„The ideal racecar will expire 100 yards past the finish line.“ Dieser sinngemäße berühmte Spruch von Sterling Moss wäre heuer in Le Mans fast Wirklichkeit geworden
Besonders trifft dies auf den Toyota mit der #5 zu. Ab dem frühen Morgen konnte man mehr oder weniger den knappen Vorsprung halten und aufgrund der überragenden Stints von Buemi und Davidson sogar leicht ausbauen. Gerade als der #2 Porsche aufgrund eines schleichenden Plattfußes einen zusätzlichen Stopp einlegen musste und der Vorsprung auf 1,5 Minuten anwuchs, schien der Käse eigentlich gegessen, aber es trat eine zweite Weisheit ein, welche gerade Toyota schon teils mehrfach am eigenen Leib erfahren musste: „You cannot win Le Mans, Le Mans chooses its winners“. Was folgte, steht schon jetzt in den Geschichtsbüchern: Kazuki Nakajima verlor auf der Stelle Leistung, bis das Auto vor der Toyota-Box auf der Start- und Ziel-Geraden stehen blieb. Die brennende Frage lautet natürlich: Was ist passiert und hätte das ganze verhindert werden können?
Die Antwort ist gerade bei der zweiten Frage relativ simpel: wohl kaum. Toyota setzt auf einen 2,4l V6 Biturbo. Das heißt, dass die Lader seitlich des Motorblocks liegen. Nachdem die Luft durch die Verdichterseite der Lader komprimiert wird, hat sie eine deutlich höhere Temperatur. Dies ist im Verbrennungsprozess aber absolut unerwünscht, denn zum einen ist bei einer kälteren Luftzufuhr der thermische Wirkungsgrad höher (was die Leistung direkt erhöht), zum anderen ist die Klopfneigung geringer. Beides sind wichtige Faktoren bei einem Rennmotor, noch mehr in Le Mans. Dadurch wird die Luft danach in den Ladeluftkühler geführt, wo sie unter gleichem Druck auf eine möglichst geringe Temperatur abgekühlt wird und anschließen dem Brennraum zugeführt wird. Diese Verbindung besteht bei solchen Rennmotoren in der Regel aus Carbon, um das Gewicht zu reduzieren und aufgrund der gestalterischen Freiheiten eine möglichst optimale Geometrie dafür erzielen zu können.
Beim Toyota ist genau dieses Verbindungsrohr gebrochen. Carbon hat kaum die Eigenschaft, sich zu verformen, bevor es bricht oder reißt. Wenn die Belastung zu hoch ist, fangen die Fasern an zu brechen und das Bauteil kann in der Regel seine Funktion nicht mehr aufrecht erhalten. Dies ist beim Toyota mit katastrophalen Folgen passiert: Durch den Bruch wurde der Motor zumindest von einem Lader nicht mehr mit gekühlter Ladeluft versorgt, sondern konnte maximal nur noch mit Normaldruck versorgt werden.
Die grundsätzliche Frage ist hier, ob man seitens Toyota auf einen zentralen Ladeluftkühler setzt oder jeder Lader seinen eigenen besitzt. Auf jeden Fall kann somit unter anderem der Verbrennungsprozess nicht mehr wie ausgelegt durchgeführt werden. Ein Zusetzen des Zylinderkopfes, der Ventile, der Einspritzung und der Zündkerze kann hier die Folge sein. Zusätzlich funktioniert der Gasaustausch nicht mehr wie vorgesehen und auch der Turbolader wird nicht mehr mit den ausgelegten Parametern betrieben, da der Verbrennungsprozess nun kurzfristig unter viel niedrigeren Temperaturen stattfindet als ausgelegt. Dies ist schon bei normalen Motoren ein Problem. Bei Rennmotoren wie sie in Le Mans aufgrund des Regelwerkes notwendig sind, ist dies noch ein viel größeres Problem, denn diese werden noch mehr in Richtung thermische Effizienz (möglichst hoher Mitteldruck, bei möglichst hohem Luftüberschuss und somit benötigter geringer Lufttemperatur, Gasaustausch) ausgelegt. Die Konsequenz ist relativ einfach: Man verliert relativ schnell Leistung, da schrittweise die anderen Komponenten eingehen. Dies trifft eben die Ventile, Zündkerze, Einspritzung (es fehlt auf einmal zu viel Luft), Zylinderkopf und Kolben.
