Mit den 6 Stunden von Shanghai fährt die WEC ihr erstes Rennen nach dem angekündigten Ausstieg von Audi. Für die Ingolstädter Mannschaft wird es das vorletzte Rennen in der WEC sein.
In letzter Zeit hatten sich die Indizien immer mehr verdichtet, wonach 2016 die letzte WEC-Saison für Audi sein könnte. Das große Audi Sport-Finale im Dezember wurde abgesagt, ebenso ein Test in Sebring, und die WEC stand sehr häufig auf der Agenda des Vorstandes. Dazu kommen die öffentlich geführten Diskussionen um einen großen Stellenabbau im Konzern, denn gerade Politikern, Gewerkschaftern und Betriebsräten ist es natürlich ein Dorn im Auge, wenn tausende Stellen (Leiharbeiter, Azubis, etc.) gestrichen werden sollen und man gleichzeitig öffentlichkeitswirksam einen dreistelligen Millionenbetrag für eine Rennserie ausgibt. Eine Situation, die grundsätzlich stark an jene von Peugeot 2012 erinnerte. Auch damals standen viele Jobs auf der Kippe und der Vorstand entschloss sich, das Programm zu beenden. Insofern ist der Ausstieg von Audi zwar plötzlich, aber nicht unerwartet erfolgt. Jedoch werden die Ingolstädter ein großes Loch in der WEC hinterlassen.
Am auffälligsten wird dies in der LMP1 sein. Mit dem Rückzug stehen nur noch vier Werksautos in der Klasse am Start, was eine gefährliche Situation darstellt. Hat ein Hersteller mit seinem Auto die Entwicklung verwachst (so wie 2015 Toyota), dann wird die Sache an der Spitze sehr schnell eintönig. Eine Situation, welche eben 2015 in Ansätzen schon vorgekommen ist und gerade 2017 und noch mehr 2018 sehr gefährlich sein kann. Daneben wird Audi aber auch neben der Strecke stark vermisst werden. Die Übertragung der WEC oder Le Mans auf Eurosport wurde z.B. zum großen Teil von Audi finanziert, ebenso ist Radio Le Mans stark von Audi-Geldern abhängig. Allesamt lieb gewonnene Möglichkeiten, um die Serie zu verfolgen. Inwieweit dann Porsche oder Toyota oder einer der Reifenhersteller hier finanziell in die Bresche springen werden, ist noch nicht abzusehen. Auch hatte Audi gerade in Le Mans immer diverse Bauten an der Strecke parat, um Journalisten, Blogger, aber auch Fans zu betreuen und ihnen das Rennen aus der einen oder anderen Perspektive (z.B. die große Terrasse nebst R18, eingangs der Dunlop-Schikane, auf die jeder konnte und von der man einen tollen Ausblick hatte) zu zeigen. Auch hat man teils im TV mit Werbung oder über die üblichen Social Media-Kanäle versucht, zusätzlich Aufmerksamkeit für sich und die Serie zu generieren, was sehr wichtig war und ist, denn die Aktivitäten des ACO und der FIA diesbezüglich sind sehr überschaubar und teilweise überhaupt nicht zu verstehen (z.B. Paywall oder der Alleingang beim Rennen in Mexiko, etc…). Die Öffentlichkeitsarbeit in der WEC läuft bislang de facto über die Hersteller. Eine Situation, die für den ACO recht angenehm ist, denn so muss man weder Zeit noch Geld in die Hand nehmen und kann die anderen machen lassen. Sollten aber hier nun andere Konzerne nicht in die Bresche springen, kann dies einen Dominoeffekt für die WEC haben, denn indirekt profitieren z.B. auch die LMP2- oder GTE-Am Teams von den Aktivitäten der drei großen Hersteller in der LMP1, was die Vermarktung angeht.
