Turbulent und voller Überraschungen war der Auftakt in die dritte Formula E-Saison am Sonntag in Hongkong. Und am Ende standen doch wieder die beiden Piloten auf den obersten Stufen des Podiums, die in der Vorsaison so verbissen bis zum letzten Rennen um den Titel gekämpft haben: Sebastien Buemi siegte vor Lucas di Grassi. Doch die Saison scheint abwechslungsreicher zu werden und nicht nur auf einen Zweikampf dieser beiden Piloten und ihrer Teams Renault e.dams und ABT Schaeffler Audi Sport hinauszulaufen…
Training & Qualifikation
Die Trainingssessions hatten noch das Bild aus den Sommer-Testfahrten bestätigt: Die beiden Renault-Teams (e.dams und Techeetah), Abt Schaeffler lagen vorn, Sam Bird im DS Virgin knapp dahinter, soweit alles wie erwartet. Doch in der Qualifikation trumpfte plötzlich das Team auf, das in der letzten Saison so dramatisch abgestürzt war: NextEV NIO hat tatsächlich die Wende hinbekommen und unter Beibehaltung des Antriebskonzeptes mit Twin-Motoren und einem Gang den Boliden konkurrenzfähig gemacht.
Die beiden NextEV-Piloten Nelson Piquet jr. und Oliver Turvey sicherten sich die erste Startreihe vor der Konkurrenz von DS Virgin: Tourenwagen-Quereinsteiger Jose Maria Lopez konnte dabei seinen Teamkollegen Sam Bird um sieben Tausendstelsekunden hinter sich lassen, auch das kam unerwartet. DS Virgin ist der Masse der Teams gefolgt und setzt in diesem Jahr ebenfalls auf einen E-Motor; NextEV ist damit das letzte Team mit der Twin-Motor-Lösung, die sich im letzten Jahr als sehr schwierig beherrschbar herausstellte, da das Gewicht des Autos am Heck sehr groß war. Die NextEV-Mannschaft bekam das im Laufe der letzten Saison mit einer neuen Hinterradaufhängung einigermaßen in den Griff, doch für dieses Jahr ist man die Probleme grundsätzlich angegangen und hat die Probleme – auch durch Gewichtsreduzierung – in den Griff bekommen.
Zu bemerken ist dennoch, dass Piquets Pole-Zeit, mit der er 35 Hundertstel vor der Konkurrenz lag, trotzdem noch mehr als sieben Zehntel langsamer war als die schnellsten Runden aus den Trainingssessions von Vergne und di Grassi, sodass das Schwächeln der Konkurrenz die Doppel-Pole für NextEV unterstützt haben dürfte. Erst in der dritten Reihe fand sich Meister Buemi wieder, der seine Quali-Runde nicht optimal erwischte. Noch schlechter erging es jedoch Lucas di Grassi, der ausgangs der Schikane (Kurven 3/4) die TecPro-Barrieren touchierte, dabei sein Auto beschädigte und in der Mauer landete. Diese Passage stellte sich früh als die unfallträchtigste der Strecke heraus; dass hier die Kerbs zwischen Training und Qualifikation umgebaut wurden, sorgte für Unmut bei einigen Piloten und mag auch zu den Problemen dort beigetragen haben.
Das Rennen
Die Strecke im Pier-Bereich des Zentraldistrikts von Hongkong funktionierte jedoch insgesamt gut: Sie bot sogar mehr als die ein bis zwei erwarteten Überholmöglichkeiten und forderte die Fahrer durch eine enge Abfolge technisch anspruchsvoller Kurven. Dass der Belag häufig wechselnd war, machte die Autos noch unruhiger und die Arbeit der Fahrer damit schwieriger. Nur am Start wurde es in den ersten beiden Kurven – in der 180°-Haarnadel und der nach der längsten Gerade folgenden 90°-Rechtskurve – enger als es einigen Fahrern lieb war.
Während Piquet und Turvey sowie ihre direkten Verfolger vorn gut weg- und durch die ersten Kurven kamen, wurde es dahinter turbulent. Harte Bremsmanöver vor den engen Kurven 1 und 2 sorgten jeweils für Stau, der sich verschlimmerte, je tiefer es ins Feld ging, und das wiederum führte zu Auffahrunfällen. Dabei verlor Daniel Abt seinen Heckflügel (nach „Spiegelei“-Flagge ab in die Box), Ma Quing Hua seine Vorderradaufhängung (ab in die Mauer) und Abts Teamkollege di Grassi, von ganz hinten gestartet, ein Stück seines neuen „spacigen“ Frontflügel; wie Abt wurde auch er von der Rennleitung per schwarz-orangener Flagge zum Nasenwechsel in die Box abkommandiert. Am TV-Bildschirm war hier zwar keine unmittelbare Gefährdung zu erkennen, doch im Gesamtbild ist es erfreulich, dass die Rennleitung strenger Zwangsreparaturen für beschädigte Fahrzeuge anordnet als in der vergangenen Saison, in der das teilweise recht lasch gehandhabt wurde.
Beide Abt-Piloten fielen weit zurück, doch di Grassi machte sich sofort an die erneute Aufholjagd, nachdem er schon vor seinem Boxenstopp einige Ränge gutgemacht hatte. Vorn verschaffte sich Piquet ein wenig Luft, während dahinter erst Sam Bird und dann Sebastien Buemi an seinem Teamkollegen Turvey vorbeigingen. Ganz schlecht erging es Lopez, der einen Platz nach dem anderen verlor; ob ihm ein Schaden (eventuell an der Aufhängung) entstanden war, als er ausgangs Kurve 1 am Start seinen Teamkollegen Bird leicht berührte, ist noch unklar.
