Der Hype um das werksseitige Comeback von Ford in der GTE-Pro-Klasse war gewaltig, und auch ich habe mich auf die Rückkehr an die Sarthe mit dem neuen Ford GT – 50 Jahre nach dem ersten Sieg eines GT40 – gefreut. Doch was in den Wochen seit dem Testtag geschehen ist, wirft ein sehr schlechtes Licht auf die 24 Stunden von Le Mans, das Endurance Committee aus ACO und FIA – und auch auf Ford. Einiger Probleme war man sich (auch als Fan) schon im Vorfeld bewusst, doch die Vorgänge der letzten Tage werden – und müssen – Diskussionen um den Rennsport in der GTE-Pro hervorrufen. Dies lässt die tolle Leistung der Ford-Ingenieure sowie der Mechaniker und der Fahrer, drei von vier Autos ins Ziel gebracht zu haben, leider ins Hintertreffen geraten.
Dass Ford bei den bisherigen WEC-Läufen in Silverstone und Spa nicht seine volle Leistungsfähigkeit zeigen würde, war jedem Beobachter klar. Dass man auch beim Testtag in Le Mans Anfang Juni noch nicht voll aufdrehen würde, konnte man sich ebenfalls denken. Dies gilt im Großen und Ganzen für das gesamte GTE-Pro-Starterfeld, wenn auch in unterschiedlicher Intensität. Der Grund dafür ist die „Balance of Performance“, kurze BoP. Dieses Instrument ist bei Rennen mit modifizierten Straßenwagen, wie es die GTE-Boliden im weitesten Sinne noch sind, notwendig, da es nun eben inhärente Nachteile von bestimmten Serienauto-Konfigurationen gibt, die sich bei dem Umbau zum Rennwagen unter Beibehaltung des Grundkonzepts (wie es das GTE-Reglement vorschreibt) nicht wettmachen lassen, beispielsweise die Platzierung des Motors im Auto.
(Un-)Balance of Performance
Die Balance of Performance wird im sportlichen Reglement ohne nähere Definition des eigentlichen Ziels in die Hände des Endurance Commitee gelegt; im technischen Reglement wird diesem Komitee – ebenfalls ohne Definition eines Ziels – freies und unanzweifelbares Ermessen eingeräumt (“These changes are not subject to protest or appeal and are at the absolute discretion of the Endurance Committee.”). Die Ermittlung der „richtigen“ Balance wird laut Reglement auf Basis des Durchschnitts der 20 schnellsten Runden eines Rennens vorgenommen; gleichzeitig kann das Endurance Committee aber auch auf Daten vom Testtag sowie aus den Quali-Sessions zugreifen. Insgesamt ist das Ganze ein sehr undurchsichtiger Prozess, dessen Ergebnis als technisches Bulletin veröffentlicht wird.
Ein solches technisches Bulletin gab es zunächst vor dem Testtag am 01.06. (Nr. 17) und dann nach dem Testtag am 09.06. (Nr. 21). Auf Basis der Test-Performance musste Porsche 5 kg Ballast zuladen, Ford durfte 5 kg ausladen, Aston Martin gar 10 kg. Corvette und Aston Martin bekamen zudem größere Luftmengenbegrenzer zugesprochen. Der Tank der Ferraris musste verkleinert werden, die der Fords und Aston Martins durften um einige Liter wachsen. Diese Anpassungen – die den Ford GT besser stellen als zuvor – kamen überraschend für Beobachter wie auch für die anderen GTE-Pro-Teilnehmer.
Weniger überraschend war die Performance der Fords und Ferraris an den Trainingstagen: Die beiden Marken fuhren in einer eigenen Liga, zwischen zwei und 3,5 Sekunden schneller als die nächstbesten Verfolger, Porsche und Aston Martin. Die Corvettes waren mindestens eine weitere Sekunde zurück. Wenn es das Ziel der Balance of Performance ist, die so unterschiedlichen Autos in ein gewisses Performance-Fenster zu bringen, in dem alle eine Chance haben, um die Podiumsplätze mitzufahren, hatte das Endurance Committee versagt, vor allem weil man die Fords nach dem Testtag noch schneller gemacht hat, als der verkappte Prototyp, zu dem es noch gar kein Serienauto gibt, ohnehin schon ist.
