Die 24 Stunden von Le Mans sind noch bei allen in Erinnerung, dennoch sind seid diesem Rennen bereits wieder sechs Wochen vergangen – Zeit für eine Revanche, denn einige Teams haben noch offene Rechnungen die beglichen werden wollen.
Die erste Gelegenheit dazu bietet sich nun am Nürburgring. Nachdem man bereits im letzten Jahr Ende August das erste Rennen nach Le Mans dort austrug, entschied man sich, endlich die ewig lange Sommerpause zu verkürzen und das Rennen in den Juli zu verlegen. Eine absolut richtige Entscheidung, denn das Rennen war letztes Jahr nach Le Mans das am zweitbesten besuchte überhaupt. Zudem kann man nun endlich etwas Schwung aus Le Mans mitnehmen und gerät nicht 2,5 Monate lang in Vergessenheit wie die Jahre zuvor. Die größte Rechnung hat natürlich in der LMP1 die Mannschaft aus Köln Marsdorf noch offen, und offen gesagt: Nach diesem Drama kann wohl nur der Sieg nächstes Jahr an der Sarthe die Wunden heilen. An der Sarthe hat Toyota gezeigt, dass der TS050 gerade auf sehr schnellen Strecken mit hohem Vollgasanteil sehr gut funktioniert. Der Nürburgring stellt aber eine komplett andere Strecke als Spa oder Le Mans dar. Im ersten Sektor dominiert das enge Infield mit Kurven, welche im ersten bis dritten Gang gefahren werden. Im zweiten Sektor hat man dann etwas schnellere Kurven mit der Ford-Kurve, aber auch der langsameren Dunlop-Kehre, bevor die ersten schnelleren Kurven folgen. Grundsätzlich hat man hier also deutlich mehr langsame und mittelschnelle Kurven als bislang in der Saison, denn auch Silverstone war deutlich schneller.
Insofern bin ich mir nicht ganz so sicher, ob der Toyota auch hier auf Augenhöhe mit Porsche und Audi agieren kann, da er von der grundsätzlichen Aero auf Le Mans ausgerichtet wurde. Dazu kommt, dass man in Silverstone und Spa auch nur mit 300 kW geboostet hat, also der erlaubten Boost-Leistung für Le Mans. Dieses Limit greift auf allen anderen Strecken, am Ring aber nicht. Der Toyota wurde grundsätzlich, was das Batteriepaket (denn hier ist die Energiedichte also kw/kg der limitierende Faktor) und die Leistungselektronik angeht, für diese 300 kW Leistung ausgelegt.
Will man für den Nürburgring aber konkurrenzfähig sein, muss das System auch in der Lage sein circa 450kW+ abzugeben, wie es Audi und Porsche können. Leider habe ich bislang keine Bilder vom neuen Aero-Paket erhalten, daher kann ich nicht beurteilen, ob man mit der Variante von Spa und Silverstone antritt oder ob man das dritte erlaubte Paket schnürt, um noch mehr Abtrieb zu generieren. Denn aufgrund der vielen langsamen und mittelschnellen Kurven verlangt der Nürburgring nach relativ viel Abtrieb. Das Streckenlayout ist zur F1 identisch, in der letzten Schiakne fährt man im Gegensatz zu letztem Jahr die langsame Variante, welche 3 Sekunden pro Runde langsamer ist. In Sachen EoT hat sich bei den 8 MJ Benzinern nichts getan, dafür aber beim 6 MJ Diesel von Audi.
Bislang konnte man sehen, dass Audi mit dem intern RP6 genannten R18 ein zwar stellenweise sehr schnelles Auto gebaut hat, dieses aber auch sehr schwer abzustimmen ist und auch in Le Mans noch mit diversen Krankheiten zu kämpfen hatte (gebrochenes Luftventil 2x, Pickup, sowie ein absolut untypischer Turboladerschaden). Grundsätzlich sollte das Auto nun in der Lage sein, die sechs Stunden ohne Probleme durchfahren zu können. In Le Mans hatte man auch keine Probleme mehr mit dem Hybridsystem sowie mit dem Fahrwerk bezüglich Zuverlässigkeit. Wo man noch Probleme hatte, war die Abstimmung, jedoch sollten diese sechs Wochen auch dafür gesorgt haben, dass man hier nun besser arbeiten kann.
