verschobenen Strategie. Man kam zwar, wie alle anderen auch, in Runde 13 an die Box, blieb dann aber länger auf den Soft draußen. Erst in Runde 49 wechselte man auf die Supersoft, was Sainz am Ende Sergio Perez vom Hals hielt.
Strategie hin oder her – kaum jemand hatte ein so schlechtes Rennen wie Nico Rosberg. Über das Startmanöver muss man nicht viel sagen. Ja, es war hart, aber nicht ungewöhnlich hart. Hamilton hatte die Innenlinie und man kommt außen in T1 in Kanada wirklich nur vorbei, wenn der andere mitspielt. Dazu hatte der Weltmeister keinen Anlass. Rosberg wäre vorbei gekommen, wenn er sein Vorderrad vor das von Hamilton gebracht hätte, aber so weit kam er nicht. Das Manöver von Hamilton dürfte bei Mercedes aber für Gesprächsstoff gesorgt haben. Immerhin verlor Mercedes so auch wichtige Punkte.
Danach war Rosbergs Rennen eine einzige und sehr schwierige Aufholjagd mit dem bekannten Ergebnis. P4 wäre allerdings durchaus drin gewesen, wäre nicht auch sein rechter Hinterreifen kaputt gegangen. Zur Zeit hat Rosberg wenig Glück. Spanien, Monaco und jetzt Kanada waren alles Rennen, die er hätte gewinnen können, Doch statt 75 Punkte hat er nur 16 Punkte in den letzen drei GPs sammeln können. Derartige Schwächephasen kann man sich in einer Saison eigentlich nicht leisten, denn technische Probleme werden ja aller Voraussicht nach auch noch mal kommen. Das Momentum aus den ersten Rennen ist jedenfalls weg, das Glück ist wieder auf der Seite von Hamilton, der allerdings an diesem Wochenende auch der stärkere Pilot war.
Und sonst so?
- Zähes Rennen für Daniel Ricciardo. Nach dem Start lag er auf P4, im Ziel kam aber nur P7 raus. Die falsche Strategie, ein schlechter Boxenstopp und eigene Fehler sorgten dafür, dass Bottas, Räikkönen und Rosberg vorbeikamen. Nicht das Wochenende des Australiers, der frustriert wirkte.
- Sauberes Rennen von beiden Force India-Piloten. Hülkenberg kam auf P8 und beklagte nach dem Rennen, dass da mehr drin gewesen sei. Allerdings weiß ich wirklich nicht, wie. Er kam mit 27 Sekunden Abstand hinter Ricciardo ins Ziel. Selbst mit einer Ein-Stopp-Strategie hätte es nicht gereicht.
- Perez sah eigentlich wie ein Ein-Stopper aus, startete er doch von P11 auf den Soft. Er kam in Runde 29 rein, wechselte für 17 Runden auf die Supersoft, um dann erneut auf die Soft zu gehen. Da Massa und Button ausfielen, rutschte er in die Top Ten, musste aber Sainz passieren lassen.
- McLaren war erwartungsgemäß schlecht in Kanada. Honda hat in Sachen Leistung nachgelegt, aber am Ende der langen Geraden stand dennoch ein Geschwindigkeitsdefizit auf der Uhr, das deutlich zu groß war. Der Motorschaden bei Button rundete das Rennen der McLaren dann unschön ab. Punkte wären auch für Button schwierig gewesen.
- Die „Can I stop“-Meldung von Alonso bezog sich aber nicht darauf, dass der Spanier keine Lust mehr hatte. Im Gegenteil. Er war mit Reifen unterwegs, die knapp 50 Runden auf dem Buckel hatten, er wollte einfach frische Reifen für ein paar schnelle Runden am Ende des Rennens. McLaren wollte P11 aber nicht riskieren.
Vorschau Baku
Weil wir die Woche hier etwas voll gepackt in Sachen Le Mans sind, gibt es keine Extra-Vorschau für das Rennen in Baku. Die Strecke kann man sich in diesem Video schon mal schauen:
Es ist ein typischer Stadtkurs, aber eher so, wie man ihn von der IndyCar kennt. Viele 90 Grad-Kurven, kurze Geraden, die zu kurz sind, um zu überholen. Überhaupt: überholen. Damit sieht es schlecht aus in Baku, jedenfalls auf den ersten Blick. Wenn man sieht, wie lange Rosberg benötigt hat, um an Fahrern wie Hülkenberg auf der ellenlangen Gerade von Kanada vorbeizukommen, kann man ahnen, wie schwer das in Baku wird. Einzig die lange Start-Ziel-Gerade scheint sich dafür zu eignen.
Pirelli bringt Supersoft, Soft und Medium in das aber mit 30 Grad eher heiße Aserbaidschan. Ob das zwei Stopps werden oder eher nur einer, ist ohne Kenntnisse des Asphalts schwer zu sagen. Das wird sich vermutlich auch erst Freitag rausstellen.
Die Strecke ist im Kalender ziemlich einzigartig, von daher fehlt ein ordentlicher Vergleich. Wenn man Singapur nimmt, dann müsste Ferrari mit den Supersoft und den hohen Temperaturen ein Siegkandidat sein.
Bilder: Daimler AG, Ferrari, Red Bull Mediahouse, Force India, McLaren F1, Sauber F1, Renault Sport, HaasF1, Williams F1
1 Kommentare
Doch, natürlich hatte Hamilton „Anlass“ (wenn man es so sehen will) – nämlich die interne Weisung, sich gegenseitig Luft zum Atmen zu lassen und schon garnicht miteinander zu kollidieren. „Nicht ungewöhnlich hart“ wäre das Manöver nur, wären die beiden keine Teammates mit entsprechenden Vorfällen in der Vergangenheit und daraus resultierenden entsprechenden Vorgaben am Start. Aber dass das bei Hamilton nicht so eng gesehen wird und er bei so manchen Sachen Narrenfreiheit im Team hat ist ja nichts neues. Hamilton being Hamilton. Nicht zum ersten und auch nicht zum zweiten mal. Und Hamilton weiss das auch ganz genau, das mit dem „oh weh, ich hatte ja so Untersteuern“ kann er seiner Grossmutter erzählen. Wer nicht härter als angeordnet reinhält und spät bremst, der untersteuert auch nicht. Übrigens hatte Rosberg sehr wohl sein Vorderrad vorne, Hamilton lag in der Anfahrt zu Turn 1 auf P3. Erst als er hart reingebremst und sich „angelehnt“ hat waren sie wieder gleichauf.
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