Große Diskussionen gab es am Donnerstag, als der Fahrbetrieb wetterbedingt gering war: Porsche reagierte mit Galgenhumor („Rückstand mit dem Kalender messen“), Corvette-Tecmchef Doug Fehan war einfach nur stinksauer (wobei auch ihm von einigen unterstellt wurde, selbst in der Quali noch zu mauern). ACO und FIA sahen sich zu einer weiteren BoP-Anpassung veranlasst, am Freitag vor dem Rennen erschien das Bulletin Nr. 26: 10 kg Zusatzgewicht für Ford, 15 kg mehr für Ferrari, weniger Ladedruck für beide – und 5 kg mehr für Porsche, die eigentlich auf einem Niveau mit Aston Martin lagen. Die Briten jedoch durften größere Luftmengenbegrenzer einbauen, ebenso Corvette: Dort hatte man jedoch keine in der passenden Größe mitgebracht und musste diese erst anfertigen. Auch dies unterstreicht den Irrsinn der späten Änderung. Zu den Änderungen der Tankgrößen lieferte man wenigstens eine erklärende Anmerkung: Die Autos sollten allesamt 14 Runden-Stints fahren können, unabhängig von der Effizienz des Motors (das kann man gut finden, muss man aber nicht).
Um zu sehen, wie sich diese BoP-Anpassungen im Rennen ausgewirkt haben, lohnt sich ein Blick auf die Idealrundenzeit (das heißt die jeweils besten Sektorzeiten zu einer Runde zusammengefügt) der GTE-Pro-Fahrzeuge. In dieser Wertung liegen nach 24 Stunden Rennzeit alle vier Ford GTs an der Spitze mit Zeiten zwischen 3’50.9 und 3’51.4. Die zwei besten Ferraris kommen auf 3’51.7. Aston Martin und Porsche sowie die bessere der beiden Corvettes liegen bei 3’52.8 bis 3’53.3, also innerhalb einer halben Sekunde. Nur der Proton-Porsche und die zweite Corvette fallen weiter nach hinten ab. Die schnellste Rennrunde fuhr Scott Dixon in einem Ford GT mit 3’51.514. Die Fords waren immer noch die schnellsten Autos, aber durch die letzten BoP-Änderung hatte man sie halbwegs (oder halbherzig, je nachdem, wie man es betrachten möchte) eingefangen.
Porsche führt auf nasser Strecke
Es war nie der Speed gewesen, an dem man bei Ford gezweifelt hatte. Der neue GT wurde ohne ein Straßenauto als Basis entwickelt und ist damit de facto ein Prototyp. Die Aerodynamik ist optimiert und das Gewicht reduziert, sodass Ballast günstiger verteilt werden kann. Es bedurfte einer Ausnahmegenehmigung seitens FIA und ACO, um ohne Serienexemplare an den Start gehen zu können, aber im Sinne der historischen Bedeutung und des Prestiges eines großen Werksteams erteilt man die gern (was soweit auch nachvollziehbar ist). Doch an der Haltbarkeit des Ford GT wurde nach Defekten in allen bisher bestrittenen Rennläufen (allen voran bei den 24h von Daytona Ende Januar) massiv gezweifelt. Die Zweifler durften sich gleich am Start bestätigt fühlen: Der Ford #67 fuhr nicht aufs Grid, sondern blieb mit Getriebeproblemen in der Garage, während der Rest des Feldes hinter dem Safety Car auf nasser Strecke das Rennen aufnahm: 22 Runden Rückstand sammelte dieses Auto in den ersten drei Rennstunden an und hatte damit die „rote Laterne“ inne.
Vorn dagegen konnte Porsche mit seinem Heckmotor und entsprechend guter Traktion – wie erwartet – auf nasser Strecke auftrumpfen. Zunächst eroberte die #91 von Pilet, Estre und Tandy die Führung vom auf Klassen-Pole gestarteten Ford, dann übernahm die #92 von Makowiecki, Bamber und Bergmeister. Doch auf abtrocknender Strecke konnten die Mittelmotor-Boliden von Ford (und auch die von Ferrari) ihre Stärken besser und besser ausspielen. Die beiden Fords der US-Truppe von Chip Ganassi (#68 und #69) kamen dabei deutlich besser voran als die UK-Schwesterautos: Die #67 stand ohnehin in dieser Phase meist an der Box und die #66 konnte sich zwar in der Spitzengruppe halten, aber nie die Führung erobern.
Schon nach vier, fünf Stunden war klar, dass das Rennen in der GTE-Pro auf das Duell Ford vs. Ferrari hinauslaufen würde – ganz wie in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre. Die Frage war, wie sich die Zuverlässigkeit der Ford GTs über die Distanz darstellen würde. Überraschend war in dieser frühen Rennphase jedoch vor allem, welcher der drei in der Klasse gemeldeten Ferraris sich als härtester Ford-Gegner herauskristallisierte: Nicht etwa das italienische Quasi-Werksteam von AF Corse, sondern der Ferrari 488 von Risi Competizione aus den USA war erster Verfolger – und zeitweise sogar Führender! James Calado beschädigte den Ferrari #51 beim zu heftigen Überfahren eines Kerbs auf dem Weg zur Box und die #71 von Rigon, Bird und Bertolini konnte weder die Pace der Fords mitgehen, noch kam sie problemlos durchs Rennen.