Dazu kommt eine kleine Änderung der EoT: Man darf den Tank um 0,2 l vergrößern, während der maximal erlaubte Durchfluss um 0,3 kg auf 71,1 verringert wurde. Dies bedeutet zwar einen Leistungsverlust von etwa 2,5 PS, erhöht aber auch die Reichweite, sodass man nun auf dem Niveau von Porsche und Toyota liegt, sprich: am Nürburgring bei 33 Runden-Stints. Die grundsätzliche Frage lautet aber, in wie weit sowohl die beiden Benzinermannschaften als auch Audi ihre Tanks leerfahren können. In Le Mans konnte man sehen, dass Toyota den Tank weiter runter fahren konnte, von daher wäre es nicht verwunderlich, sollte Toyota in der Lage sein eine Runde länger draußen bleiben zu können. Diese längeren Stints würden übers Rennen gerechnet aber kaum einen Vorteil bringen, da man sich damit unter normalen Bedingungen keinen Stopp sparen kann. Ein Pluspunkt des Toyotoas könnte noch der Reifenverschleiß sein, sollte es besonders heiß werden, denn hier war man in Spa im leichten Vorteil gegenüber den Konkurrenten.
Auch bei Audi habe ich leider noch keine Bilder zur gewählten Aero-Konfiguration gefunden, welche man nun für den Nürburgring an den Start bringt, wobei ich mir vorstellen kann, dass man hier auf die Variante aus Silverstone zurückgreift. Diese hat dort schon sehr gut funktioniert, obwohl sie fast zu viel Abtrieb erzeugte. Dagegen wird sich in Sachen Fahrer etwas verändern: Die #8 wird weiterhin von Lucas Di Grassi / Oliver Jarvis und Loic Duval pilotiert, während die #7 nur von Andre Lotterer und Marcel Fässler gesteuert wird. Benoit Treluyer fehlt auf dem Auto, denn dieser hat sich beim Mountainbiken verletzt, was einen Einsatz hier unmöglich macht. Nichtsdestotrotz sehe ich den Audi aber als leichten Favoriten auf den Sieg, da die Aero des R18 gerade auf den Tilke-Strecken recht gut funktionieren sollte.
Der dritte Hersteller im Bunde braucht keine großen Ankündigungen mehr, denn immerhin handelt es sich bei Porsche um den Sieger des letzten WEC-Rennens am Nürburgring sowie um den Sieger der 24 Stunden von Le Mans. Auch heuer wird man normal wieder ein Wort um den Sieg mitreden und dafür hat man das dritte erlaubte Aero-Paket an den Start gebracht. Dies fällt unter anderem wieder durch zurückversetzte und rundere Radhäuser auf, dazu kommt ein größerer Flap vorne, welcher auch stärker eingeschnitten wurde. Das Ziel hierbei ist, einen größeren Vortex zu erzeugen, welcher dann im Bereich des Unterbodens für mehr Abtrieb sorgt. Von der Rückseite des Autos hat man bislang relativ wenig gesehen, aber hier wird man unter anderem einen höheren Gurney erwarten dürfen. Bei den Fahrern hat sich auch hier nichts getan und die Unterschiede zwischen der #1 und #2, anfangs der Saison bedingt durch ein defektes Chassis bei der #2, sollten ausgeräumt sein, wodurch die beiden Crews auf Augenhöhe liegen sollten.
Unterm Strich sollte das Rennen in der LMP1-H sehr eng werden. Toyota könnte leichte Vorteile beim Reifen und Spritverbrauch haben, welche sich aber hier nicht so stark auswirken sollten, da es unter normalen Bedingungen ein Rennen mit sechs Boxenstopps werden dürfte, wobei bei einem Stopp die Reifen nicht gewechselt werden können aufgrund des Reifenlimits für die Quali und das Rennen. Ein Stretchen der Stints könnte sich nur gegen Ende lohnen, wenn eine SC-Phase passend fällt oder Regen ins Spiel kommt. Unterm Strich sehe ich daher bei normalen Verhältnissen den Audi etwas vorne, denn der R18 sollte einen leichten Vorteil in Sachen Speed haben.