Lopez jedenfalls löste in Rund 17 von 45 die einzige Safety Car-Phase des Rennens aus, als er in der Schikane Kurve 3/4 seinen DS Virgin-Boliden in die Barrieren setzte; unglücklicherweise fuhr der Führende, Piquet jr., direkt hinter ihm und konnte einen Crash nur verhindern, indem er die Lenkung aufmachte und selbst mit der Nase seines NextEV-Wagens leicht in die Barriere fuhr. Piquet konnte zurücksetzen und weiterfahren, doch er verlor einige Plätze – die Führung übernahm Lopez Teamkollege Bird. Für einen Moment konnte man denken, Piquet könnte hier das andere Ende einer Teamtaktik erwischt haben, die er in der Formel 1-Saison 2008 mit Renault in Singapur ausspielte. Doch es ist wohl davon auszugehen, dass Lopez im beschädigten Auto in der Schikane schlichtweg einen Fehler machte, als Piquet gerade zufällig direkt hinter ihm lag…
Einige Piloten zogen ihre Fahrzeugwechsel aufgrund der Gelbphase vor, darunter Sebastien Buemi, Oliver Turveys und Nick Heidfeld. Damit würden sie deutlich mehr als die Hälfte des Rennens im zweiten Fahrzeug absolvieren und mehr Energie sparen müssen. Doch da das Safety Car die Strecke bereits in der Runde nach diesen Boxenstopps wieder verließ und das Rennen wieder freigegeben wurde, konnten die anderen Piloten nicht mehr bei neutralisierter Strecke nachziehen und mussten bis zum ursprünglich geplanten Wechsel-Zeitpunkt weiterfahren. Sam Bird schien dennoch in aussichtsreicher Position zu liegen, doch sein Boxenstopp war das Ende aller Hoffnungen auf den Sieg: Beim Anfahren im zweiten Auto streikte die Elektronik, der Wagen bewegte sich erst nach einigen Reset-Versuchen aus der Boxengasse heraus.
Lucas di Grassi war dagegen sogar schon vor der Safety Car-Phase zum Fahrzeugwechsel gekommen und konnte durch die Neutralisation und die damit einhergehende Zusammenführung des Feldes viele Plätze gutmachen. Da er somit noch mehr Energie sparen musste als die Gelbphasen-Stopper, konnte Sebastien Buemi ihn jedoch ohne größere Probleme nach seinem eigenen Stopp passieren.
Damit waren die Positionen an der Spitze bezogen. Zwar blieb es weiterhin eng, doch Positionswechsel gab es nur noch weiter hinten im Feld. Auf Rang drei hinter Buemi und di Grassi hatte sich Nick Heidfeld geschoben, und so lautete auch die Reihenfolge im Ziel. Es hätte jedoch auch anders ausgehen können, denn Buemi gab bei den Siegerinterviews zu, dass die Batterie seines Renault-Antriebsstranges überhitzte und die Rekuperation auch Probleme machte; seiner Ansicht nach hätte er kaum eine weitere Runde überstehen können. Die beiden ebenfalls Renault-getrieben Techeetah-Autos waren bereits früh im Rennen mit Technik-Probleme ausgeschieden.
Während der Energievorrat der Spitzenplatzierten bei der Zieldurchfahrt bis auf die letzten 1 bis 2 % ausgelutscht war, konnte Antonio Felix da Costa nach langem ersten Stint und damit großem Energievorrat in der zweiten Rennhälfte am Ende nochmal aufdrehen: Der Andretti-Neuzugang fuhr, gestartet auf Platz 13, noch bis auf Rang 5 (hinter Nicolas Prost) vor. Seinen Teamkollegen Robert Frijns überholte er dabei noch, doch dessen Fahrt von Startplatz 22 auf Endplatzierung 6 war dennoch eine grandiose Leistung, auch wenn di Grassis „21 auf 2“-Fahrt natürlich noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zog.
Erkenntnisse und Ausblick
Mahindra und Andretti haben also einen sehr guten Job gemacht, doch vier Teams scheinen die Spitzentruppe vor diesen beiden zu bilden: Renault e.dams (37 Meisterschaftspunkte) und ABT Schaeffler Audi (18 Punkte) als Top-Teams des Vorjahres plus DS Virgin, von denen man erwarten konnte, dass sie den Anschluss an diese beiden schaffen (die aber schlussendlich punktelos blieben), und das Überraschungsteam NextEV NIO, für das am Ende aber kaum Punkte heraussprangen (je 3 für Rang 8 von Turvey und die Pole von Piquet).
Das neu eingestiegene Jaguar-Werksteam hat sich erstmal knapp außerhalb der Top Ten angesiedelt, wo man sich mit Dragon Racing und Venturi streitet, die aber im Gegensatz zu Jaguar schon ein paar Pünktchen sammeln können. Techeetah ist noch nicht wirklich einzuordnen, da beide Piloten früh ausfielen. Den Punkt für die schnellste Runde sicherte sich übrigens Mahindra-Pilot Felix Rosenqvist, der nach guter Quali-Leistung (Rang 6) und ordentlichem Rennstart den Wagen schließlich auch in die Wand setzte und mit zwei Runden Rückstand auf Rang 15 die Zielflagge erreichte.
Der nächste Lauf findet am 12. November, also in fünf Wochen, auf dem WTCC-Kurs in Marrakesch statt. Der Saisonstart deutet auf ein breites Spitzenfeld (sowohl bei den Autos als auch bei den Fahrern) hin, sodass auch die Fortsetzung auf dem dortigen Kurs mit einer anderen Charakteristik sehr sehenswert sein sollte. Ein Auftaktsieg des Titelverteidigers mag auf dem Papier unspannend aussehen, aber so klar ist das Bild in Hongkong bei Weitem nicht gewesen.
(Bilder: Formula E Media)