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NASCAR: Analyse Saisonfinale Homestead 2016

von KristianStooss
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Jimmie Johnson schrieb am Sonntag Geschichte und gewann nach einem denkwürdigen Finish seinen siebten Sprint-Cup-Titel. Diese magische Nummer erreichten bisher nur die Legenden Richard Petty und Dale Earnhardt Sr. Das Rennen selbst verlief zwischen den Championship-Four unglaublich knapp und wurde erst wenige Runden vor Schluss durch einen Kontakt zwischen Joey Logano und Carl Edwards entschieden.

hms_nscs_jj_team_112016Es ist schon auffällig, wie stark sich die NASCAR-Rennen seit der Einführung des Elimination-Chase verändert haben. Früher waren die Fahrer eher darauf bedacht, ihre Punkte zu hamstern und ein Rennen mit Blick auf die Meisterschaft auch schon mal lieber auf Platz 2 zu beenden. Jetzt zählen Siege mehr und können im Zweifel nicht nur den vorzeitigen Einzug in die nächste Playoff-Runde bedeuten. Im „schlimmsten“ Fall kann sich ein Pilot bereits im ersten Saisonrennen die grundlegende Teilnahme am Chase sichern, obwohl dieser nur zehn der 36 Rennen des Jahres ausmacht. Dementsprechend wird nun auch gefahren und viele riskieren in den letzten Runden eben alles. Einige würden für eine Fahrt in die Victory-Lane sogar die eigene Großmutter aus dem Weg räumen.

Das neue Format brachte uns daher in den letzten beiden Jahren sehr ruhige Rennen über die ersten 95 bis 99% der Distanz. Die Piloten blieben bis zur letztmöglichen Gelegenheit meist recht besonnen und nicht selten fuhr ein Fahrer überlegen die meisten Führungsrunden ein – nur um am Ende dann doch nicht zu gewinnen, weil totales Chaos ausbrach. Auf der einen Seite stehen hier die Fans, die den Langstreckencharakter eines 3-Stunden-Rennens bevorzugen und nicht wollen, dass das halbe Feld in den letzten fünf Runden die Reihenfolge ändert. Andererseits ist es dem Durchschnittsfan schwer zu vermitteln, dass ein Rennergebnis mit dem Schwenken der grünen Flagge bereits in Stein gemeißelt sein soll. Etwas Ausgewogenheit würde der Art des Racings meiner Meinung nach durchaus gut tun.

Ich denke, dass die NASCAR ihre Rennen durch den Chase und die gestiegene Bedeutung eines Saisonsiegs unberechenbarer und auch spannender machen konnte. Manchmal habe ich aber das Gefühl, dass es einfach etwas „over the top“ und aus den Fugen gerät – da können wir doch gleich alle Läufe der Meisterschaft in Daytona und Talladega austragen. Aus meiner Sicht haben wir vor zwei Jahren den Punkt erreicht, ab dem Konstanz einfach nicht mehr belohnt wurde und die Führung der Serie hat das vermutlich nicht einmal bemerkt. Der neue Meister wäre regulär auf Platz sieben der Punktetabelle gelandet und extrem konstante Piloten wie Kevin Harvick oder Martin Truex Jr. hatten schon einen Monat vor dem Ende der Saison nichts mehr mit der Entscheidung zu tun.

Der vergangene Sonntag in Homestead spiegelte diese „neue“ Art von Rennen auch treffend wider, da Kyle Larson 132 von 268 möglichen Umläufen an der Spitze des Feldes verbrachte und eben doch nicht gewann. Die Löwenarbeit teilte er sich zunächst mit Kevin Harvick (79) und in der zweiten Rennhälfte mit Carl Edwards (47), ebenfalls zwei verdiente potenzielle Rennsieger. Larson kam natürlich unbestreitbar entgegen, dass Homestead diese extrem hohe Linie erlaubt und bevorzugt, auf der er gewissermaßen zu Hause ist. Die große Entscheidung brachte jedoch eine späte Gelbphase gut 15 Runden vor Schluss, die man auch nicht hätte geben müssen – ein durchaus bekanntes Phänomen in der NASCAR, Hauptsache die Spannung stimmt am Ende.

Die Championship-Four befanden sich zu diesem Zeitpunkt alle in den Top-6 hinter einem souveränen Leader Kyle Larson, der bereits über drei Sekunden Vorsprung herausfahren konnte. Carl Edwards lag auf Meisterschaftskurs, nachdem er kurz zuvor Kyle Busch im Kampf um Platz zwei überholt hatte. Beide waren zudem knapp vor Joey Logano platziert. Jimmie Johnson lag hinter Kevin Harvick auf Rang sechs und musste bis dahin eindeutig den weitesten Weg zurücklegen. Aus einer unerlaubten Modifikation an der Karosserie resultierte bereits vor Rennstart eine Rückversetzung der #48 ans Ende des Feldes. An der Box behielt schließlich Larson die Führung, gefolgt von Edwards, Logano, Harvick, Johnson und Busch – Zeit für den vieldiskutierten Restart.