In der LMP2 wird es wohl wieder einen engen Kampf um den Sieg zwischen dem G-Dirve Oreca, dem Signatech Oreca, dem RGR Sport Alpine und eventuell dem ESM-Ligier mit der #31 geben. Warum ich die #31 hier unter eventuell aufgeführt habe, hat einen einfachen, aber tiefgreifenden Grund. Bislang fuhr man in der LMP2 auf Dunlop-Reifen, welche sich dort als das Maß der Dinge erwiesen haben. Seitens Michelin wollte man aber Dunlop das Feld nicht komplett überlassen und entschied sich daher für eine Partnerschaft mit ESM, welche somit wieder und 2016 als einzige Mannschaft mit Michelin-Reifen an den Start gehen. Diesen Faktor kann man aber nur sehr schwer einschätzen, da mir nicht bekannt ist, wie groß die Fortschritte seitens Michelin in der LMP2 waren. Daher ist davon auszugehen dass die Dunlop-bereiften LMP2 einen kleinen Vorteil haben könnten.
Fahrerisch schätze ich den G-Drive Oreca mit Rene Rast, Roman Rusinov und Alex Brundle (welcher neu hinzugekommen ist) als den stärksten Wagen ein. Rene Rast hat sich bislang als schnellster LMP2-Fahrer herausgestellt und Roman Rusinov ist der schnellste Silberfahrer in der Klasse. Dahinter sollten sich der Signatech Alpine mit Stephane Richelmi, Gustavo Menenes und Nicolas Lapierre sowie der die beiden Orecas von Manor um die Plätze duellieren. Etwas dahinter sehe ich erst den Ligier von RGR Sports by Morand, denn der Ligier hat seine Stärken in den schnellen Kurven, von denen es am Nürburgring nicht allzu viele gibt. Auch hat letztes Jahr mit KCMG ein Oreca sehr eindrucksvoll gewonnen, wodurch ich davon ausgehe, dass die Orecas auch hier gegenüber den Ligiers die Oberhand behalten sollten.
Der Zytek von Strakka sollte keine Chance haben und bei den ESM Ligiers wird man abwarten müssen, wie sich die Michelin-Reifen schlagen, allerdings ist der Ligier eh etwas im Nachteil.
Zum Thema Vorteil und Nachteil könnte man in der folgenden Klasse nun wohl eine Doktorarbeit schreiben. Die Rede ist von der GTE-Pro. Über das, was da in Le Mans in Sachen Einstufungen gelaufen ist, haben wir bereits in einem separaten Artikel sowie im Podcast ausführlich berichtet. Für das Rennen am Nürburgring wurden im Vergleich zu Le Mans Anpassungen durchgeführt, die wie folgt aussehen:
Porsche: -10 kg | + 0,2 mm air restrictor
Ferrari: +10 | leichte Reduktion im Ladedruck
Ford: +5 kg | leichte Reduktion im Ladedruck
Aston Martin: -60 kg | gleicher air restrictor.
Stellen wir das ganze im Vergleich zur USCC dar, was Gewichte und Air Restriktoren sowie Ladedrücke angeht:
Dabei sind erstmal zwei Dinge auffällig: Die Motorleistung des Sauger im Porsche ist in der WEC im Vergleich zur USCC um circa 4,5 % geringer und die der Corvette wäre um circa 3,3 % geringer. Bei den Turbomotoren sieht es aufgrund des Ladedrucks wie folgt aus: Der F488 GTE und der Ford GT haben hier in der WEC circa 3 bis 3,8 % weniger Leistung. Also ist der Leistungsverlust im Vergleich zum Porsche, welcher eh hinterher fährt, etwas geringer. Die festgelegten Lambda-Werte seitens der WEC habe ich hier mal außen vorgelassen, denn diese tauchen bei der USCC nirgends auf. Als eigentlicher Hammer entpuppt sich dann aber das Mindestgewicht: Der Ford ist in der WEC um satte 17 kg leichter als in der USCC, während der Ferrari 25 kg schwerer unterwegs ist. Generell sind laut BoP die Fahrzeuge in der WEC etwas leichter, nur eben der Ferrari nicht. Dieser hat nach Le Mans das meiste Gewicht einladen dürfen, obwohl er nicht das schnellste Auto war. Dies war eindeutig der Ford, welcher aber nur mit 5 kg bestraft wurde. Klar war der F488 bislang das dominierende Auto in Spa und in Silverstone, allerdings wissen wir nun, dass der Ford auf dem gleichen Level hätte fahren können, dies aber nicht tat. Insofern hätte es den Ford in Sachen Gewicht genau so hart treffen müssen wie den Ferrari F488. Da es dies aber nicht tat und man bei Ford und Multimatic das Auto sicher weiterentwickelt hat, gibt es für mich in der GTE-Pro einen ganz eindeutigen Favoriten: Ford.
