Die Formula E besucht einen neuen Kontinent, begründet eine Partnerschaft mit dem UN-Klimagipfel und auch sportlich gibt es nach dem aufregenden Saisonauftakt in Hong Kong noch viele Fragen zu beantworten.
Es ist schön, dass die Formula E als eine von wenigen FIA-Weltmeisterschaften nach Afrika expandiert. Einerseits hat Marrokko eine weit zurückreichende Geschichte im Motorsport, die hier kurz nachzulesen ist. Der Austragungsort ist dabei jedoch aus einem anderen Grund bewusst gewählt worden, ebenso wie der Zeitpunkt des Rennens, denn in Marrakesch findet derzeit der 22. UN-Klimagipfel COP22 („22nd session of the Conference of Parties to the United Nations Framework Convention on Climate Change”, puh) statt. Alejandro Agag hat es geschafft, dass die Formula E sich als offiziellen Partner dieses Gipfels bewerben darf. Die Politiker der Welt beraten vom 7. bis zum 18. November darüber, wie man die beim COP21 letztes Jahr in Paris vereinbarten Klimaschutz-Ziele erreichen kann.
Elektromobilität und Formula E
Der Ausbau der Elektromobilität ist ein Bestandteil des Maßnahmenpakets zur Verringerung des Ausstoßes klimaschädlicher Gase, aber der Effekt hängt bekanntlich wesentlich davon ab, aus welcher Quelle die hierfür erzeugte Energie stammt. Auch sonst sind die Fragen und Probleme, die sich im Rahmen der Formula E ergeben, weitgehend die gleichen wie bei der Elektromobilität im Allgemeinen auch. Dazu gehören die Herstellung und die Entsorgung bzw. das Recycling der Akkus sowie die Leistungsfähigkeit selbiger.
Gerade hier liegt für die Rennserie ein akutes Problem, denn die lästigen Fahrzeugwechsel würde man selbstverständlich lieber früher als später loswerden. Den Zeitplan dafür hat man jedoch um einige Jahre nach hinten verschoben, um die Kosten für die noch junge Serie im Zaum zu halten und ein Aufblühen nicht schon im Keim zu ersticken. Die Formula E ist derzeit technisch nur eingeschränkt innovativ, sie bildet im Wesentlichen den Status Quo ab, nur die Entwicklung des Antriebsstranges aus Wandler, E-Motor und Getriebe ist bisher freigegeben worden. Die Teams und Werke probieren verschiedene Kombinationen aus Motoren (Single oder Twin) und Getrieben (1 bis 5 Gänge) aus und suchen die optimale Lösung.
Meine Hoffnung ist, dass die Formula E zukünftig, wenn die Etablierungsphase abgeschlossen ist, tatsächlich die Entwicklung weiter öffnet und an der Spitze der Innovation in Sachen E-Mobilität stehen kann. Bis dahin wird jedoch noch einige Zeit vergehen, denn auch das nächste Batteriepaket, das ab der fünften Saison (2018/19) zum Einsatz kommen soll, wurde als Einheitselement ausgeschrieben und wird von Williams Advanced Engineering hergestellt werden. Erst nach Ablauf der Lebensdauer dieser Lösung wird frühestens technischer Wettbewerb in diesem Kern-Entwicklungsbereich der Elektromobilität Einzug halten können. Dafür müssen allerdings auch die Werke, die bereits eingestiegen sind (Citroen, Renault, Jaguar, Mahindra), und die, die dies angekündigt bzw. ihr Interesse bekundet haben (Audi, BMW, Mercedes) dabei bleiben und mitziehen wollen.
Auch andere technische Lösungen werden hoffentlich mittel- bis langfristig in der Formula E eine Rolle spielen: Drayson Racing Technologies (die Firma von Paul Drayson, dem früheren Unternehmer, Politiker und LMP1-Piloten, der auch den elektrische Geschwindigkeitsrekord hält) hat in Zusammenarbeit mit Qualcomm ein System zum kabellosen Aufladen von Elektroauto-Akkus entwickelt, das irgendwann Boxenstopps einer anderen Art in die Formula E bringen könnte.
Auf der anderen Seite gibt es bereits technische Entwicklungen, die zwar kaum auf-, aber doch ins Gewicht fallen: So wurde der Michelin-Allwetterreifen für die Formula E für die neue Saison so weiterentwickelt, dass er 16% weniger Rollwiderstand aufweist, was es den Piloten ermöglicht, mit dem gleichen Energievorrat eine längere Strecke zu bewältigen. Gleichzeitig wurde das Gewicht der Reifen um circa 5 kg pro Satz verringert, was ebenfalls der Energieeffizienz dient.