Kommen wir nun aber zum sportlichen Teil der Serie und dieser findet am Wochenende in Shanghai auf der aus der F1 bekannten Strecke statt. Seit 2012 fährt die WEC dort und der bisherige Rekordsieger lautet Toyota. 2012 und 2014 konnte man hier gewinnen, während Audi 2013 und Porsche im letzten Jahr die Oberhand behalten konnte, und auch heuer stehen die Zeichen für Toyota gar nicht mal so schlecht, vielleicht wieder ganz oben auf dem Podest zu stehen. Die Strecke in Shanghai zeichnet sich zum einen zwar durch zwei Sektoren aus, in denen mehr Abtrieb gefordert ist (Schneckenkurve und die zwei schnellen Kurven in der Mitte), ansonsten gibt es aber auch mehrere lange Geraden nach harten Bremsmanövern, was dem Toyota entgegenkommt. Dieser wird aber auch hier wieder auf seinen Reifenverschleiß bauen müssen, denn über die Stintlänge wird man kaum in der Lage sein, das Rennen zu seinen Gunsten dahingehend zu entscheiden, dass man z.B. einmal weniger als die Konkurrenz stoppen muss. Bei einer prognostizierten Rennlänge von circa 192 Runden und einer Stintlänge von 29 Runden für den Audi, während Toyota und Porsche 30 Runden fahren können laut EoT, müssen alle drei Hersteller sechs Mal die Box. Veränderungen würden sich nur ergeben, wenn Audi nur 27 Runden fahren oder die Konkurrenten die Stints auf 32 Runden stretchen könnten (was aber auch nur bei einer Rennlänge von 192 Runden klappen würde, bei 193 Runden würde das schon nicht mehr klappen). Daher sehe ich hier keine großen Vor oder Nachteile, lediglich etwas weniger Standzeit beim finalen Nachtanken seitens der 8 MJ-Benziner. Ein Stretchen der Stints auf 32 Runden macht daher kaum Sinn, da man zu viel Zeit auf der Strecke verliert und man bei einem schnellen Rennen trotzdem Gefahr läuft, hinten raus noch einmal tanken zu müssen.
Auf eine Runde sehe ich die R18 vorne, denn die Kombination aus langen Geraden und schnellen Kurven liegt dem R18 in der jetzigen Konfiguration sehr gut, da man mittlerweile die beste Aero hat. Im Verkehr sieht die Sache etwas anders aus, hier sollte der Toyota näher am Audi dran sein, wodurch es auf einen Zwei- oder Dreikampf am Ende hinauslaufen kann, denn auch Porsche sollte man auf dieser Strecke nicht unterschätzen, gerade im Verkehr mit ihrem Abgasenergierückgewinnungssystem. Im Kampf um die Fahrermeisterschaft liegen Neel Jani, Marc Lieb und Romain Dumas 23 Punkte vor Mike Conway, Stephane Sarrazin und Kamui Kobayashi, welche ihrerseits 5,5 Punkte Vorsprung auf den besten Audi mit Loic Duval, Oliver Jarvis und Lucas Di Grassi haben. Kommen die Porsche-Fahrer vor ihren Konkurrenten ins Ziel, haben sie mehr als 27 Punkte Vorsprung und den Fahrertitel sicher. Allerdings ist das nicht sicher, denn in den letzten Rennen bzw. seit Anbeginn der Saison war die #2 teils deutlich langsamer als das Schwesterauto, was z.B in Fuji sogar zum Rundenrückstand führte, während die #8 und die #6 gerade in Fuji schneller als ihre Schwesterfahrzeuge waren. Ein Vertagen der Entscheidung auf Bahrain ist somit die wahrscheinlichste Variante. In der Team-WM sieht das ganze deutlicher aus, denn hier hat Porsche satte 59 Punkte Vorsprung auf Audi und 89 Punkte Vorsprung auf Toyota.
Ähnlich deutlich sieht die ganze Sache in der LMP2 aus. Hier führen Gustavo Menezes, Stephane Richelmi und Nicolas Lapierre im bislang konstantesten Fahrzeug, ihrem Signatech Oreca 05, mit satten 38 Punkten Vorsprung vor dem Fahrertrio des RGR Sport Morand-Ligier an. Auf Platz 3 liegt bereits de facto abgeschlagen Roman Rusinov zurück, welcher 59 Punkte Rückstand hat. Ein Aufholen dieses Rückstandes ist für RGR Sport normal kaum möglich, es sei denn, die Signatech ALpine Mannschaft hat in den letzten zwei Rennen Unfälle oder technische Defekte, denn vom Speed her ist die Besatzung in der Lage, permanent in die Top 3 zu fahren. Fahrerisch können hier nur der schon angesprochene RGR-Ligier sowie der G-Dirve Oreca mithalten. Veränderungen bei den Fahrern gab es wieder im ESM-Ligier mit der #30, der an diesem Wochenende im KFC-Design daherkommt und von Tom Blomquist, Sean Geleal und Antonio Giovinazzi pilotiert wird, während Manor beide Wagen mit der #44 und #45 wieder an den Start bringt. Diese werden auch die einzigen sein, welche in den Dreikampf vorne eingreifen können. Nicht sehen werden wir den Strakka-Zytek. Nach einem erneuten Motorschaden und insgesamt nur drei erlaubten Motoren für die WEC-Saison, hätte Strakka einen neuen Motor ins Auto einbauen müssen. Dieser hätte zum einen ordentlich Geld gekostet, zum anderen hätte man in Shanghai gleich zu Beginn eine mehrminütige Zeitstrafe absitzen müssen, womit man bereits mit deutlichem Rundenrückstand ins Rennen gestartet wären. Als Konsequenz daraus hat man sich von der WEC zurückgezogen und wird heuer nicht mehr ins Geschehen eingreifen, womit das Rennen in Fuji den letzten Auftritt eines offenen Prototyps darstellte, denn ab 2017 sind alle P2 und P1 geschlossene Prototypen.