Das fiese an diesem Defekt war / ist: Man kann ihn nicht kommen sehen. Der Bruch tritt sehr abrupt auf, da es aufgrund der schon beschriebenen Eigenschaften von CFK keine Materialermüdungserscheinungen gibt. Der erste Sensor, der dies registrieren kann, ist der Ladedrucksensor, weil auf einmal der Ladedruck abfällt, was aber in diesem Moment schon zu spät ist. Der Ladedrucksensor wird in jenem Moment den Defekt angekündigt haben, als Kazuki Nakajima keine Leistung mehr zur Verfügung hatte. Auch ist dies ein Teil, welches bislang nie kaputt gegangen ist, und es sind im allgemeinen auch keine Motorschäden bekannt, welche auf einen Bruch des Verbindungsrohres zwischen Turbo und Ladeluftkühler zurückzuführen sind.
Die andere Frage ist: Hätte Toyota anders reagieren können? Die Antwort darauf fällt leider relativ ernüchternd aus: Nein, hätten sie nicht. Zum einen besagt das Reglement, dass man die letzte Runde innerhalb von sechs Minuten absolvieren muss, zum anderen darf man nicht vor der Ziellinie warten, bis der Sieger abgewunken wird und dann selber drüber rollen. Zu diesem Zeitpunkt waren noch circa fünf Minuten auf der Uhr: Bei einem Abwarten vor der Linie hätte man beide Regeln gleichzeitig gebrochen, was einen Wertungsausschluss zur Folge gehabt hätte. Die andere Variante hätte die Einfahrt in die Box dargestellt, aber da man hier trotzdem die 6-Minuten Regel gebrochen hätte, wäre auch hier der Wertungsausschluss die Folge gewesen.
Die Frage, welche viele noch interessiert, lautet nun: Wie konnte es dazu kommen? Der Defekt kann durch kleine Schläge beim Überfahren der Randsteine, einen kleinen Fehler bei der Herstellung (kleine unentdeckte Delaminationen) oder Vibrationen aufgetreten sein. Letzteres halte ich für unwahrscheinlich, weshalb ich davon ausgehe, dass eine der ersten beiden Möglichkeiten am wahrscheinlichsten ist.
Man kann abschließend sagen, dass dies ein typischer fieser Le Mans-Defekt war, welcher so noch nie aufgetreten ist und womöglich auch nie mehr bei Toyota auftreten wird. Umso ärgerlicher wird dieser Defekt, da er Toyota im 18. Anlauf den sicher geglaubten Sieg zunichte gemacht hat.
2 Kommentare
Wenn der Toyota zur Reparatur gekommen wäre, hätte er wieder rausfahren müssen bevor die #2 über die Ziellinie gefahren wäre. Da man eine ganze Runde am Ende absolvieren muss, ansonsten folgt auch ein Wertungsausschluss.
Passiert ist das Porsche 2014 (Ich zitiere den Artikel von Don http://www.racingblog.de/2014/06/16/wec-analyse-24h-von-le-mans-audi-haelt-durch/):
„Zwar hatte Porsche die #14 auf eine letzte Runde geschickt, aber halt auf keine ganze nach der Reparatur. Man hätte die #14 raussenden müssen, bevor die Audi die letzte Runden einläuteten.“
Ich bin aber gerade am überlegen ob der Toyota nicht auch die letzte Runde begonnen hätte wenn er die Start-/Ziellinie in der Boxengasse überfahren hätte. Die Runde wäre dann ja ebenfalls nicht komplett gewesen.
Der Porsche wurde 2014 doch gewertet.
Im Blog von Paul Truswell (http://trussers.blogspot.de/2016/06/i-have-spent-much-of-last-two-weeks.html) wird das noch etwas genauer erklärt, hier nur kurz der Absatz zum Porsche:
„Maybe so, but only two years ago (when there was indeed a World Endurance Championship to be fought over and points to be won and lost), there was a little bit of trouble and fuss when the Porsche driven by Romain Dumas, Neel Jani and Marc Lieb (remember them?) completed the final lap of the race in 1h 26m 09.430s and yet somehow that counted as force majeure and their fourth place in the LMP1-H class enabled them to score 24 points in the championship.“
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