Am Sonntagmorgen waren beide AF Corse-488 als Ausfälle gemeldet, der #51 hatte – wie in Spa! – ein Motorschaden den Rest gegeben, die #71 setzte Davide Rigon nach einem Problem mit einer Felge in den Kies. Noch früher als Ausfälle gemeldet wurden die beiden von Manthey betreuten Werks-Porsches: Die #91 erlitt ebenfalls einen Motorschaden aufgrund eines beschädigten Kühlers, die #92 hatte gravierende Probleme mit Servolenkung und Radaufhängung. Ein enttäuschendes Ergebnis für diese beiden Teams.
Risi gegen die Ford-Armada
Somit jagte einzig der Risi-Ferrari mit Tino Vilander, Giancarlo Fisichella und Matteo Malucelli die Fords – oder besser gesagt, den Ford, denn die #68 von Joey Hand, Sebastien Bourdais und Dirk Müller war der stärkste der drei verblieben Fords. Mit vielen 3‘54er-Runden in der Nacht konnte sich Dirk Müller im Ford in der ersten Hälfte der Nacht leicht vom Ferrari absetzen, in dem Toni Vilander eher im 3‘55er-Bereich unterwegs war, wenn nicht Überrundungsverkehr (oder zu überrundender Verkehr) dazwischen kam. Zudem konnte der Ford mehr schnellere Runde – bis in die 3‘51er – verbuchen als der Ferrari. Den bei den schweren GTE-Boliden nötigen Bremsscheibenwechsel absolvierte der Ford #68 bereits gegen 1 Uhr nachts während einer Safety Car-Phase, Ferrari gegen 5 Uhr morgens.
In der zweiten Hälfte der Nacht übernahmen erst Matteo Malucelli, dann Giancarlo Fisichella und erhöhten die Schlagzahl im Risi-Ferrari: Der fuhr Zeiten im 3’53 und 3’54-Bereich, während Joey Hand eher Zeiten von 3’55 fuhr. Aufgrund unterschiedlicher Stopp-Rhythmen wechselte die Führung in der ganzen Nacht immer wieder für unterschiedliche Zeiträume, teils waren beide Autos für einige Runden sehr dicht beieinander. Um 6 Uhr morgens konnte Toni Vilander die Führung erneut zurückerobern, als Sebastien Bourdais den Ford zum Nachtanken an die Box brachte. Bis 10 Uhr morgens konnte Risi die Klassenspitze durchgehend halten – wenn auch nicht mit großem Vorsprung –, doch dann unterlief Toni Vilander ein Missgeschick: Er drehte sich, als er beim Anbremsen der Corvette-Kurve (Ausgang der Porsche-Kurven) ein Loch am Ansatz der Kerbs erwischte, und legte eine Pirouette durch den Kies hin.
Neben dem Zeitverlust warf dies auch die Strategie für Risi durcheinander, denn Vilander steuerte sofort die nahe Boxengasse an. Ford #68 übernahm die Führung – nachdem auch dieser gestoppt hatte, betrug der Vorsprung eine gute halbe Minute. Es sollte der letzte Führungswechsel in der GTE-Pro-Kategorie bleiben, denn den gewonnenen Vorsprung gab das Trio auf der #68 nicht mehr her. Giancarlo Fisichella machte Jagd auf den Ford, doch seine 3‘53er-Zeiten waren den 3‘52er-Runden von Ford-Schlussfahrer Dirk Müller nicht gewachsen und so siegte der Ford GT #68 von Chip Ganassi Racing USA am Ende mit etwa einer Minute Vorsprung auf den Risi-Ferrari. Es war ein hartes Duell und sportlich den Schlachten dieser beiden Werke in den 1960er Jahren ebenbürtig – zumindest diese beiden Fahrzeuge hatte die Balance of Performance recht gut ausbalanciert.
Doch eine Sache verdarb den Spaß an diesem sonst guten GT-Rennen endgültig: 20 Minuten vor Schluss informierte die Rennleitung das Risi-Team, der Ferrari habe sich zur Reparatur in der Box einzufinden. Die Leader Lights (die drei Leuchtpunkte an den Fahrzeugseiten, die eine Position auf dem Podium anzeigen) funktionierten nicht korrekt und – und das ist das Traurige an der Sache – Ford hatte Protest eingelegt. Es bleibt unklar, ob man in Dearborn (oder in einer der Ford-Boxen in Le Mans) so dringend das Podium komplett für sich wollte, oder ob es einen anderen Hintergrund gibt, doch aus sportlicher Sicht zeigte sich Ford damit beim Comeback als sehr schlechter Gewinner. Es ist korrekt, dass die Leader Lights laut Reglement funktionieren müssen, aber in der Regel wird dies von der Rennleitung locker gehandhabt; selbst in diesem Rennen wurde beispielsweise ein LMP1-Porsche mit diesem Problem nicht bestraft. Ich selbst war schon einige Male bei WEC-Rennen, wo einzelne Fahrzeuge mit nicht oder nur teilweise funktionierenden Leader Lights unbestraft durchfuhren.