Die knappsten Abstände im Kampf um die Meisterschaften finden wir in den GT-Klassen. In der GTE-Pro trennen Nicki Thiim und Marco Sorensen nur 10 Punkte von Sam Bird und Davide Rigon im AF Corse-Ferrari, während Darren Turner mit 15 Punkten Rückstand ebenfalls noch alle Chancen auf den Titel hat. Da für einen Sieg wie in der F1 25 Punkte vergeben werden, reichen also zwei erste Plätze aus, um den Sieg zuzumachen, egal wie die Konkurrenten abschneiden. Mit 24 Punkten Rückstand hätten sogar noch Gimi Bruni und James Calado rechnerische Chancen. Dafür wäre es aber notwendig, dass sie die Rennen gewinnen und sich immer die beiden Ford GT zwischen dem Ferrari und den anderen einordnen und ihnen somit wichtige Punkte wegnehmen. Ein Umstand, der durchaus eintreten kann, denn pünktlich zum vorletzten Rennen hat der ACO wieder an der Uhr, äh … an der BoP-Schraube gedreht. Es sind so ziemlich alle Fabrikate betroffen. Der Porsche darf seine beiden Air Restriktoren um je 0,4 mm vergrößern und 2 Liter mehr im Tank mitführen. Der Ferrari darf 1 Liter und ab 6000 rpm circa 0,02 bar mehr Ladedruck fahren, was ihm einen besseren Topspeed geben sollte. Der Ford darf 3 Liter mehr tanken, bleibt aber bei Gewicht und Ladedruck gleich. Die beiden Aston Martin müssen ihren Air Restriktor um 0,2 mm vergrößern und dürfen ihren Durchflussbegrenzer beim Nachtanken etwas vergrößern. So, die große Frage lautet nun, was bedeutet das? Fangen wir beim einfachsten Auto an, dem Porsche. Dessen Rückstand ist gerade im Rennen so groß, der wird sich auch hier wieder am Ende des Klassements einordnen. Abhilfe wird da erst der neue RSR schaffen, welcher 2017 kommt. Dieser wird nicht mehr über einen klassischen Heckmotor verfügen, sondern der Motor wandert nach vorne, um einerseits die Balance zu verbessern und um andererseits Platz für den notwendigen größeren Diffusor zu schaffen. Vom Klang her ist es wohl nach wie vor ein Sauger, wobei eine Erhöhung des Hubraumes auf 4,2 l durchaus möglich erscheint.
Der Ford GT wird indirekt eingebremst, nachdem man in Fuji das Maß der Dinge war, und die Konkurrenten, die dahinter waren, nämlich die Ferrari, werden geboostet. Ich gehe daher davon aus, dass normal die Ferrari vorne wegfahren sollten, während dahinter sich die beiden Aston Martin und die Ford GT um die Plätze raufen werden, wobei die Aston Martin leichte Vorteile haben könnten, nicht zuletzt da sie bereits deutlich mehr Daten über Strecke und Reifenabrieb haben.
Neben der GTE-Pro gab es auch in der GTE-Am größere Veränderungen in Sachen BoP. Die Porsches dürfen hier Gewicht ausladen, nämlich 10 kg, genauso wie die Corvette von Labre. Das bislang dominierende Fahrzeug, der Aston Martin mit der #98, muss aber 10 kg wieder zuladen. Unterm Strich sollte das keine so großen Auswirkungen, gerade im Kampf um die Spitze, ergeben. Hier wird es wieder auf einen Zweikampf zwischen dem AF Corse-Ferrari und dem Aston Martin hinauslaufen, wobei der Abstand wohl ziemlich gering ausfallen sollte, sowohl in der Qualy als auch im Zeittraining. Ein Umstand der dem Ferrari-Team entgegen kommt, denn in der Meisterschaft führt man mit 33 Punkten vor dem Aston. Wollte der Aston Martin nun diesen Rückstand aufholen, müsste er seinerseits fast schon auf einen Ausfall des Ferrari hoffen oder die anderen Porsche und die Corvette müssten sich zwischen ihm und dem F458 einordnen. Ein Umstand, der aber aufgrund der teils recht hohen Differenzen in Sachen Speed nicht zustande kommen sollte, denn im Schnitt verlieren die Porsche und auch die Corvette fast eine Sekunde pro Runde auf den Ferrari und den Aston Martin, wodurch es nicht verwunderlich wäre, wenn nach diesem Rennen bereits die Entscheidung in der Meisterschaft zu Gunsten von Perrodo/Collard und Rui Aguas gefallen wäre.
Diese könnte bereits ab 04.00 Uhr MESZ fallen, wenn das vorletzte Rennen mit Beteiligung von Audi über die Bühne geht.