Dies alles sind langfristige Hoffnungen, die sich vielleicht erfüllen, vielleicht auch nicht. Ohne Innovation jedoch wird die Formula E ab einem gewissen Punkt nicht mehr voran kommen und auf Dauer nur eine Einheits-Formelserie sein, die Elektromobilität bewirbt, sie jedoch nicht technisch voranbringt. Auf dem UN-Klimagipfel wird es um andere Themen gehen und gerade auch im Lichte der jüngsten politischen Entwicklungen gibt es sicherlich gravierendere Probleme als die Zukunft der Formula E, doch grundsätzlich befürworte ich die Richtung, in die Agag mit dieser Partnerschaft geht.
Das Rennen in Marrakesch
Praktischerweise gibt es in der Stadt, in der der Gipfel stattfindet, eine Rennstrecke, die in ihrer jüngsten Variante sehr gut für die Formula E geeignet scheint. Seit 2009 trägt die WTCC jährlich ein Event in der mit gut 900.000 Einwohnern viertgrößten Stadt Marokkos aus. Die Strecke durch ein neues Stadtviertel am südlichen Stadtrand war ursprünglich recht speziell, sie bestand im Wesentlichen aus langen Geraden, die durch zahlreiche Schikanen und enge Kurven unterbrochen wurden. Diese funktionierte für die WTCC mäßig, für Formelserien in deren Rahmenprogramm erwies sie sich das eine oder andere Mal als sehr gefährlich.
Ende 2015 wurde der Kurs darum umgebaut, er ist nun deutlich kürzer und weist eine gänzlich andere Charakteristik auf. Die Boxengasse ist beibehalten worden, die parallel verlaufende Start/Ziel-Gerade ist nun jedoch zweigeteilt und wird teils sogar in die entgegengesetzte Richtung befahren. Nach 450 Metern folgt eine langgezogene Linkskurve, nach einem schnellen Rechtsbogen gleicher Länge eine weitere langgezogene Linkskurve, nach einer kurzen Gerade dann eine enge Schikane. Eine solche Streckenpassage hat die Formula E auf ihren Stadtkursen bislang kaum einmal befahren, diese Linkskurven sind von Radius und Länge her eher typisch für permanente Rennstrecken. Es wird interessant sein zu sehen, wie sich die schweren Fahrzeuge in diesem ersten Sektor verhalten und ob vor den beiden Linkskurven das Überholen möglich ist.
Nach diesem neu gebauten Teilstück beginnt die Rückkehr auf die Straßen der früheren Strecke, die aber neu kombiniert wurden. Die Kurven sind entsprechend stadtkurstypischer mit geringen Radien. Zwei weitere Geraden mit circa 450 und 500 m Länge münden jeweils in enge Linkskurven (nahezu rechtwinklig, aber leicht geöffnet), sodass sich möglicherweise bis zu vier Überholmöglichkeiten pro Runde auftun. Das könnte für ein turbulentes Rennen sorgen, gerade auch weil die beiden Streckenteile (das erste Drittel mit den runderen Kurven und die straßenkurstypischen übrigen zwei Drittel) so unterschiedlich sind.
Aus dem Auftaktrennen in Hong Kong konnte man die Erkenntnis gewinnen, dass es in diesem Jahr eine breiter aufgestellte Spitzengruppe an Teams zu geben scheint als im Vorjahr, als hauptsächlich ABT Schaeffler und e.dams Renault um die Siege kämpften. DS Virgin und NextEV (deren Teamnchef Martin Leach kurz nach dem Lauf in Hong Kong verstorben ist) schienen nah dran, auch wenn sie das aufgrund von Zwischenfällen nicht in nennenswerte Punkte umsetzen konnten. So lagen schließlich doch die bekannten Größen vorn: Meister Sebastien Buemi (e.dams Renault) siegte vor Lucas di Grassi (Abt Schaeffler) und Nick Heidfeld (Mahindra).
Die Pole, die drei Punkte wert ist, ging in Hong Kong an Nelson Piquet jr., doch die Session dort war mit mehreren Unterbrechungen und schließlich dem Abbruch kaum als regulär zu bezeichnen, zumal vorher noch die Strecke modifiziert worden war. Einen kleinen Vorteil hat möglicherweise DS Virgin-Neuzugang Jose Maria Lopez, der in der WTCC schon einmal auf der neuen Strecke antrat und einen der beiden Läufe gewann; doch ein Formula E-Bolide ist mit einem Tourenwagen wohl kaum vergleichbar. Lopez wurde nebenbei auch noch ins Toyota-LMP1-Team für die nächste Saison berufen; damit wird auch eher – wie Sebastien Buemi und andere – von der Terminkollision des New York ePrix mit dem WEC-Lauf am Nürburgring betroffen sein, da letzterer nun leider doch nicht mehr verschoben werden konnte.
Wann und wo zu sehen?
Das Rennen starte am Samstag um 17 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Eurosport überträgt live und zeigt ab 16:30 Uhr bereits eine Zusammenfassung der Qualifikation, die ab 13 Uhr ausgetragen wird. Der britische Sender Channel 5 überträgt ab 16:30 Uhr live.
(Bilder: Formula E Media)