Eine Strafe zum Verzweifeln
Fisichella blieb selbstverständlich der Box fern, aus der „Spiegelei“-Flagge wurde eine Stop & Go-Strafe fürs Verweigern, auch diese wurde nicht abgesessen: Fisichella fuhr als Zweiter durchs Ziel. Noch vor der Podiumszeremonie begannen die Diskussionen, doch die Risi-Crew durfte das Podium besteigen – und die Trophäe auch im Nachhinein behalten. 20 Sekunden Zeit- und 5000 Euro Geldstrafe wurden Risi aufgebrummt, was nichts am Ergebnis ändert. Doch auch der siegreiche Ford wurde bestraft: Risi hatte Prostest eingelegt (wann genau, ist unklar), weil die #68 in einer Slow Zone zu schnell gewesen sein: Hierfür gab es 50 Sekunden Strafe, für einen fehlerhaften Sensor weitere 20. Als offizieller Abstand im Ziel stehen somit 10,200 Sekunden in den Geschichtsbüchern.
Dritter wurde der Ford GT #69 mit Ryan Briscoe, Richard Westbrook und Scott Dixon, der bei seinem Le Mans-Debüt mit 3’51.514 die schnellste GTE-Rennrunde fuhr. Durch die Strafen für die beiden Spitzenreiter steht er mit nur 14 Sekunden Rückstand auf den Sieger im Klassement. Der vom UK-Team eingesetzte Ford #66 (Pla / Mücke / Johnson) wurde Vierter mit einer Runde Rückstand. Beste der zweiten Garde waren Aston Martin Racing, deren V8 Vantages (zwar mit Update, aber im Vergleich zu Ford GT und Ferrari 488 ziemlich altbacken) zwar ohne größere Probleme durchhielten, aber die Pace nicht mitgehen konnten. Dahinter kam die Corvette #93 ins Ziel, nachdem Tommy Milner im Schwesterauto am Morgen einen recht heftigen Unfall gehabt hatte, als ihm das Auto ausgangs des Dunlop-Bogens ausbrach.
Wie eingangs gesagt, ist es eine grandiose Leistung des Ford-Teams, den GT innerhalb weniger Monate so standfest zu machen, dass drei von vier Autos ein hart umkämpftes 24 Stunden-Rennen ohne nennenswerte Probleme überstehen. Es ist traurig, dass dies inmitten einer Schlammschlacht um Balance of Performance-Einstufungen, Proteste und Strafen geschehen musste, über die noch viel zu reden sein wird. Mit Änderungen der BoP bis kurz vor Rennstart kann die Klasse langfristig nicht stabil gehalten werden; irgendjemand wird immer zwangsläufig unglücklich sein (zu Recht oder auch nicht), das „Sandbaggen“ beziehungsweise Mauern wird zunehmen und die Organisatoren werden erpressbar, wie Aston Martin bereits im Vorjahr bewies, als man mit dem Zurückziehen eines Autos der Forderung nach einer BoP-Änderung Nachdruck verlieh – mit Erfolg, wohlgemerkt!
Die GTE-Pro kann wunderbaren Rennsport liefern, wie auch das Duell zwischen Ford und Ferrari zeigte – vor 50 Jahren wurden übrigens beide Fahrzeuge als Prototypen gewertet, auch der Ford GT, was auch heute seiner Bauart nahekommt. Was das technische Reglement anbelangt, werden ACO und FIA viel politisches Geschick beweisen müssen, um die Klasse zusammen- und die Qualität des Rennsport hochzuhalten. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass noch ein Protest gehen Ford im Raum steht, die vom ACO vorgegebene Marke unterschritten zu haben, dass die GTE-Fahrzeuge sieben Prozent (bezogen auf die Rundenzeit) langsamer sein sollen als die LMP2-Boliden. Doch dies kann man nun wahrlich nicht Ford anlasten, die nun einmal so schnell fahren, wie ihre Fahrzeuge es zulassen – wenn es hier ein Problem geben sollte, ist dies höchstens ein Fehler des Endurance Committee, das den Ford durch seine Einstufung zu schnell hat sein lassen. Wir werden sehen…
(Bilder: WEC Media)