Dahinter sollte dann der F488 kommen. Dieser musste zwar 25 kg zuladen, aber bei den ersten zwei Rennen war man teils 1,5 Sekunden schneller als die Porsche, welche durch die Gewichtserleichterung zwar etwas näher gekommen sind, aber wohl den Ferrari noch nicht den Rang ablaufen können. Grundsätzlich sollte der Nürburgring aufgrund der vielen engen Kurven und der benötigten Traktion die Strecke sein, welche dem Porsche im weiteren Verlauf am meisten liegt, daher sehe ich den Porsche von Michael Christensen und Richard Lietz als dritte Kraft. Für 2017 ist bereits der neue 911 in der Entwicklung, denn die Schwächen des bisherigen Modells kommen immer mehr zur Geltung, und bislang war man eigentlich ohne Chance auf den Sieg, gerade weil die Turbomotoren der Konkurrenz mehr Leistung generieren können und sie aufgrund des Mittelmotors mehr Abtrieb erzeugen können.
Ein Auto, welches ich hier kaum einschätzen kann, ist der Aston Martin. Zum einen gab es mehrere Veränderungen im Line-up. So mussten Johnney Adam und Fernando Rees (welchen ich eigentlich mit als schnellsten Aston-Fahrer einschätze) die Plätze räumen und dafür fahren nun Darren Turner mit Richie Stanaway sowie Nicki Thiim mit Marco Sorensen die Autos. Dazu durfte der Aston Martin massiv Gewicht ausladen und liegt nun bei nur noch 1183 kg, bei gleichem Air Restrictor. Dazu kommen die Dunlop-Reifen. Eine Platzierung zwischen Platz 2 und 4 ist möglich, aber ich muss gestehen, dass ich mich gerade beim Aston Martin sehr schwer tue, die Veränderungen richtig einzuordnen. Von daher sollte es hinter den Ford GT einen engen Kampf um Position 2 oder 3 geben, aber vorne dürfte es normalerweise ein Doppelsieg für die Truppe von Chip Ganassi werden.
In der GTE-Am gab es auch drei kleine Veränderungen: Der Porsche durfte ein paar kg ausladen, nämlich deren 10. Der Ferrari F458 muss 5 kg zuladen und der Aston Martin bekommt einen um 0,8 mm größeren Air Restriktor zugesprochen. Grundsätzlich sollte das ganze in Verbindung mit einer Strecke, die nach viel Traktion auf der Hinterachse verlangt, daher vor allem den von Proton eingesetzten 911ern zugutekommen. Am stärksten schätze ich hier Klaus Bachler, David Heinemeier Hansson und Khaled al Qubaisi ein, welche sich wohl ein Duell mit den Aston Martin mit der #98 mit Matthias Lauda, Pedro Lamy und Paul Dalla Lana liefern werden. Eventuell können hier noch der KCMG-Porsche (welcher aber auch von Proton eingesetzt wird) und der Gulf UK Porsche ein Wort mitreden. Dagegen sollte sich der AF Corse Ferrari relativ schwer tun, ebenso wie die Corvette von Labre Competition, da dies eigentlich keine Strecke sein sollte, welche der Corvette großartig liegt.
Ich hoffe, dass ich euch von der Strecke mit Infos und vielleicht ein paar Bildern versorgen kann. Das Rennen geht am Sonntag ab 13:00 Uhr über die Dauer von sechs Stunden und ich würde mich freuen, wenn man den ein oder anderen vor Ort treffen kann.
Bilder: WEC/Adrenalin