Weil die #42 sich logischerweise die Innenbahn sicherte, musste Carl Edwards vor Joey Logano restarten und das resultierte schließlich im großen Game-Changer. Edwards setzte einen „Block from hell“ und drängte die #22 unter die weiße Linie auf das gelb-lackierte Infield. Logano hielt dagegen, obwohl er sich nicht weiter als eine halbe Kotflügellänge neben der #19 befand – es konnte also nur krachen. Der Block von Edwards war aus meiner Sicht genauso unsinnig wie das sture Draufhalten von Logano, vor allem wenn man den Schaden betrachtet, der direkt dahinter entstand. Ein kleiner Big-One nahm mehr als fünf Fahrzeuge endgültig aus dem Rennen und Edwards musste nicht nur einen harten Einschlag wegstecken. Die #19 wurde nach dem frontalen Mauerkontakt noch heftig von Kasey Kahne aufgegabelt und Brad Keselowski sowie Martin Truex Jr. fanden sich plötzlich in einem großen Feuerball wieder. Ist das noch kalkuliertes Risiko oder schon grobe Fahrlässigkeit?

In der folgerichtigen halbstündigen Rotphase zeigte sich, dass Joey Logano zwar halbwegs heil aus der Nummer herausgekommen war, jedoch trotzdem eine Überprüfung des Fahrzeugs an der Box notwendig sein würde. Zunächst befanden die Kommentatoren diese Entscheidung folgerichtig für das Ende von Loganos Titelhoffnungen. Doch weil hinter ihm alle anderen Piloten auch zum Nachfassen kamen, startete die #22 nur knapp hinter den verbliebenen Anwärtern mit frischen Reifen – die Situation musste drastisch neu bewertet werden. Früh nach dem Restart machte Logano schnell Boden gut, doch dann sorgte Ricky Stenhouse Jr. dafür, dass sich erneut alles drehte. Seltsamerweise überlegte die Rennleitung hier mehrfach, ob man noch eine Caution schmeißen sollte. Zuvor hatte Dylan Lupton im Gegensatz zu Stenhouse nicht einmal die Mauer berührt und es kam die umstrittene Gelbphase heraus, die beim Restart zum Big-One führte.

Die richtige Entscheidung der Offiziellen sorgte für den ersten Overtime-Versuch und es sollte knapp für Jimmie Johnson und Kyle Busch werden. Busch erkannte seine Unterlegenheit und holte ebenfalls neue Reifen, was ihn jedoch außer Reichweite zurückwarf, sollte man nicht mehrere Anläufe für ein Finish benötigen. Johnson dagegen schien geschlagen, doch weil Kyle Larson und Kevin Harvick den Ford-Piloten Joey Logano in ein Chevrolet-Sandwich nahmen, konnte die #48 vorne enteilen – ein letzter Dienst der Markenkollegen am Lieferanten des Materials. Johnson war also durch und ließ sich in den letzten beiden Runden die Butter nicht mehr vom Brot nehmen. Ein Vorsprung von 0,466 Sekunden reichte ihm für den siebten Titel in elf Jahren – wirklich eine beeindruckende Leistung.

Wenn man bedenkt, dass er erst 15 Saisons auf dem Buckel hat, ist da durchaus noch Luft nach oben und die Bestmarke der Legenden Richard Petty und Dale Earnhardt Sr. könnte womöglich noch in diesem Jahrzehnt komplett fallen. Jimmie Johnson bestimmte wie kein zweiter Pilot die 2000er und 2010er Jahre, nachdem dies Petty (60er/70er) und Earnhardt (80er/90er) in den Dekaden davor gelang. Im Zeitraum bis zur Johnson-Nachfolge (Mitte 90er bis Mitte 2000er) bekriegten sich Jeff Gordon (4 Titel) und Tony Stewart (2 Titel + 1 im Jahr 2011). Ich denke, dass der Titelgewinn von Johnson definitiv verdient war, denn die #48 hat das Spielprinzip begriffen. Sie war wieder einmal zur richtigen Zeit am richtigen Ort, nachdem sie kurz vor Beginn des Chase keiner auf dem Zettel hatte.

Damit endet die NASCAR-Saison 2016! Wir sahen ein umkämpftes Jahr mit einer starken Truppe von Joe Gibbs Racing, für die es am Ende trotz ihrer zwölf Siege plus der vier Erfolge von Martin Truex Jr. – dem Meister der Herzen – leider nicht reichte. Es gewann der Mann mit den meisten Einzelsiegen: Jimmie Johnson. Was im nächsten Jahr auf uns wartet, ist noch zu großen Teilen unklar. Es wurde nach wie vor kein neuer Titelsponsor für die oberste Klasse, den Cup, bekanntgegeben. Viele Cockpits werden umbesetzt, fallen weg oder kommen neu dazu – ganz zu schweigen vom anstehenden Geschacher um die Charter, das zweifelsohne bevorsteht.

Greg Biffle verlässt Roush-Fenway Racing, die vermutlich zu einem Zwei-Wagen-Team schrumpfen, mit unbekanntem Ziel. HScott Motorsports und Tommy Baldwin Racing stehen vor dem Aus, wie passend für Furniture Row Racing, die dringend einen garantierten Startplatz für den sehnsüchtig erwarteten Rookie Erik Jones benötigen. Niemand weiß, bei wem Ty Dillon in seiner geplanten ersten vollen Cup-Saison unterkommen wird, und bei den Hinterbänklern gibt es auch noch eine Menge freie Plätze. Wir sollten also die Silly-Season in den nächsten knapp drei Monaten gut im Auge behalten, bevor in Daytona Mitte Februar wieder die Motoren brüllen. Bis dahin bedanke ich mich für euer Interesse und würde mich freuen, euch auch im nächsten Jahr wieder als Leser begrüßen zu dürfen.

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